Benutzer:Mautpreller/Demokratie Recht Moral

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Demokratie, Recht und Moral in der deutschsprachigen Wikipedia

Einleitung

Wer eine Adminfunktion oder eine ähnliche Funktion in der Wikipedia ausübt, hat möglicherweise, so wie ich, das Phänomen der Selbstverdopplung am eigenen Leib gespürt. Als Schreiber und Diskutant ist man „Partei“, besonders wenn man in Kontroversen gerät; als Admin wird von einem erwartet (und erwartet man von sich selbst), dass man nicht parteilich und vor allem nicht willkürlich entscheidet. Das Adminamt ist besonders bei der Entscheidung von Kontroversen ja ungeheuer öffentlich, jedes Wort und jede Bemerkung wird abgeklopft und darauf hin untersucht, ob man unsauber handelt. Eines der striktesten Tabus ist, dass man „nicht in eigener Sache“ entscheidet. Insofern sind Admins nicht „normale Benutzer“, bloß mit erweiterten Rechten, sondern sie sind genötigt, so etwas wie einen Adminstil und eine Admin-Persona zu entwickeln (bzw. sie wird ihnen zugeschrieben), zusätzlich zur normalen Wikipedianer-Persona als Schreiber.

Worauf kann man sich beim Entwickeln und Leben einer solchen zweiten Identität stützen, damit man nicht beim ersten Lüftchen umgeweht wird bzw. damit man sich nicht ständig angegriffen fühlen und verhärten muss? Ich unterscheide grob drei Ressourcen, die prinzipiell zur Verfügung stehen: Demokratie, Recht und Moral. Eine vierte ist immer wieder mal vorgeschlagen worden, vor Jahren von luha, zuletzt von der Redaktion Antike: Fachkompetenz. Die beziehe ich hier nicht ein, weil sie prinzipiell ganz andere Probleme aufwirft. Es gibt ja in sehr vielen Fällen nicht nur ein „Fach“, das für einen Artikel oder gar einen ganzen Bereich „zuständig“ wäre, Wikipedia ist der Möglichkeit nach ein Labor der Interdisziplinarität. Schwerer wiegt noch, dass eine fachliche Entscheidung grundsätzlich eine inhaltliche Entscheidung ist, die mit dem Adminamt, so wie es sich herausgebildet hat, kaum vereinbar ist. Grundsätzlich ist Fachwissen natürlich von großem Vorteil, weil es einem hilft zu verstehen, worum es in einem Streit (ob um Löschung oder im Editwar) eigentlich geht; aber als Entscheidungsressource ist es grundsätzlich problematisch.

Die drei Ressourcen sind nicht als strikt voneinander getrennte Alternativen zu verstehen, normalerweise sind sie in Mischformen anzutreffen. Man kann sie aber schon unterscheiden, insbesondere nach Adminbegründungen und Selbstrechtfertigungen, aber auch in der Adminkritik. Ich versuche drei Idealtypen herauszuarbeiten.

Demokratie

Demokratische Elemente gibt es in der WP zweifellos. Die bekanntesten sind die Urwahl, speziell die Adminwahl, seit einiger Zeit verbunden mit der Abwahlmöglichkeit, und die Urabstimmung etwa im Benutzersperrverfahren oder im Meinungsbild. Demokratische Elemente finden sich auch in Löschdiskussionen und Artikelkandidaturen, ja in praktisch jeder Auseinandersetzung wird die Demokratie als Prinzip angerufen; hier sieht man aber bereits, dass „Demokratie“, als Herrschaft „der Community“ verstanden, ihre Grenzen hat, denn dieses Argument wird fast immer gekontert. „Löschdiskussionen sind keine Abstimmungen, es sollen die Argumente geprüft werden“ (etc.).

Demokratie vs. Autokratie (selbstherrliche Entscheidung des Admins) ist natürlich ein normativ hoch aufgeladenes Begründungsmuster (vgl. auch Oppong) und unverzichtbar – wie sollte eine Bestimmung einer Autoritätsperson auch legitimer funktionieren als per Urwahl, wie sollte ein „Communitywillen“ auch anders zum Ausdruck kommen als per Abstimmung? Zwei Formen von Demokratie spielen hier eine Rolle, eine repräsentative und eine direkte Demokratievorstellung. Bei der repräsentativen Vorstellung werden Personen gewählt, denen die Community vertraut bzw. vertrauen soll und die für sie entscheiden; bei der direkten Vorstellung agiert die Community selbst (Meinungsbild, BSV). Es gibt durchaus Stimmen, die auch beim Agieren der Gewählten ein imperatives Mandat annehmen, also ein Moment der direkten Demokratie (etwa Sargoth).

Einheitsstiftendes Moment: Die volonté générale

Alle Formen der demokratischen Entscheidung und der demokratischen Legitimation haben etwas gemeinsam: Sie stützen sich auf die Figur des Communitywillens. „Die Community hat es so bestimmt.“ Das ist die alte Figur der volonté générale von Rousseau, die Unterstellung eines letztlich gemeinsamen Willens der Community, ob mehrheitlich bestimmt oder (bestenfalls) im Sinne eines Konsenses. Hier wird also eine Einheit zugrunde gelegt, die jedoch nie erscheinen kann, weil niemals die ganze Community (deren Grenzen ja ohnehin ungewiss sind) ihren Willen zum Ausdruck bringt und man auch nicht sicher sein kann, wie der geäußerte Wille eigentlich genau zu verstehen ist.

Adminfigur: Exekutor des Communitywillens

Die entsprechende Admingestalt wäre der Exekutor des Communitywillens, oder von der anderen Seite formuliert: Admins sollen den Willen der Community ausführen und umsetzen. Das ist etwas, worauf man sich stützen kann: Ich bin legitimiert durch Wahl mit Zweidrittelmehrheit, mit meiner Geschichte, meiner Bewerbung, meiner Person. Es ist auch eine Ressource, die man geltend machen kann, etwa in diesem Sinn: Ich bin zwar persönlich möglicherweise anderer Meinung, aber der etwa in einem Meinungsbild materialisierte Communitywillen ist für mich bindend. Aber auch: In dieser Frage entscheide ich nicht, weil ich dann dem Communitywillen folgen müsste und der gegen meine persönliche Überzeugung verstößt; deshalb überlasse ich die Entscheidung anderen (Dank an Anka für diesen Einwurf). Oft wird es so formuliert, dass der Admin den jeweiligen Communitywillen erspüren und materialisieren muss und, wenn er daran scheitert, sein Amt aufgeben soll oder abgewählt wird. Die zugehörige, mit Demokratie legitimierte Kritik ist: Der Admin ist „abgehoben“, er weiß gar nicht mehr, was in der Community vor sich geht, er entscheidet nach selbstgestrickten Motiven, Kumpanei, Korruption, ihm ist sein Amt zu Kopf gestiegen etc. Mein Rücktritt etwa wurde so kommentiert: Es ist eigentlich ganz logisch, dass er zurücktritt, wenn er merkt, dass seine Auffassung der Adminfunktion keine Mehrheit mehr hat.

Demokratiekritik: Drei Argumente

Nun gibt es ja seit Anbeginn der Wikipedia auch eine virulente Demokratiekritik. Als charakteristische Parole: „Nimm nicht an Wahlen und Abstimmungen teil.“ Wie ist sie begründet?

Es lassen sich mindestens drei Argumente unterscheiden. Erstens: Die Community lässt sich nicht klar abgrenzen. Es gibt das Phänomen der passing guests, es gibt IPs, die sich nicht mal als Akteure über mehr als sechs Stunden identifizieren lassen, es gibt Sockenpuppen, die Abstimmungen unkalkulierbar machen. Im Hintergrund liegt die Überzeugung: Das Prinzip „Jeder kann mitmachen“ passt nicht gut zum Bild „der Community“ als irgendwie zu bestimmender Einheit. Darüber hinaus finden sich ja in den Abstimmungen nicht mal alle Regulars ein, es gibt Zufallsmehrheiten, die mit einem Communitywillen wenig, mit einem Mob aber viel mehr zu tun haben.

Zweitens und grundsätzlicher mit Schiller: „Was ist schon Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn. Verstand ist stets bei wen’gen nur gewesen.“ Die Mehrheit kann Unrecht haben, die „Masse“ hat sogar sehr oft Unrecht. Das gilt speziell in einem Projekt, das sich Wissen auf die Fahne geschrieben hat. Man kann nicht gut Artikelfragen per Mehrheitsentscheid lösen, weil sie eben Wissensfragen sind, die unabhängig davon sind, wie viele die richtigen Antworten kennen. Aber auch Benutzerstreitigkeiten oder Löschfragen (d. h. auch der „Scope“ des Projekts) lassen sich nicht vernünftig per Volksentscheid lösen, weil dabei der Einzelne unter die Räder kommen kann. (Hier ist ein Anknüpfungspunkt zur „Ressource Recht“.)

Und drittens, ebenfalls grundsätzlich: Das Hauptelement der Partizipation, ganz besonders in einem Freiwilligenprojekt, ist gar nicht die Teilhabe an demokratischen Entscheidungsprozeduren. Das Hauptelement ist das individuell freie Editieren. Was jeder Einzelne macht, soll gar nicht von einer Community (schon gar nicht von einer Mehrheit) vorgeschrieben werden; und der Einzelne kann das auch, er kann sich zu jeder Zeit auf jeder Artikel-, Diskussions- oder Metaseite zu Wort melden, er kann zu jeder Zeit jeden Artikel ändern. Es gibt zu diesem Prinzip Einschränkungen (Halbsperren, Artikelschutz, VM, AN), die es allerdings nur am Rande ankratzen, allgemein bekennt sich praktisch jeder Wikipedianer zu diesem Prinzip. Diese eher anarchische Seite der sich selbst regulierenden offenen Community ist etwas grundsätzlich anderes als die Ausübung von Demokratie durch Wahl und Abstimmung. Vor allem, und dies wiegt schwer, ist damit das Prinzip der volonté générale nicht durchzuhalten, denn diese Einzelnen können nicht und sollen nicht auf einen Communitywillen verpflichtet werden. Man kann sie sich plural denken oder beziehungslos, aber nicht als einem Gesamtwillen unterworfen, nicht einer Herrschaft, wie sie im Grundwort „kratie“ (Volks-Herrschaft) angelegt ist.

Resümee

Alle drei Kritikpunkte können nicht außer Acht gelassen werden, sie benennen wesentliche Defizite einer demokratischen Begründung von Admin-Akten. Speziell die Figur des Communitywillens im Sinne einer volonté générale wird zu Recht scharf kritisiert. Dessen ungeachtet kann man auch das Demokratieprinzip nicht ignorieren, denn wie soll eine Teilhabe aller an einem gemeinsamen Projekt im Konfliktfall geregelt werden, wenn nicht durch demokratische Mechanismen? Ich denke, dass Demokratie gerade dann eine wichtige Rolle spielen kann, wenn sie als Selbstbegrenzung funktioniert, während die Gefahren des Demokratieprinzips besonders stark sind bei unbegrenztem „Durchgriff“. Nach wie vor scheint mir etwa eine auf einen Turnus begrenzte Wahlperiode der Admins ein vernünftiger Schritt zu einer solchen Selbstbegrenzung, während das nach langen Debatten eingeführte AWW-Verfahren meist auf den Communitywillen in einer bestimmten Frage rekurriert und deshalb recht problematische Folgen haben kann. Eine höhere Mobilität zwischen „Knopfträgern“ und „Knopflosen“ wäre weit eher herzustellen durch eine begrenzte Wahlperiode. Eine generalisierte Demokratiekritik, wie sie sich etwa in Gegenstimmen wegen „unnötiger Wiederwahl“ äußert, schüttet das Kind mit dem Bade aus.

Recht

Die Legitimation durch die Ressource „gesatztes Recht“ wird oft mit der Demokratie („demokratischer Rechtsstaat“) zusammengeworfen, ist aber ihrer Natur nach etwas ganz anderes. Es ist eine Orientierung an irgendwie fixierten, wesentlich formalen anerkannten Regeln, die grundsätzlich für alle gelten. Im Unterschied zum Demokratieprinzip würde ein regelgeleitetes Handeln also gerade auch dann korrekt sein, wenn es von einer großen Mehrheit verworfen wird. Lässt sich zB eine Löschung oder eine Sperre nicht mit anerkannten Regeln begründen, ist sie fehlerhaft; im Gegenzug kann man eine Lösch- oder Sperrentscheidung, die durch anerkanntes Recht begründet ist, auch gegen einen Sturm der Entrüstung auf diese Weise standhaft verteidigen. Damit gibt es hier einen gewissen Schutz, eine „Rechtssicherheit“ für Minderheiten und Einzelne, die einer wütenden Mehrheit, ja selbst einer Gruppe sehr gut vernetzter Admins nicht hilflos ausgeliefert sind.

Voraussetzung dafür ist freilich, dass die Regeln prinzipiell als legitim anerkannt werden, selbst dann, wenn sie gegen einen selbst angewandt werden. D. h. den Regeln tut so etwas wie eine explizite oder implizite demokratische Legitimation gut. Ein wichtiges Bestimmungsstück dieser Ressource ist es, dass die Regeln eine gewisse Dauerhaftigkeit und Festigkeit aufweisen und damit gegen heftige Aufwallungen, Volkszorn und dergleichen abgeschirmt sind. Ferner kann so ein regelgeleitetes Vorgehen nur wirklich funktionieren, wenn es auch etablierte, möglichst ebenfalls formalisierte Prozeduren gibt: Vorgehensweisen, denen man im Normalfall zu folgen hat, Bestimmungen, die deutlich machen, wer zuständig ist etc. D. h. das Recht muss auf einem vorgezeichneten Weg anrufbar sein, man muss sich darauf verlassen können, dass einem ein bestimmter Weg zugänglich ist, es einzufordern, der nicht plötzlich liquidiert wird. Natürlich bietet Recht, so verstanden, keine „Gerechtigkeit“ und keine Garantie, Recht zu bekommen; aber eben Garantien für eine Einforderung.

Einheitsstiftendes Moment: Wahrung der Rechtsordnung

Eines der wichtigsten Argumente für Recht als Ressource ist, dass es wesentlich formal ist. Das heißt, die materialen („inhaltlichen“) Unterschiede in der vielfältigen Community oder auch in den Texten sind grundsätzlich nicht das, woran ein Regelwerk ansetzt. Es bietet eher einen formalen Rahmen unbeschadet aller materiellen Differenzen; in seinem Rahmen können die Differenzen (hoffentlich) produktiv oder zumindest ohne größeren Schaden anzurichten ausgetragen werden. Im Unterschied zum Demokratieprinzip setzt das Recht mithin keine volonté générale voraus, es geht nicht vom Zwang zur Einigung aus, sondern setzt einen Rahmen zur Austragung oder auch zum beziehungslosen Nebeneinanderbestehen der „Standpunkte“ und auch der Projektvorstellungen (dazu mehr unter „Moral“). Zugleich ist ein Regelverstoß nicht zwingend ein Grund für eine inhaltliche (materiale, persönliche) Verurteilung. Eine Sanktion wegen eines Regelverstoßes richtet sich in allererster Linie darauf, den geregelten Rahmen aufrechtzuerhalten (sozusagen das Recht selbst); erst in zweiter Linie ist sie etwas, was sich gegen den Sanktionierten richtet. Der formale Charakter des Rechts kann also auch bedeuten, dass es nicht ein Urteil gegen eine ganze Person sein muss, sondern sich beschränkt auf die Wahrung der (Rechts-)ordnung. So kann eine Sanktion auch angenommen werden, obwohl man sie für ungerecht hält, weil der geregelte Rahmen höher gehalten wird als die persönlich empfundene Ungerechtigkeit.

Zum Regelwerk

Der Bezug auf das Regelwerk ist an allen Punkten, wo Admins entscheiden sollen, allgegenwärtig. Aber welches Regelwerk haben wir eigentlich? Wie in allen wenig formalisierten Organisationen gibt es eine unglaubliche Anzahl an Regeln, deren Geltungsbereich und Hierarchie fast immer strittig sind und die sich in Alter, Legitimation, Formalisierungsgrad und Zustandekommen stark unterscheiden. Man kann sie gar nicht alle kennen und es dürfte keine zwei Wikipedianer geben, die die gleiche Auffassung haben, welche Regel wann gilt. Die berüchtigten Standard-Begrüßungsbausteine mit einem Dutzend Regellinks zeigen, wie schwer sich da einzufinden ist.

Einigkeit besteht zunächst prinzipiell in den vier Grundprinzipien. Die sind als regulative Ideen sehr wichtig, weil sich alle konkreteren Regeln irgendwie daran messen lassen müssen. Aber „Wikipedia ist eine Enzyklopädie“, der „neutrale Standpunkt“ und die Belegpflicht werden mit Grund eher selten direkt zur Entscheidung von Streitigkeiten herangezogen, weil alle diese Prinzipien gewöhnlich eine inhaltliche Entscheidung verlangen. Ist ein Edit „enzyklopädisch“, „neutral“ und „belegt“? Selbst bei der Belegpflicht erweist sich eine direkte Begründung einer Sanktion als schwierig, weil man inhaltlich begründen müsste, warum ein Beleg angemessen oder unangemessen ist und ob er die Aussage belegt oder nicht. Es ist daher wenig verwunderlich, dass das am häufigsten direkt herangezogene Grundprinzip „Keine persönlichen Angriffe“ ist (was zugleich allerdings bedeutet, dass viele Konflikte auf KPA hin „getrimmt“ werden, weil man da die besten Aussichten auf eine unmittelbare Entscheidung hat).

Für Entscheidungen wichtiger als die Grundprinzipien 1-3 sind daher die konkreteren Regeln, die eine Prozedur vorsehen. Als Beispiel, sehr häufig, die Regeln zum Edit War, ständig umstritten, aber immer wieder herangezogen, die ja auch eine gewisse Sicherheit bieten, nicht sanktioniert zu werden, wenn man nicht zweimal denselben Edit einsetzt. Ähnlich die Relevanzkriterien, die versuchen, eine Grundentscheidung zum Thema „Was ist eine Enzyklopädie“ auf konkrete Kriterien herunterzubrechen, und damit eine geradezu komisch wirkende Detailliertheit aufweisen, aber gerade dadurch eine gewisse Sicherheit bieten. Aber auch im engeren Sinne prozedurale Regeln spielen eine große Rolle. Sie sind oft nicht festgeschrieben, werden aber meist eingehalten: Wer gesperrt wird, hat das Recht auf eine Sperrprüfung, die nicht vom selben Admin entschieden wird. Ein Adminproblem kann jeder eröffnen und es bleibt 24 h offen. Ich würde mir gerade auf diesem Gebiet noch einiges wünschen, etwa eine formale Begründungspflicht jeder Adminentscheidung, eine realistischere Rechtsweggarantie, eine vernünftige Ordnung für die Sperrprüfung und dgl.; Koenraad hat in seiner Adminpraxis einiges dafür getan, weitere Regeln zu verankern, die dem „Rechtsobjekt“ eine gewisse Sicherheit bieten (insbes. Regeln dafür, wann ein bestimmter Admin tätig werden soll und wann nicht), aber richtig verallgemeinert sind sie noch nicht.

Adminfigur: Ausleger des Regelwerks

Die entsprechende Adminvorstellung ist damit: Der Admin ist der Ausleger des Regelwerks, so etwas wie ein Talmudgelehrter und zugleich Friedensrichter. Sein Handeln ist dadurch legitimiert, dass er sich an die breit anerkannten Regeln hält und sie für den Einzelfall auslegt; er hat die Ressource, sich auf die Rolle als unparteilicher Wahrer der Ordnung zu beziehen. Entsprechend werden Admins dafür kritisiert, dass sie die geltenden Regeln nicht kennen, sich über sie hinwegsetzen, sie falsch auslegen (etwa im Sinne ihrer eigenen Interessen) und die „Gleichheit vor dem Gesetz“ nicht einhalten. So wurde ich z.B. kritisiert, weil ich wegen KPA keine Sanktionen ausgesprochen hätte, obwohl sie zwingend hätten folgen müssen, oder weil ich bei Leuten, die mir sympathisch seien, „weicher“ sei als bei Leuten, die ich nicht leiden könne.

Rechts- und Regelkritik: Drei Argumente

Nun gibt es ja auch eine ausgesprochene Rechts- und Regelkritik in der Wikipedia, unter anderem ausgedrückt in der paradoxen Regel „Ignoriere alle Regeln“ und spezieller auf prozedurale Regeln bezogen als Kritik des „Wikilawyering“. Worauf gründet sich diese Kritik?

Ein Argumentationsstrang bezieht sich auf die Formalisierung. Das informelle Zusammenarbeiten, wie es gerade das sog. Wiki-Prinzip ("you can edit this text right now") fordert, wird durch eine unübersehbare Fülle an Regeln und Mechanismen behindert und gebremst. Es wird nicht nur für „Neulinge“, sondern selbst für einigermaßen erfahrene Mitarbeiter unangemessen schwierig, sich im Kosmos der Regeln ausreichend zurechtzufinden und auch nur „seinen“ Artikel zu schreiben. Dazu kommt das Argument, gerade in der unmittelbaren Kooperation an Artikeln merke man doch, wer sich produktiv und wer sich destruktiv verhält. Das kann man aber oft nicht so ohne weiteres an einem „Regeltatbestand“ festmachen. Beispielsweise sind Simplicius’ finstere Manöver contra HaMü oft gegen „rechtsstaatliche Ahndung“ geschickt immunisiert, Korrekturens Rechthaberei kann sich meist auf Regeln berufen, vertreibt aber die besten Mitarbeiter usw. Durch starre Regelbindung verliert dann unter Umständen der, dem als erstem der Kragen platzt, was kaum als befriedigendes Ergebnis gewertet werden kann und vor allem moralisch kaum zu rechtfertigen ist (siehe Moral). Die Regeln können damit „falsch“ sein und „falsch“ wirken, ebenso wie die Mehrheit „falsch“ liegen kann (s. Demokratie).

Ein zweiter Argumentationsstrang bringt das Projektziel ins Spiel: Wikipedia ist ein Projekt zur Erstellung einer Enzyklopädie. Störungen bei diesem Vorhaben sollen durch Admins stellvertretend verhindert werden, und zwar möglichst effizient („Putzdienst“). Das gelingt nicht, wenn die Regelbindung so exzessiv ausgelebt wird; es wird dann eben Wikilawyering betrieben, alle möglichen Löcher ausgenutzt, die ganze Community ist über Wochen, Monate und Jahre mit „Rechtsstaat spielen“ ausgelastet (ein Argument, das auch gegen die Ressource Demokratie vorgebracht wird). Diese gelegentlich etwas fragwürdige Argumentation (weil sie schlicht auf effizientes Loswerden ungeliebter Leute und Meinungen gerichtet sein kann) gewinnt an Plausibilität, wenn es um schwerwiegende Verletzungen der persönlichen Integrität geht: Verletzungen von WP:ANON, Stalking, ins RL überschwappende Belästigungen, antisemitische „slurs“, frauenverachtende Witzchen, Bedrohungen usw. können mit strikter Regelbindung nicht effizient bewältigt werden. Sie benötigen rasches Eingreifen und eine brauchbare Urteilsfähigkeit des Admins, also dessen eigenen Kopf. Insbesondere bei ANON-Fällen ist ein sich hinziehendes Verfahren katastrophal, weil es den Schaden potenziert.

Ein drittes Argument, meines Erachtens das stärkste, setzt in einem anderen Sinn an der Formalisierung an. Adminentscheidungen sind viel zu oft tatsächlich in dem Sinn „formalrechtlich“, dass sie sich um die inhaltliche Seite des Streits (oder des zu löschenden Artikels) gar nicht kümmern, die Erregung der Beteiligten nicht ernst nehmen, sich überhaupt nicht mit dem Gegenstand vertraut machen. Zwar sollen sie nicht „inhaltlich entscheiden“, sie interessieren sich aber für den Konflikt, seine Antriebskräfte, seine Folgen etc. überhaupt nicht und bieten damit keine Hilfe, im Gegenteil, sie setzen Vandalen und produktive Schreiber gleich. Klassisch ist der Spruch „Einigt euch auf der Diskussionsseite“, der oft nur als zynisch betrachtet werden kann, da dafür überhaupt keine Aussichten bestehen und man nur hoffen kann, dass der Troll sich gegen KPA versündigt. Das Rechts- und Regelwerk dient hier also dem Ausweichen vor der Dynamik der realen Konflikte, dem Nicht-Eingreifenmüssen und Nicht-Position-beziehen-Müssen, ja noch mehr, es deformiert die lebendige Kommunikation. Verwandt damit ist eine Rechtskritik, die nicht in erster Linie auf Adminhandeln zielt: Konflikte werden gewissermaßen entstellt und verzerrt, indem sie auf einen starren Regelbezug hin „gebürstet“ werden. Klassisches Beispiel die Auseinandersetzungen im Genderbereich oder im Wipo-Bereich, wo an die Stelle einer offenen Auseinandersetzung, wie im Artikel den real unterschiedlichen Standpunkten Raum verschafft werden kann, oft eine buchstäbliche Orientierung an formalen Regeln tritt (wie oft ist dies zitiert? entspricht es WP:LIT? wer hält sich an WP:DS? krieg ich jemanden dazu, den Feind wegen KPA zu bestrafen? etc. pp.)

Resümee

Die Regelkritik hat durchaus Argumente, die stechen (sie werden bei der Moral nochmal geprüft werden müssen), insbesondere dann, wenn Formalisierung und Prozeduralisierung zu einem Verlust an Einfühlungs- und Urteilsvermögen oder auch dazu führen, dass man sich die Bildung eines eigenen Urteils schlicht spart. Mir scheint jedoch, dass „Recht“ bei weitem die wichtigste der drei Ressourcen ist, und zwar aus einem doppelten Grund: Erstens zielt die Ressource Regelwerk auf einen Rahmen für die Auseinandersetzung, der sich gegenüber den unterschiedlichen existierenden Projekt-, Artikel- und Kooperationsvorstellungen zumindest prinzipiell neutral verhalten kann. Es kann also der Möglichkeit nach die Voraussetzung für eine freie Auseinandersetzung der Argumente, Emotionen und Standpunkte bieten, ohne à priori eine Entscheidung zu treffen, was denn inhaltlich und als Projektziel das Richtige sei. Und zweitens: Prozedural ausgestaltetes Recht bietet dem Einzelnen im Labyrinth der Wikipedia eine gewisse Sicherheit. Er steht dann eben nicht wie Kafka „vor dem Gesetz“, denn wenn es mit Prozeduren ausgestaltet ist, dann ist „das Gesetz“ anrufbar, man kommt zu Wort, kann sich verteidigen und wird gehört. Die kafkaeske Situation, in die man geraten kann, wenn man sich gut vernetzten „Gegnern“ gegenübersieht, die in ihren Begründungen beliebig umsteigen können und sich nicht verantworten müssen, kenne ich selbst ganz gut aus meiner Anfangszeit in der Wikipedia. Neben eigener Vernetzung, die viel Zeit braucht, hilft da nur eine wenigstens halbwegs gesicherte Rechtssicherheit.

Moral

Moral ist natürlich ein Sammelbegriff, unter den sehr vieles fallen kann. Moralen können sehr individuell sein oder einen sehr generellen Anspruch haben. Sie zeichnet, ernst genommen, aus, dass sie den „Moralisten“ unbedingt binden, nicht aber zwingend die anderen (sonst wären es Gesetze). Und sie zeichnet aus, dass sie nicht fixiert sind (wie Regeln), insofern auch nicht im strengen Sinn formal sind, sondern eher so etwas wie eine Grundentscheidung darstellen, die auch und gerade in Abwesenheit von Gesetzen oder demokratischen Entscheidungen wirkt.

Als Ressource für den Admin interessiert mich hier eher nicht eine individuelle Moral, sondern eine, die Anspruch auf überindividuelle Geltung erheben kann. Das heißt, hier kann es nicht um „Admin on mission“ gehen, sondern um etwas, das im Großen und Ganzen als prinzipiell geteilte Haltung angesehen werden kann. Der wichtigste Bezugspunkt für eine solche Haltung ist das Projekt und seine „Ideologie“ (hier kommen also wieder einmal die vier Grundprinzipien ins Spiel). Damit verbunden ist eine Haltung zur Community, also zur lebendigen Kooperation der Wikipedianer, und die wiederum ist verbunden mit Werten wie Einfühlungsvermögen, Toleranz, Ehrlichkeit, Menschenwürde etc. pp.

Einheitsstiftendes Moment: Das gemeinsame Projekt

Mich interessiert hier in allererster Linie die sehr häufige Berufung auf den Projektschutz resp. das Ziel, Schaden vom Projekt abwenden zu wollen, seinen Ruf zu schützen, produktive Projektmitarbeiter zu schützen usw. Diese Begründung leuchtet zunächst unmittelbar ein, weil das Projekt ja gerade das ist, woran man zusammen arbeitet und weshalb man zusammen arbeitet. Hier bildet also im Unterschied zur Ressource Demokratie nicht die Community und im Unterschied zur Ressource Recht nicht die (Rechts-)Ordnung, sondern das gemeinsame Projekt das einigende und zugleich Legitimation bietende Moment. Ein offensichtliches Merkmal einer solchen Begründung ist ihre Flexibilität: Im Unterschied zu dem wenigstens irgendwie zu materialisierenden Communitywillen und der an gesatztes Recht gebundenen Ordnung kann man schnell und frei handeln, wenn man seine Ressource im Projektbezug sieht. Und man ist auch vor allem frei, sich den Fragen zuzuwenden, die zum Beispiel in einer VM tatsächlich umstritten sind.

Erkauft wird dieser Vorteil allerdings damit, dass es prinzipiell unbestimmt bleibt, was das Projekt und das Projektziel generell denn ist. Aus den Grundprinzipien etc. lässt sich natürlich nicht ableiten, in welcher Weise man sie verfolgen soll, welches besonders wichtig ist, schon gar nicht, wie die Grenzen des Projekts beschaffen sind, um die es natürlich gerade bei Adminentscheidungen immer wieder gehen muss. Andererseits kann man hoffen, auf einen gewissen Grundstock an Haltungen und Einstellungen bauen zu können, der jenseits von Abstimmungen und Regeln besteht, beginnend von Grund- und Menschenrechten, gewissen geteilten Vorstellungen über den Umgang miteinander, Ablehnung von Diskriminierung und Gewalt bis hin zu geteilten Vorstellungen über das Enzyklopädieschreiben, etwa Ablehnung, den persönlichen Standpunkt mittels eines Artikels zu „pushen“, Ablehnung von bezahltem Schreiben zur puren Werbung, Ablehnung von Lügen etc. Es gibt bei genauerem Hinsehen eine Vielzahl von solchen moralischen Bezugspunkten, die immer wieder und in fast jeder Diskussion angepeilt werden, wenn auch die Interpretationen sehr verschiedene sind – es gibt also Spuren einer solchen überindividuellen Moral, auf die man sich berufen kann.

Interessanterweise spielt die Ressource Moral eine besonders große Rolle bei der Frage, wer noch zum Projekt gehört (gehören soll) und wer nicht mehr. Die Ausdrücke „projektschädlich“, „Projektstörer“ etc. kommen auf VM, SP etc. auffallend häufig vor, und auch die Gegenstücke des Vandalen, des Trolls und des zugehörigen Trollschützers finden sich in großer Zahl. Moral scheint besonders bei den Zugehörigkeitskriterien zum Projekt als Argument genutzt zu werden, und dies oft speziell in utilitaristischem Sinn. In diesem Fall wird die Rechnung aufgemacht: Wie verhalten sich Nutzen für das Projekt und Schaden für das Projekt bei diesem oder jenem Account? Ist der Nutzen geringer als der Schaden oder gar verschwindend gering, kann man ihm getrost die Tür weisen. Man sieht den Unterschied insbesondere zur Ressource Recht: In diesem Fall würde die wohlerwogene und mehrheitlich geteilte Überzeugung nicht ausreichen, der Account nütze dem Projekt nichts. Man müsste ihm einen Regelbruch nachweisen und diese Begründung auch vertreten können.

Adminfigur: Sachwalter des Projekts und seiner Werte

Die Adminfigur, die der Ressource Moral entspricht, könnte man als Sachwalter des gemeinsamen Projekts und seiner Werte bestimmen. Legitimierend wirkt der Bezug auf das gemeinsame Vorhaben, dem man sich freiwillig angeschlossen hat, ebenso wie geteilte Vorstellungen, wie es richtig ist, zusammenzuarbeiten. Daraus kann man auch die Ressource gewinnen, auf Sanktionen zu verzichten (die rechtlich oder demokratisch geboten wären), weil diese mit der geteilten Moral in Konflikt gerieten, ebenso wie Ausschlüsse zu verkünden, die nicht voll durch Regeln gedeckt sind. Von der Communityseite her könnte man etwa solche Formulierungen erwarten: Dieser Account hat wertvolle Arbeit für das Projekt geleistet, den kann man nicht einfach sperren. Solche Kritik aus moralischer Perspektive wurde etwa an mir ausgesprochen, als ich eine Kurzsperre für eine Beleidigung des Users Korrekturen verhängte. Ich habe nicht erkannt, wo der tatsächliche Projektschaden liege, und damit formalistisch und im Grunde selbst projektschädlich gehandelt.

Moralkritik: Drei Argumente

Die Moralkritik in der Wikipedia mag nicht so ausgeprägt sein wie die Kritik der Demokratie und die Kritik des Rechts, was sicherlich auch mit dem schwer zu fassenden Charakter der Moral zu tun hat; sie existiert aber nichtsdestotrotz, und ich hab dazu selber auch schon beigetragen. Drei Argumente lassen sich besonders hervorheben:

Eine Sanktion, die moralisch begründet ist, setzt ein richtiges moralisches Urteil voraus. Im Falle des hier betrachteten Projektbezugs heißt das, der das Urteil fällende Admin bestimmt implizit oder gar explizit darüber, was projektnützlich und was projektschädlich ist. Das wird geradezu absurd, wenn auch noch versucht wird, das zu quantifizieren (Nutzen vs. Schaden). Nicht umsonst sind moralisch begründete Sanktionen besonders häufig verbunden mit Bekenntnissen, das eigentliche Ziel der Wikipedia liege in der Erweiterung des Artikelnamensraums, Endlosdiskutieren sei projektschädlich, POV Warriors ruinierten das Projekt usw. usf. Aber wie lassen sich solche Urteile eigentlich diskursiv begründen? Ist ein kollaboratives Arbeiten einander völlig Unbekannter an Artikeln ohne eine umfängliche Diskussions- und Konfliktregelungskultur eigentlich denkbar? Kann ein Autor ohne einen „point of view“ überhaupt etwas erkennen, geschweige denn schreiben? Ist vielleicht der Prozess des Diskutierens viel interessanter als das Resultat des fertigen Artikels? Darf man das nicht mehr denken? Hier geschieht eine Dogmatisierung, die den offenen Prozess der Projektentwicklung abschneidet. (Ein Beispiel wäre die Sperre von Jahn Henne; der hat wenig, wenn nicht nichts zum ANR beigetragen. Ist er deshalb kein Wikipedianer?)

Damit verbunden ist eine moralische Erhöhung des urteilenden Admins, man könnte sagen: eine Selbstüberhebung. Das ist weniger unter Gleichheitsgesichtspunkten als vielmehr wegen der Folgen für den Admin bedeutsam: eine urteilende Position, die darauf hinausläuft, dass man uneigennützig dem Projektziel dient, ist wenig glaubhaft und im Grunde auch intellektuell problematisch. Das gilt auch und gerade für die „Admin-Identität“. Hierzu eine kleine Seitenbemerkung: Die selbstironische Bezeichnung als „Putzdienst“ klingt zwar wenig grandios, geht aber in dieselbe Richtung. Sie unterstellt für die eigene Position volle Uneigennützigkeit ohne Gegenwert. Dies ist im Grunde nicht haltbar.

Und der meines Erachtens bedeutsamste Kritikpunkt: Im Unterschied zu einem Urteil wegen Regelverstoßes trifft ein moralisches Urteil im Allgemeinen die ganze Person. Dieses Urteil beschränkt sich nicht auf das Knöllchen wegen Falschparkens, es bedeutet, wenn man nicht sehr vorsichtig ist, eine Kritik des Menschen, der den Account betreibt. Das ist selbst wiederum unter moralischen Gesichtspunkten bedenklich, weil es sehr fraglich ist, ob dem Admin ein solches Urteil eigentlich zusteht; schlimmer ist die pragmatische Folge, dass ein solches Urteil erst die Situation schaffen kann, auf die es zu reagieren behauptet. Das Urteil, Projektschädling oder unfähig zur Kooperation zu sein, kann man nur als Zyniker auf sich beruhen lassen. Durch ein solches „Durchschlagen“ eines moralischen Urteils wird ein Kompromiss mit ziemlicher Sicherheit unmöglich.

Resümee

Die Kritik an der Ressource Moral ist meines Erachtens sehr gewichtig; hier sind die Gefahren besonders groß. Doch es ist andererseits unübersehbar, dass in der Wikipedia ständig moralische Fragen eine Rolle spielen, denen man sich stellen muss. Ob eine lebende Person in „ihrem“ Artikel Herabsetzungen dulden muss, auch wenn sie „belegt“ sind; ob man mit Namensnennungen auch dann vorsichtig sein soll, wenn die Namen schon in der Presse erwähnt wurden; ob man einen geschönten Ritterkreuzträgerartikel verantworten kann; ob man ein Verhalten als Mobbing bewertet und Konsequenzen daraus zieht; ob man es nachempfinden kann, wenn jemand sich in die Enge getrieben fühlt und auskeilt usw. usf., alles moralische Fragen, denen man nicht ausweichen kann und zu denen man sich ein eigenes moralisches Urteil bilden muss. Ein Plädoyer gegen die Moral wäre insofern völlig verkehrt. Schließlich gibt es ja auch Situationen, wo man den Gewissensfall ausrufen muss: Gleichgültig wie die Regeln lauten, hier ist einzuschreiten, sonst macht man sich durch Unterlassen schuldig. Problematisch wird es nur, wenn dieses moralische Urteil seine eigene Sphäre verlässt und auf die Entscheidung direkt „durchschlägt“.