Benutzer:Gustav von Aschenbach/Sucht und Sehnsucht

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Sucht und Sehnsucht stehen in einem eigentümlichen Verhältnis. Während Sucht als Verhaltensstörung aufgefasst (definiert) wird, Krankheitswert haben soll, gilt Sehnsucht als Emotion, die Bestandteil des Lebens ist und es gewisssermaßen vertieft. Schon aus diesem Grund ist sie Inhalt, Motiv der Romantik und - in meist trivialisierter Form - häufig verwendetes Mittel von Charakterzeichnungen und bestimmten Momenten, somit handlungsbestimmend für die Literatur, den Film. Nach einer Trennung "sehnt" A sich nach B und klagt C sein Leid. Johann zieht es in die Ferne, ein plötzlicher Anfall diffuser Reiselust überfällt ihn etc. In der Unterhaltungsmusik ist sie klebriger Bestandteil vieler Lieder, Schlager, Schnulzen.

Thema Sehnsucht (positiv, als naive, religiöse Hoffnung, Erweiterung des Gefühls ins Transzendente) - Sucht (negativ, stoff-reizgebunden, indem die Lust sich verselbständigt, zum Selbstzweck wird, nicht dem Leben dient etc. Trägheit, kann ggf. später geistig verarbeitet werden).

  • Sehnsucht: romantisch, Transzendenz betreffend, Blick in die Unendlichkeit, über das unendliche Meer bis zum Horizont. Wohliger Schmerz, daß man nicht ankommt, es nicht erreicht etc. als Teil des Gefühls selbst. Heinrich von Ofterdingen, Blaue Blume, Taugenichts - Eichendorff, Novalis, deutsch, konservativ..."Land der Griechen mit der Seele suchend". So wäre Sehnsucht eher ein Motiv konservativer Dichter.
  • Sucht: körperliche, seelische Abhängigkeit, Krankheitswert auf unterschiedlichen Skalen, fraglich, ob bzw. wie lange noch frei gewählt werden kann. Blick auf das Signal vor einem. Schmerz als abgesondert, wenn Stoff nicht zugeführt wird...Der Spieler, der Trinker John Barleycorn - Dostojewski, Jack London...

Falsche Übergänge sind möglich, wenn die Sehnsucht verabsolutiert oder durch eine Trennung, den Tod etc. zerstört bzw. an ihr banales Ende geführt wird. Hier bieten sich pervertierte Entlastungen und Verzerrungen in die unterschiedlichen Suchtformen an, etwa die fatale Spielsucht, bei der das rauschhafte Glücksgefühl durch den wie zauberhaft-magischen Gewinn angesprochen wird. Der "zufällige" und verführerische Gewinn löst die Sucht dabei augenblicklich aus, indem...."alle Lust Ewigkeit" will. Auf der gehirnphysiologischen Ebene ist dies längst hinlänglich erforscht (Belohnungssystem etc.).

Fraglich, ob etymologische Spekulationen (Sehn-Sucht, Sucht - suchen etc.) hilfreich sind oder in die Irre führen.

Reicht bis ins alte Ägypten, so im Gespräch des "Lebensmüden" mit seiner Seele:

Der Tod steht heute vor mir wie das Genesen eines Kranken...
Der Tod steht heute vor mir wie der Duft von Weihrauch,
wie das Sitzen unter einem Segel an einem windigen Tag.
Der Tod steht heute vor mir
wie der Duft von Lotusblumen
Der Tod steht heute vor mir,
wie wenn sich der Himmel enthüllt,
wie wenn ein Mensch die Lösung eines Rätsels findet.

Griechische Mythologie

Etliche Verwandlungen in Vögel, Pflanzen, Daphne, der goldene Regen... Motive reichen über Märchen bis in Romane des 19. und 20. Jh. Die "göttliche Kämpferin" springt in die Tiefe, um sich in einen Vogel zu verwandeln, die Verwandlung des jungen Mannes in einen Adler...

Musik

Melancholische Idee nicht nur in der Romantik, schon Bach (Chaconne), Dimension nur religiös zu verstehen. Schumanns Nervosität, seine Krankheit, Übergänge von unendlicher Sehnsucht in verkrampfte "Sucht", der "Wahnsinn" ist in vielen Werken spürbar, allerdings meist gebändigt als Einheit. Die Sehnsucht will harmonisch unendlich fortschreiten, gebändigt wird sie in der "langweiligen" Konsonanz - der Tonika. Schumanns Fantasie C-Dur, ab Takt 34, 84, dann 133 der Legende. Chopin - Wagner - Skrjabin - Schönberg (Gurrelieder) - Strauss, Vier letzte Lieder, Metamorphosen als unendliche Trauer. Vielleicht zu direkt und gegenwärtig, ja trivialisiert im Adagio for Strings von Samuel Barber als ewig kreisender Trauer. Ein Vergleich mit großer Musik von Strauss, Todesverkündigung durch die Walküre, Siegfrieds Tod und Trauermarsch von Wagner, Stücken von Schubert (langsame Sätze der A-Dur- und B-Dur-Sonate, vor allem Bruckner und Mahler) mag dies verdeutlichen.

Einiges von Beethoven Wagner, v.a. Tristan Mahler

Tanz, Vision

Tanz - als Grenzüberwindung - die schöne Tänzerin Laidion (neben der schlichten Hymnis) in Furcht. Das Gespräch der Tänzerinnen. Hier ist der gefahrvolle Übergang von Sehnsucht in Sucht augenfällig.

Nach der Vision, eben in diese Welt zurückgekehrt, möchte Laidion, die als Prostituierte an und in ihr leidet, schreien, in ihren Arm beißen und ihr Blut fließen sehen, zeigt also, wie es im nüchtern-medizinischen Jargon heißt, Entzugserscheinungen. Wie unsäglicher Schmerz nach dem schönen Traum, den man sich mit der "Droge" zurückholen möchte. Sie will es haben, um glücklich zu sein wie eine Süchtige, und die im Grunde schöne Erinnerung des Inseldaseins scheint (im Modus des Habens) unerträglich. Auf die ohnehin schon vorhandene "Sehnsucht" fiel die Erzählung des Seemannes: "...der Mensch da hat kommen müssen und mir es sagen, daß es irgendwo eine solche Insel gibt, wo sie tanzen und glücklich sind..." Das einfache Wort "haben" macht dies deutlich, ohne gleich an die Sphäre von Haben oder Sein oä denken zu müssen. Hymnis lebt selbstzufrieden in dieser Welt, während Laidion jene "ganz andere" gewaltsam sucht.

Schlichte Darstellung in Alexis Sorbas, eher als Flucht

Seelsorge und Psychoanalyse

Eugen Drewermann (und Rolf Verres) während der Basler Psychotherapietage 2003 Keine Zukunft ohne Drogen. Das zentrale, von Kierkegaard kommende Motiv der Angst (Der Begriff Angst) bestimmt den Ansatz von Drewermann, mit dem er in bisweilen monokausaler Manier, wenn auch mit faszinierender Beredsamkeit und einem unerhörten, auf Literatur- und Philosophiegeschichte zurückgreifenden Gedächtnis, die Urprobleme der Welt bis zur Natur des Bösen zu erklären versucht. So ist Sucht die Sehnsucht in Angst und verwandelt sie. Der schöne, wenn auch melancholische Blick zum Horizont, der Sonnenuntergang (Tod und Wiederauferstehung am kommenden Tag) wird zum Überlebenskampf auf dem tobenden Meer, das seine "Unschuld" und Schönheit verloren hat, die Angst vor dem Versinken, vor der "Tiefe". Der Ertrinkende klammert sich verkrampft an die Planke. Das so Gehaltene ist das Surrogat für wirkliches, auch von Sehnsucht bestimmtes Leben.