Benutzer:Förkle/Liechtenstein-Tschechien-Konflikt

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Dieser Artikel beschreibt den diplomatischen Konflikt zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Tschechischen Republik.

Liechtenstein-Tschechien-Konflikt
Lage von Liechtenstein und Tschechien
Liechtenstein Tschechien
Liechtenstein Tschechien

Historie

1918: Anfang der Bodenreform in der Tschechoslowakei

Im Oktober 1918 wurde eine Bodenreform in der Tschechoslowakei durchgeführt. Das Haus Liechtenstein verlor Besitzungen durch Verstaatlichung und Zwangsveräußerung in Böhmen, Mähren und Schlesien. Dabei missachtete die Tschechoslowakei die liechtensteinische Souveränität. Die damaligen Bemühungen durch die Regierung Liechtensteins und dem Haus Liechtenstein, die liechtensteinische Souveränität anzuerkennen, schlugen fehl.

1918 bis 1939: Beziehungen innerhalb der Zwischenkriegszeit

In der Zwischenkriegszeit bestritt die Tschechoslowakei die Eigenstaatlichkeit und Souveränität des Fürstentum Liechtensteins. Ab 1929 fand eine Volkszählung in der Tschechoslowakei statt. Wer dort deutscher oder ungarischer Nationalität war, dessen in der Tschechoslowakei gelegenes Eigentum wurde beschlagnahmt. Im Jahr 1935 wurde die Bodenreform in der Tschechoslowakei für abgeschlossen erklärt. Im Juli 1938 erkannte die Tschechoslowakei Liechtenstein nun als Staat an. Gleichzeitig wurden diplomatische Beziehungen über die Schweiz aufgenommen.

Einstellung der diplomatischen Beziehungen zwischen der Tschechoslowakei und Liechtenstein

Das Münchner Abkommen im Jahr 1938, die Zerschlagung der Ersten Tschechoslowakische Republik sowie der Zweite Weltkrieg führten zu einer faktischen Einstellung der diplomatischen Beziehungen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges weigerte sich die Tschechoslowakei mit Liechtenstein die diplomatischen Beziehungen wieder aufzunehmen, dies sah Liechtenstein als «mangelnde Respektierung der liechtensteinischen Souveränität» an.

Die Beneš‐Dekrete

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Vermögenswerte von insgesamt 39 liechtensteinischen Staatsbürgern unter Nationalverwaltung gestellt und konfisziert. Dies geschah auf Basis der Beneš‐Dekrete Nr. 5 und Nr. 12. Unter den betroffenen Staatsbürgern war auch das Staatsoberhaupt der Fürstentums Liechtenstein, Fürst Franz Josef II., betroffen. Begründet wurde dies mit der fälschlichen Behauptung der tschechoslowakischen Behörden, dass sich der Fürst und seine Familie bei einer Volkszählung 1930 zur deutschen Nationalität bekannt hätte.

Zur heutigen Zeit ist es möglich, den Zählbogen der Volkszählung 1930 im Prager Nationalarchiv einzusehen. Dabei zeigt sich, dass der Zählbogen einen deutlichen Fehler hat: nicht der Haushaltsvorstand unterzeichnete den Zählbogen, sondern ein unbekannter Beamter der liechtensteinischen Verwaltung. Diese Gegegebenheit macht den Zählbogen ohne Abgabe und Unterschrift des Haushaltsvorstandes nichtig. Die Nichtigkeit des Zählbogens wurden von den tschechoslowakischen Behörden nicht beachtet, diese nahmen den Bogen als Basis für die Behandlung liechtensteinischer Staatsbürger als Deutsche, womit diese unter die Beneš‐Dekrete fielen und die Vermögenswerte der Staatsbürger beschlagnahmt wurden im Jahr 1945.

Das Fürstentum Liechtenstein reagierte mit diplomatischen Mitteln. Der Landesfürst legte zudem Beschwerde ein und nutzte rechtliche Mittel. Seine Beschwerde wurde bis zum tschechoslowakischen Obersten Verwaltungsgerichtshof (siehe Oberstes Verwaltungsgericht (Tschechien)) geführt.

Im Januar 1948 stand das finale Urteil des Obersten Verwaltungsgerichtshofs unmittelbar bevor. Dabei schien es auf eine Kompensationslösung für das Fürstentum, auch aufgrund internen tschechoslowakischen Zweifel an der Rechtmässigkeit der Enteignungen. Jedoch wurde das Urteil, bereits ausformuliert, nach dem Februarumsturz von neu eingesetzten kommunistischen Richtern umgeschrieben. Ein endgültiges Urteil fällte das Oberste Verwaltungsgerichtshof zu Ungunsten des Landesfürsten.

Seit 2009: Aufnahme der diplomatischen Beziehungen

Erst 2009 wurden die diplomatischen Beziehungen nach circa 60-jährigem Stocken wiederaufgenommen. Dabei wurde eine unabhängige und paritätisch besetzte Historikerkommission eingesetzt. Diese hatte die Beauftragung, die gemeinsame Geschichte, sowie offene vermögensrechtliche Fragen aufzuarbeiten.

Im Januar 2014 wurde ein umfassender Bericht den Außenminsterien von Liechtenstein und Tschechien vorgelegt. Dabei hielt die Kommission fest, dass es in einigen Fragen unterschiedliche Positionen gibt, welche durch gute Partnerschaft auf politischer Ebene zu lösen wären. Die Regierung von Liechtenstein sowie das Fürstenhaus Liechtenstein betonten, dass eine Verhandlungslösung zu den offenen vermögensrechtlichen Fragen der zielführendste Weg sei. Die tschechische Regierung lehnt Verhandlungen jedoch ab.

Fall Říčany

2013 erkannten tschechische Behörden die Fürst von Liechtenstein Stiftung (FvLS) als Erbin des Fürsten Franz Josef II. an und die Stiftung wurde ins Grundbuch eingetragen als Eigentümerin eines Forstgutes (600 Hektar groß, grob ungefähr wie Gibraltar) des Fürsten bei Říčany eingetragen. Die Stiftung zahlte in der Folge die Grundsteuern, konnte die Verwaltung des Forstgutes jedoch nicht übernehmen.

Im Jahr 2014 klagte die Tschechische Republik gegen die Fürst von Liechtenstein Stiftung (FvLS). Der tschechische Staat verlangte die zivilgerichtliche Feststellung des Eigentums des tschechischen Staates. In ihrem Antrag an das Bezirksgericht berief sich die Behörde für Eigentumsangelegenheiten, die den tschechischen Staat vertrat, auf das Beneš‐Dekret Nr. 12. Hierbei argumentierte die Behörde mit der Behauptung, der Fürst Franz Josef II. hatte sich im Jahr 1930 zu einer Volkszählung als deutsch bekannt - dies konnte zu dieser Zeit als falsch erwiesen werden (siehe Liechtenstein-Tschechien-Konflikt#Die Beneš‐Dekrete) durch die Einsicht ins Prager Nationalarchiv. Die Gegenbeweise, dass der damalige Hausvorstand den Zählbogen nie unterschrieb sowie und die tschechische meldebehördliche Bestätigung der liechtensteinischen Nationalität des damaligen Fürsten und der Angehörigen des Fürstenhauses, ließen tschechische Gerichte nicht zu. Die Gerichte stützten sich auf Deklaration eines tschechischen Bezirksgremiums vom Jahr 1945. In der Deklaration stand, dass der Fürst sich damals als Deutschen im Sinne der genannten Dekrete bezeichnete. Das Gremium war keine Behörde, zudem stand es dem Gremium nicht zu, die nationale Zugehörigkeit eines fremden Staatsoberhauptes zu bestimmen. Die tschechischen Gerichte nahmen das Ergebnis des Gremiums jedoch als Stütze und urteilten gegen die Stiftung.

Am 20. Februar 2020 lehnte das tschechische Verfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde der Stiftung ab.

Ähnliche Fälle

Neben dem Fall Říčany existieren 34 weitere Fälle, die vor tschechischen Gerichten ausgehandelt werden. Einer dieser Fälle hat Ähnlichkeiten mit dem Fall Říčany. Hier wurde ebenso die Fürst von Liechtenstein Stiftung (FvLS) im Jahr 2013 als Erbin des Fürst Franz Josef II. anerkannt sowie als Eigentümerin ins Grundbuch vermerkt. 2014 wurde ein Rechtsinstitut eingeführt, dass die 33 anderen Fälle in eine ausserordentlichen Ersitzung einleitete. Im tschechischen Zivilrecht ist die Tschechische Republik gemäß des Rechtsinsitutes Besitzerin umliegender Landschaften (auch die des Fürstenhauses und anderer liechtensteinischer Staatsbürger). Dies ist durch bloßen Zeitablauf rechtmäßig, ein Eigentumstitel muss nicht nachgewiesen werden.

Die Entscheidung des tschechischen Verfassungsgerichtes im Fall Říčany hat spürbare Auswirkungen auf die 34 anderen Fälle. Die Lage der liechtensteinischen Beschwerdeführer beschreibt die liechtensteinische Regierung folgendermaßen:

„Sie sehen sich gezwungen, rechtlich gegen den Eigentumsentzug bzw. die ausserordentliche Ersitzung durch den tschechischen Staat vorzugehen. Gleichzeitig haben sie keine Aussicht auf eine erfolgreiche Prozessführung, da die tschechischen Gerichte dem Entscheid des Verfassungsgerichts im Fall Říčany folgen werden, in welchem Schlüsselargumente und Beweise der FvLS, u.a. zur liechtensteinischen Staatsangehörigkeit, nicht berücksichtigt wurden.“

Liechtensteinische Regierung[1]

Verhandlungsbereitschaft zwischen Tschechien und Liechtenstein

Zwischen Liechtenstein und Tschechien entwickelte sich eine umfassende Zusammenarbeit in den Bereichen Kultur, Bildung, Justiz und Wirtschaft seit der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen. Im Jahr 2011 wurde eine nicht‐residierende Botschaft Liechtensteins in der Tschechischen Republik eröffnet, deren Sitz Wien ist. Tschechien coakkreditierte seine Botschaft in der Schweiz, zudem wurde ein Honorarkonsulat Tschechiens in Vaduz errichtet.

Im Jahr 1990, also kurz nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft in der Tschechoslowakei, hielt der Außenminister der Tschechoslowakei in einem Schreiben fest, über «alle offene Fragen» mit Liechtenstein Verhandlungen zu führen. Liechtenstein stellte dabei die Forderung, dass die Tschechoslowakei Liechtenstein anerkennt und Verhandlungen über offene Fragen aufgenommen werden. Im Gegenzug musste Liechtenstein die Tschechoslowakei unterstützen, in Prag ein KSZE‐Sekretariat zu errichten. Durch diese Abmachungen hätten Verhandlungen über offene Fragen aufgenommen werden sollen. Tschechoslowakei und die Tschechische Republik nahmen ihren Teil der Abmachung jedoch nie ein - so kam es bis heute zu keinen solchen Verhandlungen.

Im Jahr Dezember 2019, also im 300. Jubiläumsjahr des Fürstentums, schrieb der damalige Regierungschef Adrian Hasler an die tschechische Regierung mit dem Vorschlag, die in den vielen Verfahren aufgeworfenen Fragen auf internationaler Ebene zu klären. Auch die Fürst von Liechtenstein Stiftung (FvLS) gab Vorschläge zur besseren Zusammenarbeit in Tschechien mit dem Ziel, eine Verhandlungslösung zu den offenen Fragen zu erleichtern.

Die Bemühungen des Alt-Regierungschef Adrian Hasler sowie der Stiftung blieben erfolglos. Die Regierung Liechtensteins reagierte folgendermaßen:

„Während Tschechien mit der Schweiz und später auch mit Österreich schon früh vertragliche Lösungen fand, behandelt die Tschechische Republik Liechtenstein und seine Anliegen als souveräner Staat offensichtlich nicht wie andere Staaten.“

Liechtensteinische Regierung[2]

Staatenbeschwerde Liechtensteins an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Für Liechtenstein ist nach dem Misserfolg im Fall Říčany und der fehlenden Verhandlungsbereitschaft Tschechiens die Klage an einem internationalen Gericht die einzige Option, die dem Staat offensteht. Liechtenstein will dies mithilfe einer Staatenbeschwerde am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte tun.

Da eine Staatenbschwerde relativ selten erhoben wird, bekommt diese große Aufmerksamkeit. Mit der Staatenbeschwerde möchte das Fürstentum ein deutliches Signal an Tschechien setzen, da Tschechien durch Liechtenstein vorgeworfen wird, die liechtensteinische Souveränität zu missachten, liechtensteinische Bürger als unkorrekt deutsch zu sehen und dass Tschechien missachtet habe, dass der Fürst als Oberhaupt eines souveränen Staates Immunität habe. Zudem wurden die Grundrechte von Liechtensteinern verletzt, nämlich das Recht auf Eigentum. Bei einem Urteil für Liechtenstein müsste Tschechien verpflichtend entschädigen, es muss auch eine Gesamtlösung für beide Staaten getroffen werden.

Am 15. Juli 2020 befürwortete die liechtensteinische Regierung grundsätzlich die Erhebung einer Staatenbeschwerde gegen Tschechien, zudem wurde das Ministerium für Äusseres, Justiz und Kultur mit der Ausarbeitung der Staatenbeschwerde beauftragt. Am 19. August 2020 wurde die Staatsbeschwerde eingereicht. Damit stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der tschechische Regierung die Staatenbeschwerde zu. Tschechien kann mit einer Klagebeantwortung antworten, worauf Liechtenstein mit einer Replik reagieren kann. Der Gerichtshof kann Liechtenstein und Tschechien zu weiteren Stellungnahmen auffordern.

„Bei den offenen Fragen mit Tschechien und im Fall Říčany geht es um deutlich mehr als um unrechtmässig entzogenes Grundeigentum: es geht um die Souveränität Liechtensteins. Kleine wie grosse Staaten haben in demselben Masse Anspruch auf Achtung ihrer Souveränität. (...) Die Regierung ist überzeugt, dass die eingereichte Staatenbeschwerde sehr gute Aussichten auf Erfolg hat und diese den Weg zu einer Gesamtlösung ebnen kann.“

Liechtensteinische Regierung[3]

Mögliche Implikationen und Reaktionen, die Liechtenstein befürchtet

Liechtenstein schätzt Tschechien so ein, dass Tschechien «nicht allzu überrascht» von der Staatenbeschwerde sei. Laut der liechtensteinischen Regierung hat eine Umfrage gezeigt, dass die Mehrheit der tschechischen Bevölkerung durchaus Sympathien für eine einvernehmliche Lösung mit Liechtenstein haben. Wirtschaftliche Implikationen werden von Liechtenstein als gering betrachtet mit der Beachtung, dass liechtensteinische Unternehmen wie Hilti, Oerlikon Balzers oder Hoval Beschäftigte in Tschechien haben. Liechtenstein geht auch davon aus, dass es ein überschaubares mediales Interesse im deutschsprachigen Raum geben wird und Staaten wie Deutschland, Österreich oder der Schweiz sich neutral zur Staatenbeschwerde verhalten werden.

Weblinks

Einzelnachweise