Benutzer:F. Klima/Liebeserklärungen

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„Liebeserklärungen“ ist ein 1983 von Martin Walser im Suhrkamp Verlag erschienenes Buch, in dem der Autor seine Leseerfahrungen mit Weltliteratur in lebensgeschichtlichem Ablauf beschreibt.

Inhalt

Martin Walser beschreibt in „Liebeserklärungen“ in 11 Kapiteln seine Leseerfahrungen mit 11 verschiedenen Autoren in chronologischer Abfolge. Angefangen mit Marcel Proust, über Friedrich Hölderlin, Franz Kafka, Jonathan Swift, ein zweites Mal Hölderlin, Robert Walser, Friedrich Schiller, Heinrich Heine, Bertolt Brecht, Georg Büchner und schließlich endend mit Johann Wolfgang von Goethe, gestattet uns Walser einen Einblick in seine vielschichtige Gefühlswelt und seine Empfindungen, die jene Autoren in ihm auslösen und bewirken. Martin Walser ist ein Erzähler. In diesem Werk zeichnet sich Walser vor allem aber als Leser aus, der aufmerksam und sensibel in die Gefühlswelt der Autoren, deren Werken und Leben, vor allem aber in sich selbst eindringt.

Leseerfahrungen mit Marcel Proust (1958)

Martin Walser beginnt die Zusammenfassung über seine Leseerfahrungen mit Marcel Proust mit einem Abschnitt, in dem er dem Leser seine persönliche Einstellung zu der Tätigkeit des Lesens mitteilt.

„Ich muß gestehen, ich lese nicht zu meinem Vergnügen, ich suche weder Entspannung noch Ablenkung, noch andere Freuden dieser Art. Ein Buch ist für mich eine Art Schaufel, mit der ich mich umgrabe. Obwohl ich das nicht zu meinem Vergnügen tue, sondern einfach aus einem Bedürfnis, für das ich keine Gründe mehr anzugeben weiß, keine Gründe auf jeden Fall, die von anderer Art wären als die, die uns veranlassen zu atmen oder zu essen, trotzdem macht mir das Lesen, dieses Herumgraben in mir selbst, oft mehr Vergnügen als das Atmen, ja es macht mir zuweilen sogar das Atmen wieder vergnüglicher.“

Martin Walser: Erster Abschnitt aus: Leseerfahrungen mit Marcel Proust, in: "Liebeserklärungen", S. 9.

Das Lesen der siebenbändigen deutschen Proustausgaben sorgt bei Walser, hingegen des sonst üblichen Vergnügens, für eine Unzufriedenheit. Walsers Unzufriedenheit gründet in der Tatsache, dass er sich lediglich an einzelne Szenen, Charaktere oder Schauplätze erinnern kann. Walser fällt es schwer, das Gelesene in eine sinnvolle Handlung zu betten oder zumindest in eine passende Reihenfolge zu bringen.

„Ich stellte fest, daß es bei Proust fast nichts gibt, was man dem mechanischen Gedächtnis anvertrauen kann. Wenn man des Gelesenen bewußt habhaft zu werden versucht, entgleitet es einem, wird schemenhaft“

Martin Walser: Leseerfahrungen mit Marcel Proust, in: "Liebeserklärungen", S. 10.

Walser bezieht im Folgenden seine Leseerfahrungen mit Proust auf tatsächliche Situationen seines Lebens. Er stellt sich die Frage, ob einzelne Situation oder Szenen des Lebens Ereignisse sind, die sich stets in ein wertvolles Kausalgefüge des Lebens einbetten lassen oder lediglich Erinnerung darstellen, die in ihrer Bruchstückhaftigkeit unbedeutend sind, weil sich oftmals der größere Zusammenhang nicht mehr erschließen lässt. Dieser Gedankengang veranlasst Walser, sich über die Genauigkeit Prousts und anderer Autoren zu wundern. Deren Sicherheit und Komplexität, mit der sie über ihre literarischen Welten verfügen, umschreibt Walser mit einer unbegreiflichen, schöpferischen und gottgleichen Gabe. Diese Fähigkeit spiegelt sich für Walser in höchstem Maß in Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ wieder. Walser charakterisiert Proust als „den Fanatiker der Genauigkeit", dem es gelungen sei, „den Stoff des wirklichen Lebens [...] ohne Verlust in die Kunst hinübergerettet" zu haben. Die Tatsache, dass Walser dieser sieben Proust-Bände in seinem Bewusstsein nicht habhaft werden könnte, begründet er unter anderem damit, dass es ihm schwer gefallen sei, sich noch nach Beendigung der sieben Bände an einzelne Charaktere, deren Eigenschaften und Aussehen zu erinnern. Den Grund dafür sieht Walser in der Fähigkeit Prousts, seine Personen einer fortlaufenden Charakterisierung zu unterziehen, die den Figuren eine stetige Veränderung unterzieht, sie aber auf der anderen Seite so genau und präzise macht wie bei kaum einem anderen Autor. Walser lässt sich jedoch nach anfänglichen Problemen auf die gestalterische Komplexität Prousts ein und lernt im Alltag von ihr zu profitieren:

„Proust gelesen zu haben, heißt, immer wieder an ihn erinnert zu werden“

Martin Walser: Leseerfahrungen mit Marcel Proust, in: "Liebeserklärungen", S. 16.

„Wer Proust liest wird sich selbst als eine Kümmerform menschlichen Daseins empfinden. Man hat das Gefühl, als habe man eigentlich von den Möglichkeiten des eigenen Bewußtseins bisher noch kaum Gebrauch gemacht! Proust befreit die von Zwecken und Gewohnheiten verschüttete Wirklichkeit; ich kann mir nicht vorstellen, daß man nach dieser Lektüre in einem Eisenbahnabteil genauso halbblind zwischen den Leuten sitzt wie vorher.“

Martin Walser: Leseerfahrungen mit Marcel Proust, in: "Liebeserklärungen", S. 22.

Proust habe das „Unbewusste, den Instinkt auf das zarteste und strengste kultiviert" und daraus ein Werkzeug geschaffen, um die Wirklichkeit beobachtbar zu machen. Walsers Wahrnehmungen erwachsen durch den von Proust sichtbar gemachten Reichtum zu einer unendlich vielgestaltigen Wirklichkeit. Der Schlüssel liegt für Walser darin, das bereits Bekannte, gemäß dem Vorgehen Prousts „[...] dem Unwillkürlichen, dem unfreiwillig Erfahrenen, dem von selbst in ihm wieder Auftauchenden, dem Instinktiven allein die Fähigkeit zur Entdeckung von Wahrheit" zuzutrauen, immer wieder neu zu entdecken und zu erleben. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, dass es so etwas wie „Unscheinbarkeit" im Leben nicht gibt, laut Walser hebt Proust den Unterschied zwischen „wichtig" und „nicht wichtig" auf und öffnet somit die Augen für die kleinen Dinge im Leben. Walser hält diesen Eindruck wie folgt fest:

„Ich halte die unscheinbaren Situationen des Alltags, den die Gleichgültigen den banalen Alltag nennen, für ebenso wichtig wie irgendeine Festwoche voller Metaphysik: das ist ja gerade das Wunder das Proust vollbrachte, [...]. Und daher mag es kommen, daß die Wirkungen Prousts uns im Alltag aufgehen, [...] daß wir immer, wenn wir gerade wieder alles durch die verschmutzten Brillengläser unserer Gewohnheit sehen, plötzlich auf eine Stimmung aufmerksam werden, auf eine Deutlichkeit des Augenblicklichen, auf einen Anruf, den wir noch nicht ganz begreifen, dem wir aber doch folgen, indem wir die Gleichgültigkeit für ein paar Atemzüge überwinden und unser gewecktes Interesse sich sättigen lassen an den Erscheinungen; und wenn wir dann vielleicht spüren, daß wir eine Einsicht um eine Nuance bereichert, [...], dann dürfen wir vermuten, daß dabei vielleicht etwas von der Wirkung Prousts in uns mit im Spiel war."“

Martin Walser: Leseerfahrungen mit Marcel Proust, in: "Liebeserklärungen", S. 30-31.

Hölderlin auf dem Dachboden (1960)

In dem Kapitel „Hölderlin auf dem Dachboden“ beschreibt Martin Walser seine ersten, unbewussten Leseerfahrungen mit Friedrich Hölderlin, die er als 15 jähriger Junge beim Durchstöbern des heimischen Dachbodens machte. Dem jungen Martin Walser fiel Friedrich Hölderlins Gedicht „Heimkunft“ in die Hände. Jene 6 Strophen des Gedichts gibt Walser in der Folge seine Ausführungen wieder. Die Beschreibungen der alpinen Landschaft rund um den Bodensee, der Region in der Martin Walser seine Kindheit verbrachte, faszinierten den jungen und zogen ihn in einen Bann. Lebhaft beschreibt Walser seine Erinnerungen an die Situation, in der er jenes Gedicht Hölderlins zum ersten Mal las:

„Ich weiß noch sehr genau, daß es Hochsommer war, als ich diese Kiste entdeckte und die Cotta-Bändchen mit immer staubigeren Fingern durchblätterte, bis ich in dem umschlaglosen Gedichtbündel auf ein Gedicht stieß, das geschrieben war, als hätte der Schreiber von eben dem Standpunkt aus in die Alpen gesehen, auf dem ich mich befand.“

Martin Walser: Hölderlin auf dem Dachboden, in: "Liebeserklärungen", S. 36.

Geleitet von seiner Sicht auf Hölderlin beschreibt Walser das Erwachsenwerden als einen fortlaufenden Prozess der Meinungs- und Identitätsbildung, eben und vor allem im Hinblick auf seine erste unbekümmerte Erfahrung mit Hölderlin. Walser beschreibt die Naivität, mir der er sich für dieses Gedicht als Junge begeistern konnte und wie es für ihn und für das Verständnis seiner Umwelt zu einem steten Begleiter wurde. Hölderlin habe Walser mit diesem Gedicht ein Hilfsmittel bereitet, mit dem er das ihn Umfassende erst begriffen habe Er räumt aber auch ein, dass er in seiner totalen Naivität, die Feinheiten und möglicherweise die eigentliche Absicht des Gedichts nicht erkannt habe:

„Von heute aus gesehen, hat man nichts begriffen von der Ausgewogenheit des Gedichts, [...]. So fängt es an: man bekommt Namen geschenkt für eine Umgebung, die man so auswendig zu kennen glaubt, daß die bekannten Namen schon gar keine Namen mehr sind, sie heißen nichts mehr; dann kommt plötzlich einer, der lauter neue Namen austeilt, und alle passen, alle kann man gebrauchen, und das Klima, die Wolken, der Sonntag, alles passt plötzlich zusammen; [...]“

Martin Walser: Hölderlin auf dem Dachboden, in: "Liebeserklärungen", S. 36.

Im weiteren Verlauf seiner Ausführungen verdeutlicht Walser, dass er mit fortschreitendem Alter an der Universität, oder in einem Gespräch mit anderen Literaten, niemals von seiner Meinung zu Hölderlin, die er sich als 15-jähriger Junge auf einem Dachboden bildete, abgebracht werden konnte. Andere Interpretationen habe Walser immer wieder vergessen, da sie auf ihn keinen Eindruck machten.

„Sie haben auf mich sozusagen keinen Eindruck gemacht, während ich den August, den ich mit diesem namenlosen Blätterbündel verbrachte, nicht mehr vergessen habe“

Martin Walser: Hölderlin auf dem Dachboden, in: "Liebeserklärungen", S. 42.

Dennoch haben die Urteile anderer für Walser einen Einfluss auf die eigene Sicht der Dinge. Während Walser sich als Junge dem Gedicht so hingezogen fühlte, als hätte er es selbst geschrieben, wurde diesem Empfinden durch das erste Urteil eines anderen zu Hölderlin, Grenzen gesetzt. Diese Grenze stellt für Walser das Hinüberschreiten in die Welt der Erwachsenen dar.

„Von diesem Tag an wird es einem kaum mehr gelingen, dieses Gedicht so zu lesen, als hätte man es selbst geschrieben, denn jetzt ist der Unterschied zwischen einem selbst und Hölderlin sichtbar, spürbar, in Urteilen formulierbar geworden.“

Martin Walser: Hölderlin auf dem Dachboden, in: "Liebeserklärungen", S. 47.

Dennoch schließt Walser seine Leseerfahrungen mit Friedrich Hölderlin mit einem positiven Fazit. Zwar sei es nicht möglich, ein Gedicht ein zweites Mal zu Lesen und gleichzeitig auf der gleichen Intensitätsebene zu erleben, jedoch ließe sich das einmal Erlebte in seinem Gedächtnis nicht mehr löschen. Es sei erstrebenswert „Literatur mit Haut und Haaren“ zu konsumieren, ohne sich über Zukünftiges Gedanken zu machen. Mit der Hilfe dieser Erinnerungen bestehe für Walser die Möglichkeit, eine Lebens- und Zeitlandschaft zu kreieren, die einerseits bei Bedarf abgerufen werden könne und andererseits, lösgelöst von ihrem Bestehen in der eigenen Erinnerung, Möglichkeiten der Interpretation biete.

Arbeit am Beispiel. Über Franz Kafka (1962)

In dem kürzesten Kapitel seines Buches zeichnet Martin Walser ein Charakterbild Franz Kafkas und stellt dessen Person im Kontext seiner Werke dar. Kafkas Leben beschreibt Walser als Balance zwischen „Irrsinn und Aufstieg.“ Kafka habe sich stark nach den Ansprüchen seiner Umwelt orientiert und empfand diese als schwer. Das Schreiben diente Kafka laut Walser nur der Herausarbeitung seiner Schuld, die er empfand. Ferner attestiert Walser Kafka ein höchstes Maß an Genauigkeit und Gewissenhaftigkeit, die Kafka ausschließlich in Unwirklichkeit ausdrücken konnte. Das Ergebnis seien groteske Verwandlungen, die basierend auf Kafkas Scham den Ernst ins Komische wandelten. Walser bestätigt für Kafka eine „sich selbst vernichtende Schüchternheit“, mit der er sich von anderen großen Schriftstellern abgrenze. Um diesen Wesenszug Kafkas greifbar zu machen, bemüht Walser eine Bildhafte Darstellung Kafkas. Dazu überlegt Walser, wie Kafka in einer fiktiven Galerie, neben anderen Schriftstellern auftreten würde:

„Ein Blatt, aus einem Wachstuchheft gerissen, könnte hier mit einem Reißnagel befestigt sein und Kafka könnte auf diesen Zettel geschrieben haben: legt es mir bitte nicht falsch aus, aber ich gehöre wirklich nicht hierher; weil ich aber euren Vorwurf, ich wolle mich durch Abwesenheit über euch erheben, nicht ertragen könnte, teile ich mit: mein Bild ist, für Leute, die glauben sie müßten mich sehen, im Kinderzimmer des Kustos aufgehängt. ich habe aber nicht verlangt, daß es geschont werden möge.“

Martin Walser: Arbeit am Beispiel. Über Franz Kafka, in: "Liebeserklärungen", S. 36.

Die notwendigen Schritte. Über Jonathan Swift (1965)

Das Kapitel über Jonathan Swift beginnt Walser mit dessen Lebenslauf, den er in einem raschen Erzähltempo darlegt. Walser beschreibt den Schreibstils Swifts, seine Charakterzüge und wichtige sowie weniger wichtige Details seines Lebens, das er in den geschichtlichen Kontext des Autors bettet. In Swifts Werk Gullivers Reisen sieht Walser einen Roman, der auch einen Teil der Lebensgeschichte seines Autors enthält:

„[...] Der hat aber in eben diesen Jahren von 1720 bis 1725 seine Erfahrungen auf ihren reinsten und allgemeinsten und auch anonymsten Nenner gebracht, er hat Gullivers Reisen geschrieben. Seine Erfahrungen mit anderen und mit sich.“

Martin Walser: Die notwendigen Schritte. Über Jonathan Swift, in: "Liebeserklärungen", S. 70.

Es folgt ein Unterkapitel, in dem Walser zwei Interpretationsmöglichkeiten zu der Person Jonathan Swifts darstellt. Die erste Möglichkeit Swift zu lesen und zu interpretieren stellt Walser anhand einiger Inhalte des umfangreichen Essays Jan Kotts dar, der Swift einer marxistischen Betrachtung unterzieht. Den zweiten Leseansatz stellt Walser anhand einer psychoanalytischen Studie von Phyllis Greenacre dar. Jene Studie stellt vor allem die Kindheit im Bezug auf Swifts sexuelle Orientierung in den Vordergrund. Martin Walser hat gezielt diese beiden Richtungen der Deutungsauslegung gewählt, weil sie ihm im Kontext der Literatur eigenartig vorkommen. Für Walser stellen sie dennoch einen Anreiz dar, aus neuen Richtungen auf die Literatur zu Blicken:

„Keiner dieser Vokabulare taugt in dieser Form zur Weltsprache für Erklärung des Wirklichen. Aber beide könnten den idealistischen Vokabularen unserer Geisteswissenschaften auf endliche Beine helfen.“

Martin Walser: Die notwendigen Schritte. Über Jonathan Swift, in: "Liebeserklärungen", S. 81.

In dem dritten und letzten Unterkapitel stellt Walser schließlich eigene Überlegungen zu dem Schriftsteller Swift an. Walser fasst die für ihn wichtigen Eigenschaften und Beweggründe des Schreibens zusammen und beschreibt einen Jonathan Swift, der im Spannungsfeld der Gesellschaft und der Politik agierte, bevor er schließlich zu folgendem Schluss kommt:

„Abgesehen vom Erfolg der zwei, drei publizistischen Perationen, die meßbare politische Wirkung hatten, wurde der ganze Swift einer der unheimlich großen europäischen Papierritter, deren Schreibtaten eher unfreiwillig geschehen und aussehen wie sinnlos angesichts der Übermacht und des Übermuts der Geld-, Welt- und Schlachtfeldritter.“

Martin Walser: Die notwendigen Schritte. Über Jonathan Swift, in: "Liebeserklärungen", S. 92.

Hölderlin zu entsprechen (1970)

Walser beschreibt bereits in dem zweiten Kapitel dieses Buches seine Leseerfahrungen mit Friedrich Hölderlin. In diesem Kapitel beleuchtet Walser den Schriftsteller Hölderlin und vor allem die Person, die sich hinter seinen Werken verbirgt, im Kontext eines Identitätsproblems. Walser stellt fest, dass Hölderlin seine Identität einzig und allein durch das Schreiben an seine Umwelt weitergibt. Alles, das wir über Hölderlin zu wissen glauben, entspringt demnach dessen literarischen Werken.

„Aber das Ich, das sich in diesen Gedichten so unentwegt in die Zukunft stürzt, ist merwürdig wenig stabil. [...] Das ist die einzige Identität, die Hölderlin der Umwelt gegenüber erreicht. Diese Entfremdung wird seine erste Rolle.“

Martin Walser: Hölderlin zu Entsprechen, in: "Liebeserklärungen", S. 98.

Walser ist der Meinung, dass Hölderlins Wesen sich vor allem durch ein Verlangen nach Bestätigung als Dichter auszeichne. Sein ganzes Schaffen sei auf eine Suche nach seiner Funktion, seiner Identität und seiner Bestimmung als Dichter ausgelegt. Hölderlin suchte nicht nur bei Freunden Bestätigung, sondern bei einer ganzen Nation, der der Deutschen.

„Man könnte sich vorstellen, daß er von seinen Freunden die Bestätigung erwartete, die ihm das Vaterland vorenthielt.“

Martin Walser: Hölderlin zu Entsprechen, in: "Liebeserklärungen", S. 104.

In diesem Umstand sieht Walser einen der Gründe für Hölderlins Identitätsproblem. Hinzu kommen Indizien für eine Schizophrenie, die Walser in der Wortwahl und der Ausdrucksweise Hölderlins zu erkennen glaubt. Walser verweist in diesem Kontext jedoch nur auf eine Möglichkeit und bringt die mögliche Krankheit mit Hölderlins Naturbeschreibungen in Einklang:

„Wie er dann das, was ihm da in der Natur und Geschichte entgegenkommt, erlebt, wie sehr es ihn betrifft und was er deshalb daraus macht, das hat mit einer von der Krankheit erzeugten Fähigkeit zu tun.“

Martin Walser: Hölderlin zu Entsprechen, in: "Liebeserklärungen", S. 113.

Der Unerbittlichkeitsstil. Über Robert Walser (1978)

Martin Walser beleuchtet in diesem Kapitel die Arbeit Robert Walsers sowie seine persönliche Sicht auf die Person Robert Walser und dessen Arbeit. Ferner stellt Martin Walser die Rezeptionsgeschichte Robert Walsers und dessen besonderen Stil dar. Es wird deutlich, dass Martin Walser seinen Namensvetter Robert zu den großen Schriftstellern seiner Zeit zählt:

„Als ich das kürzlich las dachte ich, wenn du je wieder etwas über Robert Walser sagst, hüte dich vor Superlativen, schlage nicht mehr die Hände über dem Kopf zusammen vor Begeisterung, vermeide jedes stilistische Seufzen“

Martin Walser: Der Unerbittlichkeitsstil. Über Robert Walser, in: "Liebeserklärungen", S. 123.

Den Schriftsteller Robert Walser beschreibt Martin Walser als "konkurrenzlos" und als Genie der Liebenswürdigkeit. Seine Empfindungen beim Lesen der Werke Robert Walsers bezeichnet Martin Walser vor allem mit dem Begriff "Glück". Das begründet Martin Walser vor allem mit dem Stil Robert Walsers, den er den "Unerbittlichkeitsstil" nennt. Ein Stil, der mit der Illusion der Naivität und Ursprünglichkeit spiele. Diesen speziellen Stil belegt Martin Walser neben anderen Beispielen anhand Robert Walsers Fritz Kochers Aufsätze. Den besonderen Stil Robert Walsers sieht Martin Walser auch in dessen relativer Erfolglosigkeit begründet und der Tatsache, dass Robert Walser diesen negativen Zuspruch als grundlegendes Element seiner Literatur zu verarbeiten weiß. Martin Walser hält dazu über Robert Walser fest:

„[...], auf seine [anm. Robert Walsers] bis zur Virtuosität ausgebildete Fähigkeit, das Unangenehmste als das Angenehmste zu empfinden, darzustellen, [...]“

Martin Walser: Der Unerbittlichkeitsstil. Über Robert Walser, in: "Liebeserklärungen", S. 146.

„Robert Walser macht keine Vorwürfe, er liebt und liebt und liebt“

Martin Walser: Der Unerbittlichkeitsstil. Über Robert Walser, in: "Liebeserklärungen", S. 150-151.

Zum Abschluss dieses Kapitels wird noch einmal deutlich, wie sehr Martin Walser Robert Walser für seine Arbeit anerkennt und respektiert, indem er in Franz Kafka den einzigen mit Robert Walser vergleichbaren Ironiker der deutschen Sprache sieht und indem er Robert Walser schriftlich "hochleben" lässt.

Mein Schiller (1980)

Martin Walser beschreibt in diesem Kapitel seine ersten Leseerfahrungen mit Friedrich Schiller. Walser entzieht Schiller in diesem Zusammenhang der allgemeinen gesellschaftlichen Betrachtung und bettet sein Urteil zu Schiller ausschließlich in seine individuellen Erfahrungen mit diesem Schriftsteller.

„Sollen andere über Schiller sprechen, ich spreche über meinen Schiller“

Martin Walser: Mein Schiller, in: "Liebeserklärungen", S. 157.

Der 1927 geborene Walser entdeckt Friedrich Schiller als Jugendlicher, als "Knabe", in den Wirrungen des zweiten Weltkriegs, bei einem Familienbesuch seines Vetters in den Schulferien. Walser schildert seine Erfahrungen mit Schiller parallel zu dem persönlichen Schicksal seines Vetters und seiner Umgebung im zweiten Weltkrieg. Schon wie im zweiten Kapitel zu Hölderlin, ist Martin Walser in der Lage, ein exaktes Bild seiner Umgebung und seiner Gefühle im Kontext der Leseerfahrung Schillers zu zeichnen. Ferner äußert Martin Walser seine Gedanken zu Schiller im Zusammenhang mit anderen Literaturschaffenden wie Goethe, Hölderlin oder Fichte.

Heines Tränen (1981)

In diesem Kapitel widmet sich Martin Walser Heinrich Heine. Er beschreibt sein Leben und Wirken und lenkt seine Aufmerksamkeit vor allem auf die Frage nach der Bedeutsamkeit der Religion und des Nationalgefühls Heines. Heine, der aus einer jüdischen Familie stammt und später aus gegebenem Anlass zum Christentum konvertiert, beschreibt Walser als Lyriker mit zwei Identitäten:

„Heine brachte es in seinem Leben auf zwei Identitäten: zu der eines deutschen Dichters und zu der eines Juden.“

Martin Walser: Heines Tränes, in: "Liebeserklärungen", S. 183.

Neben der Religionsfrage untersucht Walser auch den Heine, der sich in Zuge der französischen Revolution im Spannungsfeld zwischen Deutschland und Frankreich sah. Walser zeichnet Heine als einen realistischen Propheten der Lyrik aus, dessen Leben jedoch von Unsicherheiten und einer unsoliden Identität geprägt war. Diese auf Gegensätze fußende Unsicherheit sieht Walser als einen Antagonismus in den Werken Heines:

„So unvereinbar ist er mit sich selbst. Das eine sehnt sich nach dem anderen und das andere verhöhnt das eine. Er ist sich so ähnlich wie die Palme der Fichte, die Orangenblüte dem Sauerkraut, [...]“

Martin Walser: Heines Tränes, in: "Liebeserklärungen", S. 203.

In diesem Doppelspiel begründet Walser sein Ausdruck von den "Tränen Heines":

„Weil er nie einfach weint. Er weint immer zweifach. Bloß Papier zu nässen, läge ihm nicht. Und die lebenswahren Tränen tun eben das. Heine stimmt nie so mit sich überein, daß er sich einfach sich selbst zu überlassen wagte und dann setzte ein Drauflosweinen ein.“

Martin Walser: Heines Tränes, in: "Liebeserklärungen", S. 203.

Ferner beschreibt Walser Heine als ehrlichen Schreiber, dem es fern liege, einen Witz, Spott oder ein Lächeln zu verbergen. Diese Vielseitigkeit, gepaart mit seiner antagonistischen Denkweise, sieht Walser als Anlass dafür, Heines Tränen als feste Größte neben Goethes Frauen, Rilkes Engel und Thomas Manns Künstlerbürgern zu etablieren.

Ein Schönes Leben. Über Bertolt Brecht (1981)

Das folgende Kapitel widmet Martin Walser Bertolt Brecht, anlässlich dessen 25. Todestages. Walser bedauert, dass Brecht nur 25 Jahre nach seinem Tod aus dem Fokus der Regisseure und Theaterbühnen geraten ist. Passens dazu, wählt Walser das sprachliche Bild des "Inschriften-Dichters", dessen Gedichte und übrige Werke zu einer Art Antiquariat geworden sind. Im weiteren Verlauf liefert Walser einzelne Verse oder Strophen aus einigen Gedichten Brechts, um dessen Einwicklung darzustellen. Walser sieht in Brecht einen Anarchisten, der einen ausgesprochenen "Mitleidsknacks" aufweise. Als Nächstes stellt Walser Brecht im Kontext des Marxismus und der Religion dar. Abschließend beleuchtet Walser das Vorzeigeleben Brechts und stellt fest, dass Brecht ein schönes und erstrebenswertes Leben geführt hat, gleich dem eines Heiligen:

„Kann man aus so einem Schönen Leben etwas lernen? So viel wie aus Heiligenlegenden. Man kann sich freuen daran“

Martin Walser: Ein schönes Leben, in: "Liebeserklärungen", S. 223.

Woran Gott stirbt. Über Georg Büchner (1981)

In diesem Kapitel beschäftigt sich Martin Walser mit Georg Büchners postum veröffentlichten "Lenz". Thematisch unterzieht Walser der Novelle vor allem eine christliche Analyse. Im Zentrum stehen dabei die Fragen nach dem Fehlen Gottes und des Atheismus im Vordergrund. Nach einem kurzen Inhaltsüberblick des "Lenz", schlägt Walser eine Brücke zur gegenwärtigen Situation der Religion und der Literatur. Vor allem in der Literatur sieht Walser eine Tendenz der wachsenden Kanoniesierung der Anspruchslosigkeit. Ebenso bezieht Walser die Frage nach Gott und seiner Bedeutung, auf die Gegenwart und macht in diesem Zusammenhang seinen Standpunkt zu Büchners Ansätzen deutlich:

„Anstatt einen Gott sterben zu lassen, der Leiden zuläßt, hätte Büchner, wie wir, mitarbeiten sollen an einem Gott, der Leidende einschüchtert“

Martin Walser: Woran Gott stirbt. Über Georg Büchner, in: "Liebeserklärungen", S. 235.

Goethes Anziehungskraft (1982)

In dem letzten Kapitel seiner „Liebeserklärungen“ schreibt Walser über Goehte. Über Goethe, der von Walser in die Riege der „Literaturheiligen“ aufgenommen wird. Walser fühlt sich weniger zu der Person Goethes, und über das Bedürfnis mehr über sie zu erfahren, als zu seiner Literatur und seinen Gedichten hingezogen. Für Walser stellen Goethes Werke, und vor allem deren Botschaften, ein so breit gefächertes Angebot dar, dass ein jeder sich, je nach Bedürfnis, an ihr bereichern kann:

„Es kommt wahrscheinlich drauf an, für welches Defizit man Goethe jeweils herbemüht. Da er unser größtes Kaufhaus ist, findet bei ihm jeder, was er braucht.“

Martin Walser: Goethes Anziehungskraft", S. 242.

Walser räumt ein, dass auch er anfänglich Schwierigkeiten damit hatte, sich auf Goethe einzulassen. Doch Walser fiel eine Gemeinsamkeit auf, die sich nahezu durch alle Werke Goethes zieht. Walser beschreibt seine Faszination für Goethe anhand der Werke wie z.B. Die Leiden des jungen Werthers oder Iphigenie auf Tauris und belegt seine Beobachtung mit Textstellen aus dem Werken. Das wirklich beeindruckte in der Literatur Goethes stellt für Walser die Harmonie dar, die Goethe in seinen Romanen und Stücken immer wieder sucht und findet:

„[...] also, läßt er die Lösungen dann eben aus Konflikten hervorgehen, die er seinen geliebten Lösungen zuliebe schürzte.“

Martin Walser: Goethes Anziehungskraft", S. 242.

„[...] Alles muß zu allem passen. [...] Diese Konflikt- und Schmerzvermeidung ist es, die mich anzieht“

Martin Walser: Goethes Anziehungskraft", S. 243.

Martin Walser beschreibt eine von Goethe gezeichnete Welt, die in einer absoluten Harmonie erstrahlt und ausschließlich aus lösbaren Konflikten besteht. In diesem Kontext spricht Walser von einem Heilsbedürfnis' Goethes. Walser sieht für sich in Goethe eine religiöse Lesart, die er mit seinem Schlusssatz untermalt:

„Man muß nur hindenken zu ihm; eins erfährt man immer: wie Goethe sich sträubt gegen Sinnlosigkeit. Wie schön er sich sträubt. Schon das ist sinnvoll. Etwas schönes ist überhaupt sinnvoll. Das ist der Artikel, den ich mit im Kaufhaus Goethe ausgesucht habe. Es ist ein Glaubensartikel. Mehr nicht. Aber das schon.“

Martin Walser: Goethes Anziehungskraft", S. 259.

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