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Das Leßmann-Konzept


Phasen des Deutschunterrichts

Der gesamte Sprachunterricht im Fach Deutsch beruht im Leßmann-Konzept auf individuell bedeutsamen Texten, welche die Schülerinnen und Schüler zur Hauptsache im Freien Schreiben z. B. in einer fest eingeplanten Schreibzeit verfassen. Gleichgültig, ob eine thematische Vorgabe gegeben ist oder nicht, die Kinder halten ihre persönlichen Gedanken und Gefühle in eigenen Worten fest. Dazu verwenden sie beispielsweise ein Tage- oder Schreibbuch. Diese Basistexte werden nun im Rahmen der Klasse ein erstes Mal zur Diskussion gestellt, und zwar von den Autorinnen und Autoren persönlich: In den sogenannten Autorenrunden lesen sie ihre eigenen Texte vor. Unter der Leitung der Lehrperson werden sodann – im Anschluss an eine inhaltliche Würdigung – die Qualitäten und die besondere Machart der Texte analysiert und festgehalten (Sprachreflexion). Es entsteht in jeder Klasse neu ein Repertoire an Textsorten und Stilmittel (sog. Schreibgeheimnisse), an denen sich künftige Schreiberinnen und Schreiber orientieren können. Insbesondere werden Adressatenbezug und Wirkung des Textes studiert und Überarbeitungstipps zusammengetragen. In einer nächsten Phase werden in kleinen Gruppen Schreibkonferenzen abgehalten, bei denen ein als sich lohnend eingeschätzter Text vom Autor mit Hilfe von Ko-Autoren überarbeitet wird. In einer letzten Phase wird der Text schliesslich publiziert, beispielsweise in einer Autorenlesung der Klasse vorgelesen oder in ansprechender Gestalt auf Papier im Klassenraum ausgestellt und anschliessend im Portfolio aufbewahrt. Autorenlesungen haben eine längere Tradition auch unter Schriftstellern, wie z. B. die Gruppe 47.


Instrumente

Während der beschriebenen Phasen des Deutschunterrichts kommen einige linguistisch fundierte, aber einfache Instrumente zum Zug, die garantieren, dass bei diesen emotional befriedigenden Vorgängen auch wirklich etwas gelernt wird.

Rückmeldefahrplan Für Rückmeldungen an den Autor oder die Autorin im Rahmen der Autorenrunden werden folgende Fragen gestellt: Qualitäten?, Wirkung?, Schreibgeheimnisse?, Textsorte?, Überarbeitungstipps?

Texthand Die fünf Finger der Hand erinnern die Kinder an die fünf Aspekte, welche bedacht werden müssen, um einen guten Text zu schreiben: Daumen für den Adressatenbezug, Zeigefinger für die Textwirkung, Mittelfinger für die Textsorte (drei Bereiche der Pragmatik), Ringfinger für die Bedeutung der Wörter (Semantik) und kleiner Finger für die Konstruktion der Sätze (Syntax).

Roter Faden Ein konkreter roter Faden soll helfen, den Verlauf und die Kohärenz eines Textes symbolisch darzustellen. Ausserdem kann der rote Faden um die fünf Finger der Texthand gewoben werden, um den Text als Gewebe zu veranschaulichen, bei dem pragmatische, semantische und syntaktische Aspekte zusammenspielen müssen.

Linguistische Operationen (Hans Glinz) In den Schreibkonferenzen werden die konkreten linguistischen Operationen wie das Umstellen, Ergänzen, Streichen, Ersetzen zur Überarbeitung der Texte eingesetzt.

Wörterklinik, ABC-Buch Der Rechtschreibunterricht basiert auf den individuell bedeutsamen Texten der Kinder und wird mit individuell geführten Karteisystemen und alphabetischem Nachschlageheft gestützt.

Textkorrekturkarte, Rechtschreibbox Eine spezielle gestaltete handliche Karte erleichtert die Kontrolle der Sätze und Wörter eines Textes. Generelle Rechtschreibthemen und -probleme sind auf Karten zusammengestellt, die zur individuellen Bearbeitung den Kindern zugewiesen werden.

Anfangsunterricht

Im Leßmann-Konzept hat die Produktion Vorrang vor der Rezeption. Das bedeutet, dass das Schreiben von persönlichen, individuell bedeutsamen Texten ohne einengende thematische Vorgaben vom ersten Schultag an im Zentrum steht. Dabei wird vorübergehend mit einer Anlauttabelle gearbeitet, mit deren Hilfe die Kinder eine erste Möglichkeit haben, Phoneme in Grapheme umzuwandeln und so ihre ersten Wörter in singulärer Schrift niederzuschreiben. Das ermöglicht, sehr früh schon Autorenrunden, Schreibkonferenzen und Autorenlesungen auch in inklusiven Klassen mit sehr heterogenen Grundvoraussetzungen durchzuführen.


Ziel

Ziel ist es, durch den Aufbau der Sprachkompetenz die Persönlichkeit jedes einzelnen Kindes zu stärken. Dazu wird auf die drei Grundpfeiler der Motivation beim Lernen gebaut: Das Bedürfnis nach Autonomie (selbst gewählte Themen und eigenständige Texte), das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit (Autorenrunden, Schreibkonferenz) und das Bedürfnis nach Kompetenz (Autorenlesungen) (Deci & Ryan).


Hintergrund

Der Deutschunterricht der Primarstufe und der Sekundarstufe I krankt – wie viele Schulfächer – am Phänomen, dass die Schülerinnen und Schüler häufig die Freude am Fach im Laufe der Jahre verlieren und die Sprachkompetenz dabei nicht genügend gefördert und entwickelt wird. Zwar bemüht sich die Sprachdidaktik intensiv, die Bedingungen für optimalen Kompetenzerwerb zu erforschen und in den Schulen zu verbreiten, aber alte Unterrichtsmuster sind oft stärker als innovative akademische Erkenntnisse. An dieser Stelle setzt das von Beate Leßmann entwickelte Leßmann-Konzept ein: Es besteht aus diversen neuen Instrumenten, welche den Deutschunterricht auf lange Sicht interessant und wirksam für die Lernenden macht, und relativiert gleichzeitig tradierte Gewohnheiten, welche sich als lernhemmend erwiesen haben. Die Instrumente sind so leicht handhabbar, dass sie von jeder Lehrperson unmittelbar eingesetzt und erprobt werden können.