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Thomas Gebauer
Thomas Gebauer (* 4. April 1955 in Konstanz am Bodensee) ist Psychologe und Geschäftsführer der sozialmedizinischen Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international e.V. mit Sitz in Frankfurt am Main.
Leben
Thomas Gebauer besuchte die Hohe Landesschule in Hanau. Nach dem Abitur studierte er Psychologie und Soziologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Parallel spielte er Theater und engagierte sich in der politischen Jugendarbeit. 1979 schloss er sein Studium mit einem Diplom in Psychologie ab. Seitdem ist Gebauer für die Frankfurter Hilfsorganisation medico international tätig. Dort war er zunächst als Mitarbeiter in der Öffentlichkeitsabteilung beschäftigt, dann als Leiter des Projektbereichs. Seit 1996 ist Gebauer Geschäftsführer von medico international[1].
Politik und Beruf
Beeinflusst von der Kritischen Theorie hat sich Gebauer mit der Entwicklung eines kritischen Begriffs von Hilfe beschäftigt. Grundlegend sind für ihn dabei ein politisches Verständnis von humanitärem Handeln, die ideologiekritische Analyse von Hilfe im Kontext von Hegemonie und ein politischer Menschenrechtsbegriff[2]. Überzeugt von der gesellschaftlichen Bedingtheit von Gesundheit setzt sich Gebauer für eine Solidaritätspraxis ein, die auf die Schaffung von sozial gerechten und demokratisch verfassten Verhältnissen zielt.
Bereits Mitte der 1980er Jahre begründete Gebauer den psychosozialen Arbeitsschwerpunkt von medico international und arbeitete dabei mit der Psychoanalytikerin Marie Langer zusammen[3], die von ihrem mexikanischen Exil aus beim revolutionären Umbruch Nicaraguas half. Über Marie Langer lernte er die Ethnopsychoanalytiker Goldy Parin-Matthèy und Paul Parin Paul Parinkennen, mit denen er bis zu deren Tode in einem regen Austausch stand.
Im Zuge der Betreuung von Kriegsversehrten stieß Gebauer Ende der 1980er Jahre auf das Problem der Landminen. Gemeinsam mit Bobby Muller, dem Präsidenten der "Vietnam Veterans of America Foundation", rief er 1991 die Internationale Kampagne zum Verbot von Landminen (ICBL) ins Leben[4], die innerhalb weniger Jahre zu einer weltweiten Bewegung wurde[5]. Für ihren Anteil am Zustandekommen der „Internationalen Konvention zum Verbot von Antipersonenminen“ (kurz: Ottawa-Konvention) wurde die Kampagne 1997 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Gebauer gehörte zur Delegation der ICBL, die den Preis in Oslo entgegennahm[6].
In den Folgejahren hat sich Gebauer vor allem mit den politisch-ethischen Dimensionen von Hilfe und Solidarität auseinandergesetzt. Immer wieder übte er Kritik an der Instrumentalisierung der Menschenrechte für die machtpolitische Sicherung bestehender Ungleichheit[7]. Ausdruck der von ihm beschriebenen "Versicherheitlichung von Politik" sei die Überlagerung von Recht und Gerechtigkeit durch einen alles dominierenden Sicherheitsdiskurs[8], aber auch Veränderungen in den Strategien der Kriegsführung.[9]
Zugleich verteidigt er ein auf Emanzipation zielendes solidarisches Engagement gegen dessen, so Gebauer, zunehmende Reduzierung auf eine technokratische Anpassungspraxis. Hilfe gelte es immer zugleich zu verteidigen, zu kritisieren und zu überwinden[10].
Voraussetzung für strukturelle Veränderungen auf internationaler Ebene ist für Gebauer die Existenz einer unabhängigen transnationalen Öffentlichkeit, die erst im Prozess des Werdens sei.
Gebauer engagiert sich in internationalen Netzwerken u.a. im weltweit tätigen "People‘s Health Movement" und wirkt bei der Entwicklung globaler gesundheitspolitischer Strategien mit, die Gesundheit als globales Gemeingut begreifen, das nur in solidarischer Verantwortung verwirklicht werden könne[11].
Er gehört auch zu den Initiatoren der Joint Action and Learning Initiative, einer internationalen Plattform, die sich für eine Rahmenkonvention für globale Gesundheit einsetzt[12]. Sie greift u.a. die von ihm vertretene Idee auf, die bisherige interessengeleitete globale Gesundheitsfinanzierung durch einen völkerrechtlich bindenden Vertrag über einen Ausgleichsfinanzierungsmechanismus zu ersetzen (Globalisierung des Solidarprinzips)[13].
Ehrungen
Thomas Gebauer war Teil der Delegation, die 1997 in Oslo den Friedensnobelpreis für die von medico international mitgegründete „Internationale Kampagne zum Verbot von Landminen“ entgegennahm[14].
Ausgewählte Veröffentlichungen
Zur Kritik der Hilfe
• Nützliche Katastrophen – Kursbuchgespräch mit Sven Hillenkamp. In: Kursbuch 162 – Ritter, Tod und Teufel / Krieg, Terror und Pandemien. Nr. 4/2005, Hamburg, ISBN 3-938899-27-1, S. 108-113.
• Kritische Not- und Entwicklungshilfe. In: Ulrich Brand, Bettina Lösch, Stefan Thimmel: Von „Ästhetik des Widerstands“ bis „Ziviler Ungehorsam“, Hamburg: VSA-Verlag 2007, S. 114/115.
• Mikrokredite: Konkurrenz statt Solidarität. In: Gerhard Klas, Philip Mader (Hrsg.): Rendite machen und Gutes tun? Mikrokredite und die Folgen neoliberaler Entwicklungspolitik. Frankfurt: Campus 2014, S. 143-150.
• Jenseits der Hilfe: Von der Wohltätigkeit zur Solidarität. In: Blätter für Deutsche und Internationale Politik 4/2014, Berlin: Blätter Verlagsgesellschaft mbH 2014, S. 73-79.
Abrüstung und Rüstungskontrolle
• Die Landminenkampagne. In: Anne Jenischen, Natasche Marks, Tome Sandevski (Hrsg.): Rüstungstransfers und Menschenrechte. Geschäfte mit dem Tod, Münster et al.: Lit Verlag 2002, ISBN 3-8258-6117-1, S. 141-154.
• Rüstungskontrolle und nichtstaatliche Akteure – eine Chance für neue Koalitionen. In: Götz Neuneck, Christian Möller (Hrsg.): Die Zukunft der Rüstungskontrolle, Baden-Baden: Nomos 2005, ISBN 9-783832-912543, S. 181-190.
• Gebauer, Thomas: Laudatio, in: Verleihung des Hessischen Friedenspreises 2012 an Elisabeth Decrey Warner, Wiesbaden: Hessischer Landtag, 2012, S. 19-27 / ISBN 978-3-92315051-51-9.
Zu Menschenrechten, Krieg und Sicherheit
• Zwischen Befriedung und Eskalation. Zur Rolle von Hilfsorganisationen in Bürgerkriegsgebieten. In: Werner Ruf (Hrsg.): Politische Ökonomie der Gewalt. Staatszerfall und die Privatisierung von Gewalt und Krieg, Opladen: Leske + Budrich 2003, ISBN 3-8100-3747-8, S. 281-290.
• Weltbürger oder sozialer Ausschluss. In: Norbert Copray (Hrsg.): Ethik Jahrbuch. Frankfurt: Fairness Stiftung 2004, ISBN 3-00-013534-0, S. 75-81.
• Zivil-militärische Zusammenarbeit. NGOs im Kontext der Militarisierung des Humanitären. In: Johannes M. Becker, Herbert Wulf (Hrsg.): Afghanistan: Ein Krieg in der Sackgasse, Berlin: Lit 2010, ISBN 978-3-643-10460-1, S. 145-160.
• Hilfe oder Beihilfe? Über die medizinische Versorgung von Kriegsopfern in Zeiten der neuen Kriege, in: Melissa Larner, James Peto und Colleen M. Schmitz (Hrsg. für das Deutsche Hygienemuseum und der Welcome-Collection): Krieg und Medizin, Göttingen: Wallstein 2009, S. 225-236 / ISBN 978-3-8353-0486-4.
Zur Kritik von NGOs
• … von niemandem gewählt! Über die demokratische Legitimation von NGOs. In: Ulrich Brand, Alex Demirovic, Christoph Görg, Joachim Hirsch (Hrsg.): Nichtregierungsorganisationen in der Transformation des Staates. Münster: Westfälisches Dampfboot 2001, ISBN 978-3-89691-493-6, S. 95-120.
Zur globalen Gesundheitspolitik
• Die Macht des Geldes: Eine grundlegende Reform der WHO ist überfällig. In: Verhaltenstherapie & Psychosoziale Praxis Nr. 4/2011, Tübingen: dgvt-Verlag, S. 961-964 (auch in Mabuse: Nr. 193, 2011).
• Grundlagen für globale Gesundheit in der Zeit nach den Millenniums-Entwicklungszielen. In: Soziale Sicherheit. Zeitschrift für Arbeit und Soziales, 4/2011, Bund Verlag, ISSN 0490-1630, S. 147-152.
• Institutionalizing Solidarity for Health. In: John Coggon; Swati Gola (Hrsg.): Global Health and International Community Ethical, Political and Regulatory Challenges. London et al.: Bloomsburg 2013, ISBN 978-1-7809-3397-9, S. 219-232.
• Von Wohltätigkeit zur Solidarität. Dimensionen und Möglichkeiten einer globalen Gesundheitspolitik. In: Joachim Hirsch, Oliver Brüchert, Eva-Maria Krampe u.a. (Hrsg.): Sozialpolitik anders gedacht: Soziale Infrastruktur. Hamburg: VSA-Verlag 2013, ISBN 978-3-89965-577-3, S. 192-211.
• Bulletin of the World Health Organization, http://www.who.int/bulletin/volumes/91/1/12-115808/en/
Weblinks
• http://www.medico.de
• HR2-Podcast: Doppelkopf - Am Tisch mit Thomas Gebauer, Menschenrechts-Aktivist /
• SWR1 Leute: Thomas Gebauer
• youtube: Thomas Gebauer über die Kampagne zum Verbot von Landminen
• ICBL - International Campaign to Ban Landmines
Einzelnachweise
- ↑ http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/persoenlich/frankfurter-gesichter-thomas-gebauer-1161260.html, abgerufen am 31.07.2014; http://www.medico.de/wir/organigramm/, abgerufen am 31.07.2014.
- ↑ vgl. Weltbürger oder sozialer Ausschluss. In: Norbert Copray (Hrsg.): Ethik Jahrbuch. Frankfurt: Fairness Stiftung 2004, ISBN 3-00-013534-0, S. 75-81; Institutionalizing Solidarity for Health. In: John Coggon; Swati Gola (Hrsg.): Global Health and International Community Ethical, Political and Regulatory Challenges. London et al.: Bloomsburg 2013, ISBN 978-1-7809-3397-9, S. 219-232
- ↑ http://www.medico.de/media/thomas-gebauer-zu-lebenswerk-und-rezeption-marie-l.pdf, abgerufen am 31.07.2014.
- ↑ http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/persoenlich/frankfurter-gesichter-thomas-gebauer-1161260.html, abgerufen am 31.07.2014
- ↑ http://www.icbl.org/en-gb/news-and-events/news/2012/20-years-in-the-life-of-a-nobel-peace-prizewinning.aspx
- ↑ http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/peace/laureates/1997/presentation-speech.html, abgerufen am 31.07.2014.
- ↑ vgl. Zivil-militärische Zusammenarbeit. NGOs im Kontext der Militarisierung des Humanitären. In: Johannes M. Becker, Herbert Wulf (Hrsg.): Afghanistan: Ein Krieg in der Sackgasse, Berlin: Lit 2010, ISBN 978-3-643-10460-1, S. 145-160; Weltbürger oder sozialer Ausschluss. In: Norbert Copray (Hrsg.): Ethik Jahrbuch. Frankfurt: Fairness Stiftung 2004, ISBN 3-00-013534-0, S. 75-81.
- ↑ http://www.medico.de/themen/nothilfe/dokumente/die-versicherheitlichung-von-politik/3772/, abgerufen am 31.07.2014.
- ↑ http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-64845720.html, abgerufen am 31.07.2014.
- ↑ https://www.blaetter.de/archiv/autoren/thomas-gebauer, abgerufen am 31.07.2014.
- ↑ Grundlagen für globale Gesundheit in der Zeit nach den Millenniums-Entwicklungszielen. In: Soziale Sicherheit. Zeitschrift für Arbeit und Soziales, 4/2011, Bund Verlag, ISSN 0490-1630, S. 147-152
- ↑ http://www.plosmedicine.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pmed.1001031, abgerufen am 31.07.2014.
- ↑ http://www.plosmedicine.org/article/info%3Adoi%2F10.1371%2Fjournal.pmed.1001031, abgerufen am 31.07.2014.
- ↑ http://www.faz.net/aktuell/rhein-main/persoenlich/frankfurter-gesichter-thomas-gebauer-1161260.html, abgerufen am 31.07.2014