Benutzer:Logograph/Bezahltes Schreiben

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Bezahltes Schreiben

Ich schreibe außerhalb der Wikipedia professionell; wegen wp:anon zeige ich nur dieses Beispiel. Schreibt man als Freier Mitarbeiter für die ZEIT und ähnliche, bekommt man wenn nötig Spesen, streng nach Quittungen abgerechnet. Das Honorar erhält man per „Anstrich“, also für das, was gedruckt wird, nämlich rund 1000 € für 10.000 Zeichen. Kann man sich in Premium-Medien etablieren und ist fleißig, dann kann man davon leben. (Ich bin nicht fleißig, sondern Hippie, aber das ist eine andere Geschichte.) Nach unten hin, dort wo die Wochenendausgabe der Westdeutschen Zeitung beliefert wird, sind die Honorare zu niedrig und die Konkurrenz von Amateuren zu groß. Dort läuft es so, dass der Amateur seine Vergnügungsreise nach Carnac selbst bezahlt und für den Artikel darüber 110 € erhält; aber obwohl man dort kaum noch von professionellem Schreiben sprechen kann, befindet man sich bereits im kommerziellen Markt, denn auch die Westdeutsche Zeitung ist ein gewinnorientiertes Unternehmen und kein Freiwilligenprojekt zur Verfügbarmachung enzyklopädischen Wissens.

Kommerz ist kein Scherz

Zaster ist ein Laster

Gerade weil ich weiß, wie es im kommerziellen Medienbetrieb läuft, bin ich von der Kommerzfreiheit der Wikipedia begeistert. Der Kommerz hat, ausgehend von der Industrie, alle Lebensbereiche durchdrungen, meiner Meinung nach auch solche, in denen er überhaupt nichts zu suchen hat. Die Betrachtung jedweder Unternehmung mit einem bilanzierenden Blick ist nicht notwendigerweise produktiv. Die Auffassung, gar das Postulat, ein Gewinn müsse sich in Geld ausdrücken lassen, bedroht auf naheliegendste Weise andere, in meinen Augen weit höhere Werte. Die kommerzfreie Wikipedia ist – mit ihren täglichen Millionen Lesern (zu denen übrigens praktisch alle professionellen Schreiber zählen) – besonders wegen ihrer Wirkung in der Öffentlichkeit ein überragendes Beispiel dafür, dass „es auch anders geht“.
Gerade weil ich den kommerziellen Medienbetrieb kenne, weiß ich die Abwesenheit von Verlegern, Inserenten und gewinnfixierten Autoren sehr zu schätzen – übrigens auch die Abwesenheit von Lesern, die, weil sie für ein Magazin 5 Euro bezahlt haben, meinen, den Redakteur schriftlich zusammenscheißen zu können, der sich in einem Artikel für Schwarzweiß- statt Farbfotos entschied, und der auf Geheiß des Chefredakteurs auch noch höflich antworten muss, während dergleichen in der Wikipedia gleich in den Vandalismusschredder wandert.

Der Stab – dort und hier

Als Freier Mitarbeiter stoße ich bei den Verwertern auf einen Verwaltungsstab: Da sind die Redakteure, mit denen ich die Themen bespreche, dann der Textchef, das Lektorat, die Bildredaktion, die Spesen- und Honorarkasse, die Assistenz der Chefredaktion und so weiter; übrigens werde ich auch vor Vandalismus geschützt, z.B. indem man meine Telefonnummer nicht an erboste Leser weitergibt oder gegebenenfalls meine Pseudonymität bewahrt.

Stab – muss sein.

Diese Stabs-Mitarbeiter haben teilweise 50-, 60-Stunden-Wochen, und auch an den Redaktionshierarchien würde mir so manches nicht passen, aber dafür haben sie langfristige Arbeitsverträge und werden gut bezahlt – sie bekommen ungefähr das, was wir Benutzern wie dem Hexer, Pittimann oder Aka zahlen müssten, wäre die Wikipedia kommerziell.
Eben weil Artikel-Schreiben mein Beruf ist, mit dem ich außerhalb der Wikipedia Geld verdiene, schreibe ich in der Freizeit, die ich der Wikipedia widme, wenig Artikel. Zur Abwechslung bin ich, wie viele andere, in Lektorat, Neulingsbetreuung, Vandalenabwehr tätig. Es versteht sich ja eigentlich von selbst, aber ich habe hier nocheinmal konkret aufgezählt, inwiefern die Wikipedia als großes Medium genau den gleichen Verwaltungsstab hat wie die Zeit oder ein Buchverlag. Unter anderem ist die Abarbeitung von Löschanträgen genau die Tätigkeit, mit der sich die Zeitungs- oder Verlagsredakteure befassen, die mit der Auswahl und Führung der Freien Autoren betraut sind – übrigens mit einem ganz ähnlichen Konfliktpotential wie auf den WP-Löschdiskussionen.

Das Einsickern bezahlter Artikelarbeit …

Nun haben wir in der Wikipedia bereits einige Stellen, an denen bezahlte Artikel-Arbeit ins Projekt sickert, sei es, dass ein Spin-Doktor eine Stunde in einen Industrie-Artikel investiert oder ein Wikipedianer seinen zahlenden Seminaristen das Händchen führt. Ein Wikipedianer inseriert, um Auftraggeber für bezahlte Artikelarbeit zu finden, ein anderer beantragt bei Wikimedia gleich den Lebensunterhalt für ein ganzes Recherchejahr (was ihm in jeder Redaktion ein schallendes Hohngelächter einbringen würde).

… und weshalb es hoffentlich keine Zukunft hat.

das Eichhörnchen: unbezahlbar.

Richtig ist, dass wir (außer wo es der Autor, insofern lobenswert, bekannt macht) nicht wissen, welche Artikelarbeit bezahlt ist und welche nicht.
Allerdings ergibt sich aus der Logik des Kommerzes, dass 99 % der Lemmata sowieso nicht dafür geeignet sind, weil die eingesetzte Arbeit keinen Gewinn erwirtschaften kann. Artikel wie Eichhörnchen, Schwarzfigurige Vasenmalerei, Segeln kosten auf dem Medienmarkt ab 3000 Euro aufwärts – wer sollte das bezahlen, wenn er den Artikel nicht in seinem Hochglanzmagazin verkaufen kann, eben weil er in der Wikipedia steht?
Aber selbst bei unmittelbaren Kommerzinteressen stehen die Chancen für bezahlte Schreiber schlecht, für die Wikipedia gut. Zum Beispiel hat ein Medien-Profi jüngst im Artikel über seinen mutmaßlichen industriellen Auftraggeber nicht nur keinen „Gewinn“ erzielt, sondern, an der Qualitäts-Kontrolle der Wikipedia scheiternd, einen PR-Schaden angerichtet, der sich, in Geld ausgedrückt, mindestens auf den Anzeigen-Preis einer Doppelseite im Spiegel beläuft.
Ich habe die Adminknöpfe und halte mich für einen ziemlichen Wikipedia-Fuchs. Mich hat einmal ein befreundeter Reiseunternehmer gefragt, ob ich im Artikel Wandern einen Weblink auf seine Firma unterbringen kann. Nein, kann ich nicht.

kommt auch nicht an der WP:Quali vorbei

Auch für ideologische Auftraggeber sehe ich keinen Sinn in kommerzieller Intervention. Artikel über Religion, Politik und Soziales sind dermaßen von höchst-interessierten Benutzern überlaufen, dass es auf einen zusätzlich per Honorar motivierten Benutzer gar nicht ankäme. Man stelle sich einmal vor, die Katholische Kirche beauftragte einen Journalisten, vielleicht mit dem Tagessatz von Lionel Messi, den Artikel Sexueller Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche zu frisieren; der könnte versuchen, im ersten Satz die Wendung „ist ein Phänomen“ in „sind Einzelfälle“ zu ändern – und sich dann mit seinem Auftraggeber einigen, ob er seine Bemühungen nach einem Tag, einer Woche oder einem Monat als erfolglos einstellen will.

Ein Hauptanlass für diese Seite: wüste Drohung

wehe, wehe, dreimal wehe …

Ich glaube also nicht, dass bezahltes Schreiben in der Wikipedia ein Problem wird. Sollte ich mich jedoch irren, und bezahltes Schreiben hielte regelmäßigen Eingang, dann haben wir ein Riesenproblem und nicht nur, was das Image der Wikipedia betrifft.
Denn eins möchte ich unmissverständlich klarstellen – und das ist ein Hauptanlass für diese meine Seite, auf die ich künftig verlinken werde -: Ich arbeite hier in der Verwaltung; gelegentlich wende ich eine Stunde ans Lektorat eines großen Artikels. Das mache ich ganz bestimmt nicht, damit dessen Autor umso besser ein Honorar kassieren oder seinen Flug nach Korinth als Spesen abrechnen kann. Entweder – oder; ein bisschen kommerziell gibt es nicht. Ich kanns mir aussuchen und kann auch den Geschäftsbericht einer Düsseldorfer Firma lektorieren und dafür ein lukratives Honorar in Rechnung stellen.
Wenn es soweit kommt, dass Wikipedianer als unbezahlte Dienstleister für bezahlte Autoren verschlissen werden, stelle ich meine Arbeit ein.