Benutzer:Juergen Federmann/Ökonomische Systemtheorie

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Seit den frühen 1990er Jahren wird die ökonomische Systemtheorie (auch Alternative Wirtschaftstheorie AWT) diskutiert. 1992 von K. Höher, M. Lauster und D. Straub mit der Veröffentlichung „Analytische Produktionstheorie“ erstmals einem breiteren Publikum vorgestellt, wurde sie bis heute im Rahmen mehrerer Forschungsarbeiten zu einer umfassenden Theorie weiterentwickelt, welche die Beschreibung ökonomischer Systeme auf Meso- und Makroebene in konsistenter Form erlaubt, ohne auf die stark einschränkenden Annahmen orthodoxer wirtschaftswissenschaftlicher Theorien oder auf bestimmte ideologische Vorstellungen zurückgreifen zu müssen (bspw. homo oeconomicus). Dabei handelt es sich um ein interdisziplinär angelegtes Forschungsprojekt, was besonders durch die Anwendung des Gibbs-Falk'schen Verfahrens zur quantitativen Beschreibung von Systemen deutlich wird. Aber auch darüber hinaus existieren vielfältige Verknüpfungen in die verschiedensten Gesellschafts- und Naturwissenschaften (Geo-Wissenschaften, Physik, Rechtswissenschaften, usw.). Der Bezug zur konkreten Erlebensrealität des Menschen als Betroffener und Beteiligter der Wirtschaft bedingt es, dass die Erkenntnisse nicht im Elfenbeinturm der Ökonomie erzielt werden können. Interdisziplinarität ist dabei die Folge aus der ganzheitlichen Betrachtung des Wirtschaftssystems. Die Autoren nutzen die ”Voraussetzungsarmut” des Gibbs-Falk´schen Beschreibungsverfahrens, um die im Verlauf der Wirtschaftsgeschichte gesammelten ökonomischen Erfahrungen in eine gänzlich neuartige (alternative) Wirtschaftstheorie einfließen zu lassen.


Systemtheoretische Grundlagen

Obwohl die Arbeiten von N. Luhmann zur Theorie sozialer Systeme nicht die Wurzeln der Alternativen Wirtschaftstheorie darstellen, kann – seine Ansätze zum Wirtschaftssystem als Referenz betrachtend – die Alternative Wirtschaftstheorie als ein in qualitativer Hinsicht weiterführender Versuch der Beschreibung von Wirtschaft interpretiert werden, welcher gleichzeitig in quantitativen Beziehungen fassbar ist. Der Anspruch an die quantitative Fassung dieser Theorie soll durch die Nutzung des mathematischen Instrumentariums der GFD erfüllt werden.

Die Gibbs-Falk-Dynamik (GFD) geht auf die Arbeiten J.W. Gibbs’ zurück, der eine thermostatische Theorie für Zustände in unmittelbarer Nähe von Gleichgewichten formulierte. G. Falk griff diese Ansätze auf und erweiterte sie zu einer dynamischen Theorie. Ihre praktische Anwendbarkeit zeigt sich am Beispiel der Thermofluiddynamik; sie scheint jedoch darüber hinaus auch als allgemeines Beschreibungsverfahren für makroskopische physikalische Phänomene geeignet. Insgesamt gesehen gibt die GFD ein formales Gerüst vor, welches es erlaubt, das betrachtete System mathematisch konsistent zu beschreiben und Aussagen über die Reaktionen des Gesamtsystems auf Variationen der einbezogenen Größen zu treffen.

Die Modellbildung entlang der GFD kommt dabei zunächst ohne die Kenntnis oder Behauptung eines expliziten Funktionalzusammenhangs zwischen den Systemgrößen aus. Hierdurch wird es möglich, die durch menschliches Verhalten getriebene Komplexität sozio-ökonomischer Systeme sukzessive greifbar zu machen. Die Einbeziehung der Luhmann'schen Systemtheorie kann darüber hinaus gewährleisten, dass die vielfältigen Beziehungsgeflechte sozialer Systeme nicht vernachlässigt werden, sondern hinsichtlich ihrer ökonomischen Relevanz voll in die Systembeschreibung integriert werden.

Verallgemeinert kann konstatiert werden, dass der weit umfassendere Luhmann'sche Ansatz der sozialen Systemtheorie durch die Forschungsgruppe der Alternativen Wirtschaftstheorie hier auf ökonomisch relevante Sachverhalte eingegrenzt und in diesem Rahmen auch weiter ausdifferenziert wurde, bevor er durch die konsequente Nutzung der Gibbs-Falk-Dynamik in eine quantitative Form überführt werden konnte. Als Resultat ergibt sich eine mathematisch konsistente Beschreibung ökonomischer Systeme, welche im Vergleich zur orthodoxen Makroökonomie zusätzliche ökonomisch relevante Phänomene (z. B. die Rechtsstruktur oder Impulse) in den Fokus der wissenschaftlichen Betrachtungen rückt. Die Alternative Wirtschaftstheorie ermöglicht darüber hinaus die Analyse verschiedenster Aspekte in einer integrierten Form.

Abbildung ökonomischer Systeme in der Alternativen Wirtschaftstheorie

Die Gibbs-Falk-Dynamik beruht letztendlich auch auf der Hypothese, jedes quantitativ fassbare System lasse sich durch einen Satz von -vielen extensiven Variablen beschreiben, deren grundlegender Zusammenhang durch die Fundamentalrelation[1] beschrieben sei. Durch Umstellen nach einer der Variablen resultiert die sog. Gibbs-Funktion: . Trotz fehlender Kenntnis deren expliziter Ausgestaltung und den damit verbundenen Verzicht auf eine a priori Strukturannahme lässt sich ihr totales Differential, die sog. Gibbs’sche Hauptgleichung, bilden:


oder

Im Rahmen dieser funktionalen Zusammenhänge kann nun abgebildet werden, welchen Einfluss die Variationen einzelner Werte der Größen auf die Zielvariable ausüben. Damit werden die Entitäten und Relationen des zu Grunde liegenden Systems mathematisch erfasst.

Elemente der Alternativen Wirtschaftstheorie

Teilchensystem als Grundlage

Wirtschaftssysteme entstehen aus der Interaktion von Wirtschaftssubjekten, weshalb ein Modell über Wirtschaftssystemen deren Zahl explizit berücksichtigen sollte. Mit der Variablen soll daher die Anzahl wirtschaftlicher „Teilchen“ in die alternative Wirtschaftstheorie eingeführt werden.

Es ist wünschenswert, hierbei auf eine Größe möglichst feiner Granularität (also etwa Einwohner oder Erwerbspersonen) zurückzugreifen. Die Forschung zu diesem Themenbereich hat jedoch gezeigt, dass stattdessen in einer ersten Näherung die Abbildung der Zahl der Unternehmen das empirisch tragfähigste Makromodell liefert. Dies liegt zum einen an der statistischen Fassbarkeit der Interaktion mit der abhängigen Größe , zum anderen entsteht hieraus die Möglichkeit, das aus dem Wirtschaftsprozess entstehende kontinuierliche Kapitalwachstum zu beschreiben.

Es konnte bei den Forschungsarbeiten zur Alternativen Wirtschaftstheorie gezeigt werden, dass bei großen deutschen Unternehmen ein tendenzieller Gleichlauf zwischen relativer Eigenkapitaländerung und relativer Anlagevermögensänderung in statistisch signifikantem Ausmaß vorliegt. Gleichzeitig ließ sich nachweisen, dass es sich bei der absoluten Höhe des gebundenen Haftungskapitals um einen robusten Indikator für Wachstumsbestrebungen handelt.

Auf der Basis dieser Untersuchungsergebnisse wurde daher die Entscheidung getroffen, innerhalb der  Alternativen Wirtschaftstheorie den Term durch die von Unternehmen ausgewiesenen Bestände an eigenen Mitteln als Kennzahl abzudecken, während unter die Zahl aktiver Unternehmen verstanden werden soll.

Variablen in der ökonomischen Systemtheorie

GIBBS’sche Hauptgleichung (GHG) in der ökonomischen Systemtheorie

Vorteile der ökonomischen Systemtheorie gegenüber traditionellen Ansätzen

Ein einfaches Beispiel aus der Praxis <KP>

Organisation

Die Arbeiten zur ökonomischen Systemtheorie werden hauptsächlich durch das AWT Institut für ökonomische Systemtheorie e.V. gebündelt und vorangetrieben.

Literatur

  • Matias Bärtl: Die Messung des marginalen Kapitalkoeffizienten als intensive Variable. unveröffentlichte Diplomarbeit an der Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften der Universität der Bundeswehr München, Neubiberg 1998.
  • Mathias Bärtl: Ökonomische Teilchen und produktionstechnisches Potential – Ein Teilchenkonzept in einer wirtschaftswissenschaftlichen Umsetzung der Gibbs-Falk-Dynamik. Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2005, ISBN 978-3-8300-1968-8.
  • Franz Benker: Stadtgeographie und Kennzahlentheorie. Ein stadtgeographischer Vergleich von Dresden, Duisburg, Frankfurt am Main und München. In: Zeitschrift für Angewandte Geographie. Band 4, 1998, S. 32 - 39, doi:10.1007/s005489870007.
  • Franz Benker: Der ökonomische Raum auf der Basis geographischer Modellvorstellungen. Peter Lang GmbH, Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt 2004, ISBN 3-631-52416-1.
  • Franz Benker, Maik Ebersoll: Der Einfluss demographischer Effekte auf die Ökonomie ausgewählter Staaten – unter besonderer Berücksichtigung der Alternativen Wirtschaftstheorie. In: Podium der Wirtschaft. Band 22. VHK-Verlag GmbH, Röthenbach 2011, ISBN 978-3-930616-72-5, S. 85 - 120.
  • Franz Benker, Maik Ebersoll, Klaus Höher, Thorsten Junkermann, Lieglein Robert: Gedanken zur Wirtschaftskraft ökonomischer Systeme. Arbeitspapier, Nr. 1/2015. AWT Institut für ökonomische Systemtheorie e.V., München 2015.
  • Maik Ebersoll: Alternative Wirtschaftstheorie – Beitrag zu den Grundlagen einer quantitativen Theorie dynamischer ökonomischer Systeme. Der Andere Verlag, Tönning 2006, ISBN 3-89959-510-6.
  • Maik Ebersoll, Thorsten Junkermann: Ansätze zur Beschreibung des Rahmens ökonomischer Interaktion: Überlegungen zum Status Quo und zur weiteren Erforschung der ökonomischen Größe Vök der Alternativen Wirtschaftstheorie. Der Andere Verlag, Uelvesbüll 2011, ISBN 3-86247-197-7.
  • Maik Ebersoll, Franz Benker: Demographie der Unternehmen - Teilchenfokussierte Betrachtungen aus makro- und mikroökonomischer Perspektive. Der Andere Verlag, Uelvesbüll 2014, ISBN 3-86247-454-2.
  • Maik Ebersoll, Marianna Hanke-Ebersoll: Flüchtlingskrise, Reihe: Berichte zu aktuellen, gesellschaftlichen Fragestellungen aus der Perspektive der Alternativen Wirtschaftstheorie. AWT Institut für ökonomische Systemtheorie e.V., München 2015.
  • Maik Ebersoll, Thorsten Junkermann: Corona und die Folgen aus Sicht einer quantitativen, ökonomischen Theorie". Reihe: Berichte zu aktuellen, gesellschaftlichen Fragestellungen aus der Perspektive der Alternativen Wirtschaftstheorie. AWT Institut für ökonomische Systemtheorie e.V., München 2020.
  • Maik Ebersoll, Marianna Hanke-Ebersoll, Thorsten Junkermann: Das Gesundheitswesen aus Sicht einer quantitativen, ökonomischen Systembeschreibung. AWT Institut für ökonomische Systemtheorie e.V., München 2021, ISBN 978-3-7541-0810-9.
  • Jürgen Federmann: Die alternative Wirtschaftstheorie unter dem Blickwinkel des Geldbegriffs nach Niklas Luhmann. unveröffentlichte Masterthesis an der FOM - Hochschule für Oekonomie & Management Essen, München 2014.
  • Andreas Fischer: Erzeugung marginaler Größen aus systembeschreibenden Funktionen ökonomischer Prozesse. Peter Lang GmbH, Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt 1997.
  • Martin Gansneder: Operationalisierung von Rechtstrukturen in ökonomischen Systemen. n.n., München 2001.
  • Martin Gansneder, Klaus Höher: Unternehmensstrukturen und die Bewertung ihrer Leistungsfähigkeit. In: Controller Magazin. Band 28, Nr. 05. VCW Verlag für ControllingWissen AG, Freiburg, Br. 2003, S. 461 - 466.
  • Andrea Ghirardini: Unternehmenswert und externes Rating – ein Beitrag zur Operationalisierung in ökonomischen Systemen. Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2013, ISBN 978-3-8300-6706-1.
  • Marianna Hanke-Ebersoll: Menschliche Aktivität im ökonomischen Raum. Der andere Verlag, Uelvesbüll 2015, ISBN 3-86247-563-8.
  • Hartmann, T. „Das Phänomen des Druckes in ökonomischen Räumen“, Hamburg (2005)
  • Höher, K./Lauster, M./Straub, D. „Analytische Produktionstheorie“, Frankfurt a.M. (1992)
  • Höher, K./Lauster, M./Straub, D. „A New Approach to Mathematical Economics: On it’s Structure as a Homomorphism of Gibbs-Falkian Thermodynamics“, in: ‚Journal of Mathematical Analysis and Applications‘, Volume 193, San Diego (1995)
  • Jordan, M. „Steuerrecht und Rechnungslegung – Ansätze zur Quantifizierung der Wirkungen in ökonomischen Systemen“, Hamburg (2004)
  • Jordan, Markus/Höher, Klaus "Kennzahlen als Instrument der Abbildung steuer- und handelsrechtlicher Wirkungen in betriebswirtschaftlichen Systemen, in: G. Meeh, Unternehmensbewertung, Rechnungslegung und Prüfung: Festschrift für Prof. Dr. Wolf F. Fischer-Winkelmann", 2006, S. 65 – 100 (2006)
  • Junkermann, T. „Die ökonomische Zeit im Rahmen der Alternativen Wirtschaftstheorie“, Tönning (2006)
  • Lauster, M. „Beitrag zu den statistischen Grundlagen einer quantitativen Systemtheorie”, Shaker, Aachen (1997)
  • Lauster, M. „Mathematical Analysis on Hidden Constants in Quantitative Economics – Interner Forschungsbericht L01/2000 am Institut für Angewandte Kommunikationsforschung und Statistik“, Neubiberg (1997)
  • Lieglein, Robert Der ökonomische Wert – Auf den Spuren ökonomischen Verhaltens in der Alternativen Wirtschaftstheorie, Tönning u. a., Der Andere Verlag (2008)
  • Lorenz, Mathias "Die Interaktion zwischen Wirtschaft und Natur im Rahmen der Alternativen Wirtschaftstheorie", Uelvesbüll: Der Andere Verlag (2012)
  • Schepp, T. „Der Kapitalbegriff in der Alternativen Wirtschaftstheorie – Abgrenzung und Messung der vermögensartigen Größe K im Rahmen der Systembeschreibung nach Gibbs und Falk“, Kovač, Hamburg (2003)
  • Sprenger, J. „Betrachtung des Patentwesens vor dem Hintergrund der Variable 'Ökonomischer Impuls' der Alternativen Wirtschaftstheorie“, unveröffentlichte Diplomarbeit an der Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften der Universität der Bundeswehr München, Neubiberg (2003)
  • Strehle, C. „Umweltökonomie – Die 3 Variablen E (Energie), R (Rohstoffe), M (Müll)“, unveröffentlichte Diplomarbeit an der Fakultät für Wirtschafts- und Organisationswissenschaften der Universität der Bundeswehr München, Neubiberg (2000)

sonstige in diesem Zusammenhang interessante Literatur

  • Gottfried Falk: Theoretische Physik – Band Ia Aufgaben. Springer, Berlin, Heidelberg 1966, ISBN 3-540-03557-5.
  • Gottfried Falk: Theoretische Physik auf der Grundlage einer allgemeinen Dynamik, Band II: Allgemeine Dynamik/Thermodynamik. Springer, Berlin, Heidelberg 1988, ISBN 3-540-04174-5.
  • Gottfried Falk, Wolfgang Ruppel: Energie und Entropie – Eine Einführung in die Thermodynamik. Springer, Berlin, Heidelberg 1976, ISBN 978-3-642-67900-1.
  • Gottfried Falk: Physik, Zahl und Realität – Die begrifflichen und mathematischen Grundlagen einer universellen quantitativen Naturbeschreibung. Birkhäuser Verlag, Basel, Berlin 1990, ISBN 3-7643-2550-X.
  • Niklas Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1994, ISBN 3-518-28752-4.
  • Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Erster Teilband. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1998, ISBN 3-518-28960-8.
  • Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Zweiter Teilband. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1998, ISBN 3-518-28960-8.
  • Dieter Straub: Eine Geschichte des Glasperlenspiels – Irreversibilität in der Physik: Irritationen und Folgerungen. Birkhäuser Verlag, 1990, ISBN 3-7643-2347-7.
  • Dieter Straub: Zeitpfeile in der Natur? Versuch einer Antwort. In: Rüdiger Inhetveen, Rolf Kötter (Hrsg.): Betrachten, Beobachten, Beschreiben – Beschreibungen in Kultur- und Naturwissenschaft. München 1990, ISBN 3-7705-2980-4.

Weblinks

AWT Institut für ökonomische Systemtheorie e.V.

Einzelnachweise

  1. Franz Benker, Maik Ebersoll, Klaus Höher, Thorsten Junkermann, Robert Lieglein: Gedanken zur Wirtschaftskraft ökonomischer Systeme - Arbeitspapier 1/2015. 2015, S. 5.