Benutzer:Munfarid1/sandkasten
Kulturgeschichtliche Studien
Ethnografische Studien zum Schmuck der Berber wurden zunächst seit Beginn des 20. Jahrhunderts durch französische Kolonialbeamte und Sammler veröffentlicht. Sie umfassen Beschreibungen der Formen, materiellen Beschaffenheit und Zuordnungen zur sozialen oder lokalen Herkunft der Schmuckstücke.[1]
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts veröffentlichten französische Ethnologen wissenschaftliche Arbeiten und Bücher für ein breiteres Publikum.[2] Diese konzentrierten sich hauptsächlich auf die Klassifizierung von Berberschmuck in Kategorien wie Broschen, Ohrringe, Armbänder usw., auf Materialien, Formen und lokale Namen der verschiedenen Stücke sowie auf die historische, geografische und soziale Herkunft der Silberschmiede und ihrer Kunden. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts haben Kunsthistorikerinnen vor allem aus dem englischsprachigen Sprachraum ihr Untersuchungsinteresse auf weitere Aspekte dieser kulturellen Traditionen ausgeweitet, indem sie die sozialen und geschlechtsspezifischen Rollen der Berberfrauen und die sich verändernde Bedeutung von Schmuck und anderen künstlerischen Ausdrucksformen der Berber in der Gegenwart untersuchten.[3]
Frühe ethnografische Beschreibungen
Der französische Sammler und Kunstkritiker Paul Eudel (1837-1911) war einer der ersten Autoren kunsthistorischer Beschreibungen des Schmucks in Nordafrika. Nach seinem ersten Werk zu Algerien und Tunesien L'orfévrerie algérienne et tunisienne (1902) veröffentlichte er eine thematische Übersicht mit einer noch breiteren geografischen Reichweite mit dem Titel Dictionnaire des bijoux de l'Afrique du Nord. Marokko, Algérie, Tunesien, Tripolitaine (1906). Basierend auf seinen Reisen in diese Länder stellte er detaillierte Informationen über Schmuck der Berber und anderer Stile mit grafischen Illustrationen zu seinen Anmerkungen zusammen.[4]
Jean Besancenot (1902-1992), ein französischer Maler, autodidaktischer Ethnograf und Dokumentarfotograf, erstellte detaillierte Beschreibungen sowie zahlreiche dokumentarische Fotografien und künstlerische Illustrationen traditioneller Kleidung und Schmuckstücke in Marokko. Im Auftrag der Verwaltung des französischen Protektorats hatte er diese ethnografischen Aufzeichnungen während seiner ausgedehnten Reisen im Land zwischen 1934 und 1939 gesammelt.[5]
In seinem Bildband Costumes du Maroc (1942) identifizierte er drei grundlegende Kategorien von Kostümen, die er jeweils den ländlichen Berbern, der jüdischen Bevölkerung und den städtische Bürgern zuordnete. Darüber hinaus wurde jedes Porträt seiner 60 Gouachebilder einer bestimmten sozialen Rolle (verheiratete Frau, Palastwache, Musiker usw.) und einer Stadt oder Region zugeordnet, und die Kleidung der Berber wurde weiterhin den entsprechenden Stammesgruppen zugeordnet. Nachdem diese Kleidungsformen in den 1930er Jahren noch sehr allgegenwärtig und differenziert waren, bemerkte Besancenot, dass in ländlichen Gebieten jede Art von Kleidung eine ethnische Identität darstellte.[6] Da seine künstlerischen Farbporträts von Personen in voller Größe nicht genügend Platz für Elemente wie Frisuren, Schuhe oder das Drapieren loser Textilstücke wie dem städtischen Haik oder nicht vernähter Kleidungsstücke der Berber boten, fügte er detaillierte Beschreibungen und Zeichnungen für die Schmuckformen der Städterinnen sowie jene der ländlichen Berberfrauen hinzu.[7]
In seinem zweiten Werk Bijoux arabes et berbères du Maroc (1953) veröffentlichte Besancenot seine Zeichnungen und Beschreibungen von fast 200 Schmuckstücken aus verschiedenen Orten und Traditionen Marokkos. Besancenot war ursprünglich Maler, und seine Zeichnungen heben die komplexen Merkmale der Stücke im Vergleich zu seinen entsprechenden Fotografien in reduziertem Detail hervor. Im Zuge seiner Feldstudien hatte er gelernt, die Fotografie als Mittel einzusetzen, um seine ethnografischen Eindrücke schnell festzuhalten. In einem Interview mit der Journalistin Dominique Carré kommentierte er seine Herangehensweise wie folgt: „Ich wollte beweisen, dass Wissenschaftler ihre Untersuchungen sehr oft in einer Geisteshaltung betreiben, die den ästhetischen Aspekt teilweise außer Acht lässt. […] Sie studieren eine Reihe gründlich Dinge, vernachlässigen aber oft die Aspekte traditioneller Kunst, die einen sehr wichtigen ästhetischen Wert haben. Ich wollte diesen Wert wiederherstellen."[8]
Studien von Ethnologen
Henriette Camps-Fabrer (1928-2015), eine auf nordafrikanische Kultur spezialisierte französische Ethnologin, schrieb zwischen den 1970er und 1990er Jahren mehrere Veröffentlichungen über den Berberschmuck in Algerien und den benachbarten Maghreb-Ländern. Sie und ihr Ehemann Gabriel Camps (1927-2002 ) waren im Algerien aufgewachsen und veröffentlichten zahlreiche Forschungsarbeiten zur Geschichte der Berber. Nach der Unabhängigkeit Algeriens im Jahr 1962 lehrten sie Archäologie und Ethnologie an der Universität von Algier, der das dortige Nationalmuseum angegliedert war.[9] Gabriel Camps war auch Gründer und erster Chefredakteur der Encyclopédie Berbère, in der wissenschaftliche Abhandlungen über Berberschmuck, seine Geschichte, Herstellung und Typologie von Camps-Fabrer veröffentlicht wurden.[10]
Die französische Ethnologin Marie-Rose Rabaté ist (Co-)Autorin mehrerer Bücher und Artikel seit den späten 1970er Jahren über Volkstraditionen in Marokko mit Schwerpunkt auf Kostümen, Schmuck und anderen dekorativen Künsten. Angesichts der immer selten werdenden Verwendung von Berberschmuck seit den 1960er Jahren hielt sie es für dringend, diese Schmuckstücke zu identifizieren und so genau wie möglich zu lokalisieren, um ihnen ihren rechtmäßigen Platz in der Geschichte der marokkanischen Traditionen zu geben.[11]
Studien von Kunsthistorikern
Das 2021 erschienene Buch Berber Memories. Women and Jewellery in Morocco präsentiert Abhandlungen des belgischen Kunsthistorikers Michel Draguet zur Geschichte der Berber sowie zu kulturellen Traditionen der Berberfrauen. Schmuck wird in den Kontext des täglichen Lebens gestellt, in dem Frauen einen bestimmten sozialen Status hatten, der sich in ihrem Kunsthandwerk, ihrer Erzähltraditionen und Ihrer Kleidung, einschließlich des Schmucks, widerspiegelt. Durch Beispiele aus einer privaten Sammlung von etwa 300 Stücken präsentiert dieser Band auf fast 600 Seiten zahlreiche Fotografien von Berberschmuck und seinen Besitzerinnen aus verschiedenen Regionen Marokkos.
In ihrem Artikel Deconstructing the history of Berber arts: tribalism, matriarchy and a primitive Neolithic past (2010) beurteilt die amerikanische Kunsthistorikerin Cynthia Becker der Boston University[12] das Verständnis der künstlerischen Traditionen der Berber als oberflächlich. Dem Ansatz postkolonialer Sichtweisen folgend, die Stereotypen und den eurozentrischen Ansatz ethnologischer Studien über außereuropäische Kulturen als unzureichend beurteilen, postuliert sie, dass es den bisherigen Studien nicht gelungen sei, die komplexen Realitäten der Menschen im Maghreb zu verstehen. Insbesondere seien der Einfluss des Islam, der arabischen Kultur, des Handels und der Migration weitgehend übersehen worden. Darüber hinaus stellte sie die Vorstellung einer „städtisch arabischen“ künstlerischen Tradition im Gegensatz zu einer ländlichen Berberkultur in Frage und zitierte dazu die Studie der Kunsthistorikerin Sidney L. Kasfir One tribe, one style?, demgemäß „vorkoloniale Kulturen voneinander abhängig waren, häufig interagierten und viele ihrer künstlerischen Traditionen über ethnische Grenzen hinweg teilten.“[13]
Becker kritisiert weiterhin die Vorstellung von „archaischen“ Berbertraditionen, die historische Veränderungen leugneten, und argumentiert: „Solche Behauptungen romantisieren und enthistorisieren Berber in ländlichen Gebieten und verstärken die Idee, dass authentische Berberkunst jene sei, die über Jahrhunderte hinweg unberührt blieb.“[14] In Bezug auf Interpretationen von Berbermotiven als archetypische Formen mit vor Unheil schützenden Fähigkeiten, die von Ethnologen wie Gabriel Camps bis in die vorislamische Zeit zurückverfolgt wurden,[15] warnt Becker ferner davor, dass die Vorstellung einer „unbewussten, jahrtausendealten „Berberheit“ vielschichtige soziale Kontakte und Austauschprozesse, welche die künstlerische Produktion beeinflussen, nicht berücksichtigt.“[16]
Zur zentralen und geschlechtsspezifischen Rolle der Frauen als Produzentinnen von Kleidung und Textilien schrieb Becker in ihrer Studie Amazigh Arts in Morocco. Women Shaping Berber Identity: „Frauen haben sowohl die künstlerischen Symbole der Berberidentität geschaffen und sie an ihren Körpern getragen, wodurch der geschmückte weibliche Körper zu einem öffentlichen Symbol der Berberidentität wurde."[17]
Die französische Ethnologin Marie-Luce Gélard diskutierte Berberschmuck weiterhin im Kontext kollektiver Hochzeitsrituale des Stammes der Aït Khabbash im Südosten Marokkos und betonte dabei sowohl die geschlechtsspezifische Natur solcher Objekte als auch die Komplementarität kultureller Praktiken wie folgt:[18]
„Schmuck hat natürlich ein Geschlecht [...] Tatsächlich gehen diese Schmuckstücke durch ihren sozialen und rituellen Gebrauch über die alleinige Manifestation der weiblichen Sphäre hinaus. Wenn sie die Ehefrau repräsentieren, sind sie auch Ausdruck der Begegnung, der Vereinigung und der Komplementarität der Geschlechter. [...] Wir sind weit entfernt von den normativen Visionen völlig getrennter männlicher und weiblicher Universen; die rituelle Verwendung und Zurschaustellung von Gegenständen zeugt vielmehr von einer Einheit der Geschlechter.“
- ↑ Becker 2010, S. 195-220
- ↑ Zum Beispiel Camps-Fabrer 1990, Rabaté et al. 1999, oder Gargouri-Sethom 1986.
- ↑ Becker 2006, Loughran 2006 oder Gélard 2012
- ↑ Eudel 1902, S. V–XIII
- ↑ Assouline und Carré 2020, S. 9-11
- ↑ Besancenot, Neuauflage 1988, S. 9
- ↑ Besancenot 1988, S. 186–205.
- ↑ Übersetzung aus dem französischen Originaltext, Assouline und Carré 2020, S.16
- ↑ Gabriel Camps. 15. Februar 2022, abgerufen am 24. Februar 2022.
- ↑ H. Camps-Fabrer: Bijoux. In: Encyclopédie berbère. Nr. 10, 1. Dezember 1991, ISSN 1015-7344, S. 1496–1516, doi:10.4000/encyclopedieberbere.1758 (openedition.org [abgerufen am 24. Februar 2022]).
- ↑ Rabaté, Goldenberg und Thau 1999, S. 11
- ↑ Cynthia Becker | History of Art & Architecture. Abgerufen am 24. Februar 2022 (englisch).
- ↑ Sidney Littlefield Kasfir: One Tribe, One Style? Paradigms in the Historiography of African Art. In: History in Africa. Band 11, 1984, ISSN 0361-5413, S. 163–193, doi:10.2307/3171633 (cambridge.org [abgerufen am 24. Februar 2022]).
- ↑ Becker 2010, S. 198, bezieht sich auf das Buch Die Berber-Frauen. Kunst und Kultur in Nordafrika (1997), in dem die Autorin Geraldine Brooks behauptet, „dass Berber heute so leben, wie sie es seit Jahrhunderten getan haben“ und dass eine webende Berberin „auf ein Repertoire an Symbolen zurückgreift, das vor dem Römischen Reich existiert“.
- ↑ Gabriel Camps 1995 Les Berbères: mémoire et identité. Paris: Errances, p. 210
- ↑ Becker 2010, S. 105
- ↑ Becker 2006, S. 1, weiterhin schrieb sie ebendort, dass Berberfrauen im Gegensatz zu Nordafrikanern der arabischen Kultur „die Hauptproduzenten von Kunst sind und die Kunst der Frauen die Gruppe als Berber identifiziert.“ Dies ergibt sich für Becker auch daraus, dass Berberfrauen kunstvollen Schmuck, Tätowierungen und Henna-Ornamente trugen und Teppiche und andere Textilien, Keramik und Haushaltsgegenstände hergestellt haben.
- ↑ Gélard 2012, S. 89-104