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Gender in der Kulturvermittlung bei Kindern

Das Lemma Gender in der Kulturvermittlung bei Kindern beschäftigt sich mit genderspezifischen Unterschieden bei Kindern in der Vermittlung von Kultur, also im Bereich der kulturellen Erziehung sowie der Förderung und Verbreitung von Kulturgut. Neben der relevanten Theorie wird im empirischen Teil des Artikels induktive Forschung vorgenommen.

Theorie

Gender

Gender – das soziale Geschlecht – ist ein Begriff in den Sozialwissenschaften und bezeichnet Geschlechtseigenschaften, welche eine Person in Gesellschaft und Kultur beschreiben. Der Begriff differenziert sich somit klar von dem des biologischen bzw. anatomischen Geschlechts, auch Sex genannt, welcher an äußeren Geschlechtsmerkmalen festgemacht wird. „›Gender‹ heißt Geschlecht, meint aber nicht das biologische Geschlecht, sondern die soziale Geschlechterrolle im Sinne Butlers, die Einteilung von Menschen in Mann und Frau.“[1] Gender bezieht sich folglich auf geschlechtertypisches Verhalten von Frauen und Männern, das in sozialen Interaktionen erlernt und hergestellt wird.

Schößler betont, dass sich Gender Studies mit Geschlecht als soziale Konstruktion beschäftigen, denn es sind allen voran kulturelle Akte, die einen Mann zum Mann und eine Frau zur Frau machen. „Gender bezeichnet im Englischen die kulturell vorgegebenen Geschlechterrollen, die eine Gesellschaft bereitstellt und durch Verbote, Strafen und Belohnungen für verbindlich erklärt. […] Insbesondere Kleidercodes, Verhaltensrepertoires (eine Frau betrinkt sich nicht in der Öffentlichkeit), Mimik und Gestik (lautes Lachen galt lange Zeit als unweiblich) stellen Männlichkeit und Weiblichkeit her.[2]

Die Konstruktion einer Geschlechtsidentität beschreibt die Erziehungswissenschafterin Paechter als Ergebnis von Gruppenprozessen:

“I argue that this process (the process of developing gender identities, Anm. FR) involves learning and constructing ideas about masculinity and femininity, within the many social contexts in which people live, and that this is a collective endeavour, undertaken by and in a myriad of social groups.”[3]

Kinder, Jugendliche und Erwachsene lernen in losen, sich überlappenden und lokalen Gemeinschaften, in denen männlich und weiblich gehandelt wird, sich männlich und weiblich zu verhalten. So wird erfahren, wie es ist, als männlich und weiblich behandelt zu werden und welches Verhalten von Männern und Frauen in der jeweiligen Kommunität, in der sie leben, erwartet wird.[4]

Kulturvermittlung

Kultur wird von Helman als System von Regeln und Gewohnheiten beschrieben, die das Zusammenleben und Verhalten von Menschen in der jeweiligen Gesellschaft leiten:

“Culture is a set of guidelines (both explicit and implicit) which an individual inherits as a member of a particular society, and which tells him how to view the world, and how to behave in it in relation to other people, to supernatural forces or gods, and to the natural environment.”[5]

Kultur nimmt folglich Einfluss darauf, wie sich der Mensch in seiner Rolle bzw. seinem Status (als Mann, Frau, Mutter, VorgesetzteR, AngestellteR, Priester etc.) in einer gegebenen Situation verhält. Vollenhofer-Zimmel betont dabei das „Zusammenspiel von Dispositionen, Kompetenzen und Praktiken von Individuen“ innerhalb einer Kultur, die dabei helfen, „in den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen bestehen zu können.“[1]

Die Weitergabe dieser Regeln und Gewohnheiten, wie Helman sie nennt, wird als Kulturvermittlung bezeichnet. Sie wird generell für Situationen angewandt, bei denen Menschen über Kultur, Künste und gesellschaftliche Phänomene und Erkenntnisse informiert werden, über sie in einen Austausch treten und auf sie reagieren – sei es sprechend oder mit anderen Ausdrucksformen. Darunter fallen dementsprechend „neben den Vermittlungsangeboten kultureller Institutionen, wie zum Beispiel Führungen, Publikumsgespräche, Workshops oder Einführungen der Theater-, Opern- und Tanzbühnen, der Konzerthäuser oder des Literaturbetriebs, auch das Unterrichten der künstlerischen Schulfächer, theaterpädagogische Projekte oder Projekte mit Künstler_innen in Schulen.“[6] Kulturvermittlung als sammelbegriff Diese Vermittlung ist insbesondere bei Kindern und Jugendlichen von Interesse, da im jungen Alter der Grundstein für soziales Verständnis gelegt wird. Aus diesem Grund soll im Folgenden die Kulturvermittlung bei Kindern besprochen und insbesondere die Thematik von Gender analysiert werden.

Gender und Kulturvermittlung bei Kindern

Da in der Kulturvermittlung die Regeln und Gewohnheiten des Zusammenlebens vermittelt werden, wird Kindern eine gewisse Erwartungshaltung auferlegt, wie Buben und Mädchen sich in der jeweiligen Gesellschaft zu verhalten haben. Butler geht davon aus, „dass Geschlecht ein Tun ist, oder anders formuliert, dass die wesenhaft-innerliche Identität ein Effekt äußerlicher Verrichtungen ist.“[2] Geschlechteridentität entwickelt sich im Kind durch Kulturvermittlung.

Im Zuge der KinderuniKunst Kreativwoche, welche Kulturvermittlung für Kinder durch Kreativ-Workshops anbietet, wird unter anderem diese Thematik seit fast fünfzehn Jahren intensiv behandelt. Vollenhofer-Zimmel, die Begründerin und Leiterin der KinderUniKunst, erkennt schon im jungen Alter Tendenzen von genderspezifischem Verhalten: „Obwohl sich die KinderuniKunst intensiv der Genderthematik widmet, sind Tendenzen zu beobachten, die dem Rollenverhalten von Jungen und Mädchen entsprechen.“[1] Diese Aussage, dass sich Gender bzw. Geschlechtsidentität schon im Kindheitsalter auf das Verhalten auswirkt, soll im Rahmen der vorliegenden wissenschaftlichen Arbeit durch induktive Vorgehensweise überprüft werden.


Empirie

Methode

Feldforschung: Kreativwoche der KinderuniKunst

Zur Untersuchung der Forschungsfrage wird die Methode einer Feldforschung sowie eines Experteninterviews herangezogen. Es handelt sich grundsätzlich um eine induktive Vorgehensweise, wobei auf Basis des vorliegenden Einzelfalls eine allgemeine Aussage getätigt werden soll. Bei der Datenerhebung handelt es sich um eine Momentaufnahme des vorliegenden Mikrokosmos zweier Kleingruppen. Die Ergebnisse sollten folglich relativiert betrachtet werden.

Die Feldforschung ereignete sich zwischen dem 2. und 5. Juli 2018 im Rahmen der KinderuniKunst Kreativwoche 2018 in Wien. Dabei wurden die Kinder zweier Workshops mehrere Tage lang beobachtet und auf deren Verhalten analysiert. Die Kinder des ersten Workshops waren im Alter von acht bis zehn Jahren, die des zweiten Workshops im Alter von zehn bis zwölf Jahren. Die Aktivitäten beider Workshops waren prinzipiell ident. Besonderes Augenmerk wurde auf geschlechterspezifische Unterschiede im Verhalten der Kinder im Umgang mit Technologie und handwerklichen Tätigkeiten gelegt, um so zu erkennen, ob Tendenzen zu beobachten sind, die dem Rollenverhalten von Buben und Mädchen entsprechen.

Im Zuge der Feldforschung wurden zusätzlich die Gruppenleiterinnen der Workshops zum Thema Gender bei Kindern befragt. Es handelt sich dabei um ausgebildete Pädagoginnen mit Erfahrung in der Thematik der Kulturvermittlung bei Kindern.

Ergebnisse

Feldforschung

Die Kinder der KinderuniKunst Workshops beschäftigten sich die ganze Woche damit, ihre persönlichen SuperheldInnen zu malen, basteln oder Verkleidungen zu erstellen. Dabei wurde durch aufmerksame Beobachtung untersucht, ob die erstellten Werke sowie die Vorgehensweise der Kinder jeweils charakteristisch für das eigene Geschlecht waren. Sind Werke und Vorgehensweise eindeutig mit dem Geschlecht des Kindes zu identifizieren, kann davon ausgegangen werden, dass dieses Kind die von der Gesellschaft vermittelte Geschlechtsidentität angenommen hat. Wenn Werke und Verhalten auf keinerlei Geschlechtsidentität schließen lassen, hat das Kind, aus welchem Grund auch immer, die von der Gesellschaft und Kultur vermittelten Regeln und Gewohnheiten (noch) nicht angenommen.

Die Feldforschung zeigte in beiden Altersgruppen ähnliche Ergebnisse: In manchen Aufgabenstellungen waren leichte bis deutliche geschlechterspezifische Unterschiede auszumachen, in anderen Aktivitäten konnten keine Geschlechteridentitäten beobachtet werden. Einige Beispiele von charakteristischen Werken der Buben waren ein Superhelden-Auto, Transformer, RoboCop, Alien und Fußballspieler. Ergebnisse, die eindeutig auf eine männliche Identifizierung der Buben schließen lassen. Allerdings wurden ebenso Werke von Buben beobachtet, die nicht auf eine eindeutig männliche Geschlechtsidentifizierung schließen lassen (z. B. Super-Koch, Hauskatze, kleiner Bruder). Einige charakteristische Werke der Mädchen waren u. a. eine Super-Blume, zeitreisende Barbie und Eiskristallbraut. Werke von Mädchen, die nicht notwendigerweise auf eine weibliche Geschlechtsidentifizierung schließen lassen, waren beispielsweise eine Roboter-Fotokamera oder ein unsichtbarer Held mit Schusswaffen. Einige der erstellten Werke der Kinder konnten folglich eindeutig als charakteristisch für das jeweilige Geschlecht bezeichnet werden. Dennoch gab es etliche Fälle, die eine eindeutige Identifizierung aller Kinder mit dem eigenen Geschlecht widerlegen.

Im Vorgehen der Kinder war teilweise zu erkennen, dass Buben mit technischen bzw. handwerklichen Aktivitäten besser vertraut waren und schneller zum Schraubenzieher, zur Zange oder zum Stanley-Messer griffen. Fast alle Mädchen verwendeten hingegen lieber die Klebepistole, das Duct-Tape oder die Schere. Die Buben tendierten folglich eher zum technischen Vorgehen, während die Mädchen vermehrt spielerisch handelten. Die Ergebnisse sind allerdings auch hier keineswegs eindeutig. Es gab sehr wohl einzelne Mädchen, die technisch versiert waren und sich eher uncharakteristisch für vorgegebene Geschlechterrollen verhielten.

Insgesamt kann durch die Beobachtung eine leichte Tendenz für Rollenverhalten ausgemacht werden. Zwischen den Altersgruppen waren im Zuge der Feldforschung keine Unterschiede auszumachen. Die Signifikanz der Ergebnisse sollte jedoch durch weiterführende Forschung überprüft werden.

Experteninterview

Das Experteninterview mit den Gruppenleiterinnen des KinderuniKunst Workshops, Frau Steffanie Neuhuber und Frau Lena Violetta Leitner, konnte zusätzliche Einblicke in die Thematik verschaffen. Die Pädagoginnen konnten die Beobachtungen bezüglich des Vorgehens der Kinder bestätigen und erkannten ebenfalls eine Tendenz der Buben, mit technischen bzw. handwerklichen Tätigkeiten vertrauter zu sein: „Ein wenig ist mir schon aufgefallen, dass Buben das Handwerkliche von Zuhause mitbekommen. Wie beispielsweise einer der Buben, der manchmal mit seinem Papa in einer Werkstatt arbeitet.“ Allerdings wird auch hier darauf hingewiesen, dass keine klare Trennung vorgenommen werden kann: „Leichte Unterschiede waren schon zu erkennen. In der einen Gruppe haben die Mädchen vielleicht mehr geklebt. Oder das Mädchen, das ihr Kostüm für ihre Barbie-Puppe gebastelt hat. In der anderen Gruppe gab es ein, zwei Buben, die mehr geschraubt haben. Allerdings hat es genauso die Buben gegeben, die einfach nur Müll zusammengeklebt haben; Und es gab auch Mädchen, die sehr wohl das Küchengerät auseinandergebaut haben.“

Die Gründe dafür sehen die Expertinnen, ähnlich wie bereits im Kapitel Theorie dargelegt, in gesellschaftlichen Gepflogenheiten und Kulturvermittlung: „Interessant war vor allem, was die Kinder von Zuhause mitgebracht haben. Aufseiten der Mädchen eine Kinder-Küche oder Barbie-Puppe, aufseiten der Buben Autos und Action-Figuren. Das hat wohl damit zu tun, was Kinder von Familie und Freunden geschenkt bekommen; Dass es in unserer Gesellschaft so üblich ist, dass Mädchen das eine und Burschen das andere geschenkt bekommen.“

Allerdings wurde auch kritisiert, dass die KinderuniKunst Kreativwoche wohl kein Umfeld ist, das als repräsentativ für die Grundgesamtheit bezeichnet werden kann: „Wer schickt seine Kinder hierher? Eher gebildete Eltern, ehemalige Studenten. Es handelt sich hier bei der Kinderuni nun einmal um einen Mikrokosmos, der wahrscheinlich keine Verallgemeinerungen erlaubt.“

Conclusio

Auf Basis der bestehenden Literatur, sowie der induktiven Forschung in Form von Experteninterview und Feldforschung, lassen sich folgende Schlüsse für die Allgemeinheit vornehmen:

  1. Bei Kindern im alter von acht bis zwölf Jahren lassen sich Tendenzen beobachten, dass Gender bzw. Geschlechtsidentität Auswirkungen auf das Verhalten des Kindes hat.
  2. Zwischen den Kindern im alter von acht bis zehn Jahren und den Kindern im Alter von zehn bis zwölf Jahren waren keinerlei genderspezifische Unterschiede im Verhalten zu erkennen. Es ist davon auszugehen, dass sich Geschlechtsidentität schon vor dem achten Lebensjahr stark entwickelt.

Diese Allgemeinaussagen sind Resultat einer Einzelforschung in einem für die Grundgesamtheit wenig repräsentativen Umfeld. Die Ergebnisse haben somit wenig Signifikanz und sollten in weiterführender Forschung zusätzlichen Überprüfungen unterzogen werden.

Einzelnachweise

  1. a b c Silke Vollenhofer-Zimmel: Reise in die Welt der Sinne. De Gruyter, Berlin 2016.
  2. a b Franziska Schößler: Einführung in die Gender Studies. Akademie Verlag, Berlin 2008.
  3. Carrie Paechter: Being Boys, Being Girls: Learning Masculinities and Femininities. Open University Press, Maidenhead 2007.
  4. Carrie Paechter: Bodies, Identities and Performances: Reconfiguring the Language of Gender and Schooling. In: Gender and Education, 2012 24(2), S. 229-241. PDF, abgerufen am 30. Juli 2018.
  5. Cecil Helman: Culture, Health and Illness: An Introduction for Health Professionals; 5. überarbeitete Auflage. Hodder Arnold, London 2007.
  6. Kulturvermittlung als Sammelbegriff, abgerufen am 30. Juli 2018.