Benutzer:Ot/c
Colin Crouch bezeichnet in seinem Werk Postdemokratie die Postdemokratie idealtypisch, das heißt, dass es in dieser reinen Form nirgends existiert, aber es der besseren Vergleichbarkeit dient, als „ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden [...], in dem allerdings konkurrierender Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, daß sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben“[1] Seine idealtypische Definition der Demokratie „setzt voraus, daß sich eine sehr große Zahl von Menschen lebhaft an ernsthaften politischen Debatten und an der Gestaltung der politischen Agenda beteiligt und nicht allein passiv auf Meinungsumfragen antwortet; daß diese Menschen ein gewisses Maß an politischen Sachverstand mitbringen und sie sich mit den daraus folgenden politischen Ereignissen und Problemen Beschäftigen.“[2]
Einer seiner Thesen ist, dass sich die heutigen Demokratien dem Zustand der Postdemokratie immer mehr annähern und so in den heutigen Demokratien der „Einfluß privilegierter Eliten“[3] zunimmt. Zu den privilegierten Eliten zählt vor allem „bestimmte Unternehmer“[4], die durch Lobbyismus wesentlich größeren Einfluss auf die Regierungen haben als andere Interessengruppen oder Nichtregierungsorganisationen.
Unter andrem deswegen verfolgen die Regierungen seit den 1980er Jahren eine neoliberale Politik, die die Privatisierung fördert und die Bürger mehr Selbstverantwortung aufbürdet. Crouch stellt die These auf, dass „je mehr sich der Staat aus der Fürsorge für das Leben der normalen Menschen zurückzieht und zuläßt, daß diese in politische Apathie versinken, desto leichter können Wirtschaftsverbände ihn - mehr oder minder unbemerkt - zu einem Selbstbedienungsladen machen. In der Unfähigkeit, dies zu erkennen, liegt die fundamentale Naivität des neoliberalen Denkens.“[5]
Durch den Begriff Postdemokratie kann man nach Crouch besser „Situationen beschreiben, in denen sich nach einem Augenblick der Demokratie Langeweile, Frustration und Desillusionierung breitgemacht haben; in denen Repräsentanten mächtiger Interessengruppen [...] weit aktiver sind als die Mehrheit der Bürger [...]; in denen politische Eliten gelernt haben, die Forderungen der Menschen zu manipulieren; in denen man die Bürger durch Werbekampagnen »von oben« dazu überreden muß, überhaupt zu Wahl zu gehen.“[6] Crouch weist explizit darauf hin, dass Postdemokratie kein nichtdemokratischer Zustand ist.
Ein weiteres Kennzeichen der Postdemokratie ist „der Verfall der politischen Kommunikation“[7] hervorgerufen unter anderem durch die Werbeindustrie und die Einführung des Privatfernsehens. Die Medienunternehmen sind „heute ein Teil des kommerziellen Sektors“[8] und „die Kontrolle über diese Medien [befindet] sich in den Händen von sehr wenigen Menschen konzentriert.“[9] Beispiel sind Silvio Berlusconi oder Rupert Murdoch. „Die Übernahme der Methoden hat den Politikern dabei geholfen, das Problem der Kommunikation mit den Massenpublikum zu lösen; der Demokratie selbst haben sie damit einen Bärendienst erwiesen.“[10]
Ein weitere Aspekt ist nach Crouch die „Rückkehr der politischen Privilegien für bestimmte Unternehmer - unter dem Deckmantel der Rhetorik der Marktwirtschaft und des freien Wettbewerbs.“[11] Nach Crouch stellt dies „das gravierendste Problem für die Demokratie dar.“[12]
Ein Symptom der Postdemokratie ist, dass viele davon überzeugt sind, dass „es keine sozialen Klassen“[13] mehr gäbe. Dies beruht auf den „Niedergang der traditionellen Arbeiterklasse“[14] und dem „fehlenden Zusammenhalt der übrigen Klassen“[15] obwohl es in der westlichen Welt erhebliche Reichtumsunterschiede gibt.
Für Crouch ist New Labour ein Beispiel „einer postdemokratischen Partei“[16] die den neoliberalen Kurs des Thatcherismus fortsetzte und damit „verlor die Partei mit dieser Strategie jedoch jeden Anknüpfungspunkt an bestimmte soziale Interessen“[17] der Arbeiterklasse. Die Ausnahme bildeten frauenspezifische Probleme. (siehe auch: Der dritte Weg) In den Niederlanden gelang nach Crouch der Arbeiterpartei ein „Beschäftigungs-»Wunder«“.[18] Trotzdem gelang der Liste Pim Fortuyns 2002 ein Erfolg, der, nach Crouch, vermutlich darauf beruht, „daß die Niederländer den Eindruck hatten, die führende Politiker machten zu viele Kompromisse, weswegen sie anfällig waren für die neue »Klarheit«, die Fortuyn und seine Mitstreiter ihnen versprachen. Und da niemand versuchte, klassenspezifische Interessen zu artikulieren, konnte es diese »Klarheit« eigentlich nur in einer Form geben: indem man nämlich die angehörigen der eigenen Nation oder »Rasse« gegen Immigranten und ethnischen Minderheiten mobilisierte.“[19] Crouch führt weiter als eine typische Partei des 21. Jahrhundert die Forza Italia Berlusconis an.
Crouch gibt drei Ebenen an, um den anscheinend „unaufhaltsamen Kurs in Richtung Postdemokratie“ zu ändern: „Erstens mit Maßnahmen, die darauf zielen, die wachsende Dominanz der ökonomischen Eliten zu begrenzen; zweites mit Reformen der politischen Praxis als solcher und drittens gibt es Handlungsmöglichkeiten, die den Bürgern selbst offenstehen.“[20] Der letzte Punkt soll „neue Identitäten“[21] mobilisieren die z. B. über Bürgerversammlungen[22] den Beteiligten Handlungsmöglichkeiten geben soll. Dabei warnt er vor extremen Gruppen wie „gewalttätige Kampagnen für den Tierschutz, extreme Fraktionen der antikapitalistischen Globalisierungsgegner, rassische Organisationen und verschiedene private Initiativen zur Kriminalitätsbekämpfung, deren Position nicht weit von Lynchjustiz entfernt sind.“[23]
Diese neuen Bewegungen sollen „einen Beitrag zur demokratischen Vitalität“ geben und „die Politik davor [...] bewahren, zu einem manipulativen Spiel unter Eliten zu verkommen.“[24]
Kritisiert wird von Claus Offe, dass Crouch eine „zu wenig nach einzelnen Ländern und Politikfeldern differenzierende Diagnose“[25] gelingt.
Jens-Christian Rabe kritisiert, dass in einer Demokratie professionelle Berufpolitiker nicht nur Nachteile ergeben. Er führt das Bundesverfassungsgericht als positives Beispiel an. Er kritisiert weiter, dass „auf merkwürdige Weise [...] im Konzept der Postdemokratie also zweierlei zusammen [trifft]: ein zu aufgeklärtes (normatives) und ein zu abgeklärtes (desillusioniertes) Politikverständnis.“[26]
In einem Interview sagt Crouch, dass die Obama-Bewegung „meine These von der inneren Aushöhlung der Demokratie widerlegt.“ Weiter sagt er, „Obama war zwar der Kandidat der Demokratischen Partei, aber de facto brachte ihn eine Bewegung kritischer, engagierter junger Leute ins Weiße Haus. Das ist die Hoffnung für die Zukunft.“[27]
Fußnoten
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, Bonn, 2008, ISBN 978-3-89331-922-0, S. 10
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 9
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 13
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 69
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 29f, kursiv im Orginal
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 30
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 38, vergleiche auch S. 41
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 68
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 67
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 38
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 69, vergleiche auch S. 120, S. 127, S. 133, S. 138, S. 151, S 156
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 70
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 71
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 70
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 76
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 84
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 84
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 88
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 87f
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 133
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 148
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, vgl. S. 144
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 149
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 150
- ↑ Claus Offe: Wie der Markt die Politik vergiftet. Die Finanzkrise als Demokratieverlust: Colin Crouchs Lagebericht., FAZ-NET, 22. September 2008
- ↑ Jens-Christian Rabe: Das Volk, das obermiese, Süddeutsche Zeitung, 25. Juli 2008
- ↑ Colin Crouch über Postdemokratie. "Ein schizophrener Moment", die tageszeitung, 14. Februar 2009
- ↑ Colin Crouch: Postdemokratie, S. 10