Benutzer:Ktiv/Speisegebote
Speisegebote sind Regeln für den Umgang mit Nahrungsmitteln, die für eine Religionsgemeinschaft bedeutsam sind. Die Verbindlichkeit solcher Regeln kann sehr unterschiedlich gehandhabt werden; die Abgrenzung zum Brauchtum ist nicht immer deutlich.
Inhaltlich befassen sich Speisegebote mit der Auswahl von Nahrungsmitteln, ihrer Zubereitung, ihrem Genuss bzw. Nicht-Genuss (Nahrungstabu). Auch die Reihenfolge der Speisen bei einer Mahlzeit, die Hierarchie der Speisenverteilung unter den Teilnehmern der Mahlzeit oder der Ort der Mahlzeit kann Thema von Speisegeboten sein.[1]
Das Begründungskonzept, in das Speisegebote eingebunden sind, ist je nach Religion unterschiedlich: Tabus, Reinheitsvorschriften, Dämonenabwehr, sakrale Mahlzeiten (etwa in Verbindung mit einem Opfer), Theophagie, Kommunikation, usw. Auch sozio-ökonomische, politische, hygienische, medizinisch-diätetische oder ästhetische Motive können sich mit Speisegeboten verbinden. Sie werden dann als Begründung für die Befolgung der betreffenden Gebote angeführt.[1] Wie verschiedene Speisegebote durch ein gemeinsames Begründungskonzept verknüpft sein können, soll an einem Beispiel aus dem Hinduismus illustriert werden: Speichel gilt als unrein, da er wie auch andere Körperflüssigkeiten sowohl Teil des Körpers, als auch etwas vom Körper Verschiedenes ist. Vorzugsweise trinken Hindus deshalb erst am Schluss einer Mahlzeit, so dass die Lippen das Trinkgefäß nur einmal berühren. Problematischer ist aber der Kontakt mit dem Speichel einer anderen Person; generell werden Speisereste eines anderen Erwachsenen deshalb nicht angerührt. Kernfamilien, die ihr Essen untereinander teilen, bilden quasi einen gemeinsamen Körper. Da kleine Kinder nicht als voll ausgebildete Personen gelten, können Eltern deren Reste essen. Indem die Ehefrau Speisen ihres Mannes und ihrer Schwiegereltern isst, wird sie als ursprünglich Fremde in deren Familie inkorporiert.[2] Das Opfer ist im hinduistischen Verständnis eine Speisung der Götter und wird von diesen als Duft verzehrt; die Opfermaterie als Speiserest der Götter wird daraufhin von den Gläubigen gegessen und gilt als die reinste Form von Speise.[3] „Essensreste (jutha) gelten rituell als extrem verunreinigend und die Annahme solcher Speise drückt äußerste Unterordnung aus. Die Akzeptanz der göttlichen Speisereste (prasad) durch die Menschen drückt die maximale hierarchische Distanz zwischen ihnen und den Göttern aus.“[4]
Welche Lebensmittel von Speisegeboten und -verboten betroffen sind, stellt sich religionsgeschichtlich sehr verschieden dar. Typisch für den indischen Subkontinent ist die Meidung tierischer Nahrung, um kein Lebewesen zu verletzen.[5] Vegetarische Ernährung wurde aber z. B. auch von Orphikern und Pythagoreern praktiziert.[5] Im Hinduismus sind Speisegebote für Kasten spezifisch (was für die eine Kaste eine typische Nahrung bildet, ist für eine andere Kaste zu meiden) und stützen insofern das Kastensystem. Speisen werden innerhalb einer Dorfgemeinschaft an Angehörige einer gleichen oder niederen Kaste gegeben. Dabei sind Speisen je nach Zubereitungsform verschieden anfällig für Unreinheit: „unreife“ (kacca), d.h. in Wasser gekochte Speisen können nur in sehr engen Grenzen weitergegeben werden, „reife“ (pakka), d. h. mit Ghee zubereitete Speisen gelten als unproblematischer.[6]
Die Speisegebote des Judentums (Kaschrut) erfordern eine bestimmte Logistik in der Küche, so dass unterschiedlich aussehende Sets (Töpfe, Teller, Besteck, Tischtücher, Küchentücher) für Fleisch- und Milchprodukte gebraucht werden sowie zwei Spülen. Daneben gibt es neutrales Geschirr, praktischerweise aus Glas, weil Glas kultische Unreinheit nicht absorbiert und daher für Fleisch- und Milchspeisen verwendet werden kann.[7] Es ist einfacher, eine koschere Küche zu führen, wenn man auf Fleischprodukte ganz verzichtet. Auch für einen säkularen Israeli gibt es Gründe, die Kaschrut zu beachten, wie Israel Meir Lau erläutert: „Es darf nicht sein, daß ein [religiöser] Nachbar, Angehöriger oder Freund nicht an seinem Tisch essen, noch eine Erfrischung zu sich nehmen darf.“[8]
Im Christentum gilt der Freitag seit jeher als Fastentag (zur heutigen katholischen Praxis siehe: Freitagsopfer). Daher stammt der weit verbreitete Brauch, freitags ein Fischgericht zu servieren an Stelle einer Fleischmahlzeit, dessen religiöse Motivation verblasst ist. Fischgerichte waren in der Antike, da teuer, ein Festessen. Sie avancierten erst allmählich zur typischen Fastenspeise, nach Isidor von Sevilla, weil der auferstandene Christus mit seinen Jüngern eine Fischmahlzeit gegessen habe.[9] Da jedes Brot an der Symbolik der eucharistischen Speise Anteil hatte, gab es im Christentum eine Reihe von Speisebräuchen bezogen auf dieses Nahrungsmittel, Beispiele: Brot, das auf den Boden gefallen war, wurde beim Aufheben geküsst; Brot wurde nicht direkt auf den Tisch gelegt, sondern auf ein Tuch; vor dem Anschneiden wurde das Brot (in katholischen wie evangelischen Gegenden) mit dem Kreuzzeichen gesegnet.[10]
Literatur
- Edda Neubacher: Speisegebote I. Religionsgeschichtlich. In: Lexikon für Theologie und Kirche, Band 9, Herder Verlag, Freiburg / Basel / Rom / Wien 2000, Sp. 826 f.
Einzelnachweise
- ↑ a b Edda Neubacher: Speisegebote I. Religionsgeschichtlich, Freiburg / Basel / Rom / Wien 2000, Sp. 826.
- ↑ David Smith: Hinduism and Modernity, Blackwell Publishing, 2003, S. 154.
- ↑ David Smith: Hinduism and Modernity, Blackwell Publishing, 2003, S. 154.
- ↑ Peter Berger: Füttern, Speisen und Verschlingen: Ritual und Gesellschaft im Hochland von Orissa, Indien. LIT Verlag, Berlin 2007, S. 36.
- ↑ a b Edda Neubacher: Speisegebote I. Religionsgeschichtlich, Freiburg / Basel / Rom / Wien 2000, Sp. 826 f.
- ↑ Peter Berger: Füttern, Speisen und Verschlingen: Ritual und Gesellschaft im Hochland von Orissa, Indien. LIT Verlag, Berlin 2007, S. 33 f.
- ↑ Israel Meir Lau: Wie Juden leben. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1988, S. 88 f.
- ↑ Israel Meir Lau: Wie Juden leben. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1988, S. 77.
- ↑ Guido Fuchs: Mahlkultur: Tischgebet und Tischritual, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 1998, S. 263 f.
- ↑ Guido Fuchs: Mahlkultur: Tischgebet und Tischritual, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 1998, S. 227–232.