Benutzer:Imagrabber/Systemisches Denken

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Systemisches Denken (engl. Systems Thinking) ist eine bestimmte Art des Denkens, welche in Kontrast zu den üblichen konventionellen Art und Weisen des Denkens steht.[1] Systemisches Denken bietet einerseits die Möglichkeit die Komplexität der Welt zu verstehen, indem man sie als Ganzes und die Beziehungen in ihr betrachtet, anstatt sie in ihre Einzelteile zu zergliedern.[2] Andererseits schließt Systemisches Denken das denkende Subjekt mit ein und betont den kognitiven Prozess des Denkens mit all seinen Wirrungen und Irrungen in Form von mentalen Modellen.[3] Systemisches Denken (systems thinking) unterscheidet sich von dem Begriff des Systemdenkens und ist vielmehr eine Weiterentwicklung, die insbesondere im englischsprachigen Raum stattgefunden hat.

Derek und Laura Cabrera beschreiben Systemisches Denken als eine "complex emergent property of four simple rules" [4], genannt DSRP. Das englische Akronym DSRP steht für distinctions (D), systems (S), relationships (R) und perspectives (P).[5]

Begrifflichkeiten

Derek und Laura Cabrera verweisen auf den Umstand, dass der Begriff Systemisches Denken aus zwei unterschiedlichen Komponenten besteht.

"Although it may seem obvious, it warrents stating that in the term systems thinking, systems is an adjective describing the noun, thinking. In other words, systems thinking is about thinking. Ironically, this fact has eluded many systems theorists and largely eluded the field for decades." [6]

Und in der Tat konzentrierten sich anfänglich die Betrachtungen und Forschungen lediglich auf den Begriff des Systems, was zu einer intensiven Auseinandersetzung in unterschiedlichsten Fachgebieten mit der Systemtheorie führte. Einen Überblick über die unterschiedlichsten Ansätze und Erkenntnisse in den unterschiedlichsten Fachgebieten bezüglich des Begriffes des Systems und dem der Systemtheorie biete das sogenannte MFS Universe of Systems Thinking.[7] Die drei Buchstaben MFS stehen dabei für die Autoren Midgley[Anm. 1] , Francois[Anm. 2] und Schwartz.[Anm. 3]

Diese starke Konzentration auf den Begriff systems in systems thinking beschreiben Derek und Laura Cabrera als systems thinking V1.0[8] und der Hauptcharakterzug dieser ersten Phase ist, dass es praktisch nie eine einheitliche Definition des Begriffs Systemisches Denken gegeben hat.

"Answering the question, "what is systems thinking?" with a litany of examples of systems thoughts, methods, methodologies, approaches, theories, and ideas, is like answering the biological question, "what is life?" with examples of plant and animal species." [9]

Dennoch hatte dieser Pluralismus von Vorstellungen und Meinungen einen entscheidenden Einfluss darauf, wie man die Welt wahrnehmen sollte. Gharajedaghi bezeichnete es als einen shift of paradigm[10] als man sich darauf einigte, dass die Welt, Organisation, der Mensch, ja praktisch alles ein System ist und alles in Systemen abläuft. Und zu dieser Erkenntnis könnte man nur aus folgendem Grund gelangen.

"It happened in the context of analytical inquiry." [11]

Unser heutiges Verständnis vom Systemischen Denken (systems thinking V2.0) verdanken wir der Tatsache, dass einerseits systems thinking V1.0 keine Definition anbot, mit der man arbeiten konnte. Andererseits führten neue wissenschaftliche Erkenntnisse in den Bereichen der Neurowissenschaften (thinking) bei modernen Sozialwissenschaftlern zu der Überzeugung,

"that our minds, however limited, were marvelously effective adaptive tools, especially when they were brought together, organized, and used in combination. Thus, amid their focus on individual human cognitive limits their faith in the power of organized intelligence to make a better world was preserved." [12]

Weitere Entwicklungen in den Bereichen wie in den Kognitionswissenschaften, der Metakognition, der Netzwerktheorie oder der Evolutionäre Erkenntnistheorie ermöglichten es nun dem Menschen

"not only to understand the real world, but also the fascinating world inside our minds - the world of subjectivity, understanding, meaning making, thinking, the creation and evolution of knowledge, and learning itself." [13]

Aufgrund dieser Entwicklung gelangen es Laura und Derek Cabrera vier einfache Regeln aufzustellen (DSRP), welche dem Systemischen Denken zugrunde liegen.[14]

Abgrenzungen

David Peter Stroh führte an wie wichtig es ist konventionelles Denken vom Systemischen Denken zu unterscheiden.[15] Dabei hebt er hervor, wann konventionelles Denken durchaus seine Berechtigung hat.

"Conventional or linear thinking works for simple problems, such as when I cut my hand and put on a Band-Aid to help the cut heal. It is also the basis for most of us were taught in school and still tend to think - divide the world into specific disciplines and problems into their components under the assumption that we can best address the whole by focusing on and optimizing the parts." [16]

Treten aber komplexe Probleme auf, so reicht unser konventionelles Denken nicht mehr aus, um zielgerechtet ein Problem zu lösen.[17] David Peter Stroh illustriert dies an einem Beispiel, bei dem ein soziales Problem wie Obdachlosigkeit von einer Organisation zu lösen ist. Er stellt dabei die Annahmen des konventionellen Denkens in Bezug auf das Lösen von Problemen den Erkenntnissen des Systemischen Denkens gegenüber und verdeutlich zu somit seine Problemlösungskompetenzen.[Anm. 4]

Conventional Thinking Systems Thinking
The connection between problems and their causes is

obvious and easy to trace.

The relationship between problems and their causes is

indirect and not obvious.

Others, either within or outside our organization, are to

blame for our problems and must be the ones to change.

We unwittingly create our own problems and have

significant control or influence in solving them trough changing our behavior.

A policy designed to achieve short-term success will also

assure long-term success.

Most quick fixes have unintended consequences: They make no

difference or make matters worse in the long run.

In order to optimize the whole, we must optimize the parts. In order to optimize the whole, we must improve relationships

among the parts.

Aggressively tackle many independent initiatives

simultaneously.

Only a few key coordinated changes sustained over time

will produce large systems change.


Geschichte

Zu Beginn des 20.Jahrhunderts zeichnete sich in den Wissenschaften eine Entwicklung ab, welche bei den Forschern und Wissenschaftlern unterschiedlichster Fachgebiete wie der Biologie, Mathematik, Kybernetik und Physik einen Paradigmenwechsel einläutete. Fritjof Capra beschrieb diesen Umstand wie folgt:

"The more we study the major problems of our times, the more we come to realise that they cannot be understood in isolation. They are systemic problems, which means that they are interconnected and interdependent." [Anm. 5]

Gerne wird zusätzlich auf das Ende des Zweiten Weltkrieges verwiesen, als Ingenieure komplexe Kommunikations- und Steuerungsprobleme lösen mussten, die schließlich zu neuen eigenständigen Disziplinen wie der Kybernetik wurden. Des Weiteren wird auch häufig der Name Ludwig von Bertalanffy angeführt, der bereits in den 1920er Jahren einer der ersten war, der den Begriff Systemtheorie konzipierte. Er kam zur folgender Einsicht:

"We believe that the attempts to find a foundation for theretical biology point at a fundamental change in the world picture. This view, considered as a method of investigation, we shall call organismic biology" oder auch "the system theory of an organism".[Anm. 6]

In den 1960er Jahren wurde die Systemtheorie in vielen Bereichen angewendet, darunter Soziologie, Management, Psychologie und Recht. Jay W. Forrester hat am MIT (Massachusetts Institute of Technology) die Theorie der Systemdynamik entwickelt.[18]. Er erstellte Computermodelle, die berechneten, wie sich dynamische Systeme verhalten, um industrielle Konjunkturzyklen vorherzusagen. Als Forrester an der MIT Sloan School of Management wechselte, begann er sein Fachwissen über komplexe Systeme auf das Management anzuwenden und erforschte, wie Organisationen effektiver werden können. Er wandte seine Theorien und Computermodelle an, um reale geschäftliche Herausforderungen zu lösen, indem er mit Unternehmen wie General Electric und IBM zusammenarbeitete. Systemisches Denken wurde u.a. unter Peter M. Senge am MIT zu einem Standardfach für Absolventen der Managementschule. Die Arbeiten von Senge und insbesondere sein Buch The Fifth Discipline beruhen auf den Erkenntnissen und Vorarbeiten von Forrester.

Literatur

  • Ludwig von Bertalanffy: The History and Status of General Systems Theory. In: The Academy of Management Journal, Vol. 15, No.4, General Systems Theory (Dec., 1972), S. 407-426.
  • Linda Booth Sweeney & Dennis Meadows: The Systems Thinking Playbook - Exercises to Stretch and Build Learning and Systems Thinking Capabilities. Chelsea Green Publishing, White River Junction 2010. ISBN 978-1-60358-258-2
  • Derek Cabrera (et al): What is the Crisis? Defining and Prioritizing the World's Most Pressing Problems. In: Frontiers in Ecology and the Envirement, 6 (9), S. 469-475.
  • Derek Cabrera & Laura Cabrera: Systems Thinking - New Hope for Solving Wicked Problems. Plectica Publishing 2015. ISBN 978-1-948486-02-6
  • Fritjof Capra: The Web of Life - A New Scientific Understanding of Living Systems. Anchor Books, New York 1996. ISBN 0-385-47676-0
  • Charles Francois (Hrsg.): International Encyclopedia of Systems and Cybernetics, KG Saur, München 2004. ISBN 978-83598116308
  • Jamshid Gharajedaghi: Systems Thinking - Managing Chaos and Complexity. Elsevier, Boston 2011. ISBN 978-0-12-385915-0
  • Hunter Heyck: Age of System - Understanding the Development of Modern Social Science. Johns Hopkins University Press, Baltimore 2015. ISBN 978-1-4214-1710-3
  • Patrick Hoverstadt: The Grammar of Systems - From Order to Chaos & Back. SCiO Publications 2022. ISBN 979-8-41-4307754
  • Michael C. Jackson: Systems Thinking - Creative Holism for Managers. Wiley, Chichester 2003. ISBN 978-0-470-84522-6
  • Donella Meadows: Thinking in Systems - A Primer. Earthscan, London 2008. ISBN 978-1-84407-725-0
  • Gerald Midgley: Systems Thinking. Thousand Oaks, CA: Sage Publications, ISBN 978-0761949596
  • Melanie Mitchell: Complexity - A Guided Tour. University Press, Oxford 2009. ISBN 978-0-19-512441-5
  • Günther Ossimitz: Entwicklung systemischen Denkens - Theoretische Konzepte und empirische Untersuchungen. Klagenfurter Beiträge zur Didaktik der Mathematik, Band 1, Profil Verlag, München 2000. ISBN 3-89019-494-X
  • Magnus Ramage & Karen Shipp: Systems Thinkers. Springer, London 2009. ISBN 978-1-84882-525-3
  • Martin Reynolds & Sue Holwell (Hrsg.): Systems Approaches to Making Change - A Practical Guide. Springer, London 2020. ISBN 978-1-4471-74714
  • Eric Schwarz: Streams of Systemic Thought, May 2001, ed. Neuchatel, Switzerland. https://www.uranos.ch/research/references/Schwarz_1996/gPICT.pdf
  • Peter M. Senge: The Fifth Discipline - The Art & Practice of the Learning Organization. Random House, New York 2006. ISBN 978-0-385-51725-6
  • David Peter Stroh: Systems Thinking for Social Change. Chelsea Green Publishing, White River Junction 2015. ISBN 978-1-60358-580-4
  • Frederic Vester: Neuland des Denkens - Vom technokratischen zum kybernetischen Zeitalter. DTV, München 1997. ISBN 3-423-33001-5
  • Frederic Vester: The Art of Interconnected Thinking - Tools and Concepts for a New Approach to Tackling Complexits. MCB Publishing House, München 2007. ISBN 978-3-939314-05-9

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Patrick Hoverstadt: The Grammar of Systems - From Order to Chaos & Back. SCiO Publications 2022, S.6, ISBN 979-8-41-4307754
  2. Magnus Ramage & Karen Shipp: Systems Thinkers. Springer, London 2009, S.14. ISBN 978-1-84882-525-3.
  3. Derek Cabrera & Laura Cabrera: Systems Thinking - New Hope for Solving Wicked Problems. Plectica Publishing 2015, S.24-25. ISBN 978-1-948486-02-6.
  4. Derek Cabrera & Laura Cabrera: Systems Thinking - New Hope for Solving Wicked Problems. Plectica Publishing 2015, S. 37, ISBN 978-1-948486-02-6
  5. Derek Cabrera & Laura Cabrera: Systems Thinking - New Hope for Solving Wicked Problems. Plectica Publishing 2015, S. 46 - 50, ISBN 978-1-948486-02-6
  6. Derek Cabrera & Laura Cabrera: Systems Thinking - New Hope for Solving Wicked Problems. Plectica Publishing 2015, S. 25, ISBN 978-1-948486-02-6
  7. Derek Cabrera & Laura Cabrera: Systems Thinking - New Hope for Solving Wicked Problems. Plectica Publishing 2015, S. 20, ISBN 978-1-948486-02-6
  8. Derek Cabrera & Laura Cabrera: Systems Thinking - New Hope for Solving Wicked Problems. Plectica Publishing 2015, S. 20, ISBN 978-1-948486-02-6
  9. Derek Cabrera & Laura Cabrera: Systems Thinking - New Hope for Solving Wicked Problems. Plectica Publishing 2015, S. 23, ISBN 978-1-948486-02-6
  10. Jamshid Gharajedaghi: Systems Thinking - Managing Chaos and Complexity. Elsevier, Boston 2011, S.8-9. ISBN 978-0-12-385915-0
  11. Jamshid Gharajedaghi: Systems Thinking - Managing Chaos and Complexity. Elsevier, Boston 2011, S.8. ISBN 978-0-12-385915-0
  12. Hunter Heyck: Age of System - Understanding the Development of Modern Social Science. Johns Hopkins University Press, Baltimore 2015, S.201. ISBN 978-1-4214-1710-3
  13. Derek Cabrera & Laura Cabrera: Systems Thinking - New Hope for Solving Wicked Problems. Plectica Publishing 2015, S. 26, ISBN 978-1-948486-02-6
  14. Derek Cabrera & Laura Cabrera: Systems Thinking - New Hope for Solving Wicked Problems. Plectica Publishing 2015, S. 245-50. ISBN 978-1-948486-02-6
  15. David Peter Stroh: Systems Thinking for Social Change. Chelsea Green Publishing, White River Junction 2015, S.14. ISBN 978-1-60358-580-4
  16. David Peter Stroh: Systems Thinking for Social Change. Chelsea Green Publishing, White River Junction 2015, S.14-15. ISBN 978-1-60358-580-4
  17. Martin Reynolds & Sue Holwell (Hrsg.): Systems Approaches to Making Change - A Practical Guide. Springer, London 2020, S.5. ISBN 978-1-4471-74714
  18. Patrick Hoverstadt: The Grammar of Systems - From Order to Chaos & Back. SCiO Publications 2022, S.3. ISBN 979-8-41-4307754

Anmerkungen

  1. Gerald Midgley: Systems Thinking. Thousand Oaks, CA: Sage Publications, ISBN 978-0761949596. Diese Publikation besteht aus vier unterschiedlichen Bänden und präsentiert dem Leser 97 unterschiedliche Methoden und Annäherungen an dem Begriff des Systemischen Denkens.
  2. Charles Francois (Hrsg.): International Encyclopedia of Systems and Cybernetics, KG Saur, München 2004. ISBN 978-83598116308. Hier lassen sich in zwei Bänden über 3.800 Einträge zu den Konzept, zu den Theorien und Methoden des Systemischen Denkens finden.
  3. Eric Schwarz: Streams of Systemic Thought, May 2001, ed. Neuchatel, Switzerland. https://www.uranos.ch/research/references/Schwarz_1996/gPICT.pdf . Schwarz hat hier eine Grafik entworfen, welche über 648 Knotenpunkte mit tausenden von Verbindungen illustriert, wobei jeder Knotenpunkt für eine Person steht, welche einen Beitrag zu den Methoden des Systemischen Denkens beigetragen hat. Diese Grafik zeigt deutlich den Umfang und den Meinungspluralismus innerhalb des Systemischen Denkens.
  4. Die folgende Tabelle ist dem Buch von Stroh entnommen. (David Peter Stroh: Systems Thinking for Social Change. Chelsea Green Publishing, White River Junction 2015. ISBN 978-1-60358-580-4) und befindet sich auf Seite 15. Er selbst gibt als Quelle die Innovation Associates Organizational Learning an.
  5. Fritjof Capra. 1996.
  6. Bertalanffy. 1972.

Kategorie:Kognitionswissenschaft Kategorie:Interdisziplinäre Wissenschaft Kategorie:Systemtheorie (Kybernetik) Kategorie:Methodologie