Benutzer:PTT-Archiv/Kriegsgefangenenpost während des ersten Weltkrieges

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Während des Ersten Weltkrieges übernahm die Schweizerische Postverwaltung die Zustellung eines Grossteils der Kriegsgefangenenpost aller kriegsführenden Nationen.[1] Im Einklang mit dem Weltpostvertrag von 1906 und dem Haagener Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs von 1899 bot sich die Schweiz als neutrales, zentraleuropäisches Land ideal für den Austausch der Kriegsgefangenenpost an. Die Kriegsgefangenenpost entwickelte sich schnell zu einer grossen Belastung für den schweizerischen Postbetrieb, der aufgrund der Generalmobilmachung bereits unter personellen Engpässen litt. Erstmals in ihrer Geschichte schrieb die Schweizerische Post Verlust und war gezwungen ihren Betrieb rigoros zu reorganisieren.

Vorgeschichte

Erste Erfahrungen der Schweizer Postverwaltung mit Krieg und Kriegsgefangenenpost

Der Schweizer Postbetrieb blieb in den ersten Jahren seit der Gründung der eidgenössischen Post 1849 grösstenteils von Kriegsauswirkungen verschont. Erst mit dem Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges 1870 war die Schweizer Postverwaltung mit grösseren Veränderungen konfrontiert. Die Generalmobilmachung und die Annexion Elsass-Lothringens durch Deutschland forderten von der Oberpostdirektion eine bisher nie gekannte Anpassung in der Organisation ihres Dienstes. Das Dreiländereck Basel fiel mit der Eroberung Elsass-Lothringens als Drehscheibe für den Postverkehr zwischen Frankreich, Deutschland und der Schweiz weg. Die Alternative war, dass ab dem 17.Oktober 1870 die Postsendungen nach Frankreich neu über Genf verschickt wurden.Feldpostverkehr in der Schweiz in der Datenbank des PTT-Archivs

Mit der Internierung der französischen Armee des Generals Bourbaki musste sich die Schweizer Postverwaltung schliesslich auch mit der Kriegsgefangenenpost beschäftigen. Nach Verhandlungen mit der französischen Post, welche ihren Armeeangehörigen Portofreiheit auf ihre Korrespondenz gewährte, genauso wie dies die Schweizer Post es mit den Schweizer Armeeangehörigen handhabte,[2] wurde die Portofreiheit auf die in der Schweiz internierten französischen Kriegsgefangenen ausgeweitet.[3]

Die Kriegsgefangenenpost während des Deutsch-Französischen Krieges stellte die eidgenössische Post vor folgende Probleme:

-         Fehlende Kennzeichnung der Kriegsgefangenenpost und dementsprechend hoher Arbeitsaufwand beim Sortieren

-         Logistischer Aufwand zur Weiterleitung an Grenzbahnhöfen wie Basel oder Genf

-         Fehlendes Rollmaterial der Kriegsparteien zur Abholung der Kriegsgefangenenpost an den Grenzbahnhöfen wie Basel oder Genf

-         Fehlende internationale Regelungen und Verträge (der Weltpostverein wurde erst 1874 gegründet)

Rechtliche Grundlagen der Kriegsgefangenenpost während des ersten Weltkrieges

Die Organisation der Kriegsgefangenenpost zur Zeit des Ersten Weltkrieges wurde hauptsächlich in zwei internationalen Abkommen geregelt. Einerseits im Haagener Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs von 1899,[4] andererseits im Weltpostvertrag von Rom aus dem Jahr 1906.Akten zum Weltpostverein in der Datenbank des PTT-Archivs

Das Abkommen von 1899 schreibt in Artikel 16:

"Die Auskunftstellen geniessen Portofreiheit. Briefe, Postanweisungen, Geldsendungen und Postpakete, die für die Kriegsgefangenen bestimmt sind oder von ihnen abgesandt werden, sind sowohl im Land der Aufgabe als auch im Bestimmungsland und in den Zwischenländern von allen Postgebühren befreit. Die als Liebesgaben und Beihilfen für Kriegsgefangene bestimmten Gegenstände sind von allen Eingangszöllen und anderen Gebühren sowie von den Frachtkosten auf Staatseisenbahnen befreit.“

Artikel 11, Absatz 4 des Weltpostvertrags von 1906 schreibt:

„Dasselbe gilt für Briefsendungen, die sich auf Kriegsgefangene beziehen und unmittelbar oder mittelbar von den Auskunftstellen über Kriegsgefangene aufgeliefert werden oder für sie bestimmt sind. Solche Auskunftstellen können in den kriegführenden Ländern oder in neutralen Ländern, die Kriegführende auf ihrem Gebiet aufgenommen haben, eingerichtet werden. Briefsendungen, die für Kriegsgefangene bestimmt sind oder von ihnen abgesandt werden, sind gleichfalls von allen Postgebühren im Aufgabe- und im Bestimmungslands sowie in den Zwischenländern befreit. Die in ein neutrales Land aufgenommenen und daselbst untergebrachten Kriegführenden sind hinsichtlich der Anwendung der obigen Bestimmungen mit den eigentlichen Kriegsgefangenen gleichgestellt.“

Die beiden Abkommen regelten die Organisation und Zuständigkeiten der Kriegsgefangenenpost. Wer allerdings die Kosten und Porto-Ausfälle übernehmen würde, wie lange das neutrale Land verpflichtet war diese Dienste wahrzunehmen oder welche Ausmasse die Belastung des neutralen Landes annehmen dürfe, wurde in den Verträgen nicht geregelt.

Erster Weltkrieg

1914

Am 17. August trat das deutsche Reichspostamt an die schweizerische Oberpostdirektion mit der Bitte, die Vermittlung der Postsendungen für die in deutsche Kriegsgefangenschaft geratenen Angehörigen der französischen Armee zu übernehmen.[5] Die Schweiz akzeptierte nicht nur diese Bitte, sondern bot denselben Dienst auch den anderen Kriegsparteien an.

In Vorbereitung der erwarteten Kriegsgefangenenpostsachen stellte die schweizerische Post im Postbüro Bern-Transit einen Mitarbeiter in Teilzeit zur Erledigung dieser Sendungen an.[6] Allerdings wurde es bereits Mitte Oktober im Postbüro Bern-Transit für die eintreffenden Kriegsgefangenenpostsendungen zu eng. Deswegen folgte am 22. Oktober der Umzug in die kurzfristig „okkupierte“ Turnhalle des Gymnasiums der Stadt Bern.[7] Längst war aus dem einen Teilzeit-Beamten eine ganze Belegschaft geworden, die rund um die Uhr den nicht enden wollenden Strom an eintreffender Post sortierten, stempelten, umpackten und weiterleiteten. Die „Feldpost 23“ hatte ihren Betrieb aufgenommen.[8]

Schon von Anfang an war der Oberpostdirektion klar, dass sie die Situation grundsätzlich falsch eingeschätzt hatte. Obwohl die Schweiz nicht das einzige neutrale Land war, welches sich anerbot als Drehscheibe für den Internationalen Versand von Kriegsgefangene Post zu fungieren (dies taten auch die Niederlande und Schweden),[9] war sie doch durch Ihre Lage in dieser Art des Stellungskrieges mit lang stehenden Fronten nahezu prädestiniert für diese Aufgabe.[10]

Die Kriegsgefangenenpost hatte zu Beginn vor allem damit zu kämpfen, dass ihr die Kriegsgefangenenpost zusammen mit der „normalen“ internationalen Post zugestellt wurde. Eine Vorsortierung der Post in den Kriegsgefangenenlagern und Postbüros der kriegsführenden Länder fand nicht statt.[11] Das zweite Problem war die unübersichtliche Lage in der Herkunft und Destination der Sendungen. Von wo schrieb der Autor des Briefs die Korrespondenz? In welchem Land war der Empfänger interniert? Wo genau lag das Gefangenenlager? Wurde dieses kurzfristig aufgelöst?

Diese Hürden erforderten eine kontinuierliche Anpassung des Betriebs. In diesem Jahr wurden von insgesamt 187 erlassenen Verfügungen (Änderungen im Betrieb) 103 während der letzten vier Monate erlassen. Allein 20 davon betrafen die Kriegsgefangenen- oder portofreie Post.[12] Gerechtfertigt wurde diese Flut an Neuregelungen durch die noch grössere Flut an Kriegsgefangenenpost, die nach Bern umgeleitete wurde. Ende 1914 waren in Bern-Transit rund 11,2 Millionen Kriegsgefangenenpost-Sendungen von rund 100 Postbeamten verarbeitet worden. Dies entsprach rund 5% der jährlich vertragenen Briefpostsendung der schweizerischen Post 1914.[13] Diese Belastung und auch die von der Portofreiheit profitierenden Schweizer Soldaten sorgten dafür dass die schweizerische Post in den letzten Monaten von 1914 erstmalig einen Verlust von rund 6.2 Millionen CHF schrieb – 1913 wurde noch ca. eine Million Franken Gewinn erzielt.[14]

1915

Die PTT schrieb in Ihrem Geschäftsbericht zur Kriegsgefangenenpost von 1915:

„Der durch die schweizerische Postverwaltung vermittelte Kriegsgefangenen- und Zivilinterniertenpostverkehr hat im Berichtsjahr einen ungeahnten Umfang angenommen.“[15]

Dies vor allem auch deswegen, weil Italien in den ersten Weltkrieg eingetreten war und die Schweiz nun auch die Kriegsgefangenenpost für Italien übernahm. Somit trat das Postbüro Bern-Transit nicht mehr nur mit Basel und Genf in Direkt-Verbindung (für den Verkehr mit Frankreich, bzw. Deutschland), sondern auch mit Mailand für den italienisch/österreich-ungarischen Verkehr.[16] 1915 geriet die Schweizer Postverwaltung sowohl an ihre personellen, wie auch an Ihre logistischen Kapazitätsgrenzen. Durch die Generalmobilmachung fehlte es an Personal und die Kriegsgefangenenpostpakete stauten sich an den Bahnhöfen Genf und Basel, sodass die Bahnpost nicht mehr hinterher kam mit der Abfertigung. Täglich verkehrten mehr als 100 Bahnpostwagen zwischen Genf und Basel.[17] Versuche der Schweiz, Deutschland und Frankreich an den Verhandlungstisch zu bringen, um französische Postwagen bis nach Frankfurt und deutsche Postwagen bis nach Lyon verkehren zu lassen, wurden von beiden Seiten nicht beachtet.[18]

1915 wurden in der Schweiz 67‘488‘327 Briefe und kleine Pakete für Kriegsgefangene umgeleitet, 14‘410‘872 Pakete für Kriegsgefangene verschickt und 2‘779‘848 Geldanweisungen für Kriegsgefangene übermittelt. Dies entspricht etwa einer sieben Mal höheren Belastung des Schweizer Postbetriebes als noch im Jahr 1914. Trotzdem gelang es der Oberpostdirektion den betrieblichen Jahresverlust auf 2,2 Millionen CHF zu verringern. Dies war nur durch rigorose Sparmassnahmen bei der Besoldung und Einstellung neuen Personals möglich.[19] Warum diese Sparmassnahmen nötig waren, zeigt die Kostenrechnung der Kriegsgefangenenpost für 1915. Der schweizerischen Post entgingen durch die Portofreiheit dieser Sendungen Einnahmen im Wert von rund 10,5 Millionen CHF. Darüber hinaus erwuchs der Postverwaltung für die Bearbeitung, Sortierung und Weiterleitung der Internierten-Sendungen Kosten von rund 370‘000 CHF.[20]  

1916

Entwicklung der Kriegsgefangenen-Briefpost während des ersten Weltkrieges

Mit dem Kriegseintritt Rumäniens nahm der Kriegsgefangenenposttransport in der Schweiz weiter zu. Der 12. Dezember 1916 war sowohl für Basel als Durchgangspunkt für deutsch-französische Post ein Rekord, wie auch für das Transitbüro in Bern. Basel verzeichnete an diesem einen Tag rund 187'000 Pakete und Bern leitete innerhalb von 24 Stunden mehr als 1 Million Briefe und Postkarten weiter.[21]

Erschwerend zum internationalen Kriegsgefangenenpostdienst begann 1916 auch der nationale Kriegsgefangenenpostdienst die Schweizer Postverwaltung in einem stärkeren Masse zu belasten. Die beginnende Internierung ausländischer Soldaten, welche im Januar 1916 „in bescheidenem Masse“[22] begonnen hatte, wuchs insbesondere in den Monaten Mai, Juli und Dezember auf rund 27‘000 Mann an, welche in verschiedenen Schweizer Kriegsgefangenenlagern untergebracht waren.[23]

Auf internationaler Ebene bestand ebenfalls das Problem, dass die Kriegsgefangenensendungen oftmals ungenügend adressiert waren. So fehlte beispielsweise fast immer, wie im innerschweizerischen internierten Verkehr auch, die Bezeichnung des einzelnen Kriegsgefangenenlagers. Um dabei Abhilfe zu schaffen trat die Schweiz mit der Idee eines internationalen Verzeichnisses der Kriegsgefangenenlager an die internationale Gemeinschaft.[24] Dieses sollte einerseits der Schweiz bei der Sortierung der Kriegsgefangenenpost helfen und andererseits die Verteilung im Bestimmungsland erleichtern. Die ersten dieser Kriegsgefangenenlagerverzeichnisse entstanden im Verlaufe des Jahres 1916 und setzten sich bis zum Ende des Krieges mit immer wieder neu herausgegebenen, aktualisierten Ausgaben durch.

Durch die weitere Zunahme des normalen nationalen Verkehrs, anhaltende Sparmassnahmen im Personalsektor und die organisatorische Neuordnung der Kriegsgefangenpost gelang es der schweizerischen Postverwaltung das Defizit im Jahr 1916 weiter zu verkleinern. Trotzdem bilanzierte die Oberpostdirektion auf Jahresende einen Verlust von rund 1,6 Millionen Franken.[25] Dies vor allem auch deswegen, weil die totale Belastung der Postverwaltung trotz getroffener Massnahmen weiter zunahm. So verdoppelte sich die Anzahl an Briefsendungen für Kriegsgefangene von rund 67 Millionen auf rund 130 Millionen. Auch der Umfang der weitergeleiteten Pakete für Kriegsgefangene nahm erheblich zu, nämlich von rund 14,5 Millionen im Jahr 1915 auf mehr als 25 Millionen Pakete 1916. Diese Zunahme an Verkehr generierte einerseits Transport- und Unterhaltskosten von ca. 700‘000 CHF und verursachte einen Taxausfall von mehr als 17 Millionen CHF.[26]

1917

Entwicklung der Kriegsgefangenen-Paketpost während des ersten Weltkrieges

1917 bemerkte die Oberpostdirektion, dass der Betrieb mit einer solchen Auslastung nicht mehr lange aufrechterhalten werden könne.[27] Zwei externe Faktoren beeinträchtigten den Schweizer Postbetrieb zusätzlich. Nach dem Kriegseintritt Italiens 1915 und dem damit einhergehenden Bruch des Dreibundes, folgte für die Schweiz ein rascher Anstieg an italienisch/österreichisch-ungarischer Kriegsgefangenenpost. Die Nord-Süd Achse zwischen Deutschland und Italien wurde 1916 allerdings in einem verhältnismässig geringen Masse beansprucht. Dies änderte sich nun 1917 und führte zu einem massiven Anstieg der Verteilung von Kriegsgefangenenpost zwischen Deutschland und Italien.[28] Der zweite Faktor der die Schweizer Post zusätzlich belastete, war, dass Deutschland zusehends ans Limit seiner Infrastruktur kam und immer öfters die nötigen Eisenbahnwagen für den Weitertransport der französischen und italienischen Kriegsgefangenenpost aus Basel fehlten. Dies führte dazu, dass am 9. September 1917 rund 300 französische Eisenbahnwagen in Basel standen und auf ihre Entladung warteten, während kein einziger deutscher Eisenbahnwagen bereitstand.[29]

Die Zahl der vermittelten Kriegsgefangenenpostsendungen erreichte somit einen neuen Höhepunkt. Es wurden rund 160 Millionen Briefe und rund 25 Millionen Pakete vermittelt.[30] Die erneute Mehrbelastung durch die verstärkte deutsch-italienische Kriegsgefangenenpost führte schliesslich dazu, dass die Schweizer Oberpostdirektion sich am 4. Oktober 1917 mit der Bitte um Kostenbeteiligung an die Postverwaltungen von Deutschland, Frankreich, Österreich-Ungarn, Italien und Grossbritannien wendete. Obwohl die internationalen Verträge von Den Haag und der Weltpostvertrag von Rom keine solche Kostenbeteiligung vorsehen, sei eine solche Beanspruchung der neutralen Lände nie vorgesehen gewesen – so die Argumentation der Schweizer Postverwaltung.[31]

Bis Ende 1917 äusserte sich allerdings keines der kriegsführenden Länder zu der Bitte der Schweiz und der von der Schweizer Postverwaltung erhoffte Beitrag für das Kriegsjahr 1917 fiel aus. Die Jahresbilanz der schweizerischen Post wies 1917 denn auch einen Verlust von ca. 8 Millionen CHF auf, einerseits weil keine weiteren Sparmassnahmen mehr getroffen werden konnten, andererseits weil die „Teuerungszulagen“ und „Kriegsbeihülfen“ für den Bund die Rechnung der Post noch weiter belasteten.[32]

1918

Trotz des Waffenstillstandes vom 11. November 1918 und dem damit einhergehenden raschen Rückgang der Kriegsgefangenenpost durch die «Heimbeförderung der Kriegsgefangenen»[33] nahm die Menge an Interniertenpost im Jahr 1918 erneut zu. Die zunehmende Überlastung der zur Verfügung stehenden deutschen Infrastruktur führte wie bereits 1917 immer öfter zu Stauungen von französischen und italienischen Bahnpostwagen in Basel. Um den erneut verstärkten Verkehr zu bewältigen wurde in Basel eine Rutschbahnanlage mit 15 Rutschen eingeführt, welche die Leistungsfähigkeit um 30-50% steigern konnte.[34]

In den gut 10 Monaten zwischen Januar und November wurden rund 170 Millionen Briefpostsendungen und 27 Millionen Pakete in der Schweiz für die internationale Kriegsgefangenenpost umgeladen, sortiert und verschickt. Dies hatte einen Taxausfall von rund 15,2 Millionen CHF und Kosten von 725'000 CHF zur Folge. Der Betriebsverlust der Post wuchs auf 12,5 Millionen Franken an.[35]

Die Frage der Kostenbeteiligung

Nach dem Kriegsende 1918 wiederholte die schweizerische Postverwaltung ihre Bitte um Kostenbeteiligung an der Kriegsgefangenenpost während des Ersten Weltkrieges bei den Kriegsparteien. Grundsätzlich erkannten vor allem Deutschland, Frankreich, England und Österreich die Rechtmässigkeit der Klagen aus der Schweiz und aus Schweden an. Die Schweiz forderte 25 Rappen pro versendete Kriegsgefangenenpostsendung, die ab 01.01.1918 durch ihr Gebiet geleitet wurde[36] - was laut schweizerischer Postverwaltung immer noch nur der Hälfte des üblichen Tarifs entsprechen würde.[37] Dies hätte folgende Einnahmen für die Oberpostdirektion bedeutet:

Land Geforderte Gesamtbeteiligung in CHF
Deutschland 659‘032.5
Frankreich 3‘655‘782.5
Grossbritannien 17‘517.5
Italien 1‘968‘522.5
Österreich 12’187.5
Ungarn 5‘050
TOTAL 6‘318‘092,5

Diese hypothetischen Einnahmen, wären Auslagen von insgesamt 2‘796‘248 CHF gegenübergestanden, womit die schweizerische Post über den gesamten Kriegsverlauf einen Teilbetriebsgewinn von 3‘521‘844.5 CHF aus dem Vertrieb der internationalen Kriegsgefangenenpost geschrieben hätte. Da sich der gesamt Betriebsverlust von 12.5 Mio. CHF 1918 bereits abzeichnete, wäre diese Einnahmequelle sicherlich willkommen gewesen. Allerdings zeigten sich die kriegführenden Länder nicht so grosszügig. Nach zähen Verhandlungen waren sie schlussendlich bereit 10 Rappen pro versendetes Poststück zu bezahlen.[38] Somit erhielt die schweizerische Post nur 2‘527‘237 CHF von Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Österreich und Ungarn. Und die Aufwendungen der schweizerischen Post für den Kriegsgefangenenposttranspost von 1914 - 1918 wurden bis auf 660‘592 CHF gedeckt.[39]  

Konsequenzen des Krieges

In den Nachkriegsjahren war es weder eine europäische Regierung noch eine einzelne Postverwaltung, die sich der Situation von Kriegsgefangenen und ihrer Kommunikation annahm und Lehren aus den gesammelten Erfahrungen des ersten Weltkrieges zog, sondern das internationale Rote Kreuz (IKRK). Mit der Errichtung seiner Zentralstelle für Kriegsgefangene im Jahr 1914 legte das IKRK den Grundstein für die zentrale Rolle, welche es im ersten Weltkrieg zu übernehmen gedachte.[40] Ziel war es durch eine angelegte Kriegsgefangenenkartei, welche bis Ende 1918 mehr als 7 Millionen Karteikarten umfassen sollte, durch den Krieg getrennte Personen wieder zusammenzuführen, Gefangenenaustausch durchzuführen, Lager zu inspizieren und generell Kriegsgefangene zu schützen.[41] Der erste Weltkrieg führte dazu, dass das IKRK zu einer der einflussreichsten und international anerkannten Hilfsorganisationen wurde. Aus den Erfahrungen und Lehrern des ersten Weltkrieges, formulierte das IKRK zuerst intern 1921 auf seiner Genfer Versammlung und offiziell 1929 zusammen mit 46 Staaten das „Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen“.[42]

Artikel 79 des Abkommens besagt:

„Eine Zentralauskunftstelle über die Kriegsgefangenen ist auf neutralem Gebiet einzurichten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz wird, wenn es von ihm als nötig erachtet wird, den in Betracht kommenden Mächten die Einrichtung einer derartigen Auskunftstelle vorschlagen. Diese Auskunftstelle hat alle die Gefangenen betreffenden Nachrichten, die sie auf amtlichen oder privaten Wegen erhalten kann, zu sammeln und so schnell wie möglich dem Heimatstaat der Gefangenen oder der Macht, der sie Dienste geleistet haben, zuzustellen. Vorstehende Bestimmungen dürfen nicht so ausgelegt werden, als sollten sie die menschenfreundliche Tätigkeit des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz einschränken.“

Artikel 38 des Abkommens besagt:

„Die für die Kriegsgefangenen bestimmten oder von ihnen abgesandten Briefschaften, Geld- oder Wertsendungen und Pakete, gleichgültig, ob sie unmittelbar oder durch Vermittlung der im Artikel 77 vorgesehenen Auskunftsstellen befördert werden, sind sowohl in den Ursprungs- wie in den Bestimmungs- und Durchgangsländern von allen Postgebühren befreit.“

In Kombination mit Artikel 38, regelt Artikel 79 des Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen die Organisation der Kriegsgefangenenpost und übertrug deren Verantwortung dem IKRK. Denn obwohl bereits während des ersten Weltkrieges das IKRK durch seine angelegte Karteikartensammlung der Kriegsgefangenen und durch den kontinuierlichen Austausch mit den kriegsführenden Nationen einen grossen Beitrag zur Aufrechterhaltung von Kommunikationswegen für Kriegsgefangene beitrug[43] und als Hilfsorganisation von der Taxierung ihrer Postsendungen befreit war, so spielte das IKRK in der eigentlichen Zustellung der Kriegsgefangenenpost von 1914-1918 keine aktive Rolle. Artikel 38 des Abkommens über die Behandlung von Kriegsgefangenen von 1929 sah hier zumindest die Möglichkeit vor, dass die Abwicklung der Kriegsgefangenenpost über die neuen Auskunftstellen (welche im Normalfall durch das IKRK betrieben wurden) durchgeführt werden sollte. Auch wenn die Wirksamkeit des Abkommens in den Jahren nach 1929 und insbesondere während des zweiten Weltkrieges durchaus in Frage gestellt werden kann,[44] so zeigt doch die Entwicklung zumindest der Kriegsgefangenenpost während des zweiten Weltkrieges das Gegenteil.

  1. PTT-Archiv, , P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (Jahre 1914 – 1918)
  2. PTT-Archiv, P-14-1 (1870), Verfügung Nr. 111 zur „Portofreiheit für Paketsendungen des Schweiz. Militärs“.
  3. PTT-Archiv, P-14-1 (1871), Verfügung Nr. 23 zu „Korrespondenzen von der in der Schweiz internierten franz. Militärs“.
  4. Artikel 16 des Haagener Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs. Abgerufen am 24. Februar 2021.
  5. PTT-Archiv, P-11-1 (1914), Bericht über die Geschäftsführung, S. 51.
  6. PTT-Archiv, P-14-1, Verfügung Nr. 117.
  7. PTT-Archiv, Vers-057_A 0001 1-13.
  8. Ernest, Bonjour: Die Geschichte der schweizerischen Post 1849 – 1949. Band 2. Bern 1951, S. 97 bis 98.
  9. Ernest, Bonjour: Die Geschichte der schweizerischen Post 1849 – 1949. Band 2. Bern 1951, S. 97 bis 101.
  10. PTT-Archiv, Vers-057 A 0001 1-13, Schreiben des Oberinspektorates an den Generaldirektor vom 1. November 1945.  
  11. PTT-Archiv, Vers-057_A 0001 1-13.
  12. PTT-Archiv, P-14-1, Verfügungen (1914).
  13. PTT-Archiv, P-11-1 (1914), Bericht über die Geschäftsführung, S. 56.
  14. PTT-Archiv, P-11-1 (1914), Bericht über die Geschäftsführung, S. 3.
  15. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1915), S. 52.
  16. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1915), S. 52.
  17. PTT-Archiv, P-11-1 (1915), S. 53.
  18. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1915), S. 53.
  19. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1915) S. 52.
  20. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsfürhung (1915) S. 52.
  21. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1916), S. 37-38.
  22. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1916), S. 37-38.
  23. Für eine Zusammenstellung der Kriegsgefangenenlager der Schweiz siehe PTT-Archiv, Vers-057_A 0001 1-13.
  24. PTT-Archiv, Vers-057_A 0001 1-13.
  25. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1916), S. 1.
  26. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1916), S. 42 – 45.
  27. PTT-Archiv, P-11-1; Bericht über die Geschäftsführung (1917), S. 51/52.
  28. PTT-Archiv, P-11-1 Bericht über die Geschäftsführung (1917), S.50.
  29. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1917), S. 49/50.
  30. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1917), S. 45-47.
  31. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1917), S. 51/52.
  32. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1917), S. 51/52.
  33. Vgl. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1918) S. 49.
  34. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1918) S. 49.
  35. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1919)
  36. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1918) S. 52.
  37. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1918) S. 49.
  38. PTT-Archiv, P-11-1, Bericht über die Geschäftsführung (1918) S. 49.
  39. PTT-Archiv, Vers-057 A 0001 1-13, Schreiben des Oberinspektorates an den Generaldirektor vom 1. November 1945.
  40. ICRC (Hrsg.): The International Prisoners-of-War Agency: The ICRC in World War One. Genf 2007, S. 3.
  41. ICRC (Hrsg.): The International Prisoners-of-War Agency: The ICRC in World War One. Genf 2007, S. 3.
  42. Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen. Vom 27. Juli 1929. Abgerufen am 24. Februar 2021.
  43. ICRC (Hrsg.): The International Prisoners-of-War Agency: The ICRC in World War One. Genf 2007, S. 3.
  44. ICRC (Hrsg.): The International Prisoners-of-War Agency: The ICRC in World War One. Genf 2007, S. 3.