Benutzer:Mushushu/Antike Mythenkritik

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Hinweis: Du darfst diese Seite editieren!
Ja, wirklich. Es ist schön, wenn jemand vorbeikommt und Fehler oder Links korrigiert und diese Seite verbessert. Sollten deine Änderungen aber der innehabenden Person dieser Benutzerseite nicht gefallen, sei bitte nicht traurig oder verärgert, wenn sie rückgängig gemacht werden.
Wikipedia ist ein Wiki, sei mutig!

Mythenkritik ist die Bestreitung der Glaubwürdigkeit von Mythen. Mythische Stoffe werden dabei unter Gesichtspunkten der Vernunft, der Nützlichkeit oder der eigenen Weltanschauung beurteilt. In manchen Fällen verbindet sich die Kritik mit Versuchen, eine historische Erklärung für die Entstehung von Mythen zu finden.

In der Antike lässt sich seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. eine explizite Mythenkritik fassen. Als erste traten darin die frühen Philosophen hervor. Später wurde die Diskussion über den Wahrheitsgehalt von Mythen auch zum Thema der Geschichtsschreibung.

Der Philologe Jörg Rüpke versteht bereits jede Neufassung – insbesondere schriftliche Fassungen – eines Mythos als interne Mythenkritik, da sie alte Fassungen teilweise verwirft und eigene Schwerpunkte setzt.[1]

Mythenkritik in der Philosophie

Die Naturphilosophie der Vorsokratiker übte von Anfang an insofern Kritik an den Göttermythen, als sie nach Naturgesetzen suchte, die keiner Steuerung durch die Götter bedurften. Xenophanes von Kolophon war der erste Philosoph, der eine direkte Kritik an den Göttermythen äußerte: „Alles haben Homer und Hesiod den Göttern angehängt, was nur bei Menschen Schimpf und Schande ist: Stehlen und Ehebrechen und sich gegenseitig Betrügen.“[2] Er stellte fest, dass alle Völker sich ihre Götter so vorstellen, wie sie selbst aussehen, und meinte, wenn Pferde, Rinder oder Löwen Hände hätten, um Bildnisse ihrer Götter zu schaffen, sähen diese aus wie Pferde, Rinder und Löwen.[3] Die Geschichten von Titanen, Giganten und Kentauren bezeichnet er als „Erfindungen der Vorzeit“.[4] Auch Heraklit meinte, die Mythenerzählungen Hesiods seien nicht von Vernunft geprägt.[5]

Viele der Sophisten hielten die wörtliche Interpretationen von Mythen nicht für sinnvoll. Ein nicht namentlich bekannter Sophist erklärte beispielsweise die Mythen zu Geschichten, die erfunden wurden, um als gute oder abschreckende Beispiele für menschliches Verhalten zu dienen. Erst mit der Zeit seien diese Geschichten immer mehr für Berichte über vergangene Ereignisse gehalten worden.[6] Protagoras war besonders im Hinblick auf die Göttermythen skeptisch: Er meinte, entgegen den mythischen Überlieferungen könne man über die Götter nichts wissen, nicht einmal, ob sie existieren.[7] Prodikos von Keos äußerte sich ähnlich mit der Feststellung, die Menschen hätten die von ihnen beobachteten Naturphänomenen zu Göttern und damit den Protagonisten ihrer Mythen gemacht.[8] Für die Sophisten hatten Mythen trotzdem eine gewisse Vorbildfunktion. Zu diesem Zweck erfanden sie auch neue Mythen. Ein besonders bekannter dieser Kunstmythen ist die Prodikos zugeschriebene Geschichte über Herakles am Scheideweg.[9]

Auch Platon schätze die didaktische Funktion von Mythen: In seinem Dialog Protagoras erklärt einer der Protagonisten, dass es für alle hilfreich sei, wenn er seinen Zuhörern seine Meinung in Form eines Mythos näherbringe.[10] In seinem Werk Politeia lässt Platon Sokrates vorschlagen, in einem idealen Staat sollten die Werke Hesiods und Homers verbannt werden, da sie zwar literarisch gelungen seien, aber für eine gute Erziehung ungeeignet.[11] Stattdessen sollten Staatsdichter neue Mythen erschaffen, die zu seinen Erziehungszielen passten.[12] Zwar wäre dies wohl anfangs allem Bürgern bekannt; mit der Zeit werde aber dieser Ursprung der Mythen vergessen werden, wodurch die Mythen zunehmend für wahr gehalten würden.

Mythenkritik in der Geschichtsschreibung

Hekataios von Milet berichtet in seinem Geschichtswerk, das am Ende des 6. oder Anfang des 5. Jahrhunderts v. Chr. entstand, über die Herkunft der Griechen. Dabei bemerkt er in seiner Einleitung, die mythischen Geschichten der Griechen seien „zahlreich und meiner Meinung nach lächerlich“.[13] Danach untersucht er den Wahrheitsgehalt dieser Mythen, indem er sie auf ihre Wahrscheinlichkeit hin überprüft. Beispielsweise bemerkt er zu dem Mythos des argivischen Königs Danaos, es sei nicht wahrscheinlich, dass Danaos 50 Töchter gehabt habe; realistischerweise könnten es maximal 20 gewesen sein.[14] Zu dem Mythos, in dem Herakles den dreiköpfigen Hund Kerberos fängt, erklärt Hekataios, es habe nahe dem Eingang zur Unterwelt eine gefährliche Riesenschlange gegeben, die „Hund des Hades“ genannt worden sei. Nur dadurch, dass dieser Name wörtlich genommen wurde, sei der Mythos entstanden, es gebe dort wirklich einen riesigen Hund.

Der Geschichtsschreiber Herodot bemerkt in der Einführung zu seinem Werk über die Perserkriege, dass die mythologische Überlieferung der Perser und der Phönizier sich widersprechen.[15] Daraus schließt er, dass sich Mythen wegen ihrer mangelnden Verifizierbarkeit nur eingeschränkt für die Geschichtsforschung eignen.[16] Herodot beginnt deshalb seinen Bericht mit der Regierungszeit des Königs Kroisos, über den er zuverlässige historische Daten zu haben glaubt.

Thukydides lässt sein Werk ebenfalls mit der mythischen Vorzeit beginnen, empfiehlt aber, diese Überlieferungen nicht uneingeschränkt zu glauben, und kritisiert seine Zeitgenossen dafür, Legenden unüberprüft als Wahrheit zu akzeptieren.[17]

In der Geschichtsschreibung der römischen Kaiserzeit finden sich ähnliche Auffassungen: Livius, der zu Beginn des 1. Jahrhunderts n. Chr. wirkte, schreibt im Vorwort seines Werkes Ab urbe condita, dass es die Gewohnheit früherer Schriftsteller gewesen sei, Geschichte mit Legenden zu vermischen. Er finde dies zwar nicht verwerflich, allerdings erschwere es ihm, die Wahrheit über die Gründung Roms zu ermitteln. Er behandelt die Geschichten über die mythische Frühgeschichte Roms daher mehr als moralische Beispiele als als Tatsachenberichte.[18] Plutarch beginnt am Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. seine Biographie des Theseus, indem er ankündigt, den Mythos „reinigen“ zu wollen und ihm so in das Aussehen von Geschichte zu geben.[19]

Literatur

  • Fritz Graf: Griechische Mythologie. Eine Einführung. München, Artemis Verlag 1985, ISBN 3-7608-1316-X.
  • Helmut Heit: Der Ursprungsmythos der Vernunft. Zur philosophiehistorischen Genealogie des griechischen Wunders. Würzburg, Königshausen & Neumann 2007, ISBN 3-8260-3289-6.

Einzelnachweise

  1. Ursula Rüpke, Jörg Rüpke: Die 101 wichtigsten Fragen. Götter und Mythen der Antike. Beck, München 2010, ISBN 978-3-406-60630-4.
  2. Die Fragmente der Vorsokratiker 21 B 11 (Übersetzung von Hermann Diels).
  3. Die Fragmente der Vorsokratiker 21 B 14–16.
  4. Die Fragmente der Vorsokratiker 21 B 1.
  5. Die Fragmente der Vorsokratiker 22 B 40.
  6. Die Fragmente der Vorsokratiker 88 B 25.
  7. Die Fragmente der Vorsokratiker 80 B 4.
  8. Die Fragmente der Vorsokratiker 84 B 5.
  9. Die Fragmente der Vorsokratiker 84 B 2; Xenophon: Memorabilia 2, 1, 21–34.
  10. Platon: Protagoras 320c.
  11. Platon: Politeia 607c.
  12. Platon: Politeia 377b.
  13. Fragmente der griechischen Historiker 1, 1.
  14. Fragmente der griechischen Historiker 1, 19.
  15. Herodot 1, 1–4.
  16. Herodot 1, 5, 3.
  17. Thukydides 1, 20, 1.
  18. Livius 1, 6–9.
  19. Plutarch: Theseus 1, 3.

[[Kategorie:Griechische Mythologie]] [[Kategorie:Römische Mythologie]]