Benutzer:Labus/Artikelentwurf Walkemühle

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Walkemühle ist die Bezeichnung für einem Gebäudekomplex an dem Bach Pfieffe nordwestlich des Dorfes Adelshausen bei Melsungen. Seit 1744 ist an dieser Stelle eine Walkmühle bekannt. Von 1922 bis 1933 wurde in der Walkemühle das Landerziehungsheim Walkemühle in der Trägerschaft der Philosophisch-Politischen Akademie betrieben. 1933 erfolgte die Enteignung durch die Nationalsozialisten. Nach 1945 wurde die Walkemühle durch die ehemaligen Mitglieder des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes wieder aufgebaut und bis 1950 betrieben.

Geschichte

1917 gründeten der Philosoph Leonard Nelson und die Erzieherin Minna Specht gemeinsam mit anderen den Internationalen Jugendbund (IJB). (1912 nahm Nelson an der Jahreshauptversammlung der Freunde deutscher Landerziehungsheime in Berlin teil. 1918 arbeitete Minna Specht im Landerziehungsheim Haubinda in Thüringen.)


Im Frühjahr 1921 kaufte der Reformpädagoge Ludwig Wunder die Walkemühle und eröffnete dort am 15. Mai eine Schule. Anfang Mai 1922 berieten der Philosoph Leonard Nelson, die Mathematiklehrerin Minna Specht und Wunder in der Walkemühle das Konzept eines gemeinsam geführten Landerziehungsheimes. Im Juli 1922 wurde die Philosophisch-Politische Akademie gegründet und wurde Eigentümerin der Walkemühle. Mit Spenden von Hermann Roos, eines Geschäftsmannes aus der Schweiz[1], konnten zwei große Gebäude auf dem Gelände der Walkemühle gebaut werden: das sogenannte Akademiegebäude und das sogenannte Lehrgebäude. Im März 1924 bat Wunder beim Kreisschulrat in Melsungen um Zulassung von Specht als Lehrer[2] nachdem schon vorher Julie Pohlmann zugelassen worden war. Am 29. April 1924 schrieb Wunder an „Den Preußischen Herrn Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin“ einen ausführlichen Brief, der zur Genehmigung des Schulbetriebs führte. [3] [4]

Ostern 1924 wurde das Landerziehungsheim Walkemühle eröffnet.[5] Schon bald kam es zu Spannungen zwischen Wunder und den Nelsonianern. Am 27. November 1924 verließ Wunder die Walkemühle unter Hinterlassung seines gesamten Privatbesitzes.[6] Minna Specht wurde Leiterin der Erwachsenen- als auch der Kinderabteilung bis 1931 resp. 1933. Im November 1925 traf der Parteivorstand der SPD einen Unvereinbarkeitsbeschluss bzgl. gleichzeitiger Mitgliedschaften in SPD und Internationalen-Jugend-Bund. [7]. Daraufhin wurde der Internationale-Sozialistische-Kampfbund, ISK, gegründet. 1926 formulierte Nelson in einem kurzen Aufsatz „Über das Landerziehungsheim Walkemühle“: „Wenn ich – der Aufforderung der Redaktion folgend – von der pädagogischen Eigenart dieser Schule in dem knappen mir zugemessenen Raum überhaupt etwas sagen soll, so kann es daher nur das sein: In dieser Schule braucht man nicht zu lügen.“ [8] Das prägnante Motto „In dieser Schule braucht man nicht zu lügen“ ist der wohl am häufigsten zitierte Satz über das Landerziehungsheim Walkemühle. Am 29. Oktober 1927 starb Leonard Nelson 45-jährig in Göttingen an einer Lungenentzündung und an Überarbeitung. Er wurde auf dem Gelände der Walkemühle beerdigt wie 1929 auch sein Vater Heinrich Nelson (geboren am 9. März 1854 in Berlin, gestorben am 25. April 1929 auf der Walkemühle).[9]

pädagogisches Konzept

Zu Ehren von Leonard Nelson gab die „Gesellschaft der Freunde der philosophisch-politischen Akademie e.V.“ (GFA) im Dezember 1928 eine 12-seitige Gedenkschrift heraus. Mit einem Appell endet die kurze Einleitung; sie ist unterschrieben von den Führern der Gesellschaft; d.h. von Franz Oppenheimer, Otto Meyerhof, Arthur Kronfeld und Minna Specht: „Wir wenden uns an alle, die, unbeschadet einzelner Abweichungen in der philosophischen und sozialen Auffassung, überzeugt sind von der Bedeutung der Persönlichkeit und des Werkes Leonard Nelsons für die Zukunft unserer Kultur, Staatsordnung und Wirtschaft. Wir bitten auch Sie, dieses große Werk der Erziehung nach Ihren Kräften materiell und ideell unterstützen zu wollen, indem Sie in den Kreis der «Freunde der philosophisch-politischen Akademie» mit einem Jahresbeitrage von mindestens 20 Goldmark eintreten. Sie werden dadurch nicht nur an der Erhaltung und dem Ausbau eines erzieherischen Kulturwerks mitwirken, das Bewunderung verdient; sondern Sie werden darüber hinaus dazu helfen, das Andenken eines wahrhaft großen Menschen zu ehren, eines Mannes, dessen volle Bedeutung erst die Zukunft erkennen wird.“ Die Broschüre enthält einen Aufsatz von Berta Rode „Über die Walkemühle“. Im Kontext des führerschaftlich geführten ISK und der GFA ist dieser Text als authentische, programmatische Schrift zu beurteilen, der zentrale Aspekte der Erziehungs- und Organisationsprinzipien des ISK thematisiert. Daher wird er vollständig wiedergegeben:

Die Philosophie Leonard Nelsons ist gegründet auf das Selbstvertrauen der Vernunft: auf das Vertrauen des Menschen in seine Erkenntnis, und auf das Vertrauen in die Kraft der menschlichen Natur, sich nach dieser Erkenntnis zu richten. Es wird dem Menschen hier etwas zugetraut: selber die Wahrheit erkennen zu können, und es wird ihm zugleich etwas zugemutet: nach der erkannten Wahrheit zu handeln. In jedem Menschen schlummert ursprünglich dieser Geist des Selbstvertrauens. In der Hand des Erziehers liegt es, ihn zu töten oder ihn zu wecken. Der zu Erziehende hat ein Recht darauf, daß dieser Geist in ihm geweckt und nicht getötet wird. Diesen Geist zu wecken und den Weg frei zu halten, daß das Selbstvertrauen sich auch betätigen kann, das ist die Aufgabe des Landerziehungsheims Walkemühle, der internationalen Schule, die Nelson im Jahre 1922 in der Nähe von Kassel gegründet hat.
In einer autoritätslosen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft sind hier die Lernenden – Arbeiterkinder, junge Arbeiter und Arbeiterinnen – mit ihren Erziehern vereinigt. Wie werden Unterricht und Lehensgemeinschaft ihrer Aufgabe gerecht?
Der Unterricht der Kinder dadurch, daß die Erzieher mit den Kindern einen Stoff behandeln, den der kindliche Geist bewältigen kann, und dadurch, daß dieser Stoff von den Kindern selbständig erarbeitet wird. Es fehlt in diesem Unterricht jeder tote Gedächtniskram. Die Kinder lernen an der Natur, die sie in reicher Fülle umgibt. Sie werden vertraut mit den Vögeln und den Pflanzen ihrer Umgebung und schulen ihre praktischen Anlagen im Werkunterricht. Im Verkehr mit den Kindern des nahegelegenen Dorfes lernen sie deren Lebensweise kennen. Indem sie an den praktischen Arbeiten der Erwachsenen sich beteiligen, soweit es ihre Kräfte zulassen, und indem sie ihre Rechte ihnen gegenüber vertreten lernen, gewinnen sie ein selbständiges Verhältnis zu dem Leben in einer Gemeinschaft.
Doch der Lehrstoff ist es nicht so sehr, was die Erziehung in der Walkemühle von der anderer guter Schulen unterscheidet. Sondern der weit bedeutsamere Unterschied liegt darin, daß die Kinder alles, was sie studieren, selber beobachten und danach, gestützt auf ihre eigenen Kräfte, gestalten und verarbeiten, Worauf alles ankommt, ist das Zurücktreten des Lehrerurteils, das unbefangene Sichervordrängen der kindlichen Gedanken- und Gefühlswelt, die sich dann entfaltet und schult an der Eroberung der Umwelt. Die Hauptaufgabe des Erziehers wird hier, über der Auswahl der Aufgaben zu wachen, die Umgebung schön zu gestalten und selber sittlich zu leben. In ähnlicher Weise, natürlich mit entsprechend anderem Stoff, geht der Unterricht der erwachsenen Schüler vor sich. An Stelle des anderswo üblichen Vortrags tritt das selbständige Studium und die Aussprache nach sokratischer Methode, die den Schüler zwingt, seine eigenen Gedanken zu verfolgen, und die ihm zugleich die Möglichkeit gibt, gemeinsam mit den Kameraden die richtige Überzeugung zu suchen und zu finden. In einem solchen Unterricht brechen Phrasen und Angelerntes unter der freien Kritik und dem eigenen besonnenen Urteil zusammen. Aber es gilt, eine harte Arbeit zu leisten, ehe die durcheinander schwirrenden Gedanken geordnete wissenschaftliche Wege einschlagen, Die Naturwissenschaften sind eine gute Vorschule dafür. Naturwissenschaftliche Fragen stehen darum am Eingang der wissenschaftlichen Arbeit und werden erst, nachdem der Schüler einige Sicherheit im selbständigen Denken gewonnen hat, von schwierigeren Fragen aus der Volkswirtschaftslehre, der Geschichte oder der Philosophie abgelöst.
Mindestens ebenso zurückhaltend wie bei den Kindern muß der Lehrer hier mit dem eigenen Urteil sein. Denn durch den Gedächtnisdrill der heute üblichen Erziehung ist den Erwachsenen die Unabhängigkeit des Denkens bereits verloren gegangen, während es bei dem Kinde nur gilt, diese Unabhängigkeit zu erhalten und zu festigen. Und die Lebensgemeinschaft? Weil alle Lehrer und Schüler in der Walkemühle sich darin einig sind, daß sie bei hinreichender Anstrengung durch ihr wissenschaftliches Arbeiten nicht nur die Wahrheit finden können, sondern daß ihre Kraft auch ausreicht, der Wahrheit gemäß zu handeln, darum vereinigt die Lehrenden und Lernenden in dieser Schule nicht nur eine geistige Gemeinschaft, sondern zugleich eine Gemeinschaft der Tat, die darin besteht, das eigene Leben nach den erarbeiteten Erkenntnissen zu gestalten. Selber Verantwortung zu übernehmen und sich nicht einfach gängeln zu lassen von Meinungen, Sitten, Gewohnheiten oder auch von äußeren Gewalten, das ist in der Tat das Ziel und der Erfolg dieser Art von Erziehung. Kein Fleisch mehr zu essen, weil es auch ein Recht der Tiere gibt; die Kirche zu bekämpfen, weil sie das Recht des Menschen, zu einem selbständigen geistigen Leben zu erwachen, mit Füßen tritt; also gegen die Ausbeutung jeglicher Art die Kräfte anzuspannen, das ergibt sich für den in dieser Weise Erzogenen als eine unabweisbare Forderung.
Die heute herrschende Meinung geht dahin, daß eine Erziehung zur Verantwortung nur in einer demokratisch organisierten Gemeinschaft aufgebaut werden könnte. Und doch beruht diese Meinung auf einem Irrtum. Man verkennt dabei, daß das Verantwortungsgefühl sich da nicht entwickeln kann, wo der zu Erziehende nicht die Möglichkeit hat, zu tun, was er für richtig hält. Wie kann ich Verantwortung übernehmen für ein Geschehen, das gar nicht von meiner Einsicht, sondern vom „Willen der Gemeinschaft“ abhängt? Und man verkennt ferner, daß auch die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen, nicht genügt, wenn der zu Erziehende sich an Aufgaben begibt, denen er nicht gewachsen ist und an denen er dann meist entweder verzagt oder die ihn, falls er sie dennoch wagt, zur Verantwortungslosigkeit verführen. Wer aber soll die Aufgaben mit ihm auswählen? Wie soll er sich schulen, Verantwortung zu übernehmen? In vernünftiger Weise kann dieses schwere Amt nur in einer führerschaftlichen Organisation geübt werden, d.h. in einer Gemeinschaft, die klar erkennen läßt, wer die Verantwortung trägt, welche Anforderungen das Amt seinem Verwalter auferlegt und wie Erfolge und Mißerfolge verwertet werden. Darum ist die Walkemühle nicht demokratisch, sondern auf dem Grundsatz der Führerschaft aufgebaut. Sie ist so zugleich der Prüfstein für die Möglichkeit einer vernünftigen Führerschaft überhaupt.

Ob eine „autoritätslose Lebens- und Arbeitsgemeinschaft“ in einer „führerschaftlichen Organisation“ nicht einen Widerspruch in sich bedeutet, wurde nicht thematisiert.

Der Tagesablauf { http://www.allerart.de/walkemuehle/walkemuele-18.html } Vorlage:GIpdf 68 in der Walkemühle unterlag strengen Regeln. Wer z.B. zum gemeinsamen Mittagessen zu spät kam „… musste allein in der Küche essen und hatte dann anschließend noch Strafspülen; der löste dann den ab, der eigentlich dafür eingeteilt war. Wir wollten nicht gestört werden, und das war aber ein Mittel, um das zu verhindern; und das war ja auch nötig, wenn zwanzig, dreißig Erwachsene zusammen aßen, oder die zwanzig Kinder, die zum Schluss da waren. …“

Andererseits wurden den Kindern auch ungewöhnliche Freiheiten gewährt: „Nelsons Forderung, durch größte Zurückhaltung der Lehrer die Entfaltung der Kräfte der Kinder zu fördern und ihr Vertrauen in sich selber zu stärken, bedeutete nicht, dass die Schüler als hemmungslose Wilde aufwachsen sollten. Aber man versuchte, mit einem Minimum an Regeln auszukommen und möglichst mit solchen, für die man Verständnis bei den Kindern schon fand oder im Laufe der Zeit leicht wecken konnte. Zum Teil gaben sich die Kinder selber ihre »Gesetze«, meistens auf Grund irgendwelcher als störend empfundenen Vorkommnisse oder Übergriffe.“ { http://www.allerart.de/walkemuehle/walkemuele-19.html } Vorlage:GIpdf 73 Dieser Text geht im Original folgendermaßen weiter: „… Gelegentlich wurde der Zustand »unbeschränkter Freiheit« verkündet. […] Kam der Vorschlag von den Erwachsenen, die erproben wollten, wie weit das Gemeinschaftsleben ohne Regeln und Gesetze funktioniere, oder kam er von den Kindern, die sich einmal von allen Beschränkungen frei wissen wollten? Zunächst begann ein Toben, bei dem mancher Schaden angerichtet wurde, auch von Kindern, die durchaus mit dem Wert von Sachen vertraut waren. Mehr oder weniger ruhig verfolgten die Erwachsenen den Lauf der Dinge. Aufstehen? Sich waschen? Betten machen? Schuhe putzen? Rechtzeitig zu den Mahlzeiten gehen? Bei deren Zubereitung gar helfen? – Wozu? Wir haben Freiheit! Türen schlagen, Kissenschlachten, Matratzenspringen, alle möglichen Streiche, tagelang lesen oder sonstigen Liebhabereien frönen. ... Aber dann begann das Pendel zurückzuschwingen. Der eine fühlte sich in seiner freien Betätigung gestört durch die freie Betätigung des anderen. Und schließlich wurde es auch langweilig. Man vermißte den Unterricht und den Umgang mit den Erwachsenen. Denn diese hielten sich zurück, um das Experiment nicht zu stören – soweit sie nicht aus Sorge um die kleineren Kinder dann und wann einen Blick in das Freiheitsparadies warfen. So kam das eine oder andere der Kinder mit dem Vorschlag, man wolle doch über gewisse Regeln sprechen. (Nach Jahren erzählte eines der Kinder, wie sie einmal schon längst »genug« gehabt, aber die Sache fortgeführt hätten, nachdem eine ein wenig ängstliche Lehrerin sie fragte, ob sie nicht endlich ein Ende machen wollten.)“

Der Text stammt aus dem Aufsatz: „Gedanken über die Walkemühle“ Vorlage:Hanna Bertholet von Hanna Bertholet/Fortmüller, { http://www.philosophisch-politische-akademie.de/ppamit/bertholeth.html } deren Tochter Haide Fortmüller von Mai 1930 bis März 1933 Vorlage:Mayr in der Walkemühle lebte und später auch die Nachfolgeschule in Östrupgaard (Dänemark) besuchte. Vorlage:Nielsen Beim dortigen Besuch ihres Sohnes Roger { http://www.rogerplatiel.com/Catalogue-raisonne-Roger-Platiel-oeuvre-graphique-index.html#bio } am 2./3. Juli 1936 notierte Nora Block { https://de.wikipedia.org/wiki/Nora_Platiel } im Gästebuch: „Der freie Mensch ist der, der keine Gesetze braucht, – aber Gesetzte hat.“ Vorlage:Nachlass Minna Specht 1/MSAE000073 Hanna Fortmüller heiratete später René Bertholet, der von 1928 bis 1931 in der Walkemühle war. Vorlage:Mayr Kaum eine andere Familie hatte derart viele Erlebnisse bzw. Erfahrungen bezüglich der Walkemühle sammeln können. Zeitweilig bestand ein Kontaktverbot zwischen Mutter und Tochter in der Walkemühle. Vorlage:Hansen-Schaberg S 52 F 156

Minna Specht formulierte 1942 im englischen Exil einen Rechenschaftsbericht über die Walkemühle, aus dem Hansen-Schaberg ausführlich zitiert: Vorlage:Hansen-Schaberg 190 ff „ Aber sie [d.h. Specht] räumt auch Fehler besonders bezüglich der Eingriffe in die Privatsphäre der Schüler ein: „Die Anforderungen an persönliche Einschränkungen – wie z.B. der Verzicht auf persönlichen Briefwechsel – die Abschließung der Schule gegen Gäste, … die fast ununterbrochene Anspannung durch Dienstleistungen, all dieses ließe sich heute auf der gesicherten Grundlage von Erfahrungen und mit größerer Selbsttätigkeit einrichten.“ Specht sah die Relevanz dieser Problematik jedoch als nebensächlich an: „… dies sind psychologische Verbesserungen, die den Grundgedanken, den der moralischen Verantwortung jedes Einzelnen für die sozialistische Arbeit nicht berühren.“ Das war eine längere, wohlabgewogene schriftliche Darlegung von 1942; 1945 äußerte sich Specht wörtlich bei der ersten Begegnung mit Willi Schaper nach der Nazizeit in der Walkemühle spontan deutlicher: „Wir haben es ja auch toll genug getrieben!“ Sie fügte hinzu: „Ich hätte meine Kinder nicht in die Walkemühle gegeben.“ Vorlage:Nachlass Specht 1/MSAE000087

Zusätzliche „Anforderungen an persönliche Einschränkungen“ waren Alkohol- bzw. Nikotinverbot und die „Bindungslosigkeit“ der Mitglieder des ISK in der Walkemühle. Vorlage:Behrens-Cobet 19 Bindungslosigkeit bedeutete sowohl Verzicht auf sexuelle Kontakte als auch das Verbot etwa des brieflichen Kontaktes mit Angehörigen. Diese Regel führte nicht nur zu Tränen, sondern auch zu Ausschlussverfahren aus dem ISK. Vorlage:Behrens-Cobet 19 Vorlage:Hansen-Schaberg S 52 F 156 In einer führerschaftlich strukturierten Organisation ist das Orwellsche Prinzip „All animals are equal, but some animals are more equal than others“ { https://de.wikipedia.org/wiki/George_Orwell } nicht nur konsequent, im ISK wurde es auch praktiziert: Ein Verstoß gegen die „Bindungslosigkeit“ führte z.B. zum Ausschluss einzelner Mitglieder aus dem ISK. „Erna Blencke { http://www.philosophisch-politische-akademie.de/ppamit/blencke.html } zum Beispiel wurde von Willi Eichler { https://de.wikipedia.org/wiki/Willi_Eichler } zeitweilig aus der Organisation ausgeschlossen, weil sie eine Postkarte an einen Helfer der Walkemühle mitverfaßt hatte und dadurch das Kontaktverbot durchbrochen hatte.“ Vorlage:Behrens-Cobet 19 Vorlage:Nachlass Minna Specht, 1/MSAE000036 Andererseits war aber die Mutter von Minna Specht, Mathilde, von 1923 bis zu ihrem Tode 14. 11. 1926 Vorlage:Hansen-Schaberg S 39 F102 Vorlage:Mayr in der Walkemühle gemeldet, ebenso wie ihr Neffe Heinrich von Dezember 1929 bis Ende März 1930. Vorlage:Mayr Darüber hinaus kam er mehrfach „in den Ferien“ in die Walkemühle. Vorlage:Schiemann 356 Der Vater von Leonard Nelson, Heinrich, wohnte vom Juli 1923 bis zu seinem Tode am 25. April 1929 in der Walkemühle. Vorlage:Mayr Die sich aus der Abgeschiedenheit ergebenden Konflikte bei den Erwachsenen im ISK beschrieben ausführlich Hanna Bertholet Vorlage:Hanna Bertholet und Lindner in dem Abschnitt „Die Wirkung der Nelson‘schen Lehren und deren totalitärer Charakter“. Vorlage:Lindner 27 ff

1.1.2.2 politisches Umfeld Die Bewohner der Walkemühle betätigen sich gemäß den Prinzipien der „Gemeinschaft der Tat“ in den umliegenden Gemeinden politisch, was von der Obrigkeit misstrauisch beobachtet wurde. So berichtete der Landrat des Kreises Melsungen an den Regierungspräsidenten in Kassel Vorlage:HStAM, 180 Melsungen, 2405 über die Reichstagswahlergebnisse und deren Ursachen am 26. 9. 1930 bzgl. der Gemeinde Adelshausen: „… Stark kommunistische Einstellung, die in der Agitation des Landerziehungsheimes Walkemühle und in Personalbestände [d]er Anstalt ihre Träger hat. Dagegen fällt die vollständig negative Arbeit der NSDAP auf. Ursache: Jede Versammlungstätigkeit in Adelshausen wird von der Walkemühle und hervorragend politisch interessierten und geschulten Arbeiterschaft schlagfertig und nachhaltig diskutiert. Im Übrigen hat der frühere Leiter der Walkemühle, Oberlehrer Wunder, in Adelshausen eine im Sinne der SPD rührig tätige und gut geschulte Organisation hinterlassen, sodass es gelang, der NSDAP-Bewegung in Adelshausen »das Wasser abzugraben«“.

Am 15. Juni 1932 wandte sich Minna Specht an den Regierungspräsidenten in Kassel „… Sie werden verstehen, dass die politische Entwicklung uns mehr als in einer Hinsicht mit Sorge um die Weiterentwicklung der Schule erfüllt. Andererseits ist die Entwicklung des Landerziehungsheims auf so glücklicher Bahn, dass ich den 21 Kindern hier wünschen möchte, ihnen bliebe diese Erziehungsstätte erhalten.“ Specht schließt den Brief in der Hoffnung, dass „ … ein Wort von Ihnen bei denjenigen, die in unserem Landkreis die Macht für die politische Ordnung haben, eine Festigung und Beruhigung in Bezug auf die Walkemühle erzeugen wird. Ich wäre Ihnen im Interesse der ungestörten Weiterführung der Schule dankbar, wenn Sie uns diese Unterstützung gewähren würden. …“ Vorlage:HStAM 180 Melsungen 3729, Blatt 4 Die umgehend formulierte Antwort des Regierungspräsidenten zeugt von Unverständnis. Vorlage:HStAM 180 Melsungen 3729, Blatt 5

1.1.3 Bewohner Die folgenden Angaben bzgl. der Aufenthaltszeiten in der Walkemühle stammen aus dem „Auszug aus dem Melderegister der Gemeinde Adelshausen, Kreis Melsungen, über die von 1921 – 1933 für die Walkemühle gemeldeten Personen“, das 1962 von Max Mayr { https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Mayr } erstellt wurde. Mayr war lange Jahre als Häftling im KZ Buchenwald { https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Buchenwald } Kommandiertenschreiber. In dem Verzeichnis sind die Namen von 193 Personen aufgeführt. Mayr bemerkte zu dem Melderegisterauszug: „… Immerhin hatte es uns schon immer gewundert, dass die Gestapo { https://de.wikipedia.org/wiki/Geheime_Staatspolizei } s.Zt. offenbar keinen Gebrauch davon gemacht hat, sonst wären doch viele Prozesse gegen unsere Freunde ganz gewiss kompletter gewesen und anders verlaufen.“ Vorlage:Mayr Im März 1933 waren noch 36 Personen in der Walkemühle gemeldet, darunter 22 Kinder. Vorlage:HStAM 180 Melsungen 3729, Blatt 23 Von den bei Wikipedia erwähnten ISK-Mitgliedern, { https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:ISK-Mitglied } waren viele auch zu Kursen in der Walkemühle, ohne dort im Einwohnerverzeichnis extra notiert zu sein. Mit den seiner Zeit benutzten Bezeichnungen werden hier einige ausgewählte Bewohner aufgeführt als Lehrer, Helfer oder Schüler. Helfer waren ausgebildete Arbeiter bzw. Handwerker, meist Schlosser oder Schreiner, die in den Werkstätten der Walkemühle für den Eigenbedarf des Landerziehungsheims arbeiteten, aber insbesondere den Schülern handwerkliche Grundfertigkeiten beibrachten; manche Helfer nahmen zeitweise auch an Kursen für die erwachsenen Schüler teil. Schüler waren einerseits schulpflichtige Kinder, teilweise noch im Kindergartenalter; andererseits erwachsene Berufstätige. Erwachsene Schüler mussten ebenso wie die Helfer über aktive politische Erfahrungen verfügen, etwa in Gewerkschaften, im Arbeiter-Abstinenten-Bund { https://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Arbeiter-Abstinenten-Bund } oder im Freidenkerverband { https://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Freidenker-Verband } bevor sie ausgewählt von lokalen Gruppen des ISK in die Walkemühle kommen konnten mit dem Ziel später als Funktionäre des ISK zu arbeiten. In der folgenden Liste sind neben den Aufenthaltszeiten in der Walkemühle noch beispielhafte Angaben über spätere politische bzw. berufliche Betätigung angeführt. Zu fast allen der nun Genannten finden sich auch bei Rüther Vorlage:Rüther 551-630 teilweise ausführliche biografische Hinweise.

1.1.3.1 Lehrer Fritz Eberhard geb. Hellmuth Freiherr von Rauschenplat { https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Eberhard } { http://www.philosophisch-politische-akademie.de/ppamit/eberhard.html } 1948-1949 Mitglied des Parlamentarischen Rates, { https://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentarischer_Rat } 1949-1958 Intendant des Süddeutschen Rundfunks 18. 11. 1924 – 22. 6. 1925, 12. 10. 1925 – 9. 5. 1933

Willi Eichler { https://de.wikipedia.org/wiki/Willi_Eichler } { http://www.philosophisch-politische-akademie.de/ppamit/eichler.html } 1947-1968 Vorstandsmitglied der SPD, Mitglied des Landtages NRW, { http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/Webmaster/GB_I/I.1/Abgeordnete/Ehemalige_Abgeordnete/details.jsp?k=00338 } des Deutschen Bundestages und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates { https://de.wikipedia.org/wiki/Europarat } bis 1953 14. 6. 1922 – 12. 6. 1923

Wilhelm Fuhrmann Vorlage:Rüther 578 Dezember 1943 bis Dezember 1945 US-Soldat im Pazifikkrieg, später Gewerkschaftssekretär in New York 17. 6. 1929 – 30. 3. 1930

Paul Goosmann { https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Goosmann } { http://www.philosophisch-politische-akademie.de/ppamit/goosmann.html } Professor an der Pädagogischen Hochschule Bremen, später Universität Bremen 10. 10. 1926 – 13. 6. 1927

Gustav Heckmann { https://de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Heckmann } { http://www.philosophisch-politische-akademie.de/ppamit/heckmann.html } 1946-1982 Professor für Philosophie und Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Hannover 9. 10. 1927 – 3. 5. 1933

Grete Henry-Hermann { https://de.wikipedia.org/wiki/Grete_Hermann } { http://www.philosophisch-politische-akademie.de/ppamit/henry.html } 1950-1966 Professorin für Philosophie und Physik an der Pädagogischen Hochschule Bremen 6. 11. 1927 – 3. 5. 1928, 24. 3. 1933 – 20. 4. 1933

Hans Lewinski Vorlage:Rüther 599 8. 5. 1932 – 21. 3. 1933

Julie Pohlmann Vorlage:Rüther 609 1.3. 1923 – 19. 4. 1933

Minna Specht { https://de.wikipedia.org/wiki/Minna_Specht } { http://www.philosophisch-politische-akademie.de/ppamit/specht.html }

{ https://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/newsletter/newsletter/NL%202006/NL%2001%202006/html12006/specht.html } 1946-1951 Leiterin der Odenwaldschule, { https://de.wikipedia.org/wiki/Odenwaldschule } ab 1952 Mitarbeiterin im UNESCO-Institut für Pädagogik in Hamburg { https://de.wikipedia.org/wiki/UNESCO_Institute_for_Lifelong_Learning } und im Exekutivausschuss der deutschen UNESCO-Kommission { https://www.unesco.de/ueber-uns/deutsche-unesco-kommission.html } 5. 11. 1923 – 19. 4. 1933

Liselotte Wettig {{{ Liselotte Wettig: Das Problem der Strafe in der Erziehung. Ravensburg: O. Maier, 1949 }}} 8. 12. 1927 – 24. 3. 1933

Ludwig Wunder { https://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Wunder } nach 1945 kurzzeitig kommissarischer Bürgermeisters von Michelbach 15. 5. 1921 – 29. 12. 1924

1.1.3.2 Helfer und Schüler

Hermann Beermann { https://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/gewerkschaften/dgb-beermann.htm } { http://www.philosophisch-politische-akademie.de/ppamit/beermann.html } 1962-1969 stellvertretender Vorsitzender des DGB 29. 2. 1928 – 18. 11. 1929

René Bertholet { http://www.philosophisch-politische-akademie.de/ppamit/bertholetr.html } { http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/f/F44484.php } Nach 1944 Mitarbeiter des Schweizerischen Arbeiterhilfswerkes und 1950 Gründer von Genossenschaften in Brasilien { http://www.historiadealagoas.com.br/rene-bertholet-e-a-colonia-pindorama.html } 2. 6. 1928 – 27. 3. 1929, 17. 5. 1930 – 29. 3. 1931

Alexander Dehms { https://de.wikipedia.org/wiki/Alexander_Dehms } { https://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/nachlass/nachlass_d/dehms-al.htm } 1951-1967 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses; 1975 Stadtältester von Berlin { https://de.wikipedia.org/wiki/Stadtältester_von_Berlin } 24. 5. 1924 – 10. 9. 1927

Allan Flanders { https://de.wikipedia.org/wiki/Allan_Flanders } 1949 Senior Lecturer in Industrial Relations in Oxford, 1964 Fellow Nuffield College Oxford 23. 7. 1929 – 30. 3. 1930, 16. 5. 1930 – 13. 10. 1930, 3. 5. 1931 – 2. 12. 1931

Hanna Fortmüller/Bertholet { www.philosophisch-politische-akademie.de/ppamit/bertholeth.html } Leiterin der Verlage Öffentliches Leben und Europäische Verlagsanstalt { https://de.wikipedia.org/wiki/Europäische_Verlagsanstalt } 25. 5. 1930 – 29. 3. 1931

Werner Hansen geb. Wilhelm Heidorn { https://de.wikipedia.org/wiki/Werner_Hansen } 1947 bis 1956 Vorsitzender des DGB-Bezirks Nordrhein-Westfalen und bis 1969 Mitglied des DGB-Bundesvorstandes 12. 11. 1928 – 26. 3. 1929

Mascha Oettli { http://www.philosophisch-politische-akademie.de/ppamit/oettli.html } { http://findmittel.ch/archive/archNeu/Ar147.html } 1952-1970 Zentralsekretärin der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz 26. 4. 1928 – 7. 3. 1929, 1. 8. 1930 – 7. 4. 1931

Nora Platiel geb. Block { https://de.wikipedia.org/wiki/Nora_Platiel } { http://www.philosophisch-politische-akademie.de/ppamit/platiel.html } { http://www.lagis-hessen.de/pnd/118902288 } 1951 Landgerichtsdirektorin in Kassel, 1954-1966 Mitglied des Hessischen Landtags, 1960-1966 Vorsitzende der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag 27. 7. 1925 – 8. 9. 1925

Willi Schaper Vorlage:Rüther 616 Treuhänder des ISK für den Wiederaufbau der Walkemühle 1945 – 1948 25. 7. 1927 – 22. 3. 1930

Hellmuth Schmalz { https://de.wikipedia.org/wiki/Hellmut_Schmalz } 1959-1968 Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Gartenbau, Land- und Forstwirtschaft 20. 4. 1925 – 27. 4. 1925

Nora Walter { http://www.philosophisch-politische-akademie.de/ppamit/walter.html } { https://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/nachlass/nachlass_w/walter-no.htm } 1982-2001 Zweite Vorsitzende der Philosophisch-Politischen Akademie { https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophisch-Politische_Akademie } 2. 5. 1932 – 21. 3. 1933

Willi Warnke Vorlage:Rüther 627 1946-1972 Stadtverordneter in Kassel, 1967-1972 stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher, 1972 Stadtältester { https://de.wikipedia.org/wiki/Stadtältester#Bundesland_Hessen } von Kassel 1. 6. 1931 – 19. 4. 1933

1.1.4 Besetzung März 1933 Am 14. März 1933 besetzte Polizei und SA die Walkemühle. Der Landrat von Melsungen berichtete ausführlich am gleichen Tage an den Regierungspräsidenten in Kassel und empfahl u.a. dass „… die Genehmigung zur Aufnahme von grundschulpflichtigen Kindern in der Anstalt wieder zurückgezogen wird, da zweifellos feststeht, dass die geistige Beeinflussung und Erziehung in der Walkemühle im scharfen Gegensatz zu deutschen und christlichen Grundsätzen steht. […] Denn wenn auch die in der Bevölkerung umgehenden Gerüchte über Waffenlager in der Walkemühle, Treffpunkt auswärtiger Kommunisten u.ä. nach dem Ergebnis zweimaliger sorgfältiger Haussuchungen nicht zutreffend sind, so bildet die Walkemühle doch einen sehr unerwünschten Unruheherd. …“ Vorlage:HStAM 180 Melsungen 3729, Blatt 6-8 Im „Handbuch des Kreises Melsungen 1934“ Vorlage:Kreis Melsungen liest sich das dann so: „Schon lange war es bekannt, daß das internationale Erziehungsheim Walkemühle bei Adelshausen eine kommunistische Brutstätte bildete. Am 14. März erschien staatliche Polizei vor dem Heim, die die Schule mit Unterstützung von Hilfspolizei und SA. besetzte. Die einzelnen Räume der Anstalt wurden durchsucht und mehrere Aktenstücke beschlagnahmt. Nach der Durchsuchung blieb die Walkemühle besetzt. Sie dient jetzt [d.h. 1934] der NSDAP. als politische Führerschule. Die Geschäftsstelle der SA.⸗Standarte 173 { http://www.lagis-hessen.de/de/subjects/drec/current/44/sn/edb/mode/catchwords/lemma/SA } wurde in der Walkemühle untergebracht. Die zahlreichen Räume boten in den ersten Wochen nach der nationalen Erhebung auch Unterkunftsmöglichkeit für politische Schutzhäftlinge, { https://de.wikipedia.org/wiki/Schutzhaft } die zu ihrer eigenen Sicherheit gegen die Volkswut hier in Haft genommen wurden.“ Minna Specht erinnerte sich 1944 folgendermaßen: Vorlage:Hansen-Schaberg S 69 F 248 Vorlage:Feidel-Mertz (1983) S 92-103 Vorlage:Nielsen 45 „An einem Morgen im März 1933 ergriffen die Nazis von der Walkemühle Besitz. Als ich in das Zimmer zurückkehrte, von dem aus die Kinder die ungewöhnlichen Vorgänge – Uniformen, Waffen, Kommandos – beobachtet hatten, wurde ich von ihnen mit der bangen Frage empfangen: «Wohin gehen wir nun?» In dieser mißlichen Lage schossen mir verschiedene Möglichkeiten durch den Kopf, und ich sagte dann: «Ich will versuchen, in Dänemark ein neues Heim zu finden.» Mir schwebte ein unklares, aber hoffnungsvolles Bild von einem friedlichen, einfachen Land vor. Die Art, wie die Augen der Kinder aufleuchteten, gab mir das Gefühl, ihnen gegenüber im Wort zu stehen und sie nicht enttäuschen zu dürfen.“ Die 22 Kinder wurden daraufhin vorsorglich zu ihren Eltern zurückgebracht. Im Herbst 1933 begann mit zehn der Kinder unter Obhut von Minna Specht, Mary Saran, { https://de.wikipedia.org/wiki/Mary_Saran } Liselotte Wettig und später auch Gustav Heckmann ein „Sozialistischer Schulversuch im dänischen Exil 1933-1938“. Vorlage:Nielsen

Die Kasseler Post berichtete am 1. 7. 1933 Vorlage:Kasseler Post, 1. 7. 1933, in: HStAM 180 Melsungen 3729 Blatt 71 „Das Rüstzeug zum Führer bietet die Amtswalterschule in der Walkemühle“. Die Zeitung lobte die auf das „beste eingerichteten Räume“ und bemerkte dann „… eine Bibliothek, die mit 5000 Bänden ausgestattet ist. Viel zersetzendes Material, aber auch wertvolle Bücher sind da zu finden. Zur Zeit sind in der Walkemühle noch einige Melsunger Schutzhäftlinge untergebracht. Nach ihrer Aussage haben sie über die Unterbringung und Verpflegung nicht zu klagen. Welcher Geist in dieser kommunistischen Schule herrschte, beweist die Aussage eines neunjährigen Jungen, der Standartenführer { https://de.wikipedia.org/wiki/Sturmabteilung#Dienstränge } Wagner auf eine religiöse Frage antwortete, daß Gottesglaube ein Märchen und Irrwahn der Menschheit sei. […] Sämtliche Amtswalter des Gaues müssen an den Schulungskursen teilnehmen, ausgenommen die Kreisleiter { https://de.wikipedia.org/wiki/Struktur_der_NSDAP#Kreisleiter } und Kreisschulungsleiter, die die neugegründete Reichsführerschule in Bernau { https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesschule_des_Allgemeinen_Deutschen_Gewerkschaftsbundes#1930.E2.80.932001 } besuchen.“

1.2 1933 – 1945 1.2.1 Gauführerschule Über die Walkemühle in der die Nazizeit gibt es nur wenige, leicht zugängliche Berichte: Thomas Schattner schrieb 2008 in der Schwalm-Eder Ausgabe der Hessisch-Niedersächsischen-Allgemeinen unter der Hauptüberschrift „Vor 75 Jahren: Nazis eröffneten Funktionärsschule samt Folterkeller bei Melsungen“ zwei Artikel: „Jeden Morgen gab es Prügel. Im Keller der Mühle wurden Häftlinge gequält.“ und „Kaderschmiede in der Mühle. Ab 1. Juli 1933 schulten die Nazis ihre Funktionäre in der Walkemühle bei Melsungen.“ { http://www.stolpersteine-melsungen.de/fileadmin/user_upload/Christiane/Juedischer_Friedhof/Walkemuehle/20080630.MG.HNA.12.pdf }

Der folgende Absatz, zuerst der Lesbarkeit wegen, ohne Zitathinweise, danach mit grün gefärbten Links: Misshandlungen von politischen Gefangenen durch Nazis in Walkemühle werden u.a. erwähnt in dem Buch „Das Konzentrationslager Breitenau: ein staatliches Schutzhaftlager 1933/34“ von Dietfrid Krause-Vilmar. Dieter Hoppe von der „Stolperstein-Initiative Melsungen“ hat eine Seite „Die Schutzhaftgefangenen des Konzentrationslagers Breitenau 1933/1934“ mit Hinweisen zur Walkemühle zusammengestellt.

Misshandlungen von politischen Gefangenen durch Nazis in Walkemühle werden u.a. erwähnt in dem Buch { http://kobra.bibliothek.uni-kassel.de/bitstream/urn:nbn:de:hebis:34-2008120825306/1/KrauseVilmarBreitenau.pdf } Vorlage:Das Konzentrationslager Breitenau. Zur Geschichte eines staatlichen Schutzhaftlagers 1933/1934. Marburg 1998. 2. Aufl. 2000. „Das Konzentrationslager Breitenau: ein staatliches Schutzhaftlager 1933/34“ von Dietfrid Krause-Vilmar { https://www.uni-kassel.de/fb01/institute/erziehungswissenschaft/fachgebiete/websites-emeritierter-und-pensionierter-professorinnen/prof-dr-dietfrid-krause-vilmar.html } . Dieter Hoppe von der „Stolperstein-Initiative Melsungen“ { http://www.stolpersteine-melsungen.de/index.php?id=351&L= } hat eine Seite { http://www.stolpersteine-melsungen.de/index.php?id=159&L=http%3A%2F%2F195.2.253.86%3A3338%2Fmedia%2FCaXoI.jpg%3F } „Die Schutzhaftgefangenen des Konzentrationslagers Breitenau { https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Breitenau } 1933/1934“ mit Hinweisen zur Walkemühle zusammengestellt. Jechiel Ogdan und Dieter Vaupel berichten von Folterungen in der Walkemühle an Bewohnern aus Spangenberg in dem Buch: „«Sie werden immer weniger!» Die Geschichte der jüdischen Gemeinde Spangenberg“. Vorlage:Ogdan 65

Am 23. 5. 1934 wurde die Philosophisch-politische Akademie (PPA) als Eigentümerin der Walkemühle zu Gunsten des Preußischen Staates enteignet. Das Nutzungsrecht wurde der NSDAP übertragen. Der Preußische Staat wurde auch Eigentümer der wertvollen, ca. 4500 Bücher umfassenden Bibliothek. Sie wurde als Leihgabe der Landesbibliothek in Kassel zur pfleglichen Aufbewahrung als eine geschlossene Bibliothek überlassen, die zur geeigneten wissenschaftlichen Verwertung zugänglich sein soll. Vorlage:HStAM 180 Melsungen 3729 Blatt 232 Das Wiedergutmachungs- bzw. Entschädigungsverfahren der PPA bzgl. der Walkemühle und insbesondere bzgl. der Bibliothek zog sich bis in die 60-Jahre hin: Per Kabinettsbeschluss der Hessischen Landesregierung erhält die PPA 20.000 DM Entschädigung. Vorlage:HHStAW 518 4511, Blatt 60-63 Ein letzter Bescheid der Oberfinanzdirektion Frankfurt ergeht schließlich am 7. 1. 1965. Vorlage:HHStAW 518 4511, Blatt 64-66 Die Gauführerschule Walkemühle diente unterschiedlichsten Zwecken der NSDAP und ihrer angeschlossenen Organisationen; z.B. als Lehrerlager Vorlage:Kraas 238, Müller 37b oder für Tagungen des Hessischen Geschichtsvereins. { http://orka.bibliothek.uni-kassel.de/viewer/image/1289911336242_0050/56/ } Während des Zweiten Weltkrieges fanden Wehrertüchtigungslager { https://de.wikipedia.org/wiki/Wehrertüchtigungslager } der HJ { https://de.wikipedia.org/wiki/Hitlerjugend } statt. Im Oktober 1935 beantragte der Leiter der Gauführerschule, Standartenführer Wagner, beim Landrat von Melsungen die „Umbettung“ der Gräber von Leonard und Heinrich Nelson sowie von Erich Graupe vom Gelände der Walkemühle, da „… für die Gauführerschule und die Lehrgangsteilnehmer der dauernde Anblick dieser Gräber staatsfeindlicher, nichtarischer Toter unerträglich sei“. { http://www.stolpersteine-melsungen.de/index.php?id=440 } { http://www.allerart.de/walkemuehle/walkemuele-21.html } Vorlage:GIpdf 99 ff Vorlage:HStAM, 180 Melsungen 3729, Blatt 265

In dem Verzeichnis { http://dfg-viewer.de/show/?id=8071&tx_dlf[id]=http%3A%2F%2Fdigitalisate.hadis.hessen.de%2Fhhstaw%2F365%2F596.xml&tx_dlf[page]=35 } der Gräber des Jüdischen Friedhofs von Melsungen { http://www.stolpersteine-melsungen.de/index.php?id=400&L=%22 } sind 1938 auch die Gräber von Heinrich und Leonard Nelson notiert. Die Urne von Erich Graupe wurde 1945 im Schutt auf dem Friedhof von Adelshausen gefunden { http://www.allerart.de/walkemuehle/walkemuele-21.html} Vorlage:GIpdf 99 ff und dann auf den Friedhof nach Melsungen überführt.

1.2.1.1 Zerstörung 1945 Die Ende März 1945 auf Kassel vorrückende 6. US Panzerdivision { http://www.super6th.org/ } { https://en.wikipedia.org/wiki/6th_Armored_Division_(United_States) } entdeckte am 31. März (Ostersonnabend) bei Malsfeld, { https://de.wikipedia.org/wiki/Malsfeld } ca. 30 km südlich von Kassel, über die Fulda eine nur wenig beschädigte Straßenbrücke, { http://www.super6th.org/hist6th/map23.gif } die innerhalb von zwölf Stunden repariert werden konnte. Ca. 2 km nordöstlich im west-östlich verlaufenden Pfieffetal liegt die Walkemühle vor dem Dorf Adelshausen. Die Fuldabrücken im benachbarten Melsungen waren von den sich zurückziehenden deutschen Truppen gesprengt worden. { http://stolpersteine-melsungen.de/index.php?id=589 } Am 1. April ging es „… gut voran bis nach Adelshausen, wo feindliche Artillerie mit Panzerfäusten den Vormarsch verlangsamte. Dieser Widerstand wurde sehr schnell überwunden und die Kolonne stieß bis an den westlichen Rand von Spangenberg vor. …“ { http://www.super6th.org/CCB/ccb_history.pdf page 82 } Die 6. US Panzerdivision war im Juni 1944 in der Normandie gelandet und erreichte im April 1945 die Saale. { http://www.super6th.org/campmap/sixer_campaign_map_1945.jpg } Am 2. April überquerten weitere Truppenteile die Fulda bei Malsfeld: „Alle Einheiten wurden bombardiert und gerieten in Tieffliegerbeschuss durch die Luftwaffe. Es war tatsächlich der stärkste feindliche Luftangriff im gesamten Vormarsch der Division.“ Vorlage:Hofmann 377 Nach mündlichen, deutschen Berichten steckten Hitlerjungen die westlichen Teile der Walkemühle, insbesondere das Lehrgebäude und die alte Mühle in Brand, in der Absicht den Vormarsch der Amerikaner „aufzuhalten“. Vorlage:GIpdf 106

1.3 1945 – 1951

1.3.1 Wiederaufbau Am 15. Mai 1945 kam das frühere ISK-Mitglied Heinrich Meyer Vorlage:Meyer auf dem Heimweg von Hamburg nach Frankfurt an der Walkemühle vorbei und erwirkte bei der amerikanischen Militärverwaltung in Melsungen eine Treuhänderschaft für die Walkemühle: „… Für die zuletzt als Wehrertüchtigungslager der HJ. verwendete Walkemühle (Eigentum der NSDAP) ist seitens der Militärregierung ein Treuhänder bestimmt, der diesen Besitz im Auftrag der Militärregierung verwaltet.“ {{{ Landrat Melsungen an Regierungspräsident in Kassel, 5. 10. 1945, HStAM, 180 Melsungen, 2925 }}}

Anfang Juni 1945 erreichte René Bertholet die Walkemühle: „In der Mühle erlebten wir eine große Überraschung: Es war schon jemand da und mit dem Wiederaufbau beschäftigt, nämlich Heini Meyer aus Frankfurt. Die alte Mühle, das Lehrgebäude und der Verbindungsteil sind ausgebrannt (von den Nazis selber), die Akademie hat einen Artillerietreffer, der aber nicht allzu schwer zu reparieren ist. Außerdem ist sie vollkommen ausgeplündert (war verständlich, da sie ja eine Nazieinrichtung geworden war) und völlig verwohnt, weil zuletzt nicht mehr Führerschule, sondern so etwas wie vormilitärische Drillanstalt.“ {{{ Brief von H. u. R. Bertholet vom 14. 6. 1945 an W. Eichler, Rüther 75 }}} René Bertholet war zu dieser Zeit Präsident des Schweizerischen-Arbeiter-Hilfswerks (SAH). { http://www.sah-schweiz.ch/ } Vorlage:Rüther 552

Der Landrat des Kreises Melsungen bat am 22. Juni 1945 u.a. die Bürgermeister der umliegenden Gemeinden Malsfeld, Adelshausen und Mörshausen für „Aufräumungsarbeiten alsbald […] alte Parteigenossen oder führende Mitglieder der Hitlerjugend bezw. SS- oder SA.-Männer zu bestimmen.“ Vorlage:HStAM, 330 Melsungen, B 2434 Diese Anordnung wurde unterschiedlich befolgt. Die „Männer mussten 6 Wochen täglich 8 Stunden Aufräumungsarbeiten auf der Walkemühle leisten.“ Vorlage:Meyer Die ersten Wiederaufbauarbeiten kamen angesichts des damaligen Material- und Arbeitskräftemangels verhältnismäßig zügig voran. Am 20. 10. 1945 wurde das Richtfest für das Dach des Lehrgebäudes gefeiert.

1.3.2 Schweizerisches Arbeiterhilfswerk Jetti Ochsenbein vom Schweizerischen-Arbeiter-Hilfswerks (SAH) leitete ab 5. 10. 1945 in der Walkemühle die Betreuung von Kindern, deren Eltern von der Nazis verfolgt bzw. ermordet worden waren. Sie wurde später noch von Meieli Stähelin in der Leitung unterstützt. Neben der höchst sparsamen Lebensführung war auch die starke Fluktuation der traumatisierten Kinder eine große Herausforderung für die Betreuerinnen. Im Schweizerischen Sozialarchiv lagert dazu noch unausgewertestes Material. {http://www.bild-video-ton.ch/suche/in/dcCO_geopo/Walkemühle bei Melsungen } { http://findmittel.ch/archive/archNeu/Ar20.html }

Das Projekt des SAH wurde am 15. 3.1947 beendet. Die Walkemühle war so als Ort von Bildung und Erziehung gefährdet. Der Kreis Melsungen plante z.B., die Gebäude zur Einquartierung von Flüchtlingen oder TBC-Kranken zu verwenden. Vorlage:Feidel-Mertz WM 30 Vorlage:Hansen-Schaberg S 131 F537 „Das Verständnis für die Lage „vor Ort“ sowie das Interesse für die Erhaltung der Walkemühle als Bildungsstätte nahmen offenbar mit der räumlichen Entfernung zusehends ab.“ Vorlage:Feidel-Mertz WM 30

1.3.3 Erziehungsgemeinschaft Walkemühle Anna Beyer, Fritz List und andere gegründeten im Einvernehmen mit Minna Specht am 10. 3. 1947 die „Erziehungsgemeinschaft Walkemühle e.V.“. Vorlage:Feidel-Mertz WM 30 Am 12. 5. 1947 wurde unter der Trägerschaft der „Erziehungsgemeinschaft“ die Walkemühle als Tagungsstätte für die Bildungsarbeit der „Sozialistischen Jugend Die Falken“ { https://de.wikipedia.org/wiki/Sozialistische_Jugend_Deutschlands_%E2%80%93_Die_Falken } in Anwesenheit von 65 Personen eingeweiht. {{{ Anwesenheitsliste 12. 5. 1947, Nachlass Beyer HHStAW 1213 31 hhstaw_1213_31_006.jpg }}}

Minna Specht schrieb dazu am 19. 5. 1947 an Willi Eichler: „Ich war in der Mühle, zur Eröffnung der Falkenarbeit. Es war mir fast spukhaft, die rote Fahne vor der Akademie hissen zu sehen. Einstweilen gibt uns diese Lösung einen Aufschub.“ Vorlage:Hansen-Schaberg S 132 F 540 Vorlage:Nachlass Specht 1/MSAE000036

Anna Beyer formulierte in der Broschüre „Die Walkemühle berichtet“ Vorlage:Nachlass Beyer HHStAW 1213 31 018.jpg auch 029.jpg Vorlage:Nachlass Specht 1/MSAE000070 „… In der Walkemühle sollen die Helfer der Falken eine Stätte haben, in der in gemeinsamer Arbeit und im Zusammenleben das für die Jugenderziehung so wichtige Gemeinschaftsleben gepflegt wird. Die Schüler sollen lernen, wie durch den Geist der Solidarität und Kameradschaft die Jugend den wahren Sinn des Lebens wieder erkennt und, dass es einen Sinn hat, ehrlich und aufrichtig zu sein. … In dieser Erziehungsarbeit wollen wir zum Neuaufbau Deutschlands beitragen und für die Ideen des Friedens und der Völkerverständigung wirken. …“

Das Schulungsprogramm der Falken wurde Ende 1948 eingestellt. Vorlage:Hansen-Schaberg 132 „Während der Herbstmonate 1948 war die Walkemühle durch Erholungsaufenthalte von Heimkehrern aus der russischen Gefangenschaft […] einigermaßen über die Runden gebracht worden. Da die Walkemühle eher auf die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen als von Erwachsenen eingerichtet war, konnte das keine dauernde Lösung sein. Es gelang mit der Aufnahme erholungsbedürftiger Kinder aus Berlin während der Blockade, die Walkemühle wieder für einen guten pädagogischen Zweck nutzbar zu machen. Am 31. Dezember 1948 traf eine erste Gruppe von 50 Berliner Kindern ein. […] Die „Kinder-Gemeinde-Klein-Berlin in der Walkemühle“ gab sich am 14. Februar 1949 eine Verfassung, die Rechte und Pflichten der Kinder regelte und offensichtlich am Vorbild der „Kinderrepubliken“ der Falken aus der Weimarer Republik orientiert war.“ Vorlage:Feidel-Mertz WM 33

Der Wortlaut der Verfassung: „Schul- u. Erholungsheim Walkemühle bei Melsungen, Bez. Kassel Verfassung der Gemeinde Klein-Berlin in der Walkemühle Vorwort. Die Gemeinde der Berliner Kinder im Schul- u. Erholungsheim Walkemühle gibt sich diese Verfassung, um das Zusammenleben nach gewissen Grundsätzen und Richtlinien festzulegen; sie soll den Weg zeigen, der zu einem freudigen und glücklichen Zusammenleben in der Walkemühle führt.

I. Hauptteil, Aufbau der Gemeinde. Artikel I. An der Spitze der Gemeinde steht der selbstgewählte Gemeinderat, der mit den Erwachsenen der Heimleitung alle Fragen des Zusammenlebens bespricht und regelt. Artikel II. Der Gemeinderat besteht aus 7 Mitgliedern. Jungen und Mädel werden ihrer Anzahl entsprechend in den Rat gewählt. Artikel III. Der Gemeinderat wählt für jede Gruppe (Jungen und Mädel) einen Bürgermeister. Artikel IV. Der Gemeinderat wird jeden Monat neu gewählt. Artikel V. Die Wahl erfolgt in geheimer Abstimmung. Wahlberechtigt sind alle Kinder die das vierte Schuljahr erreicht haben; wählbar sind alle Kinder die das sechste Schuljahr erreicht haben oder 12 Jahre alt sind.

II. Hauptteil. ( Rechte und Pflichten der Kinder ) Artikel VI. Alle Kinder haben gleiche Rechte und gleiche Pflichten, niemand soll bevorzugt, niemand benachteiligt werden. Artikel VII. Alle Kinder haben das Recht auf Essen, Schlafen und auf Freizeit. Artikel VIII. Jedes Kind kann sich beim Gemeinderat beklagen und seinen Schutz in Anspruch nehmen. Artikel IX. Alle Kinder haben die Pflicht: a) sich dieser Gemeinschaft einzuordnen; b) den Körper zur Erhaltung der Gesundheit sauberzuhalten; c) dazu gehört auch die Sauberhaltung der Kleidung, der Stube und des Heimes; d) jeder hat die Schule zu besuchen und die ihm aufgetragenen Schularbeiten

    gewissenhaft auszuführen; 

e) an allen Arbeiten, die dem Wohle der Gemeinschaft dienen, soweit es seinem Können und seiner Kraft entspricht, teilzunehmen; f) während der festgelegten Liegezeit unbedingste Ruhe zu halten; g) an allen gemeinschaftlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Artikel X. Wer seine Pflichten vergißt, wird vor den Gemeinderat geladen. Der Gemeinderat bespricht in Sitzungen auf welche Art und Weise das betreffende Kind sein Versäumniss wieder gutzumachen hat. Die Beschlüße sind für alle Kinder verbindlich, das heißt, jedes Kind hat die Weisungen des Gemeinderates zubefolgen.

III. Hauptteil ( Die Aufgaben des Gemeinderates ) Artikel XI. Der Gemeinderat regelt und beobachtet das Leben der Kinder und die Durchrührung der im Hauptteil II festgelegten Rechte und Pflichten jedes Kindes. Darunter wird verstanden: persönliche Sauberkeit Ordnung in der Stube Pünktlichkeit Einteilung und Einhaltung der der Gemeinschaft dienenden Hilfsarbeiten ( Bücheraustausch,

             Küchendienst, 

Schlulraumordnung ) Artikel XII. Mindestens einmal in der Woche hat der Gemeinderat zusammenzutreten. Die beiden Bürgermeister besprechen jeden Abend die Tagesereignisse mit der Heimleitung. Artikel XIII. Alle Wünsche, Vorschläge und Klagen sind dem Gemeinderat vorzulegen, der diese bespricht, einen Beschluß darüber faßt und diesen der Heimleitung vorlegt. Artikel XV. Diese unsere Verfassung tritt mit dem Tage ihrer Annahme und Verkündung in Kraft.

Wir Berliner Kinder hoffen, daß unser Zusammenleben durch diese Verfassung auf das Beste und Angenehmste gefördert wird. Walkemühle, den 14. Februar 1949. f.d. Heimleitung: f.d.Gemeinderat: „ Vorlage:Nachlass Beyer HHStAW 1213 31 hhstaw 13 31 033.jpg

Die umfangreichen Unterlagen im teilweise noch zu ordnenden Nachlass von Anna Beyer { https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/detailAction.action?detailid=b3359 } im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden { https://landesarchiv.hessen.de/%C3%BCber-uns/landesarchiv/hessisches-hauptstaatsarchiv } weisen sowohl auf erhebliche organisatorische als auch inhaltliche Probleme der „Erziehungsgemeinschaft Walkemühle“ hin. Aus einem „Protokoll Walkemühle-Besprechung“:

„… Der Mensch ist mehr oder weniger vom Sexualtrieb beherrscht, auch schon als Kind. Aber es ist glücklicher Weise so, dass der Mensch seine Triebe binden, „sublimieren“ kann. Das können wir tun, indem wir Volkstanz durchführen, künstlerisches Interesse wecken, den Sexualtrieb also in das Geistige überlenken. …“ Vorlage:Nachlass Beyer HHStAW 1213 28 hhstaw 13 28 085.jpg Zwischen den in der Walkemühle wohnenden Erwachsenen kam es zu schwerwiegenden persönlichen Konflikten, die die Arbeit erschwerten. Vorlage:Nachlass Beyer HHStAW 1213 27 hhstaw 13 27 030.jpg

Am 16. Januar 1950 formulierte das Hauptjugendamt von Groß-Berlin seine Unzufriedenheit mit den Erholungsfortschritten der Luftbrückenkinder in der Walkemühle und schickte keine Kinder mehr. Vorlage:Nachlass Beyer HHStAW 1213 31 hhstaw 13 31 030.jpg Zum Jahresende 1950 teilte die „Erziehungsgemeinschaft Walkemühle“ deren Besitzern auf einer Postkarte (!) mit, dass die Walkemühle im Juni 1950 als Jugendheim geschlossen würde. Vorlage:Feidel-Mertz WM 33

Verkauf und Ende

Am 1. Mai 1952 verkaufte die „Restgruppe des ISK“ die Walkemühle an den Fabrikanten Kuno Treskow. Es war den früheren Antialkoholikern bekannt, das Treskow die Produktion von Bierdeckeln plante.“ Vorlage:Feidel-Mertz WM 33 34 Vorlage:Nachlas Specht 1/MSAE000070 So pädagogisch endet die Geschichte des „Landerziehungsheims Walkemühle“!

Ausblick

Susanne Miller { https://de.wikipedia.org/wiki/Susanne_Miller } zitierte im Dezember 1979 in ihren „Gedanken über die Walkemühle“, die in dem Buch Vorlage:Eberhardt 19 ff für Minna Specht zu deren achtzigsten Geburtstag 1959 abgedruckt sind, Hanna Bertholet mit folgenden Worten: Vorlage:H. Bertholet „Nach vielen erfahrungsreichen Jahren ... sollte ein Fazit gezogen werden aus dem Versuch ..., dessen Kinderkrankheiten und Fehler ebenso wie seine Erfolge nicht in Vergessenheit geraten dürfen. Aber ebenso wie das Experiment selber der Versuch einer Gemeinschaft war, kann auch seine Kritik nur eine Gemeinschaftsarbeit sein.“ „Diese Gemeinschaftsarbeit […] ist nicht zustande gekommen. Und sie kann auch nicht mehr nachgeholt werden.“ Die Erinnerungen der Freunde sind – so Miller – „… eine Voraussetzung dafür, daß vielleicht später einmal Menschen, die nicht mehr aus eigenem oder persönlich vermitteltem Erleben schöpfen, sondern auf die Überlieferung angewiesen sind, eine kritische Würdigung vornehmen können.“ Im Archiv der sozialen Demokratie finden sich neben den Unterlagen des ISK { http://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/bestand_andere/ijb.htm } im Nachlass von Minna Specht { http://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/nachlass/nachlass_s/specht-mi.htm } umfangreiche, bisher wohl wissenschaftlich noch nicht ausgewertete Antworten z. B. auf eine „Umfrage unter den ehemaligen Schülerinnen und Schülern der Walkemühle und der Nachfolgeschulen“ von 1974 sowie von 1973 die Antworten auf eine „Umfrage zur rückblickenden Beurteilung der Ausbildung im Landerziehungsheim Walkemühle unter den ehemaligen Erwachsenen-Schülern“. Vorlage:Nachlass Minna Specht 1/MSAE000087 Auch die Unterlagen im „Ordner F: "Walkemühle 1946 (Melsungen Bezirk Kassel) Mai 1946" { http://www.bild-video-ton.ch/bestand/objekt/Sozarch_F_5025-Fa-177 } des Schweizer Sozialarchivs { http://www.sah-schweiz.ch/ } harren der Analyse.



Literatur

  • Inge Hansen-Schaberg: Minna Specht - Eine Sozialistin in der Landerziehungsheimbewegung (1918 bis 1951). Untersuchung zur pädagogischen Biographie einer Reformpädagogin Studien zur Bildungsreform, 22. Peter Lang, Frankfurt a.M. 1992, ISBN 3-631-44250-5.
  • Karl-Heinz Klär: Zwei Nelson-Bünde: Internationaler Jugend-Bund (IJB) und Internationaler Sozialistischer Kampf-Bund (ISK) im Licht neuer Quellen In: Internationale wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 18, H. 3, 1982, S. 310–360.
  • Werner Link: Die Geschichte des Internationalen Jugend-Bundes (IJB) und des Internationalen Sozialistischen Kampf-Bundes (ISK). Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Marburger Abhandlungen zur politischen Wissenschaft. Bd. 1, ISSN 0542-6480
  • Bernd Wunder: Im Kampf gegen die autoritäre Schule - der Reformpädagoge Ludwig Wunder (1878 - 1949): ein Vertreter der Landerziehungsheimbewegung zwischen H. Lietz, G. Kerschensteiner und L. Nelson Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2008, ISBN 978-3-8300-3465-0.
  • Jürgen Ziechmann: Theorie und Praxis der Erziehung bei Leonard Nelson und seinem Bund Klinkhardt, Bad Heilbrunn 1970.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Hansen-Schaberg S.38
  2. Ziechmann S.105
  3. Brief von Wunder an den Minister nebst der Antwort zusammen mit einem Tages- bzw. Stundenplan der Schule. [1]
  4. Die Vorgänge sind weiterhin ausführlich, in vielen Passagen übereinstimmend, in der einschlägigen Literatur beschrieben: Hansen-Schaberg S.39 ff, Link S.109 ff, Wunder, S.68 ff und Ziechmann S.104.
  5. Ziechmann S.105
  6. Wunder S.72, 105; Hansen-Schaberg S.41ff
  7. Klär S.316
  8. Nelson 1971 S. 575-578
  9. siehe: Stolperstein Melsungen