Benutzer:Louis Wu/Marxistische Staatstheorie

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Die Marxistische Staatsheorie, auch als Materialistische Staatstheorie bezeichnet, beschäftigt sich ausgehend von den Theorien von Karl Marx und Friedrich Engels in kritischer und teilweise auch ablehnender Weise mit der Entwicklung, Form und den Aufgaben des Staates. Hinter der Begrifflichkeit verbergen sich unterschiedliche, vielfältige auf den Staat bezogene Theoriestränge innerhalb des Marxismus.[1]

Jede Marx und Engels nachfolgende Generation von MarxistInnen hat sich mit dem Staat und damit der Staatstheorie auseinandergesetzt, vom Austromarxismus über einzelne, keinen Strömungen zu zuordnenden Theoretikern wie Leo Kofler bis hin zur bundesrepublikanischen Diskussion über die Staatsableitung.

Laut Bob Jessop waren im 20. Jahrhundert insbesondere die von Antonio Gramsci ausgearbeitete und von Louis Althusser und Nicos Poulantzas fortgeführte Hegemonietheorie sowie die Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus die einflussreichsten Strömungen der marxistischen Staatstheorie.[2]

Der Staat bei Karl Marx und Friedrich Engels

Karl Marx und Friedrich Engels haben keine eigenständige oder ausformulierte Theorie des Staates entwickelt. Marx hegte die Absicht, innerhalb eines sechsbändigen Gesamtwerkes ein einzelnes Buch zum Staat zu veröffentlichen, konnte diesen Plan aber nicht vollenden.[3]

Antonio Gramsci

Der italienische Marxist Antonio Gramsci entwickelt insbesondere in seinem Hauptwerk, den [[Gefängnishefte]n, neue und für den Marxismus auch innovative Ideen zum Thema Staat. Seine Überlegungen sind hierbei eng verknüpft mit der ebenfalls von ihm bearbeiteten Thematik der Hegemonie. Die Beschäftigung mit diesem Begriff erfolgt bei Gramsci im Anschluss an die Fragestellung, warum es in der Zeit nach der Oktoberrevolution in Russland nicht zu einer erfolgreichen Revolution in Westeuropa kam. Gramsci sucht damit auch nach einer Erklärung für die Stabilität der Ordnung in den westlichen Staaten.[4] Eine Antwort hierauf findet Gramsci in den Betrachtungen zur Bedeutung der Zivilgesellschaft. Gramsci entwickelt in diesem Zusammenhang das Konzept der Kulturellen Hegemonie.

Gramsci schreibt:

„Im Osten war der Staat alles, die Zivigesellschaft war in ihren Anfängen [...]; im Westen bestand zwischen Staat und Zivilgesellschaft ein richtiges Verhältnis, um beim Wanken des Staates gewahrte man sogleich eine robuste Struktur der Zivilgesellschaft. Der Staat war nur ein vorgeschobeneer Schützengraben, hinter welchem sich eine robuste Kette von Festungen und Kasematten befand [...].“[5]

Eine Definition des Staates erfolgt an einer anderen Stelle als „politische Gesellschaft + Zivilgesellschaft, d.h. Hegemonie gepanzert mit Zwang“.[6] So gesehen steht für Gramsci der Staat nicht außerhalb der Gesellschaft. Vielmehr setzt sich dieser aus zwei Ebenen zusammen: der Zivilgesellschaft und der politischen Ebene, die als Staat im engeren Sinne bezeichnet werden kann. Die Trennung dieser beiden erfolgt bei Gramsci in rein methodischer Absicht.[7] Die Zivilgesellschaft besteht bei Gramsci aus Institutionen, die geläufiger Weise als privat angesehen werden: Museen, Theater, die Kirche, politische Parteien, Massenmedien sowie Bildungseinrichtungen und anderes.[8] Nach Gramsci wird durch die Zivilgesellschaft die Funktion der Hegemonie über die gesamte Gesellschaft ausgeübt.[9]

Louis Althusser

Mit dem im Jahr 1970 erstmalig veröffentlichten Essay Ideologie und ideologische Staatsapparate leistete Althusser seinen wichtigsten Beitrag zur marxistischen Staatstheorie.[10] Althusser führt mit diesem Werk die Unterscheidung von dem repressiven Staatsapparat (RSA) sowie den ideologischen Staatsapparaten (ISA) ein, wobei er hierbei an Überlegungen Gramscis in den Gefängnisheften anknüpft.

Der Staat als soziales Verhältnis

Bob Jessop ist der Auffassung, dass sich bereits bei Marx und Engels Anmerkungen finden lassen, die implizit den Staat als ein soziales Verhältnis definieren. Die explizite Ausformulierung und -arbeitung erfolgte aber erst durch Nicos Poulantzas.[11]

Literatur

Primärliteratur

  • Adler, Max: Die Staatsauffassung des Marxismus. Ein Beitrag zur Unterscheidung von soziologischer und juristischer Methode, Wien 1922.
  • Althusser, Louis: Ideologie und ideologische Staatsapparate. Notizen für eine Untersuchung, in: Ideologie und ideologische Staatsapparate, 1. Halbband: Michel Verrest Artikel über den studentischen Mai; Ideologie und ideologische Staatsapparate; Notiz über die ISA, hrsg. von Frieder Otto Wolf, Hamburg 2010, S. 37-102.
  • Gramsci, Antonio: Gefängnishefte. Herausgegeben von Klaus Bochmann und Wolfgang Fritz Haug, 10 Bände, Hamburg 1991ff..
  • Jessop, Bob: State Power. A Strategic-Relational Approach, Cambridge 2007.
  • Kofler, Leo: Marxistische Staatstheorie, Ulm 1970.
  • Lenin: Staat und Revolution, in: Lenin Werke, Band 25, Berlin 1972, S.393-507.
  • Offe, Claus: Strukturprobleme des kapitalistischen Staates: Aufsätze zur politischen Soziologie, veränderte Neuausgabe, hrsg. von Jens Borchert/Stephan Lessenich, Frankfurt/Main 2006.
  • Miliband, Ralph: Der Staat in der kapitalistischen Gesellschaft, Frankfurt am Main 1972.
  • Poulantzas, Nicos: Staatstheorie. Politischer Überbau, Ideologie, Autoritärer Etatismus, Hamburg 2002.

Sekundärliteratur

  • Bischoff, Joachim (Hrsg.): Marxismus und Staat. Einführung in marxistische Staatstheorie, Hamburg 1977.
  • Bretthauer, Lars/Gallas, Alexander/Kannankulam, John/Stützle, Ingo (Hrsg.) : Poulantzas lesen. Zur Aktualität marxistischer Staatstheorie, Hamburg 2006.
  • Buckel, Sonja/Fischer-Lescano, Andreas (Hrsg.): Hegemonie gepanzert mit Zwang. Zivilgesellschaft und Politik im Staatsverständnis Antonio Gramscis, Baden-Baden 2007.
  • Demirović, Alex/Adolphs, Stephan/Karakayali, Serhat (Hrsg.): Das Staatsverständnis von Nicos Poulantzas. Der Staat als gesellschaftliches Verhältnis, Baden-Baden 2010.
  • Esser, Josef: Einführung in die materialistische Staatsanalyse, Frankfurt/New York 1975.
  • Haug, Frigga/Brie, Michael (Hg.): Zwischen Klassenstaat und Selbstbefreiung. Zum Staatsverständnis von Rosa Luxemburg, Baden-Baden 2011.
  • Hirsch, Joachim: Materialistische Staatstheorie. Transformationsprozesse des kapitalistischen Staatensytems, Hamburg 2005.
  • Hirsch, Joachim/Kannankulam, John/Wissel, Jens (Hrsg.): Der Staat der Bürgerlichen Gesellschaft: Zum Staatsverständnis von Karl Marx, Baden-Baden 2008.
  • Holloway, John/Picciotto, Sol (Hg.): State and Capital. A Marxist Debate, London 1978.
  • Jessop, Bob: The Capitalist State: Marxist Theories and Methods, Oxford 1982.
  • Jessop, Bob: State Theory. Putting the Capitalist State in Its Place, Cambridge 1990.
  • Kannankulam, John: Autoritärer Etatismus im Neoliberalismus. Zur Staatstheorie von Nicos Poulantzas, Hamburg 2008.
  • Negri, Antonio/Hardt, Michael: Die Arbeit des Dionysos. Materialistische Staatskritik in der Postmoderne, Berlin 1997.
  • Rudel, Gerd: Die Entwicklung der marxistischen Staatstheorie in der Bundesrepublik, Franfkurt am Main/New York 1981.
  • Salzborn, Samuel: (Hrsg.): "...ins Museum der Altertümer": Staatstheorie und Staatskritik bei Friedrich Engels , Baden-Baden 2012

Einzelnachweise

  1. Hirsch, Joachim: Materialistische Staatstheorie. Transformationsprozesse des kapitalistischen Staatensytems, Hamburg 2005, S. 15.
  2. Jessop, Bob: The Capitalist State. Marxist Theories and Methods, New York/London 1982, S. XII.
  3. Marx, Karl: Zur Kritik der Politischen Ökonomie, in: Karl Marx Friedrich Engels Werke, Band 13, Berlin 1978, S. 7.
  4. Vgl.: Mario Candeias: Gramscianische Konstellationen. Hegemonie und die Durchsetzung neuer Produktions- und Lebensweisen. In: Mit Gramsci arbeiten. S. 18.
  5. Antonio Gramsci: Gefängnishefte. Band 4, Heft 7 § 16, S. 874.
  6. Antonio Gramsci: Gefängnishefte. Band 4, Heft 6 § 88, S. 783.
  7. Antonio Gramsci: Gefängnishefte. Band 3, Heft 4 § 38, S. 498f.
  8. Vgl.: Hans-Jürgen Bieling: Metamorphosen des integralen Staates. Konkurrierende Leitbilder in der Krisendiskussion. In: Elmar Altvater u. a.: Die Rückkehr des Staates? Hamburg 2010, S. 39.
  9. Antonio Gramsci: Gefängnishefte. Band 7, Heft 12 § 1, S. 1502.
  10. Hirsch, Joachim/Kannankulam, John/Wissel, Jens: Die Staatstheorie des westlichen Marxismus. Gramsci, Althusser, Poulantzas und die sogenannte Staatsableitung, in: diess. (Hrsg.): Der Staat der bürgerlichen Gesellschaft. Zur Staatstheorie von Karl Marx, Baden-Baden 2008, S. 95.
  11. Vgl.: Bob Jessop: State Power. A Strategic-Relational Approach, Cambridge 2007, S. 56.