Benutzer:Martin Ingenhütt/BWV1042

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Unter Johann Sebastian Bachs Namen sind zwei Konzerte für Violine und Streicher erhalten, die er beide später zu Cembalokonzerten umarbeitete. Das Violinkonzert E-Dur BWV 1042 wurde so zu in Leipzig einem Cembalokonzert D-Dur BWV 1054. Bereits Albert Schweitzer bescheinigte dem Konzert eine unbesiegbare Lebensfreudigkeit, die in seinem ersten und letzten Satz ihr Triumphlied anstimmt[1].

Übersicht

Überlieferung

Die Fassung als Violinkonzert ist nur in einer späten Abschrift aus der Zeit nach Bachs Tod erhalten; die Cembaloversion liegt hingegen im Autograph vor.

Sätze

Violinkonzert: Abschrift Cembalokonzert: Autograph 1738/39
Allegro ¢ ¢
Adagio 3/4 Adagio e piano sempre 3/4
Allegro assai 3/8 Allegro 3/8

Besetzung

  • Violine solo
  • Violine I
  • Violine II
  • Viola
  • Continuo

Entstehung

Violinkonzert E-Dur BWV 1042

Als Sohn eines Stadtpfeifers hat Bach mit Sicherheit schon früh Geige spielen gelernt[2]; im März 1714 wurde er in Weimar zum Konzertmeister ernannt. Dass er einer der größten Cembalo- und Orgelvirtuosen seiner Zeit war, verstellt heute leicht den Blick auf seine Fähigkeiten auf der Violine. Doch muss man zweifellos davon ausgehen, dass er die Violinkonzerte (vielleicht mit der einen Ausnahme des rekonstruierbaren, hochvirtuosen Konzerts in d-Moll) für den eigenen Gebrauch schrieb.

Auch später in Leipzig, nach Übernahme des Collegium musicum, wird er dort mit dem Konzert aufgetreten sein, wie auch mit dessen Schwesterwerk in a-Moll, von dem aus dieser Zeit Stimmenmaterial erhalten ist.

Zitat C Ph E Bach

Datierung

Wie stilkritische Untersuchungen[3] zeigen, ist dieses Werk mit hoher Wahrscheinlichkeit Anfang 1718, zu Beginn von Bachs Köthener Tätigkeit entstanden, wohl wenige Monate nach Kantate 184a und unmittelbar vor dem Fünften Brandenburgischen Konzert, und damit weit über ein Jahr vor dem Violinkonzert a-Moll BWV 1041. Man darf wohl davon ausgehen, dass Bach das Konzert auch in Karlsbad vortrug, das er 1718 zusammen mit Fürst Leopold und fünf weiteren Musikern besuchte.

Diese Datierung zu Beginn von 1718 ergibt sich unter anderem aus der regelmäßigen Periodik der Ritornelle sowie der Verwendung von harmonischen Rückungen und dem Verarbeiten von Ritornellthematik in den Soloepisoden.

Cembalokonzert BWV 1054

In der zweiten Hälfte der 1730er Jahre scheint Bach auf das regelmäßige Üben und öffentliche Auftritte mit der Violine verzichtet zu haben.[4] In diesem Zusammenhang ist seine Sammlung von Cembalokonzerten zu sehen, die er 1738/39 anlegte, und in der er seine Konzerte für Melodieinstrumente für Cembalo bearbeitete. Das Violinkonzert E-Dur tritt in diesem Sammelautograph an dritter Stelle auf.

Ganz anders als bei dem einige Zeit zuvor bearbeiteten Violinkonzert a-Moll, legte er hier den originalen Continuopart der linken Hand des Cembalisten zugrunde und ; XXX. So ist der Klangeindruck dieser Bearbeitung weit durchsichtiger als beim g-Moll-Konzert.

Das verwendete Cembalo hatte offensichtlich einen Tonumfang bis d’’’; da die Spitzentöne e’’’ der Vorlage an vielen Stellen dramatische Höhepunkte bilden, wollte Bach hier offenbar weder Einzeltöne ersetzen noch längere Passagen oktavieren. Er entschied sich daher für eine Transposition des ganzen Konzerts um einen Ganzton nach unten. Bei dieser Gelegenheit passte er viele Details an das neue Instrument an: So wurden im Soloinstrument die Tonrepetitionen des zweiten Ritornellabschnitts zu Oktavsprüngen, im ersten Soloeinsatz ersetzte Bach die thematischen Viertelnoten durch variierende Umspielungen, und an den Formabschlüssen ergänzte er überleitende Läufe.

Diese Weiterbildungen zeigen deutlich, dass Bach hier nicht etwa der Not gehorchend eine ungeliebtes Arrangement anfertigte, sondern eine logische Entwicklung und weitere Verbeserung anstrebte. Ulrich Siegele sieht hier einen bewusste Weiterentwicklung mit dem Ziel, auf den Basso continuo zu verzichten.

Nachwirkung

Das E-Dur Konzert scheint bereits von Carl Friedrich Zelter in der Berliner Singakademie regelmäßig aufgeführt worden zu sein[5]; 1908 konstatiert Albert Schweitzer, das a-Moll und das E-Dur-Konzert beginnen auch allgemach ihren Platz in unseren Konzertsälen zu erobern und erwähnt Eugène Ysaÿe als einen hinreißende[n], in manchem fast allzusehr modernisierender[n][6] Interpreten, der allerdings unbegreiflicherweise ein Harmonium als Continuoinstrument einsetze...

Die früheste Tonaufnahme des E-Dur-Konzerts spielte Jacques Thibaud bereits Mitte der 1920er Jahre ein; für die ersten beiden Sätze waren je zwei Schellackseiten notwendig, für den dritten eine weitere (Aufnahme am 21. Oktober und 1. November 1924 unter Réné Ortmans, Label: His Master’s Voice). Weitere frühe Tonaufnahmen liegen vor von Yehudi Menuhin (mit dem Pariser Sinfonieorchester unter George Enescu, Aufnahme vom 21. April 1933), Adolf Busch (29. November 1934 im Dänischen Rundfunk, nur letzter Satz)[7] und Bronislaw Huberman (13. Juni 1934, Wien, mit den Wiener Philharmonikern unter Issay Dobrowen).

Musik

Spätestens von diesem Werk an war Bachs Konzertform so eigenständig und fortgeschritten, dass es des Vergleichs mit dem Vorbild Vivaldis, aber auch mit demjenigen Albinonis nicht mehr bedarf.[8]

Erster Satz

Der Satz enthält kaum einen Takt ohne thematische Anspielung, besonders in den Begleitstimmen der Soli, aber auch in kurzen ritornellartigen Themeneinwürfen. Gleichzeitig ist der Satz ungewöhnlich regelmäßig aufgebaut – als ABA-Form mit vollkommen identischen Rahmenteilen. Auch diese Rahmenteile selbst besitzen eine eigene Symmetrie – nach dem Eingangsritornell und der ersten Soloepisode besteht der Rest des Formteils wieder aus zwei identischen Abschnitten. Mit dieser formalen Strenge steht der Satz in Bachs gesamten Konzertschaffen einzigartig da.

Der Mittelteil in der Tonart der Mollparallele verarbeitet dann ausschließlich bereits eingeführtes Material, wobei die Violine hier durchgängig eine Begleitfunktion übernimmt mit durchgehenden unthematischen Sechzehntelfiguren.[9] Unruhig streift der Satz hier durch immer entlegenere Tonarten, ehe gegen Ende eine dramatische Steigerung auf dem verminderten Septakkord zu einer kurzen ausnotierten Solokadenz der Violine führt.[10]

Zweiter Satz

Das zunächst sechstaktige Thema wird unter liegenden Akkorden der Oberstimmen vom Bass vorgetragen und in Oktaven des ganzen Orchesters abgeschlossen. Im Folgenden dient sein Bewegungsmuster als Basis einer harmonisch sehr freien Passacaglia; die Länge der Themeneinsätze schwankt dabei zunächst zwischen vier und sieben Takten.

Der Satz ist deutlich dreiteilig; der erste Teil kadenziert „phrygisch“ auf der Dominante, mit langgehaltenem Abschlusston. Es folgt ein deutlich kontrastierender Abschnitt, in dem das Soloinstrument durch zart pulsierende Akkorde der Oberstimmen begleitet wird. Thematische Einwürfe führen nun ohne jede Zäsur wieder zum Charakter des Anfangs zurück; hier ist die Subdominantparallele (VI. Stufe) erreicht – ein sehr auffällig eintretendes Dur, das Bach subtil dadurch unterstreicht, dass das Soloinstrument nach mehreren Takten fast ausschließlich auftaktiger Bewegung plötzlich eine volltaktige Akkordbrechung beginnt.

Der Bass greift ab hier wieder das thematische Bewegungsmuster auf, doch wird der Themenabschluss und damit jede Kadenz für eine lange Strecke vermieden; die Spannung löst sich erst mit der doppelt langen Kadenz, die zum Abschlussritornell führt.

Dritter Satz

Ebenfalls ein Unikum in Bachs Werk und schon im Titel herausgestellt, bildet der Satz ein Rondo – das heißt, alle Ritornelle stehen unverändert in der Tonika. Dazwischen stehen vier zunehmend virtuosere Couplets; drei davon haben exakt die Länge der Ritornelle (16 Takte), das letzte die doppelte Länge. Damit zeigt sich der Satz deutlich durch französische Vorbilder beeinflusst.[11]

Schon das Thema zeigt aber neben der sehr regelmäßige Periodik auch deren ständige Störung und Wiederetablierung durch Akzente. So wird der Dreiachteltakt in zwei Gruppen von drei Sechzehntelgruppen unterteilt, oder zwei Takte werden zu einem Dreivierteltakt zusammengefasst. Dieses Verfahren, das weit über die typischen Hemiolen an den Satzschlüssen hinausgeht, ist in Bachs Sätzen im Dreiertakt sehr häufig und ist vor allem auch typisch für seine Passepieds – dieser Satz wäre dann eins der wenigen Beispiele für einen Passepied bei Bach.[12][13][14]

Einzelnachweise

  1. Albert Schweitzer, Johann Sebastian Bach, Leipzig 1908, Nachdruck 1976, S. 365
  2. Dominik Sackmann: Triumph des Geistes über die Materie - Mutmaßungen über Johann Sebastian Bachs „Sei Solo a Violino senza Basso accompagnato“..., Stuttgart 2008, ISBN 978-3-89948-109-9, S. 41
  3. Siegbert Rampe, Dominik Sackmann: Bachs Orchestermusik. Entstehung - Klangwelt - Interpretation, Bärenreiter, 2000, ISBN 3-7618-1345-7, S. 211ff.
  4. von Dadelsen, Kritischer Bericht zu, S.237?)
  5. Albert Schweitzer, Johann Sebastian Bach, Leipzig 1908, Nachdruck 1976, S. 365
  6. Albert Schweitzer, Johann Sebastian Bach, Leipzig 1908, Nachdruck 1976, S. 365
  7. Adolf-Busch-Diskographie, S. 14
  8. Siegbert Rampe, Dominik Sackmann: Bachs Orchestermusik. Entstehung – Klangwelt – Interpretation, Bärenreiter, 2000, ISBN 3-7618-1345-7, S. 232.
  9. Alfred Dürr, Zur Form der Präludien in Bachs Englischen Suiten, in: Bach-Studien 6 – Beiträge zum Konzertschaffen Johann Sebastian Bachs, Leipzig 1981 (ohne ISDN)
  10. (Die dort in Aufnahmen meist zu hörenden stützenden Cembaloakkorde wurden von Herausgebern des Notenmaterial nach der Cembalofassung hinzugefügt.)
  11. Siegbert Rampe, Dominik Sackmann: Bachs Orchestermusik. Entstehung – Klangwelt – Interpretation, 2000, ISBN 3-7618-1345-7, S. 212
  12. Pieter Dirksen: J. S. Bachs Violin Concerto in G Minor, in: Gregory Butler (Hrg.): Bach Perspectives 7 – J. S. Bachs Concerted Ensemble Music, the Concerto, 2008, S. 52
  13. Anders Dominik Sackmann, Bach und der Tanz, 2005, ISBN 3-89948-070-8, S. 61, der den Satz – weniger überzeugend – als Menuett kategorisiert.
  14. (oder nach Belieben auch als "Giga Typ 2 im 3/8-Takt": Meredith Little, Nathalie Jenne: Dance and the Music of J. S. Bach, 2001, ISBN 13-978-0-253-21464-5, S. 306

Noten