Benutzer:Dochvoss/Kritischer Zug

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Der kritische (oder orthokritische[1]) Zug (auch Kritikus genannt) ist in der Schachkomposition ein schnittpunktüberschreitender Zug einer langschrittigen Figur, durch den die Verstellung der Wirkungslinie dieses Langschrittlers möglich wird.[2][3][4] Diese Brauchbarmachung eines Schnittpunktes für eine Verstellung erfolgt (i. d. R.) mittels Besetzung des Schnittpunktes durch einen anderen Stein.[5] Der alternative Ausdruck „orthokritischer Zug“ wird meist dann verwendet, wenn der kritische Zug als Normalfall im Kontext von seinen Sonderformen abzugrenzen ist.[1]

Er stellt die Urform einer strategischen Bewegung dar und hat seine problemschachtheoretische Ausarbeitung gerade innerhalb logischer Kombinationen erfahren. Heutzutage spielt er eine fundamentale Rolle als Einleitungszug bei vielen Schnittpunktkombinationen sowohl in Zwei- als auch in Drei- und Mehrzügern (Cheney, Grimshaw, Holzhausen u. a.). Seine Antiform ist der antikritische Zug (Antikritikus).[4][5]

Historisches

1. e2-e4 Dieser Abschnitt benutzt die ausführliche algebraische Notation zur Beschreibung von Schachzügen.

Der kritische Zug hat seinen Ursprung im Februar 1845 veröffentlichten, so genannten „Indischen Problem“ und wurde Ende 1903 als Begriff durch die beiden deutschen Schachkomponisten und Begründer der Neudeutschen Problemschule Johannes Kohtz und Carl Kockelkorn in ihrer Studie über das „Indische Problem“ eingeführt[6] und theoretisch begründet[7].

Letztendlich ist jeder Inder ein von einem kritischen Zug eingeleitetes Matt Anderssens[8] (Anderssen-Verstellung mit nachfolgendem Batteriematt). In einem zweiten Problem hat Loveday derselben Kombination wie im Ur-Inder eine andere Form gegeben[8], die allerdings kaum Beachtung fand und relativ unbekannt blieb, obwohl sie eine dualfreie Darstellung des Inders mit variantenloser einzeiliger Lösung in zweckökonomischer Form brachte. | Ausrichtung=rechts | Titel=Henry Augustus Loveday
The Chess Player’s Chronicle 09/1846 | Z8=--/kl/--/kd/--/--/--/--/ | Z7=--/--/--/bd/--/--/nl/--/ | Z6=--/--/--/rl/--/pl/--/bl/ | Z5=--/--/--/--/--/--/pd/--/ | Z4=--/--/--/--/--/--/--/--/ | Z3=--/--/--/--/--/--/pl/--/ | Z2=--/--/--/--/--/--/--/--/ | Z1=--/--/--/--/--/--/--/--/ | center=1 | Beschreibung= C+                                                     (6+3)Matt in 3 Zügen }}
Lösung:[8]

1. Td6-d1! (Zugzwang) (Kritischer Zug)

Variante:

1. ... g5-g4 (Einziger Zug) 2. Lh6-d2 (Sperrzug) Ld7~ 3. Ld2-a5#

Im Gegensatz zu seinem Ur-Inder wird hier der weiße Turm auf d6 zum kritischen Stein und überschreitet das kritische Feld d2, führt also den kritischen Zug im Schlüssel aus. Die Öffnung der Diagonale c1–h6 durch den schwarzen g-Bauern ist damit erzwungen. Der Folgezug des weißen Läufers, dem Sperrstein, von h6 nach d2 ist der Sperrzug mit Pattaufhebung durch Entfesselung des schwarzen Läufers auf d7. Finales Batteriematt inklusive Doppelschach auf d8 (dem Wirkungsfeld) durch aufgedecktes Schachgebot des kritischen Steines und gleichzeitiges Schachgebot des abziehenden Sperrsteines.

Beispiele

1. e4 Dieser Abschnitt benutzt die verkürzte Figurine Notation (FAN) zur Beschreibung von Schachzügen.
Alexander W. Galitzki
La Stratégie 1907
  a b c d e f g h  
8 Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess klt45.svg 8
7 Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg 7
6 Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg 6
5 Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess kdt45.svg 5
4 Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess pdt45.svg 4
3 Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess rlt45.svg Chess --t45.svg 3
2 Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess plt45.svg 2
1 Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg Chess --t45.svg 1
  a b c d e f g h  
 C+                                                     (3+2)Matt in 5 Zügen


Dass der weiße Turm im Schlüsselzug ziehen muss, ist offensichtlich. Aber wohin?

Lösung:[9]

1. g8! (Zugzwang)

Varianten:

1. ... h3 2. h7 (Zugzwang) h4 (Einziger Zug) 3. g6! (Droht 4. ♔f5 nebst 5. ♖h8#) g4 (Einziger Zug) 4. f8 (Zugzwang) h4 (Einziger Zug) 5. f4#
1. ... h6 2. h3 (Zugzwang) h5 (Einziger Zug) 3. g7 (Droht 4. ♔f6 nebst 5. ♖h8#) g5 (Einziger Zug) 4. f8 (Zugzwang) h5 (Einziger Zug) 5. f5#

Ein Cheney als logischer Mehrzüger mit Doppelsetzung der Verstellung als Echo mit Farbwechsel (Chamäleon-Echo). Der kritische Zug ist hier zwar nicht als Sicherungsplan, sondern er ist als Auswahlmanöver zweckrein; denn gegenüber 1. ♖g1? hat der Schlüsselzug nur die kritische Überschreitung der Schnittpunkte als zusätzlichen (Mehr-)Zweck voraus. Der Versuch 1. ♖g7? ermöglicht zwar die Nutzung des Schnittpunktes g6 mittels Cheney-Verstellung zum Matt nahezu gemäß der ersten Variante durch 1. ... ♟h3 2. ♔h7 ♚h4 3. ♔g6 ♚g4 4. ♖f7 ♚h4 5. ♖f4#, scheitert aber an 1. ... ♚h6!.

Einzelnachweise

  1. a b Werner Speckmann: Strategie im Schachproblem. 242 Miniaturen. Unveränd. Nachdr. d. 1. Auflage. Walter de Gruyter & Co., Berlin/New York 1982, ISBN 3-11-000748-7, S. 107.
  2. Kritischer Zug (Problem). In: Klaus Lindörfer (Hrsg.): Großes Schachlexikon. Geschichte, Theorie und Spielpraxis von A bis Z. Orbis Verlag, München 1991, ISBN 3-572-02734-9, S. 146.
  3. Kritischer Zug. In: Otto Borik (Hrsg.): Meyers Schachlexikon. Meyers Lexikonverlag, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 1993, ISBN 3-411-08811-7, S. 163.
  4. a b Godehard Murkisch: Kritischer Zug. In: Manfred van Fondern (Hrsg.): Lexikon für Schachfreunde. C. J. Bucher, Luzern/Frankfurt (a.M.) 1980, ISBN 3-7658-0308-1, S. 164.
  5. a b Werner Sidler: Kritischer (auch orthokritischer) Zug (Kritikus). In: Problemschach. Alphabetisch geordnete Begriffsübersicht. Selbstverlag, Luzern 1968, S. 51.
  6. Johannes Kohtz und Carl Kockelkorn: Das Matt Anderssen’s und der Kritische Zug. In: Das Indische Problem. Eine Schachstudie. Schachverlag Hans Hedewigs Nachf. Curt Ronniger, Leipzig 1903, S. 38–46 (Online [PDF; abgerufen am 5. März 2013]). Nachdruck durch Edition Olms, Zürich 1982, ISBN 3-283-00074-3.
  7. Johannes Kohtz und Carl Kockelkorn: Der Kritische Zug an sich. In: Das Indische Problem. S. 99–102.
  8. a b c Heinrich Ranneforth: Das Schachproblem. Schachverlag Hans Hedwigs Nachf. Curt Ronniger, Leipzig 1937, S. 30–31.
  9. Werner Speckmann: Das Schachproblem. Pikante Miniaturen – Ein Leitfaden für Anfänger und Kenner. Franckh’sche Verlagshandlung, W. Keller & Co., Stuttgart 1981, S. =37 und 63.

Literatur

  • Martin Hoffmann: Serie (VIII): Was ist eine kritische Lenkung? In: Schweizerische Schachzeitung. Nr. 3, 2000, S. 29 (schachbund.ch [PDF; abgerufen am 11. März 2013]).
  • Werner Speckmann: Kritische-antikritische (schnittpunktübergreifende) Züge. In: Einführung in die Welt des Schachproblems. 600 Zweizüger-Miniaturen. 1. Auflage. Walter Rau Verlag, Düsseldorf 1984, ISBN 3-7919-0206-7, S. 125–127 und 208–209.

Weblinks

[[Kategorie:Schachkomposition]]