Benutzer:Fiona B./Ich sehe was, was du nicht siehst

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Ich sehe was, was du nicht siehst mit dem Untertitel Meine deutschen Geschichten ist die Autobiografie von Anetta Kahane, die 2004 im Rowohlt Berlin Verlag erschien.

Inhalt

Im ersten Teil des Buches erinnert sich Anetta Kahane an ihre Kindheit und Jugend in Ostberlin, wo sie 1954 geboren in einer jüdisch-kommunistischen Familie aufwuchs. Die Eltern hatten den Nationalsozialismus im Exil überlebt und waren nach Ost-Deutschland zurückgekehrt. Sie gehörten zur Gründergeneration und waren Systemträger der DDR.[1] Einige Jahre ihrer Kindheit verbrachte Anetta Kahane in Indien und Brasilien. Im zweiten Teil zeichnet sie das letzte DDR-Jahrzehnt nach bis hin zu ihrer Mitarbeit am Zentralen Runden Tisch. Im letzten Drittel schildert sie ihr Engagement gegen Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus im vereinten Deutschland, das schließlich zur Gründung der Amadeu Antonio Stiftung führte.

Die Autobiografie ist entstanden, nachdem im Jahr 2002 einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden war, dass sich Anetta Kahane als 19-Jährige für die Staatssicherheit verpflichtet hatte. Sie berichtet in ihrer Autobiografie ausführlich darüber und warum sie diese Zusammenarbeit selbst aufkündigt hat.

Rezeption

Kahanes Lebenserinnerungen ordnete der Sozialwissenschaftler Thomas Ahbe in einem Konferenzbeitrag zum Thema „ostdeutsche Identität“ neben Werken u.a. von Thomas Brasch, Robert Havemann und Barbara Honigmann ein als „familienbiografische Aufarbeitungsliteratur, die die einstige Kultur-Elite der DDR kritisch reflektierte“.[1]

Rezensenten nahmen unterschiedliche Schwerpunkte der Autobiografie in den Blick.

Micha Brumlik (in: Die Tageszeitung) las Kahanes „Geschichte der Kindheit und Jugend eines jüdischen Mädchens in der Nomenklatura der DDR“ als „Fallstudie über jüdische Identitätsbildung“. Nachdem die Hoffnungen auf „einen besseren, einen antirassistischen deutschen Staat restlos verflogen“ waren, sei der Versuch geblieben, „in der maroden DDR zu einem neuen, einem jüdischen Selbstverständnis zu finden“. In ihren Schilderungen ließe sich nachvollziehen, „wie viele verschiedene innere und äußere, psychische, soziale und politische Motive zusammenwirken müssen, damit ein deutsch-jüdisches Selbstverständnis wiedererfunden werden konnte“.[2]

Aufschlussreicher als historische Fakten über die DDR fand Viola Roggenkamp (in: Die Welt) „die durchfühlten Erinnerungen“, „das subjektive Erleben“, das Kahane auf ihre Weise versuche. Sie dokumentiere ihr eigenes Dilemma mit den Worten: „Mir sind die Motive suspekt, aus denen viele Menschen mit der DDR abrechnen wollen, doch mindestens genauso suspekt ist es mir, wenn sie es nicht tun.“ Roggenkamp fragt sich, warum deutsche Juden, wie Kahanes Eltern, in die DDR gegangen sind. Sie hätten doch nicht übersehen können, dass die DDR genauso „Nazi-Land“ gewesen war wie die BRD. Die aus dem Exil zurückgekehrten Juden hätten in der DDR als ‚Opfer des Faschismus‘ weniger gegolten als ‚Kämpfer gegen den Faschismus‘. Doch sie seien nun auch als die besseren Deutschen erlebt worden, die ein besseres Deutschland aufbauen wollten und dafür seien sie mehr oder weniger gehasst worden. Roggenkamp zieht einen Vergleich zu dem Romanfragment Wenn die Stunde ist, zu sprechen von Brigitte Reimann, die ebenfalls den Hass in der DDR auf jüdische Rückkehrer aus dem Exil thematisierte..[3]

Kahane habe sich als junge Frau in der DDR bewähren, den Idealen ihrer Eltern, deren „unpathetischen, antifaschistischen Heroismus“ sie bewunderte, und des antifaschistischen Staates gleichermaßen gerecht werden wollen, schrieb Martin Jander (in: H-Soz-Kult). Dazu habe auch die „erpresste Verpflichtung zur Spitzeltätigkeit für das MfS“ gehört. Ihr „zunächst nur zögernd und dann radikaler vollzogene Ausbruch aus der ‚Antifaschismusfalle‘“ mache ihre Autobiografie „zu einer ungewöhnlichen Dokumentation des Alltags in der nachnationalsozialistischen DDR“, so Jander.[4]

Uwe Stolzmann (in: Neue Zürcher Zeitung) fragt sich, woher Kahanes „Tunnelblick“ auf die DDR komme. In ihrer Erinnerung sei „der kleine deutsche Staat ein abstossendes Gebilde: kalt und eng, spiessig und rassistisch, ein Quell für Hass und dauerhafte Frustration“. Er vermutet dahinter „Wut auf den Vater“, der sich nach Meinung von Kahane zu sehr anpasste, oder „Scham darüber, dass sie gelegentlich der Staatssicherheit zu Diensten war“. Ein „Dokument eines außergewöhnlichen Lebens“, als das die Verlagswerbung es ankündigte, sei ihr Buch dadurch nicht geworden.[5]

Für den Politikwissenschaftler Andreas Bock (in: Süddeutsche Zeitung) ist Kahanes deutsch-deutsche Autobiografie „ein Buch über den Zustand der Zivilgesellschaft im wiedervereinigten Deutschland“. Das alte Kinderspiel, das dem Buch den Titel gab, Ich sehe was, was du nicht siehst, werde bei ihr zu einer gesamtgesellschaftlichen Diagnose. Die Erfahrung des Rassismus in der DDR habe zu Kahanes Bruch mit dem Regime geführt. Nach ihrer Erzählung habe der Staat, der sich den Stempel „antifaschistisch“ aufgedrückt hat, eine Auseinandersetzung mit Schuld und Verantwortung für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus von Grund auf verhindert und „so die Saat für neuen alten Ausländerhass gelegt“. Kahanes Buch halte der deutschen Gesellschaft den Spiegel vor.[6]

Ausgaben

  • Ich sehe was, was du nicht siehst. Meine deutschen Geschichten. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2004, ISBN 9783871344701, 348 Seiten

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Thomas Ahbe: Die ostdeutsche Erinnerung als Eisberg. Soziologische und diskurstheoretische Befunde nach 20 Jahren staatlicher Einheit. In: Elisa Goudin-Steinman, Carola Hähnel-Mesnard (Hrsg.): Ostdeutsche Erinnerungsdiskurse nach 1989. Narrative kultureller Identität. Frank & Timme Verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-86596-426-7, S. 52
  2. Micha Brumlik: Iphigenie in der Uckermark., taz.am Wochenende, Politisches Buch, 26. Juni 2004
  3. Viola Roggenkamp: Deutschstunde. Die Welt, Nr. 80, 3. April 2004, Literarische Welt S. 7
  4. Martin Jander: A. Kahane: Ich sehe was, was du nicht siehst. In: H-Soz-Kult, 3. November 2004
  5. Uwe Stolzmann: Was, Sie sind keine Ost-Frau? Neue Zürcher Zeitung (NZZ), Nr. 239, 13. Oktober 2004, Feuilleton S. 45
  6. Andreas Bock: Antifaschismus reicht nicht. Das Leben von Anetta Kahane in beiden Deutschlands. Süddeutsche Zeitung, 25. Oktober 2004, Ressort Politisches Buch, S. 18