Benutzer:Ot/Hannah-Begriffe

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Otfried Höffe behauptet, dass eine einfache Klassifikation der Beiträge zu Machiavelli nicht möglich ist. „Vieldeutig und unerschöpflich zu sein, ist nun mal die Signatur eines Klassikers.“[1]

Nach August Buck hat sich die Rezeption von Machiavelli wie „bei keinem anderen Autor ... in Form einer durch Ideologien belasteten Polemik vollzogen, die auch nach dem Einsetzen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit seinem Werk bis in die Gegenwart fortdauert.“[2] Laut August Buck begann dies mit einem Traktat von Agostino Nifo im Jahr 1523. „Mit dieser moralische Ächtung Machiavellis beginnt noch zu dessen Lebzeiten die Polemik des Antimachiavellismus.“[3]

Eine verunglimpfende und hochemotionale Polemik sieht Höffe bei Reginald Pole, Innocent Gentillet[4] und Leo Strauss. Eine konstruktive Kritik erkennt Höffe bei Jean Bodin und eine politische Rehabilitierung bei Baruch de Spinoza, Arthur Schopenhauer, James Harrington und Andrew Fletcher sowie eine moralische Rehabilitierung bei Johann Gottfried Herder, Johann Gottlieb Fichte und Georg Wilhelm Friedrich Hegel.[5]

Trotzdem wird nach Höffe „Machiavellis Denken, insbesondere das des Principe, ... im Verlauf des 16. Jahrhunderts zum europäischen Kulturgut“.[6] Dabei stand Machiavellis Rezeption „im Zeichen des Streites zwischen den Konfessionen, die sich gegenseitig machiavellistische Gesinnung beschuldigten.“[7]

Machiavellis Begriff der Staatsräson stand im 17. Jahrhundert „im Mittelpunkt der politischen Diskussion“.[8] In Tacitus glaubte „man machiavellistische Grundsätze entdecken zu können“.[9] In der Diskussion griff man auch auf den Namen Tacitus zurück, da man zum einen den verfemten Namen Machiavelli vermied und zum anderen konnte man mit dem römischen Namen „die Auseinandersetzung mit der christlichen Lehre umgehen.“[10]

Man findet heute noch Ratgeberliteratur wie zum BeispielMachiavelli für Frauen oder Machiavelli für Manager, aber sonst hat Machiavelli nach Höffe seinen Zauber verloren, denn „einige seiner Thesen erscheinen mittlerweile als selbstverständlich anerkannt.“[11] Wirksam ist nur noch, wenn man das Verhalten seines politischen Gegners als machiavellischtisch benennt, also als skrupellos bezeichnet.

In Deutschland beschäftigen sich Ideenhistoriker, Politikwissenschaftler und Soziologen wie Hans Freyer und René König noch mit Machiavelli. Niklas Luhmann widmet Machiavelli in Die Moral der Gesellschaft einen längeren Abschnitt. Aber nach Höffe ist Machiavelli „für Philosophen dagegen kein Thema mehr.“[12]


[13]

August Buck: Machiavelli, Darmstadt, 1985, ISBN 3-534-01294-1


Die Wirkungsgeschichte Machiavellis beginnt nach Otfried Höffe mit der Genehmigung der Drucklegung durch Clemens VII. Die Discorsi wurde ein Jahr früher, 1531, gedruckt. Mit der Gegenreformation setzte „die massive Polemik“[14] ein, so dass Papst Paul IV. das Fürstenbuch auf „den ersten Index der verbotenen Bücher“ setzte. Trotzdem wird nach Höffe „Machiavellis Denken, insbeondere das des Principe, ... im Verlauf des 16. Jahrhunderts zum europäischen Kulturgut“.[15]

Die „Dämonisierung“ des Fürstenbuches begann nach Höffe schon vor der Drucklegung durch Agostino Nifo und die erste boshafte Kritik schrieb Kardinal Reginald Pole. Pole schrieb, „der Principe sei mit dem Finger Satans geschrieben worden.“[16] Innocent Gentillet[17] „bekannte Discours sur les moyens de bien gouverner bekräftigte die Wahrnehmung Machiavellis als des Urhebers eines zutiefst amoralischen und atheistischen Politik.“[18] Gentillet wirft Machiavelli „sogar vor, die geistige Ursache der französischen Konfessions- und Bürgerkriege, also letzlich der grausamen Bartholomäusnacht[19] zu sein.

Nach Höffe führt Jean Bodin in Die sechs Bücher über die Republik 1576 eine konstruktive Kritik. Er lehnt zwar Machiavellis Amoral ab, aber die Trennung von Staat und Kirche übernimmt er zum Beispiel. Pedro de Ribadeneira erklärt Machiavelli 1595 „zum Antichrist“ und Giovanni Botero greift zwar 1589 Machiavelli an, aber er erhebt die Staatsräson „zum Prinzip der gegenreformatorischen Kirche.“[20] Auch Paolo Paruta stimmt dem zu.

Traiano Boccalini Satire Ragguagli di Parnaso (1612-13) legt „schonungslos das Wesen der von Machiavellisten und Antimachiavellisten gleichermaßen vertretenen Staatsräson frei.“[21] Dagegen wenden sich Hermann Conring (1661) und Amelot de la Houssaye (1683) „in ihren kommentierten Übersetzungen des Principe“, welches von Voltaire und Friedrich den Großen benutzt wurde.[22]

Es gab auch Stimmen die Machiavelli verteidigten. Zu ihnen gehörte Giordano Bruno, „der in Spaccio de la bestia trionfante (1584) seine Wertschätzung des Principe nicht verheimlicht“[23] und Alberico Gentili hält Machiavelli für einen „äußerst leidenschaftlichen Befürworter der Demokratie; geboren, gebildet und geehrt in einer Republik; ein Todfeind der Tyrannei.“[24]

Scipione Ammiratos Discorsi (1594) beruht auf Tacitus und sind nach Jürgen von Stackelberg nur ein halber Antimachiavell, da auch hier „Gesetzesübertretungen zu einem Privileg des Herrschers“[25] gehören.

Nach Höffe entfalten die obigen Gegenstimmen keine große Wirkung, sondern in der „breiten Öffentlichkeit herrscht die Dämonisierung vor, sichtbar in ihrer Präsenz auf dem Theater.“[26] Im englischsprachigen Raum wird Machiavelli als „Old Nick“ zum Synonym des Teufels. Christopher Marlowe, William Shakespeare und John Webster ließen „Old Nick“ „als typisierten Bösewicht auftreten“.[27]

Francis Bacon, Michel de Montaigne, Ludovico Zuccolo, James Harrington und Andrew Fletcher (Politiker) würdigen die republikanische Gesinnung Machiavellis und Baruch de Spinoza das 15. Kapitel des Fürstenbuches, wenn Spinoza kritisiert, dass frühere Philosophen „die Menschen nicht wie sie sind, sondern wie sie sie haben möchten“[28] betrachten.

Johann Friedrich Christ ist nach Höffe der erste, der begründet, warum Machiavelli als Tyrannenfeind und als Befürworter einer Republik gilt. „Dabei gibt er das Muster für viele spätere Machiavelli-Befürworter vor: Die Discorsi wird auf-, der Principe dagegen abgewertet.“[29]

Denis Diderot und vor allem Jean-Jacques Rousseau würdigen das Fürstenbuch als „das Buch der Republikaner“.[30] Michel de Montaigne beruft sich nach Höffe in seinem Werk auf Machiavelli, aber ein „reiner Machiavelli-Freund war er nicht. Vor allem den Principe lehnte er ab, da er Fürsten zu der von ihm selbst verhaßten despotischen Regierung [...] anleitete.“ [31]

Der aufgeklärte Friedrich II. (Preußen) schreibt Der Antimachiavell auf französisch. Dies wurde vom erklärten Gegner Machiavellis, Voltaire, anonym veröffentlicht. Nach Höffe ist Der Antimachiavell keine grundsätzliche Ablehnung, sondern Friedrich II. „läßt Hintertüren offen“.[32] „Schon der junge Herder wird auf den Widerspruch zwischen den Worten des Königs und seine Taten hinweisen, er sagt nämlich: ‚daß er [Friedrich II.] Machiavelli folgt, ob er ihn gleich wiederlegt [sic] hat‘“.[33]

Auch Immanuel Kant setzt sich implizit mit Machiavelli in Zum ewigen Frieden auseinander. Nach Höffe setzt Kant Machiavelli „die moralische Politik entgegen, die die politische Klugheit nur im Rahmen des moralisch Erlaubten wirken läßt.“[34]

Johann Gottfried Herder „verteidigt in Briefen zur Beförderung der Humanität (Nr. 58) die Person als auch Gedanken Maciavellis.“[35] Dies setzt sich bei Johann Gottlieb Fichte, Leopold von Ranke und Georg Wilhelm Friedrich Hegel fort. Nach Karl Rosenkranz wollte Hegel „gleichsam der Machiavelli Deutschlands werden“.[36] Nach den Eroberungen Napoleon Bonapartes, der das Fürstenbuch als einziges politische Buch das man lesen sollte empfahl, wird Machiavellis Fürstenbuch „zum Vorbild für den Widerstand gegen den französischen Imperator.“[37] Johann Gottlieb Fichte beschäftigt sich 1807 unter anderem in Über Machiavelli als Schriftsteller und Stellen aus seinen Schriften mit ihm. Fichte ging es aber nicht wie Machiavelli um die Vertreibung ausländischer Mächte in Italien, sondern Fichte wollte „die Barbaren ‚mit Zwang dem Reiche der Kultur‘ eingliedern.“[38]

Arthur Schopenhauer

Für Friedrich Engels war „Machiavelli [...] Staatsmann, Geschichtschreiber, Dichter und zugleich der erste nennenswerte Militärschriftsteller der neueren Zeit.“[39] und Karl Marx schreibt zu Machiavelli: „Gleich vor und nach der Zeit der großen Entdeckung des Kopernikus vom wahren Sonnensystem wurde zugleich das Gravitationsgesetz des Staats entdeckt, man fand seine Schwere in ihm selbst, und wie die verschiedenen europäischen Regierungen dieses Resultat mit der ersten Oberflächlichkeit der Praxis in dem System des Staatengleichgewichts anzuwenden suchten, so begannen früher Machiavelli, Campanella, später Hobbes, Spinoza, Hugo Grotius, bis zu Rousseau, Fichte, Hegel herab, den Staat aus menschlichen Augen zu betrachten und seine Naturgesetze aus der Vernunft und der Erfahrung zu entwickeln, nicht aus der Theologie, so wenig als Kopernikus sich daran stieß, daß Josua der Sonne zu Gideon und dem Mond im Tale Ajalon stillezustehen geheißen.“[40]


[41]



Fußnoten

  1. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin, 2012, S. 195
  2. August Buck: Machiavelli, Darmstadt, 1985, S. 129
  3. August Buck: Machiavelli, S. 129
  4. en:Innocent Gentillet
  5. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, S. 182
  6. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, S. 180; vgl auch: August Buck: Machiavelli, S. 132
  7. August Buck: Machiavelli, S. 132
  8. August Buck: Machiavelli, S. 134
  9. August Buck: Machiavelli, S. 134
  10. August Buck: Machiavelli, S. 137
  11. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, S. 196
  12. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, S. 195
  13. August Buck: Machiavelli, S. 129
  14. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 180
  15. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 180
  16. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 181
  17. en:Innocent Gentillet
  18. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 181
  19. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 182
  20. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 183
  21. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 183
  22. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 183
  23. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 183 f
  24. Alberico Gentili: De legationibus libri tres, 1585, Buch III, Kap.9, In: Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 184
  25. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 184
  26. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 184
  27. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 184
  28. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 185
  29. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 185
  30. Jean-Jacques Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes, S. 409, In: Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 186
  31. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 186
  32. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 187
  33. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 187
  34. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 188
  35. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 188
  36. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 189, Karl Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben Berlin, 1844, S. 236
  37. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 189
  38. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 190, Johann Gottlieb Fichte, Über Machiavelli als Schriftsteller und Stellen aus seinen Schriften, S. 244
  39. Friedrich Engels: Dialektik der Natur, S. 312, online
  40. Karl Marx: Der leitende Artikel in Nr. 179 der »Kölnischen Zeitung«, S. 103, online
  41. Otfried Höffe (Hrsg.): Niccolò Machiavelli: Der Fürst, Berlin 2012, S. 1