Benutzer:Martin Ingenhütt/BWV1060

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Das Konzert c-Moll für zwei Cembali von Johann Sebastian Bach ist heute bekannter in Rekonstruktionen seiner Urfassung als Konzert für Oboe, Violine und Streichorchester. Bereits 1886 hatte der Physiker und Bachenthusiast Woldemar Voigt vermutet, dass das Konzert ursprünglich für zwei Melodieinstrumente geschrieben worden sein müsse und aus deren ungleicher Behandlung auf Oboe und Violine geschlossen.

Übersicht

Quellenlage

Keine der Fassungen des Konzerts liegt im Autograph vor. Von der Fassung für zwei Cembali, Streicher und Continuo existiert eine Stimmensatz von Johann Christoph Altnikol und einem unbekannten Schreiber; zwei weitere Stimmensätze entstanden unabhängig von dieser und von einander um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Eine Abschrift der Partitur wurde 1787 von Johann Heinrich Michel angefertigt, dem Hauskopisten Carl Philipp Emanuel Bachs.[1]

Sätze

  • c
  • Largo ovvero Adagio 12/8
  • Allegro 2/4

Besetzung

  • Cembalo I (solo)
  • Cembalo II (solo)
  • Violine I
  • Violine II
  • Viola
  • Basso Continuo

Entstehung

Konzert c-Moll für Oboe, Violine und Streicher

Paul Graf von Waldersee, Herausgeber des entsprechenden Bands der Bach-Gesamtausgabe, folgte der These Waldemar Voigts, dass das Konzert eine Bearbeitung darstellte und legte auf Basis der Violin-Akkordbrechungen im ersten Satz dar, die Originaltonart müsse ebenfalls c-Moll gelautet haben. Dies wurde 1957 von Ulrich Siegele in seiner grundlegenden Studie über Bachs Bearbeitungstechnik[2] bestätigt; es stimmt auch mit neueren Überlegungen[3] überein. Die heute manchmal noch gespielten Bearbeitungen in d-Moll können aus wissenschaftlicher Sicht keine historische Authentizität beanspruchen.

Datierung

Aus stilistischen Details wie der im Großen und Ganzen recht regelmäßigen Periodik und einiger harmonischer Eigenheiten wurde geschlossen, dass das Originalkonzert in Köthen etwa um 1719/20 entstanden ist, kurz vor dem Violinkonzert a-Moll BWV 1041.[4] Für den Mittelsatz lassen unregelmäßige Einsatzfolgen der Themen und das Fehlen harmonischer Rückungen eine frühere Entstehung, zwischen 1715 und 1718, vermuten.[5] Möglicherweise wurde ein bereits existierender Sonatensatz um das begleitende Orchester ergänzt und in das neu entstehende Doppelkonzert integriert.

Fassung als Oboenkonzert?

Bei genauer Betrachtung der Satztechnikentsteht die Frage, warum die erste Violine über weite Strecken auffällig unselbständig geführt ist – sie doppelt meist entweder die zweite Tuttivioline oder das erste Soloinstrument. Es entstand die Vermutung,[6] diese Stimme habe Bach erst bei der Umarbeitung zum Cembalokonzert hinzugefügt, so dass man als Urform ein reines Oboenkonzert ansehen müsse mit einer besonders bewegten Partie der ersten Orchestervioline. Den langsamen Satz müsste man dann jedoch aus dieser Diskussion herauslassen, da er kein typischer Konzertsatz Bachs ist: Er enthält kein Ritornell des Orchesters und scheint eher als Trio für zwei Soloinstrumente mit Continuo konzipiert zu sein; das Orchester und wohl auch der ganze Satz wäre dann also später hinzugefügt worden.

Doch wäre ein solcher Fall singulär in Bachs Schaffen und auch dem seiner Zeitgenossen – ein Solokonzert, dessen virtuoseste Partie die erste Orchestervioline darstellt! Vielmehr scheinen derartige satztechnische Eigenheiten charakteristisch für die Konzerte Tomaso Albinonis, Guiseppe Torellis und Antonio Vivaldis wie auch weiterer deutscher Komponisten dieser Zeit[7]. Offenbar hat Bach auch bei der Umarbeitung für Cembali in den Soloinstrumenten Orchesterpartien verdoppelt, was den Eindruck von deren Unselbständigkeit weiter verstärkt.

Fassung als Konzert für zwei Cembali c-Moll

Bekanntlich bearbeitete Bach viele seiner Weimarer und Köthener Instrumentalkonzerte zu Cembalokonzerten – höchstwahrscheinlich für das Collegium musicum, das er seit dem März 1729 leitete. Im Fall des Konzerts BWV 1060 scheint er den Solostimmen besonders viele Dopplungen des Orchestersatzes hinzugefügt zu haben, die dort ursprünglich nicht vorhanden waren. Die linke Hand eines der Cembali geht meist mit dem Orchesterbass zusammen, bietet also mehr oder weniger die originale Basslinie, die das andere Cembalo dann umspielt. Im Vergleich zum Konzert d-Moll für zwei Violinen BWV 1043, das Bach ebenfalls in c-Moll für zwei Cembali bearbeitete, ist diese Bearbeitung handwerklich noch nicht so weit entwickelt und dürfte deshalb einige Jahre früher entstanden sein; man geht von 1730 bis 1733 aus[8].

Musik

Erster Satz

Das deutlich zweiteilige Ritornell ist mit nur acht Takten sehr kurz und tritt - meist auf seine erste Hälfte gekürzt - entsprechend häufig innerhalb des Satzes auf, beispielsweise zur Gliederung längerer Solosepisoden. Bach erreicht einen stabilen und gewichtigen Satzbeginn, indem er dem Ritornell eine kurze Vorstellung der beiden Solisten und dann gleich wieder die erweiterte erste Ritornellhälfte in der Grundtonart folgen lässt.

Die folgenden Soloepisoden bevorzugen deutlich eins der Instrumente; sie werden alle durch ein - immer von diesem Solisten umspieltes - Binnenritornell unterbrochen und mit einem Ritornell abgeschlossen. So folgt nach dem gerade beschriebenen Eingangskomplex ein Oboen-, ein Violin-, wieder ein Oboen- und schließlich noch einmal ein Violinsolo; die abschließenden Ritornelle enden jeweils in der parallelen Durtonart, in der Tonika, auf der erniedrigten siebten Stufe (B-Dur) und zuletzt wieder in der Tonika. Das bei Bach sonst seltene Auftreten der erniedrigten siebten Stufe wird offenbar durch den Ritornellkopf nahegelegt.

Dem Beginn der vierten Soloepisode stellt die Oboe einen neuen Kontrapunkt entgegen, ehe die allererste Episode wieder aufgegriffen wird, die die Eingangsritornelle trennte; erst dann geht die Episode in das erwartete Violinsolo über. Das nun spät erreichte Ritornell wird wieder vom Solisten umspielt, wodurch die bereits erfolgte Rückkehr zur Tonika verschleiert wird. Dieses Ritornell endet ganz unerwartet trugschlussartig auf der Doppeldominante. Ähnlich wie nach dem ersten Violinsolo baut schafft Bach nun Spannung durch flüchtige, imitierende Tonleiterläufe aller Instrumente über einen Orgelpunkt, bringt den Themenanfang auf der Dominante und noch einmal abwartende Spannung, die sich dann schließlich im Schlussritornell löst.

Zweiter Satz

Der Satz beginnt mit einem zweitaktigen Thema der beiden Soloinstrumente, dessen Schlussphrase noch einen Takt lang weitergesponnen wird; anschließend folgt das gleiche Thema verkürzt, nun mit einem doppelt langen Anhängsel, das aus dem Beginn des Themas abgeleitet ist. Nach diesen zweimal fünf Takten führt ein dreitaktiges Zwischenspiel zur Doppeldominante, wo sich die gleiche Abfolge wiederholt.

Den Beginn des hier einsetzenden, kontrastierenden Mittelteils markieren die Streicher durch gehaltene Akkorde. Die Phrasen der Solisten haben nun doppelte Länge; auch hier wieder Abschluss durch das aus dem Themenkopf gewonnene Motiv.

Nach diesen sechs Takten würde man mit dem folgenden Themeneinsatz eine Reprise erwarten, die Bach jedoch verschleiert, denn noch sind wir hier in der Tonart der Dominante. Die verkürzte Themenform mit dem Anhängsel aus dem Themenkopf führt zurück zur Grundtonart, wo der Satz in einer Frühform möglicherweise endete. - Ein Anhang, offenbar von Albinoni inspiriert, moduliert nun zur Dominante des folgendes Satzes, der folglich ohne Pause (attacca) anschließen muss.

Dritter Satz

Mit einem fanfarenartigen Motiv beginnt das deutlich dreiteilige Ritornell. Es wird sieben Mal auftreten, außer zu Beginn und Ende gekürzt auf die ersten vier, einmal acht Takte - fast der gesamte Satz baut auf Vier- und Achttaktgruppen auf.

Ein eigenes Solothema existiert nicht; die Solisten greifen auf Ritornellmaterial zurück. So beginnt gleich das erste Solo mit dem Themenkopf, und das zweite basiert auf dem zweiten Achttakter des Themas - konsequent folgt dann als Ritornell dessen letztes Drittel. Die dritte Soloepisode ist ein virtuoses Violinsolo; nach dem folgenden Ritornell beginnt exakt in der Mitte des Satzes ein auffälliger Höhepunkt: Eine zwölftaktige, entfernt an eine Durchführung erinnernde Passage, in der Bass und Solisten trillerartige Zweierbindungen in stetig absteigenden Tonleitern spielen. Diese Passage führt direkt in die Wiederaufnahme der ersten Soloepisode und damit in eine Art von Reprise - alle nun folgenden Soloepisoden greifen nur noch auf bereits exponiertes Material zurück, und alle weiteren Ritornelle stehen ausnahmslos in der Tonart der Tonika.

Einzelnachweise

  1. Siegbert Rampe, Dominik Sackmann: Bachs Orchestermusik: Entstehung – Klangwelt – Interpretation. Kassel 2000, ISBN 3-7618-1345-7, S. 160
  2. Ulrich Siegele: Kompositionsweise und Bearbeitungstechnik in der Instrumentalmusik Joh. Seb. Bachs, 1956, ISBN 3-7751-0117-9
  3. Siegbert Rampe, Dominik Sackmann: Bachs Orchestermusik: Entstehung – Klangwelt – Interpretation. Kassel 2000, ISBN 3-7618-1345-7, S. 162
  4. Siegbert Rampe, Dominik Sackmann: Bachs Orchestermusik: Entstehung – Klangwelt – Interpretation. Kassel 2000, ISBN 3-7618-1345-7, S. 248
  5. Siegbert Rampe, Dominik Sackmann: Bachs Orchestermusik: Entstehung – Klangwelt – Interpretation. Kassel 2000, ISBN 3-7618-1345-7, S. 238
  6. Joshua Rifkin, Verlorene Quellen, verlorene Werke – Miszellen zu Bachs Instrumentalkomposition, in: Martin Geck (Hrg.): Bachs Orchsterwerke: Bericht über das 1. Dortmunder Bach-Symposion 1996, ISBN 3-932676-04-1, Witten 1997, S. 61ff.
  7. Siegbert Rampe, Dominik Sackmann: Bachs Orchestermusik: Entstehung – Klangwelt – Interpretation. Kassel 2000, ISBN 3-7618-1345-7, S. 163
  8. Siegbert Rampe, Dominik Sackmann: Bachs Orchestermusik: Entstehung – Klangwelt – Interpretation. Kassel 2000, ISBN 3-7618-1345-7, S. 440f.

Noten