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Hohe Minne

Seit etwa 1170/80 entwickelte sich im Minnesang neben der wechselseitigen Werbesituation ein neues Verhältnis der Geschlechter: Der Begriff der Hohen Minne beschreibt eine (literarische) Spielart der Minne, in der das männliche lyrische Ich (der Werbende) über seine erfolglosen Werbebemühungen um eine überhöht dargestellte Dame (die Umworbene) spricht. Insofern kann man diese Ausprägung der Minne als Bewährungsminne des Mannes bezeichnen: Der Mann realisiert, akzeptiert und schätzt schlussendlich seine einseitige, unerwiderte und aussichtlose Liebe. Anzumerken ist, dass die ethischen Anforderungen an die literarische Figur des Werbenden im Minnesang ähnlich denen der Helden in der Epik, speziell im Artusroman, sind.


Das literarische Liebeskonzept der Hohen Minne

Das Verhältnis der Geschlechter ist klar definiert: Der Werbende ist der umworbenen Frau untergeordnet und wird in den literarischen Werken oft wortwörtlich als Dienstmann (mhd. dienstman) der Dame vorgestellt. Das Verhältnis der Geschlechter erinnert somit an das realhistorische Lehnswesen, jedoch mit dem Unterschied dazu, dass der Werbende (vgl. Lehnsmann) innerhalb der Hohen Minne keine positive Reaktion der Dame (vgl. Lehnsherr) zu erwarten hat. Er scheint vollkommen isoliert von seiner Angebeteten zu sein und erhält seine aussichtslose Liebe nur deswegen aufrecht, weil er selbst Gefallen an seiner eigenen Aufrichtigkeit, Selbstlosigkeit und Beständigkeit findet und aufgrund dieser Attribute wiederum auch Anerkennung von der Gesellschaft erfährt. Somit kann man die Hohe Minne auch als Kompensationsminne bezeichnen, da der Mann die unerreichte und unerreichbare Liebe durch ethisch-moralische Vervollkommnung seiner selbst ersetzt. Da die erwiderte Liebe der männlichen Figur zumeist verwehrt bleibt, kann man bei Minnelieder in der Spielart der Hohen Minne oft von Leidsang sprechen, in der der werbende Mann als leidendes Subjekt plakativ dargestellt wird. Die Umworbene hingegen nimmt im Text nur eine Nebenrolle ein: Sie erscheint als Objekt, dessen (höfische) Werte einzig dazu dienen, die Werbebemühungen des Mannes zu rechtfertigen, anstatt als aktives Subjekt in den textuellen Handlungsrahmen eingebunden zu werden. Man kann also von einer Projektion der Werte eines männlichen Idealtypus auf das Objekt einer idealtypischen, hochhöfischen Dame sprechen.


Funktion des Liebeskonzepts

Es gibt verschiedene Forschungsansätze, die sich mit der Funktion der Hohen Minne auf die realhistorische Wirklichkeit (und/oder umgekehrt) befassen. In der älteren Forschung treten jedoch vermehrt Hypothesen auf, welche die Spielart der Hohen Minne einzig als ästhetisch-formales Kunstprodukt innerhalb des Minnesangs bezeichnen und damit dem Liebeskonzept wenig Wirkung auf die mittelalterliche Gesellschaft (bzw. umgekehrt) zugesteht. Jüngere Ansätze wollen als Ursache des literarischen Phänomens der Hohen Minne und seiner Ausbreitung die katholische Kirche sehen: Die Hohe Minne sei eine literarisch formulierte, ekklesiogene Kollektivneurose der weltlichen Adeligen, welche gleichsam die Trägerschicht der Liebeslyrik waren. In der Spielart der Hohen Minne hätten sich somit die existentiellen Ängste männlicher Adeliger in der Literatur widergespiegelt. Die Mentalitätsgeschichte schlägt folgende Existenzängste als Auslöser vor:

  • Das sich verändernden Frauenbild
  • Der Konflikt zwischen dem negativen Frauenbild, welches die katholische Kirche (in dieser These als Über-Ich deklariert) formulierte, und dem eigenen triebhaften Verlangen der männlichen Adeligen (in dieser These als Es deklariert).
  • Die Hohe Minne sei literarischer Ausdruck männlicher Potenzangst: Der Auslöser dafür sei gewesen, dass männliche Adelige in ihrer Machtposition überfordert gewesen wären und sich deswegen ein literarisches Liebeskonzept entwickelte, indem der Mann die unterwürfige Position gegenüber einer Dame einnimmt – also sozusagen ein konträres Bild zur mittelalterlichen Lebenswirklichkeit.

Andere Ansätze sehen die Spielart der Hohen Minne als Teil männlicher Triebsublimierung, also der Umwandlung von sexuellen Wünschen in Ersatzhandlungen: Der Minnesang stelle also eine kulturelle Ersatzhandlung der Triebauslebung des Mannes dar. Diese Form der Umwandlung von sexueller Energie und deren literarische Darstellung in der Spielart der Hohen Minne kann man (umgekehrt) auch als Didaktik deuten. Es könnte über den Umweg der Literatur ein männliches Umdenken in Bezug auf das eigene Sexualverhalten, also eine Triebkultivierung, angestrebt worden sein.

Alle diese Hypothesen sind diskutierbar und eine endgültige Klärung der Problematik der Funktion der Hohen Minne scheint – wenn überhaupt möglich - noch geraume Zeit zu brauchen. Die Literaturangabe dieses Artikels bietet aber einen breiten Überblick zu diesem Thema und seiner Forschungslage.

Wichtige Minnesänger

In diesem Kapitel folgt eine Auflistung bekannter Minnesänger, die speziell die Spielart der Hohen Minne gekonnt in ihren Liedern einsetzten. Die Reihung ist rein alphabetisch, also ohne Wertung. Einzig Reinmar sei hervorgehoben, denn er gilt als Meister der Darstellung (männlichen) Leidens im Zuge der Werbung um eine unerreichbare Dame.


Quellen

  • Schweikle, Günther: Minnesang, 2., korrigierte Auflage, (=Sammlung Metzler; Band 244), Stuttgart/Weimar 1995 ISBN 3-476-10244-0
  • Minne ist ein swaerez spil, hrsg. Von Ulrich Müller. Darin: Ulrich Müller: Die Ideologie der Hohen Minne: Eine ekklesiogene Kollektivneurose? Göppingen 1986
  • Schnell, Rüdiger: Causa amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur. Bern [u.a.] 1985 ISBN 3-7720-1595-6
  • Bein, Thomas: Liebe und Erotik im Mittelalter. Graz 2003 ISBN 3-201-01806-6