Benutzer:Janneman/ABB
An Béal Bocht ist ein satirischer Roman, den der irische Schriftsteller Brian Ó Nualláin 1941 unter dem Pseudonym „Myles na gCopaleen“ in irischer (gälischer) Sprache veröffentlichte. Die englische Übersetzung (The Poor Mouth) führt ebenso wie die deutsche Ausgabe (Das Barmen, auch erschienen als Irischer Lebenslauf) als Autor „Flann O'Brien“, also das Pseudonym, unter dem Ó Nualláin seine vier Romane in englischer Sprache veröffentlichte.
Inhalt
Erzählsituation
An Béal Bocht ist vorgeblich die von Myles na gCopaleen edierte Autobiographie eines gewissen Bonapart Ó Cunasa, bedient sich also einer Herausgeberfiktion und wird so über zwei Erzählinstanzen vermittelt. In einem auf den „Tag des Mangels, 1941“ datierten Geleitwort erklärt Myles, Bonapart habe sie im Gefängnis selbst verfasst und befinde sich noch immer dort, sicher vor den „Widrigkeiten des Lebens.“ Seine Erzählung werde im folgenden unverändert wiedergegeben, „wenn man davon absieht, dass weite Strecken des Originals aus Gründen des Platzmangels und weil ferner unpassende Themen darin ihren Niederschlag gefunden hatten, ausgelassen wurden“. In Bonaparts Ich-Erzählung tritt Myles nur mit einigen editorischen Glossen in Erscheinung. Der dritten Ausgabe („am Tag des Untergangs, 1964“) fügte Ó Nualláin alias Myles ein Vorwort hinzu, in dem er auf die Reaktionen anspielt, die der Roman zwei Jahrzehnte zuvor hervorrief.
Handlung
In neun kurzen Kapiteln schildert Bonapart, einer der dümmsten und faulsten Einwohner Irlands, seine ersten 29 Lebensjahre in der Gaeltacht Corca Dorcha, ein Ort, an dem es nachts immer und tagsüber meistens regnet. Von seinem Vater weiß er nur, dass er „im Hafen“ ist, und so lebt er mit seinem Großvater (genannt der „Alte-Knabe“), seiner Mutter sowie einigen übelriechenden Schweinen wie alle Gälen „in einem kleinen kalkweißen, ungesunden Haus, das in einer Ecke der Schlucht gelegen war.“ Wie alle Gälen verbringt die Familie ihre Zeit damit, Kartoffeln zu essen, über den Regen zu klagen und sich vor der nächsten Hungersnot und sagenhaften Ungeheuern wie dem „Meerkater“ (cat mara) zu fürchten.
Im dritten Kapitel schildert Bonapart seinen ersten und einzigen Schultag. Da er nur Gälisch versteht, weiß er keine Antwort auf die Frage des Schulmeisters, was sein Name sei (Phat is yer nam?), wird geschlagen und darüber in Kenntnis gesetzt, dass sein Name „Jams O'Donell“ laute. Da dies allen gälischen Knaben an ihrem ersten Schultag ebenso ergeht, heißen die meisten Einwohner Corca Dorchas Jams O'Donnell. Dies bringt Bonapart zwischenzeitlich auf den Gedanken, dass Jams O'Donell sein Vater sein müsse, überhaupt ein „wahrer Wundermann, wenn man die Anzahl der Kinder bedenkt, die er hat“. Von den „genauen Umständen des Lebens“ versteht er nämlich nur wenig, mit Hilfe des Alten-Knaben findet er aber im sechsten Kapitel eine Braut, die „im Kochen von Kartoffeln gut bewandert“ war und wird zu seiner großen Überraschung auch Vater, doch sterben Frau und Kind noch im selben Kapitel, denn dies ist für dies ist für alle Gälen „das Schicksal, das sie von ihrem ersten Tage erwartet. Auf große Lustbarkeit folgt Kummer, und gutes Wetter hält nie ewig an.“ Nur wenige Besucher verirren sich nach Corcha Dorcha. Im vierten Kapitel tauchen jedoch ganze Heerscharen von gaedhilgeoiri über das Dorf herein, also englischsprachige, aber vom gälischen Gedanken begeisterte Iren aus der Stadt, und veranstalten auf Anregung des Alten-Knaben ein feis, also ein Fest zur Pflege des gälischen Brauchtums. Die gälischen Burschen, die in der Nacht das Podium errichteten, opfern dabei ihr Leben „im Dienste der gälischen Sache“, da sie nach den Regengüssen und Stürmen jener Nacht geschwächt dahinschieden, weitere Teilnehmer verhungern bei den langen Reden der aus Dublin und Galway angereisten Honoratioren, andere fallen erst bei den anschließenden traditionellen gälischen Volkstänzen tot um.
Die Weisheit des Alten-Knaben, dass es keinem gut bekomme, lange ohne eine Kartoffel auskommen zu müssen, bewahrheitet sich im Falle von Sitric Ó'Sanassa, dessen Geschichte im siebenten Kapitel geschildert wird. Er ist so arm, dass er sich von Torf ernähren muss, und sich schließlich dafür entscheidet, mit den Seehunden in einer Grotte am Meeresstrand zu leben, wo zumindest die Fische zahlreich sind. Im achten Kapitel regnet so lange ohne Unterlass, dass alle Kartoffeln von den Äckern gespült werden und die Fische auf die Straßen schwimmen, sodass Bonapart fürchtet, zu ertrinken. Da entsinnt er sich der alten irischen Sage von Maeldoon Ó'Poenassa, der sich bei der ersten Sintflut mit einem Boot auf den Gipfel des heute „Hungerfeim“ genannten Berg gerettet habe. Bonapart erklimmt den Berg und trifft dort auf Ó'Poenassa selbst: Er sitzt regungslos in einer von einem warmen Feuer erleuchteten Grotte, in der Ströme von Whiskey aus dem Fels quellen, und bewacht einen Goldschatz. Als er unvermittelt auf Mittelirisch zu sprechen beginnt (seine Erzählung handelt von einem Mann, der einst in einem kleinen, kalkweißen Haus in der Ecke der Schlucht wohnte), rafft Bonapart erschrocken einiges an Gold zusammen und wandert durch den strömenden Regen zurück zu seinem Haus in der Ecke der Schlucht. Kurz darauf wird er verhaftet und bezichtigt, das Geld bei einem Raubmord erbeutet zu haben. In einem Prozess, der auf englisch abgehalten und ihm daher vollkommen unverständlich ist, wird er zu 29 Jahren Haft verurteilt. Auf dem Weg ins Gefängnis begegnet er einem alten Mann, der ihm seltsam bekannt vorkommt; als dieser sich als Jams O'Donell zu erkennen gibt, geht Bonapart auf, dass es sich um seinen Vater handelt, der nun nach 29 Jahren aus der Haft entlassen wurde.
Werkzusammenhang
An Béal Bocht ist der einzige auf Gälisch verfasste der fünf Romane Ó Nualláins. Er stellt einen Beitrag zur Wiederbelebung der im 19. Jahrhundert fast ausgestorbenen gälischen Sprache, ist aber zugleich eine beißende Satire auf dieses von irischen Nationalisten mit großem Eifer betriebene Projekt in Gesellschaft, Kultur und insbesondere in der Literatur trieb. Die Überhöhung des Gälischen zum höchsten Gut der irischen Nation stellt seit dem Beginn des so genannten Gaelic Revival im späten 19. Jahrhundert einen zentralen Topos des irischen Nationalismus dar und prägte auch die Biographie Ó Nualláins; der Roman kann so auch als Reaktion auf die nationalistische Ideologie seiner Familie verstanden werden. Seine Eltern verbrachten als besonders enthusiastische Mitglieder der 1893 gegründeten „Gälischen Liga“ (Conradh na Gaeilge) um die Jahrhundertwende einige Zeit in den Gaeltachts der Westküste, um die gälische Sprache zu erlernen. Nach ihrer Rückkehr ins nordirische Strabane sprachen sie zuhause nur noch Gälisch und versuchten, ihre Kinder so gut wie möglich vor dem Einfluss des Englischen abzuschirmen. Gälisch ist somit zwar Brian Ó Nualláins Muttersprache, jedoch nicht das „lebendige“ Gälisch der Gaeltachts, sondern vielmehr eine mehr oder minder „künstliche“ Form der Sprache. Erst 1923, im Alter von zwölf Jahren, besuchte Ó Nualláin erstmals die Schule und musste dort wegen seiner schlechten Englischkenntnisse oft Spott ertragen. In Studium und Beruf waren ihm seine gute Gälischkenntnisse im nunmehr unabhängigen Irland aber durchaus von Vorteil, zumal Gälisch 1922 in der Verfassung als erste Landessprache festgeschrieben und in der Folge auch im Staatsdienst verwendet wurde: schon bald nachdem er 1935 sein Studium mit einer Arbeit über die irische Naturdichtung abgeschlossen hatte, fand er eine Beamtenstelle. Als Staatsbedienstetem war es ihm gesetzlich untersagt, sich politisch und publizistisch zu betätigen, so dass er in der Folge unter Pseudonymen veröffentlichen musste, wenn auch seine Autorschaft stets ein offenes Geheimnis war. Als „Flann O'Brien“ veröffentlichte er 1939 mit At Swim-Two-Birds seinen ersten Roman auf Englisch, für den Nachfolger The Third Policeman (verfasst 1939-1940) fand er zunächst keinen Verleger, er erschien erst postum im Jahr 1967.
An Beal Bocht, erschienen im Dezember 1941, entwickelte sich aus der Zeitungskolumne Cruiskeen Lawn heraus, die O'Nuallain auf Anregung R. M. Smyllies ab Oktober 1940 zunächst abwechselnd in gälischer und in englischer Sprache als Myles na gCopaleen in der Irish Times veröffentlichte. Smyllie, seit 1934 Herausgeber des traditionell von der Protestant Ascendancy bestimmten und verlässlich probritischen Blatts, strebte mit der Einführung gälischer Texte eine politische Neuausrichtung und eine Annäherung an ebendie nationalistischen Kreise an, die in An Béal Bocht aufs Korn genommen werde. Dass An Beal Bocht Smyllie gewidmet ist (oder vielmehr "R. M. У Smaoille" bzw. "An Smaolach", pseudogälische Verballhornungen seines Namens), der kein Wort Gälisch verstand und den Roman niemals lesen konnte, stellt für Declan Kiberd die größte Ironie des Werks dar. Im Cruiskeen Lawn übte O'Nuallain einen spielerischen Umgang mit der gälischen Sprache und erzielte seine komischen Effekte wie später in An Beal Bocht oftmals durch eine idiosynkratische Kombination von Text und Bild. Bei Erscheinen des Romans im Dezember 1941 waren bereits rund 100 Kolumnen erschienen, so dass die Erzählerfigur Myles na gCopaleen zu diesem Zeitpunkt bereits voll ausgestaltet und zumindest den Lesern der Irish Times als etwas schrulliger, aber liebenswerter Connaisseur der sprachlichen Feinheiten des Gälischen bekannt war. Ab dem Sommer 1941 bereitete O'Nuallain das Publikum auf den Roman vor und veröffentlichte zunächst einige Geschichten aus "Corkydorky", die als unmittelbarer Vorläufer von An Beal Bocht gelten können. In der Ausgabe vom 7. Oktober 1941 bekundete Myles, dass ihn viele Zuschriften zum Thema Corkydorky erreicht hätten ("Wo ist der Ort, wie kommt man hin, gibt es eine gute Unterkunft, gibt es ein Gälisch-College, und sind die Leute ehrlich?") und er daher plane, ein Buch zum Thema zu veröffentlichen, das bis Weihnachten im Handel erhältlich sein werde. Auch nach der Publikation rührte O'Nuallain nicht nur in Cruiskeen Lawn weiter die Werbetrommel für den Roman, vermutlich verfasste er sogar eigenhändig die Rezension (Myles Takes Off His Coat!), die am 13. Dezember des Jahres im Literaturteil der Irish Times erschien.[1]
Objekt und Methode der Satire
Gaelen und Gaeligores
Der Roman bezieht seinen Reiz zu einem großen Teil aus schwankhafter, volkstümlich anmutender Situationskomik und Elementen des Grotesken und Absurden, ist aber auch mit zahlreichen Anspielungen auf die irische Literatur und Geschichte gespickt, die erst mit einigem Wissen um diesen spezifischen kulturellen Kontext verständlich werden. Die Zielscheibe der Satire sind weniger die Gälen selbst, allenfalls kann man Ó Nualláin eine diffuse großstädtische Arroganz gegenüber dem Landleben unterstellen. Der Spott richtet sich vielmehr gegen die Idealisierung und Instrumentalisierung der Gaeltacht und ihrer Bewohner durch irische Nationalisten, also die Vorstellung vom fior gael, des „wahren“ oder „reinen“ Gälen, als Bewahrer und Inbegriff des eigentlichen irischen Wesens. Die Vorstellung eines ursprünglichen irischen Volksgeistes geht letztlich auf die Philosophie Herders zurück und findet im 19. Jahrhundert Entsprechungen in vielen anderen Ländern. Die irische Nationalromantik setzte dabei vergleichsweise spät ein, prägte aber besonders nach der Erlangung der Unabhängigkeit 1922 umso stärker die irische Politik, Kultur und Literatur. Den Übereifer der Gaeligores nimmt Myles besonders im vierten Kapitel aufs Korn, etwa in der Eröffnungsrede des Präsidenten des feis:
„Gaelen! sagte er, es entzückt mein gaelisches Herz, daß ich heute hier bin und auf diesem gaelischen feis im Herzen der Gaeltacht in Gaelisch zu euch spreche. Ich darf hier anmerken, daß ich ein Gaele bin. Ich bin vom Scheitel meines Kopfs bis zu den Sohlen meiner Füße gaelisch - vorne wie hinten gaelisch, oben und unten. Ebenso seid ihr alle wahrhaft gaelisch. Wir sind alle gaelische Gaelen gaelischer Abkunft. Wer einmal Gaele ist, wird immer Gaele sein. Ich selbst habe seit dem Tage meiner Geburt kein Wort gesprochen, es sei denn in Gaelisch; genau wie ihr; und jeder einzelne Satz, den ich seither von mir gegeben habe, widmete sich dem Gaelischen. Wenn wir wahrhaftig gaelisch sind, dann müssen wir unentwegt die Frage der gaelischen Wiedergeburt und die Frage des Gaelentums diskutieren. Was nützt es uns denn, daß wir das Gaelische haben, wenn wir es dazu verwenden, über Themen zu sprechen, die mit dem Gaelischen nichts zu tun haben. Wer Gaelisch spricht und es versäumt, die Sprachenfrage zu behandeln, der ist im Herzen kein wahrer Gaele; ein solches Verhalten schadet dem Gaelentum mehr, als es ihm nutzt, denn durch solches Tun verhöhnt er das Gaelische und verleumdet die Gaelen. Es gibt in diesem Leben nichts Schöneres, als wenn echte Gaelen, die wahrhaftig gaelisch geblieben sind, in wirklich gaelischem Gaelisch über die einzig wahre gaelische Sprache sprechen. Hiermit erkläre ich das feis für gaelisch eröffnet! Die Gaelen - sie leben hoch! Die gaelische Sprache - sie lebe hoch!“
Dass den Gaeligores weniger am Wohlergehen der Gaelen als an einer selbstdienlichen Illusion gelegen ist, wird an vielen Stellen deutlich. Als die Gaeligores zunächst doch „ein paar Pennies“ in Corcha Dorcha ausgeben, war dies, wie Bonapart berichtet, „den Menschen schwer verständlich; hatte es doch immer geheißen, die Akkuratesse des Gaelischen (sowie auch die Heiligkeit im Gemüt) wüchse im selben Verhältnis wie der Mangel an weltlichen Gütern“ (45). Im siebenten Kapitel stellt sich aber wieder eine verquere Normalität ein, als einige mit dem Automobil angereiste „Herren aus Dublin“ im siebenten Kapitel auf den halbverhungerten Sitric treffen, „priesen sie ihn um seiner Armut willen und und verkündeten, sie hätten nie jemanden gesehen, der ihnen so wahrhaft gaelisch vorkam. Einer der Herren zerbrach eine kleine Wasserflasche, die sich in Sitrics Besitz befand, weil sie, wie er sagte, den ganzen Effekt verderbe“ (84).
Die Gaelen ihrerseits scheinen von der gälischen Sache nicht ganz so viel zu halten; als der Alte-Knabe etwa erfährt, dass die englische Regierung eine Prämie von zwei Pfund ausgelobt hat für jedes Kind, das englisch spricht und nicht das bübische Gaelisch", ist er voll des Lobes für dieses edle Anliegen zum Wohle der Armen: „Sie versuchen, uns vom Gaelischen zu trennen, Preis und Dank sei ihnen immerdar!“ (31).
Parodie und Pastiche
Überblick
Die Forderung, dass das Gälische auch als Literatursprache wiederbelebt werden müsse, war seit der Irischen Renaissance der Jahrhundertwende zwar oft zu vernehmen doch scheiterte die Umsetzung schlicht daran, dass es selbst den glühendsten Gaeligores oft an den nötigen Gälischkenntnissen gebrach und sich daher keine Autoren, vor allem aber auch kein kein potentielles Publikum für gälische Literatur ausfindig machen zunächst. Nach der Unabhängigkeit wurde das Projekt jedoch Staatssache. Gälische Publikationen wurden großzügig subventioniert und 1926 mit An Gúm ein staatseigener Verlag gegründet, in dem bis 1940 hunderte gälische Titel erschienen. Dabei handelte es sich jedoch zum Großteil um bloße Übersetzungen, und den wenigen originären Werken mangelte es allzuoft an literarischer Qualität. Prestige genoss allein das Genre der Gaeltacht-Autobiographie, also authentische Lebensgeschichten echter (und zumeist analphabetischer) Gälen, aufgezeichnet und redigiert von folkloristischen Feldforschern. An Beal Bocht persifliert und parodiert zahlreiche dieser Werke; Breandán Ó Conaire machte in seiner Studie Myles na Gaeilge (1986) mehr oder minder verfremdete Zitate aus 28 verschiedenen Quellen aus.
An tOileánach
Das unmittelbare Vorbild für An Beal Bocht ist An tOileánach zu, die 1929 erschienenen Autobiographie des Fischers Tomás Ó Criomhthain, einem der letzten Bewohner der abgelegenen Blasket Islands vor der Südwestküste Irlands. O'Nolan hat seine aufrichtige Bewunderung für dieses Werk wiederholt zum Ausdruck gebracht. An Beal Bocht ist daher weniger eine Parodie auf An tOileánach als vielmehr ein wohlwollendes, wenn auch augenzwinkerndes Pastiche.
Nicht nur der Text, sondern die gesamte Buchgestaltung ist An tOileánach nachempfunden. Auf dem Einband von An tOileánach ist die heroisch anmutende Silhouette eines energisch fortschreitenden Fischers zu sehen, die Ruder geschultert, den Blick fest nach vorne gerichtet, im Hintergrund vier weitere Fischer, die sein Boot vom Ufer tragen. Auf dem von Sean O'Sullivan gestalteten Titel von An Beal Bocht steht hingegen ein halbnackter, bedröppelt dreinblickender Zausel im strömenden Regen. Zwar hat er ebenfalls Ruder geschultert, doch ist kein Boot zu sehen, stattdessen scheint er im Gras zu fischen (wie O Cunasa im siebenten Kapitel erläurtert, regnete es in Corca Dora einst so lange ohne Unterlass, dass die Fische auf die Wiesen schwammen); im Hintergrund sieht man am Meeresufer eine ähnlich jämmerliche Gestalt auf zwei Seehunde einknüppeln. War dem Text in den ersten Ausgaben von An tOileánach eine Landkarte der Blasket Islands vorangestellt, so findet sich in An Beal Bocht eine Karte mit dem Titel Die große weite Welt, wie sie von den Einwohnern Corca Dorchas gesehen wird.
Andere Referenztexte
Während die die anderen Romane O'Nolans, insbesondere At Swim-Two-Birds, in der Literaturkritik schon seit einiger Zeit als Vorreiter des postmodernen Romans gelten, wurde An Beal Bocht lange nur im Lichte seiner Quellen und seines konkreten zeitgenössischen Kontexts interpretiert. Erst seit den 1990er Jahren richtet sich der Blick in der Sekundärliteratur auf die metafiktionalen Aspekte des Werks. Seine eigene Fiktionalität thematisiert der Roman dabei schon in seinem Titel: er bezieht sich auf die Redensart an béal bocht a chur ort, wörtlich „den armen Mund aufsetzen“, also die List, tränenreich bittere Armut vorzuschützen, um Mitleid zu erheischen, insbesondere um sich Geld zu erschleichen oder um Gläubiger auf Abstand zu halten; der Leser ist so vorgewarnt, dass es sich bei dem geschilderten Geschehen also um eine Lüge, mithin um eine Fiktion handelt.
Zum postmodernen Charakter des Romans trägt entscheidend bei, dass seine ausgeprägte Intertextualität sich nicht nur auf das bloße Zitieren beschränkt; in mehreren Momenten der Metalepse verschwimmen auch die Grenzen zwischen verschiedenen Fiktionen und schließlich auch die zwischen Fiktion und Realität. In At-Swim Two-Birds hatte O'Nolans Erzähler programmatisch verkündet: The entire corpus of existing literature should be regarded as a limbo from which discerning authors could draw their characters as required. Mit dieser Rechtfertigung ließ er in diesem Roman etwa Gestalten der irischen Mythologie neben Revolverhelden aus Wildwestromanen auftreten; eine entscheidende Wendung nimmt das Geschehen aber, als einigen dieser Figuren bewusst wird, dass sie fiktive Gestalten sind und beschließen, ihren eigenen Autor zu ermorden, um dem fiktiven Universum zu entfliehen, in dem sie gefangen sind. Auch den Bewohnern von Corca Dorcha ist bewusst, dass ihr Leben von rein literarischen Konventionen, Klischees und Stereotypen bestimmt wird und richten ihr Leben ganz nach dem aus, was in den guten Büchern, also der Gaeltacht-Literatur, geschrieben steht.
Wie alle Bewohner Corca Dorchas lebt Bonaparte so in einem kleinen kalkweißen, ungesunden Haus, das in einer Ecke der Schlucht gelegen war, und zwar rechter Hand, wenn man die Landstraße in östlicher Richtung beschreitet, denn es war schon immer den Gaelen vorbestimmt (wenn man den Büchern trauen mag), in einem kleinen kalkweißen Haus in einer Ecke der Schlucht zu hausen, wenn man die Landstraße in östlicher Richtung beschreitet, und das muß auch die Erklärung dafür sein, daß es für mich, als ich dieses Leben antrat, keine gute Behausung gab, eher das Gegenteil, wenn ich ehrlich sein will(16). Als er an seinem ersten Schultag geschlagen wird und sich bei seiner Mutter beklagt, antwortet diese: warum verstehst du nicht, daß in dieser Gegend des Landes Gaelen leben und daß sie ihrem Schicksal nicht entfliehen können? Es stand schon immer geschrieben und wurde auch gesagt, daß jeder gaelische Knabe an seinem ersten Schultag geschlagen wird, weil er nicht Englisch noch die ausländische Form seines Namens versteht...Und ach, ich glaube nicht, daß es für die Gaelen je eine gute Regelung geben wird, sondern nur Kummer, diesen aber für alle Zeiten (30).
Ein anderes literarisches Klischee, unter dem die Bewohner Corcha Dorchas leiden, ist die Vorstellung, dass jedes gaelisches Kind ein Kind in der Asche ist. Dieses Klischee entstammt den Maire-Romanen Pádraic Ó Conaires und ist dort eine bloße Redewendung, von Bonaparts Großvater, dem Alten-Knaben, wird sie jedoch wörtlich genommen: als ich blutjung ein Bursch noch war und im Wachstum begriffen, war ich (wie jedem Leser der guten gaelischen Bücher sonnenklar ist) ein Kind in der Asche. Du hast alle Asche des Hauses ins Feuer zurück gekehrt oder auf den Hof gefegt, ohne das Geringste für das arme Kind auf dem Fußboden übrigzulassen – er deutete mit dem Finger auf mich –, damit es sich in dieselbe begeben kann. Es ist eine unnatürliche und ungeregelte Erziehung und Aufzucht, die er ohne die Erfahrung mit der Asche genießen wird (15). Daher lässt er Bonaparts Mutter die Asche wieder ins Haus tragen und auf dem Fußboden verteilen und setzt Bonapart obendrauf, so dass dieser in der alten gaelischen Tradition aufwachsen kann - so wie alle Kinder Corcha Dorchas und aller Gaeltachts, denn bei bei seinem ersten und einzigen Schultag stellt er fest, dass viele der Kinder noch Ascheflecken auf ihren Kleidern haben (27).
In einem subversiv anmutenden Akt weiß aber zumindest der Alte-Knabe die Klischees, die sein Leben bestimmen, zu seinem Vorteil zu nutzen. Als es der Familie an Kartoffeln mangelt, begibt er sich mit Bonapart in die Rosses (eine Hügellandscahft in Donegal), um zu jagen, oder vielmehr, um dort Häuser auszurauben. Auf ihrem Beutezug wundert sich Bonapart, dass keines der Häuser, das sie ausrauben, bewacht ist, und überhaupt keine Menschenseele zu sehen ist. Der Alte-Knabe entgegenet darauf: du hast nie die guten Bücher gelesen. Wir haben jetzt Abend, und laut literarischem Schicksal tobt an der Küste ein Sturm, die Fischer sind auf dem Wasser in Schwierigkeiten, die Menschen haben sich am Strand versammelt, die Frauen weinen, und eine arme Mutter schreit: Wer wird meinen Mickey retten? So haben die Gaelen es schon immer gehalten, wenn es in den Rosses Abend wurde, und tatsächlich sehen die beiden, als sie auf ihrem Rückweg einen Hügel besteigen, die Fischerboote im Sturm und die weinenden Frauen am Strand (63-64).
Zensur
Als er geboren wurde, erschrak sich sein Vater fast zu Tode, denn wie alle Gaelen war er mit den genauen Umständen des Lebens nicht sonderlich vertraut (12). Hier spielt O'Nolan darauf an, dass die Koryphäen der gälischen Bewegung sich nicht nur als Sprach-, sondern auch als Sittenwächter betätigten und jedweden Verweis auf Sexualität scheuten oder zensierten. So nahmen die Herausgeber des 1928 erschienenen maßgeblichen Wörterbuch des Gälischen ausgerechnet das gälische Wort für Geschlechtsverkehr nicht auf, so dass sich bis heute noch vielerorts das Vorurteil hält, das Gälische habe gar kein Wort für die genauen Umstände des Lebens. Verstärkt wurde diese Tendenz noch durch das 1929 erlassene Zensurgesetz, die das Verbreiten unsittlicher (und insbesondere kirchenkritischer) Literatur unter Strafe stellte und so bei Autoren und Verlagen zu einer verstärkten Selbstzensur führte . Allzu gewagt erscheinende Stellen in Ó Criomhthains Manuskript von An tOileánach wurden etwa von seinem Herausgeber Pádraig Ó Siochfhradha für die Buchfassung gestrichen, und auch O'Nolan selbst strich einige pikante Passagen aus der Erstfassung von An Béal Bocht, um die Zensoren nicht herauszufordern. Im sechsten Kapitel regt sich in Bonapart die Ahnung, dass etwas mit ihm nicht stimme, da er anders als seine Zeitgenossen weder Frau noch Kind hatte. Da er von den Umständen des Lebens nichts weiß, glaubt er, die kleinen Kinder Fielen vom Himmel, und daß, wer sich Kinder wünschte, nur etwas Glück und einen schönen, weiträumigen Acker haben müsse. Nachdem er die Angelegnheit bald zwei Jaehr bedacht hatte, fragt er seinen Großvater, den Alten-Knaben. Dieser Weiß Rat, denn: In den guten Büchern, in denen die Verhältnisse der gaelischen Habenichtse geschildert werden, heißt es, daß zwei Männer mitten in der Nacht zu Besuch kommen, falls sie eine Fünf-Viertel-Literflasche bei sich haben und eine Frau suchen. Da er weder dem Schicksal noch dem Regen entkommen kann, geschieht es ebenso, und bald darauf hat Bonapart eine Braut. Auf eine genauere Schilderung der Brautwerbung verzichtet Bonapart aber, denn die gesamten Reden sind in den Büchern nachzulesen, die ich bereits erwähnt habe (79). Genaueres weiß aber auch der Alte-Knabe nicht über die genauen Umstände des Lebens zu berichten, und so ist Bonapart ebenso überrascht wie einst sein Vater, als sein Sohn Leonardo geboren wird, und hält das Neugeborene zunächst für ein Ferkel.
Deutungen
- "Klassische Satire", irische satirische Tradition, Anti-Pastoral
Postmoderne & Postkolonialismus
Mehrere Kritiker deuten das Werk im Rahmen einer postkolonialen Theorie. Die erzählte Zeit lässt sich recht genau auf die Jahre 1885-1914 eingrenzen, die Handlung trägt sich also zur Zeit der britischen Herrschaft über Irland zu. Anders als viele vor und nach der Unabhängigkeit entstandenen Werke der irischen Literatur spielt die die Fremdherrschaft aber kaum eine Rolle im Roman. Nur im vierten Kapitel lässt sich ein Akt antikolonialer Subversion ausmachen: Als die britische Regierung eine Belohnung von zwei Pfund Sterling für jedes Kind der Gaeltacht auslobt, das Englisch gelernt hat, fasst der Alte-Knabe den Plan, die Schweine der Familie als Kinder auszugeben. Wegen des üblen Gestanks möchte der Inspektor nicht nähertreten und fragt nur: All spik English?, woraufhin der Alte-Knabe entgegnet All spik, sor!, und die Prämie für seine zwölf "Kinder" kassiert. In dieser Episode setzt der Alte-Knabe den Anti-Irischen Rassismus der Briten, in dem Iren oft mit Tieren, besonders mit Schweinen und Hunden gleichgesetzt wurden, zu seinem eigenen Vorteil gegen die Kolonialherren. Eine weitere, unübersetzbare Pointe ergibt sich hier daraus, dass sor hier nicht nur das englische "Sir" wiedergibt, sondern im Gälischen "[Laus]]" bedeutet.
Eine ähnliche Aneignung und Umdeutung (Reappropriation) des kolonialen Diskurses macht Declan Kiberd schon in O'Nuallains Wahl des Pseudonyms "Myles na gCopaleen" aus. Auch diese Figur ist keine Erfindung O'Nolans ist, sondern entstammt ursprünglich einer anderen Fiktion, nämlich Dion Boucicaults 1860 uraufgeführtem Theaterstück The Colleen Bawm. In dieser gefälligen Posse ist Myles, der irische Protagonist, zwar Sympathieträger, vereint aber als kaum des englischen mächtiegr Einfaltspinsel, Lügner und Dieb auch alle Klischees und Stereotypen in sich, die das englische Theaterpublikum der viktorianischen Epoche mit dem typischen Iren Paddy in Verbindung brachte. Derart stereotyp gezeichnete irische Taugenichtse finden sich in vielen Stücken dieser Zeit, so dass man fast von einer stehenden Rolle sprechen kann; rückwirkend hat die Literaturwissenschaft dafür den Begriff des Theater-Iren (stage Irish) geprägt. Als Herausgeber von An Beal Bocht erscheint Myles na gCopaleen hingegen als nicht nur respektable Person, sondern als Gelehrter. In einer besonders absurden Wendung annotiert er in Fußnoten die wenigen englischen Wörter, die sich in Bonaparts Gälisch geschlichen haben, in gälischen Glossen in den Fußnoten (so übersetzt er etwa divarsions als sleigh).
Bedeutung für die moderne irische Literatur
Literatur
Ausgaben
- Myles na gCopaleen: An Béal Bocht, nó, An milleánach: Droch-sgéal ar an droch-shaoghal. An Preas Náisiúnta/National Press, Baile Átha Cliath/Dublin 1941.
- Flann O'Brien: The Poor Mouth: A Bad Story about the Hard Life. Englisch von Patrick C. Power. Hart-Davis, MacGibbon, London 1973. Neuausgabe: Dalkey Archive Press, Champaign IL 1996. ISBN 1564780910
- Flann O'Brien: Das Barmen. Eine arge Geschichte vom harten Leben. Deutsch von Harry Rowohlt. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977 (= Bibliothek Suhrkamp, Bd. 529). ISBN 351801529X
Sekundärliteratur
- M. Keith Booker: Flann O'Brien, Bakhtin, and Menippean Satire. Syracuse University Press, Syracuse NY 1995. ISBN 0815626657
- Jane Farnon: Motifs of Gaelic Lore and Literature in An Béal Bocht. In: Ann Clune und Tess Hurson: Conjuring Complexities: Essays on Flann O'Brien. Institute of Irish Studies, the Queen's University of Belfast, Belfast 1997. S. 89-110. ISBN 0853896755
- Britta Irslinger: An Béal Bocht und Cruiskeen Lawn von Myles na gCopaleen: Konzeption und Gestaltung. In: Erich Poppe (Hrsg.): Keltologie heute. Themen und Fragestellungen. Akten des 3. Deutschen Keltologensymposiums, Marburg, März 2001. Nodus, Münster 2004. S. 239-258. ISBN 3-89323-616-3
- Declan Kiberd: Inventing Ireland: The Literature of the Modern Nation. Jonathan Cape, London 1995. ISBN 0224041975
- Sarah McKibben: An Béal Bocht: Mouthing Off at National Identity. In: Éire/Ireland 38:1&2, 2003. S. 37-53.
- Breandán Ó Conaire: Myles na Gaeilge: Lámhleabhar ar shaothar ghaeilge Bhrian Ó Nualláin. An Clóchomhar Tta, Baile Átha Cliath 1986.
- Brian Ó Conchubhair: An Béal Bocht and An tOileánach: Writing on the Margin-Gaelic Glosses or Postmodern Marginalia? In: Review of Contemporary Fiction 31:3, 2011. S. 191-204.
- Thierry Robin: Satire et enfermement dans "The Poor Mouth" de Flann O'Brien. In: Les Cahiers du CEIMA 6, 2010. S. 99-118.
- Carol Taaffe: Ireland through the Looking-Glass: Flann O'Brien, Myles na gCopaleen and Irish Cultural Debate. Cork University Press, Cork 2008. ISBN 1859184421
- Donna I. Wong: Following the Law of the Letter: Myles na gCopaleen's An Béal Bocht. In: New Hibernia Review/Iris Éireannach Nua 4:3, 2000. S. 93-106.
Einzelnachweise
- ↑ Diese Behauptung stellte laut Jane Farnon (Motifs of Gaelic Lore and Literature in An Béal Bocht, S. 174, Fußnote 1) zuerst Breandán Ó Conaire in Myles na Gaeilge (S. 326-327) auf.