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Verkehrsberuhigung ist ...

Ziele

Im 1976 durchgeführten Großversuch „Verkehrsberuhigung in Wohngebieten“ in Nordrhein-Westfalen, der statt der bis dahin üblichen punktuellen Verkehrsberuhigung eine flächenhafte Verkehrsberuhigung in Wohngebieten verfolgte, wurden 1979 im Schlussbericht folgende Ziele der Verkehrsberuhigung formuliert:

„Verkehrsberuhigung zielt darauf ab, durch bauliche, verkehrsregelnde und gestalterische Veränderungen die Verkehrsverhältnisse in Wohngebieten flächenhaft zu verbessern und damit einen Beitrag zur Hebung der Lebensqualität zu liefern: Es sollen nicht nur an einzelnen Stellen grüne Oasen der Ruhe geschaffen werden, in denen sich die mit ihrem Gebiet wegen der Verkehrsgefahren und -immissionen unzufriedenen Bewohner zeitweise ergehen können, sondern die Verhältnisse sollen in dem gesamten Wohnbereich so verändert werden, daß es sich dort besser lebt.“[1]

Heute sind diese Ziele unverändert gültig. Verkehrsberuhigung ist ein umfassender Ansatz, der sich nicht auf einzelne Aspekte und auf einzelne Punkte beschränkt, sondern darauf ausgerichtet ist, in einem umfassenden Ansatz die Aufenthalts- und Lebensqualität in Wohngebieten des Straßenraums zu verbessern. Verkehrsberuhigung umfasst somit ein ganzes Zielfeld:[2]

Bereich Verkehr
  • Senkung der Geschwindigkeiten der Kraftfahrzeuge und damit Erhöhung der Verkehrssicherheit besonders für Fußgänger und Radfahrer
  • Verbesserung der Verkehrsverhältnisse für Fußgänger und Radfahrer, damit Senkung der Unfallrate und Anreize für eine Verlagerung der Verkehrsmittelwahl zugunsten von nichtmotorisiertem und öffentlichem Verkehr
  • Verringern der Verkehrsstärken durch Beschränkung auf den gebietsnotwendigen Verkehr (Fernhalten von Durchgangsverkehr)
Bereich Umwelt
  • Senkung von Lärm- und Abgasemissionen
  • Verbesserung der Stadtökologie durch mehr Grün und weniger versiegelte Böden
Bereich Städtebau
  • Erhöhung der Attraktivität des Gebietes und damit Erhalt und Ergänzung der Nutzung

Geschichte der Verkehrsberuhigung

Umorientierung in der Verkehrsplanung

Der Begriff „Verkehrsberuhigung“ stammt aus einer Zeit, als das Paradigma der „Autogerechten Stadt“ nicht mehr tragfähig schien. Die schwelende Dominanz des MIV und eine entsprechend dimensionierte Straßeninfrastruktur selbst in Wohngebieten der 1960er und 1970er Jahre waren das Resultat aus heutiger Sicht verfehlter Verkehrsplanung. Großzügig gebaute und uniform gestaltete Fahrbahnen erlaubten den Fahrzeugführern Geschwindigkeiten, die in einem Wohngebiet unangemessen erscheinen. Die Folge war eine hohe Anzahl an Unfällen auf Kosten von zumeist schwachen Verkehrsteilnehmern wie Kindern, Fußgängern und Fahrradfahrern. Dazu kamen eine verstärkte Lärm- und Abgasbelastung und ein Mangel an Grünflächen. Die Wohnviertel hatten somit an Aufenthaltsqualität eingebüßt und der öffentliche Straßenraum war für soziale Kontakte unattraktiv geworden. Insgesamt ist so auch von einer Verminderung der Wohnqualität auszugehen.

Die Ölkrise im Jahr 1973 und die resignierende Studie Die Grenzen des Wachstums,[3] wonach die Ressourcen der Welt nicht für ewig erhalten sein werden, ließen ein neues Umweltbewusstsein entstehen. Der öffentliche Verkehr gewann an Popularität und das Bedürfnis nach Lebensräumen, in denen die Bedeutung des MIV abgeschwächt und somit eine höhere Lebensqualität anzunehmen ist, nahm stetig zu. Der britische Stadtplaner Colin Buchanan veröffentlichte 1963 den wegweisenden Bericht Traffic in Towns,[4] in dem er für das Ministry of Transportation Lösungsansätze für städtische Verkehrsprobleme und steigenden Pkw-Besitz in Großbritannien skizzierte. Dabei unterstützte er vehement die Theorie der Segregation,[5] zeigte aber auch Möglichkeiten der stadtverträglichen Mischung der Verkehre auf. Weil das Ministerium stark mit dem Gedanken der Segregation sympathisierte,[5] schien eine breite Umsetzung des Alternativvorschlages in Großbritannien unwahrscheinlich.

Klassische Verkehrsberuhigung

Woonerf in den Niederlanden

Stattdessen fühlte sich der niederländische Stadtplaner Niek de Boer von Buchanans Ansätzen inspiriert und ersann integrierte Wohnstraßen, in denen Anwohner den öffentlichen Straßenraum wieder in Anspruch nehmen. Der Entwicklung war in den Niederlanden die Erkenntnis vorausgegangen, dass Straßen in Wohngebieten oftmals unsicher sind, keine Aufenthaltsqualität bieten und angesichts der Größe der beanspruchten Flächen verhältnismäßig einseitig genutzt werden.[6] Die Gehwege und Fahrbahnen gestaltete de Boer als eine Ebene und Verkehrsregeln ersetzte er durch eine räumliche Gestaltung mittels Pflanzen, Bänken und Pollern. Entsprechend des wohnorientierten Anspruchs erhielten diese Straßen den Namen Woonerf, ins Deutsche übersetzt etwa Wohnhof. Diese Straßen würden den Fahrer dazu anhalten, die Geschwindigkeit zu reduzieren und verstärkt auf Fußgänger und Fahrradfahrer Rücksicht zu nehmen.[7] Nach dem erfolgreichen Pilotversuch im südholländischen Delft in den 1960er Jahren wurden von der niederländischen Regierung 1976 Gestaltungsrichtlinien festgelegt. In den nächsten sieben Jahren entstanden 2.700 Woonerven im ganzen Land.[6]

Entsprechend der in den 1970er Jahren allgemein entstandenen Diskussion zur Umsetzung von Geschwindigkeitsbegrenzungen und Verkehrsberuhigung folgten zahlreiche Länder dem niederländischen Vorbild, so etwa Großbritannien, Schweden und Dänemark im Jahr 1977, Frankreich und Japan 1979 und Israel 1981.[7] In Deutschland wurde der Verkehrsberuhigte Bereich aufbauend auf den Erfahrungen des Großprojekts „Verkehrsberuhigung in Wohngebieten“ in Nordrhein-Westfalen[1] in Modellprojekten getestet. Im Juli 1980 wurde Verkehrsberuhigte Bereichin die StVO aufgenommen[8] mit anschließender Verbreitung im gesamten Bundesgebiet. Die Tempo-30-Zone wurde im Jahr 1983 versuchsweise in der Innenstadt von Buxtehude eingeführt – damals noch unter Protesten der Öffentlichkeit.[9] Es folgten Pilotprojekte unter anderem in Mainz, Esslingen und Berlin,[9] die eine zweite große Phase innerstädtischer Verkehrsberuhigung ab Ende der 1980er Jahre einleiteten. Im Fokus stand nun die Vermeidung und Verlagerung von Verkehr in Stadtzentren, wobei die Ansätze über eine Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit und Parkzeiten hinausgingen und stattdessen eine deutliche Verringerung des Verkehrsvolumens anstrebten. Denkbar waren dabei Restriktionen des Durchgangs- und Zielverkehrs sowie ein generelles oder zeitlich beschränktes Fahrverbot. Bedenken bezüglich der Zugänglichkeit für den Wirtschaftsverkehr konnten durch Anwendungsbeispiele widerlegt werden. Unbestritten sind hingegen die positiven städtebaulichen und verkehrspolitischen Effekte.[10]

Das Bedürfnis nach Verkehrsberuhigung Anfang der 1970er Jahre führte – wie in Deutschland – in den meisten europäischen Ländern zu einer Verkehrsplanung, die zwar eine Abkehr von dem Leitbild der „Autogerechten Stadt“ bedeutete, aber noch immer restriktiv war. Obwohl die meisten neuen Verkehrsgestaltungen vom niederländischen Woonerf abgeleitet waren, wurde vielerorts noch immer davon ausgegangen, Verkehr könne lediglich im Bereich der Wohn- und Erschließungsstraßen oder in Innenstadtbereichen beruhigt und stadtverträglich gestaltet werden und nur durch klar definierte, autoorientierte Reglementierungen kontrolliert und genügend flüssig gehalten werden. Der Ansatz aus den Niederlanden, wonach die Gestaltung des Straßenraums und die dortigen Gegebenheiten selbst das Verkehrsverhalten vorgeben, ging in den Adaptionen verloren. Dies kann einer landesspezifisch unterschiedlichen Mentalität, einem abweichenden Bewusstsein etwa in Bezug auf öffentlichen und unmotorisierten Verkehr oder einem differenzierten Verständnis von Verkehrsreglementierungen geschuldet sein.

Begegnungszone und Shared Space

Im Jahr 1979 unternahm die Schweiz mit der Wohnstrasse einen Vorstoß für mehr Sicherheit, Lebensqualität und Bewegungsfreiraum im Straßenverkehr und bezog sich dabei auf den niederländischen Woonerf.[11] Trotz anfänglicher Resonanz und zahlreichen Bauprojekten erwies sich die Umsetzung einer Wohnstrasse wegen der aufwendigen baulichen Umgestaltungsmaßnahmen als zu kostenintensiv. Gleichzeitig waren die bürokratischen und planerischen Hürden hoch: Die strengen Anforderungskriterien ließen nur wenige Straßentypen in Frage kommen und der aufwendige Prozess bis zur Bewilligung war mit dem Anfertigen ausführlicher Gutachten verbunden.[12] Im Jahr 1995 wurde die Gemeinde Burgdorf zur Fussgänger- und Velomodellstadt ernannt, um den Treibstoffverbrauch des innerstädtischen Verkehrs im Rahmen einer angestrebten Erhöhung des Modal Splits von Fahrrädern und Fußgängern zu senken. Daraufhin entstand im Bahnhofsquartier die Flanierzone als vereinfachte Wohnstrasse und Weiterentwicklung der Fussgängerzone.[13] Unter Zulassung des motorisierten Verkehrs sollte das „Flanieren“ in attraktiven Geschäftsbereichen ermöglicht werden, was von den Beteiligten trotz anfänglicher Skepsis positiv aufgenommen wurde.

Begegnungszone: Die Schwarzenburgstrasse in Köniz

Im Jahr 2001 wurde das Modell der Flanierzone in Begegnungszone umbenannt und ist seit 2002 in der Schweiz zugelassen.[12] Seitdem ist das Konzept in der Schweiz ein großes Erfolgsmodell; bis heute entstanden im gesamten Bundesgebiet über 500 Begegnungszonen. Der knapp 20 Jahre währende Prozess von der Einführung der Wohnstraße bis zum Eingang der Begegnungszone in die SSV war geprägt von stetigen Erfahrungszuwächsen und einer Herausbildung von gestalterischen und planerischen Leitlinien, die heute unter dem Namen Berner Modell zusammengefasst werden. Unter dem Leitspruch „Koexistenz statt Dominanz“ wird eine neue Verkehrsphilosophie vermittelt, die sich sowohl in einem partizipativen Planungsprozess als auch im Straßenraum auswirken soll.[14]

Parallel zu den schweizerischen Bemühungen entwickelte der niederländische Verkehrsplaner Hans Monderman ab Mitte der 1980er Jahre das Modell des Woonerfs zur Planungsphilosophie des Shared Space weiter. Als damaliger Verkehrssicherheitsbeauftragter der Provinz Friesland erneuerte er die Ortsdurchfahrt des nordholländischen Dorfes Oudekaste, die täglich mit 6.000 Pkw und 2.500 Fahrradfahrern belastet war. Mit roten Klinkersteinen und einer optischen Fahrbahnverengung betonte er den dörflichen Charakter des Ortes und ließ den Eindruck einer anonymen Durchgangsstraße verschwinden. Er verzichtete bewusst auf den Einsatz von Fahrbahnhindernissen zur Ausbremsung des Verkehrs,[15] wie es noch im Woonerf gemeinhin angewendet wurde.[7] Zudem wäre eine Anwendung des Woonerf in der stark frequentieren Ortsdurchfahrt unüblich gewesen. Was in Oudekaste noch Versuchscharakter hatte, gewann bald an Kontur und wurde von einer Arbeitsgruppe des Keuning Instituuts unter der Leitung von Monderman zu einer neuartigen städtebaulichen Planungsidee mit dem Kredo „Raum für alle“ ausformuliert.[16] Ähnlich wie das Berner Modell gibt Shared Space keine Gestaltungsvorgaben, sondern beschreibt einen integrierten Planungsprozess, an dem Anwohner, Gewerbetreibende, Interessengruppen, Politiker und Fachexperten kommunikativ beteiligt werden. Anders als noch in der früheren autodominierten Ingenieursplanung werden hierbei neben verkehrlichen Aspekten auch städtebauliche, soziale, historische und kulturelle Belange berücksichtigt. Obgleich der Prozess ergebnis- und gestaltungsoffen konzipiert ist, vermittelt Shared Space dennoch eine Gestaltungsphilosophie, die in den niederländischen Beispielen zumindest in den Grundzügen zu erkennen ist.

Sowohl Shared Space als auch das Berner Modell vermitteln den Eindruck einer neuen Qualität der Verkehrsberuhigung durch einen erneuten Paradigmenwechsel. Während in den 1970er Jahren Tempo-30-Zone, Verkehrsberuhigter Bereich und Fußgängerzone das autodominierte Denken unter starkem Widerstand der Bevölkerung, der Politik und der Lobbyisten ablösten, ist nun unter dem selben Gesichtspunkt sicherer und lebenswerter Straßenräume eine Weiterentwicklung der Verkehrsberuhigung zu beobachten. Im Gegensatz zum Großteil der konventionellen Verkehrberuhigung propagieren Shared Space und das Berner Modell eine Gleichberechtigung der Verkehrsteilnehmer. Darüber hinaus befinden sich nun auch Hauptstraßen und zentrale Plätze – das heißt Verkehrsräume mit hohem Verkehrsaufkommen – im (bevorzugten) Anwendungsbereich und werden nicht mehr kategorisch ausgeschlossen. Zusätzlich wird in den neuen Ansätzen ein städtebaulicher Ansatz verfolgt. Die Orte werden als öffentlicher Stadtraum begriffen, in denen konkurrierende Funktionen verträglich aufeinander abgestimmt werden müssen. In diesem Sinne ist auch der Ansatz einer integrierten Verkehrsplanung neu, dem in den Planungsprozessen eine wesentliche Bedeutung zukommt.

Grundlegende Ansätze der Verkehrsberuhigung

Klassifikation nach Straßenfunktion

Die Klassifizierung von Straßen erfolgt in zahlreichen Ländern nach ähnlichen Prinzipien. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der Etablierung der erwähnten Netzhierarchie. Die Unterscheidung wird dabei gewöhnlich nach der Verbindungs-, der Erschließungs- und der Aufenthaltsfunktion der jeweiligen Straßen vorgenommen. Um Straßen nachhaltig zu gestalten, ist vor allem die Funktion in Bezug auf die Urbanität relevant. Die verträgliche Berücksichtigung der Funktionsansprüche von Aufenthalt und Verbindung ist – wie anfangs erwähnt – nicht trivial (vgl. Abschnitt 2.2).

Im Rahmen des EU-Projekts ARTISTS („Arterial Streets Towards Sustainability“) wurde ein Lösungsansatz entwickelt, der Straßen ihrer Funktion nach klassifiziert und das Straßendesign davon abhängig macht. Demnach hat eine Straße bzw. jeder Straßenabschnitt sowohl einen bestimmten Verbindungsstatus als auch einen Status in Bezug auf die städtischen Aktivitäten und physischen Qualitäten des Ortes. Dieser Zusammenhang lässt sich in folgendem Schema darstellen.

BILD ARTESIS

Der Ansatz setzt die Identifizierung eigenständiger Straßenabschnitte und Orte voraus, die für sich genommen klassifiziert werden. Indikatoren dafür sind Veränderungen im Querschnitt, variierende Zuständigkeitsbereiche (verschiedene Straßenbehörden), baulicher Charakter, Raumnutzung und Fußgängeraufkommen der Straße. Straßenabschnitte mit hohem Verbindungsstatus und niedrigem Ortsstatus können Raum für den Durchgangsverkehr beanspruchen, während Straßen mit umgekehrter Klassifikation mehr Raum für Stadtaktivitäten erhalten können. Wenn beide Funktionen hoch sind, ist eine ausgeglichene Verteilung des Straßenraums notwendig. Wenn das nicht möglich ist, soll eine der beiden Funktionen herabgestuft werden.[17]

Prinzipien der räumlichen Aufteilung

Die Herausforderungen im Umgang mit den vielseitigen Nutzungskonflikten im öffentlichen Raum hatten in der Vergangenheit – vor allem in Hauptstraßen – eine Verkehrsstruktur nach dem horizontalen Trennungsprinzip hervorgebracht, während dem Mischungsprinzip bisher eher das Nebennetz und die Seitenbereiche vorbehalten waren.[18]

Trennungsprinzip

Das Trennungsprinzip ist zum einen das bewährteste Prinzip der verkehrlichen Aufteilung, zum anderen aber auch das starrste. Die Orientierung in Längsrichtung optimiert den längs gerichteten Verkehr, vernachlässigt dabei jedoch Beziehungen in Querrichtung. Durch das punktuelle Anlegen von Fußgängerüberwegen wird zwar die Möglichkeit zum Queren eingeräumt. Jedoch entstehen in den Konfliktpunkten – vor allem an Einmündungen – kritische Stellen, weil dem Längsverkehr zuvor eine Alleinstellung suggeriert wurde, die plötzlich durchbrochen wird. Dieser Effekt ist umso stärker, je größer die Geschwindigkeitsdifferenz der Verkehre ist. Die Sicherung und gestalterische Kennzeichnung solcher Konfrontationspunkte von Längs- und Querbeziehungen müssen unter Aspekten der Verkehrssicherheit mit besonderer Sorgfalt geplant werden. Dennoch hat sich das Trennungsprinzip als sehr tragbar erwiesen. Gleisbetten, Busspuren, Fahrbahnen, Parkstreifen, Fahrrad- und Fußwege ziehen sich in mitunter starren Querschnitten wie selbstverständlich durch die Städte, während städtebaulich integrierte und individuell gestaltete Straßenräume vor allem aus Kostengründen noch eher selten anzutreffen sind. Der Fahrradverkehr kehrte allerdings auf Schutz- oder Mehrzweckstreifen bzw. Fahrradwegen auf die Fahrbahn zurück, jeweils mit Sicherheitsabstand zum Parkstreifen.[19] Damit endet allmählich sein Dasein zwischen dem fließenden und dem ruhenden Kfz-Verkehr und sein „Gastspiel“ auf dem Gehweg, das noch sehr häufig ist.

Das Trennungsprinzip bietet jedoch noch immer Verbesserungspotenzial, etwa durch lang gezogene Mittelstreifen und Gehwegvorstreckungen. Die Mittelstreifen ermöglichen ein flächiges Queren und verkürzen die Querungsdistanzen. Zudem werden schwache Verkehrsteilnehmer unterstützt, indem ihre Sicht und Sichtbarkeit verbessert wird. Gehwegvorstreckungen beanspruchen ehemalige Flächen des Parkstreifens und verbessern die Sicht auf den Längsverkehr, während Aufpflasterungen in kleineren Knotenpunkten auf eine besondere Querungssituation hinweisen. Geh- und Fahrradwege werden zunehmend über Knotenpunkte und Einmündungen hinwegmarkiert oder -gepflastert, sodass sie als Querverkehr besser wahrnehmbar sind.

Mischungsprinzip

Der hohe Flächenverbrauch des Kfz-Verkehrs ist dem Gedanken ein fruchtbarer Nährboden, den Fahrbahnbereich für alle Verkehrsteilnehmer freizugeben. Auf der entstehenden Mischfläche könnten sich alle Verkehre gleichberechtigt bewegen. Dies führt jedoch dazu, dass sich der schnelle Verkehr anpassen muss und den Bereich nur sehr langsam passieren kann. Mit der Auflösung der starren Straßenstruktur ist immer auch eine Herabsetzung der Verkehrskapazität verbunden. Also erscheint es folgerichtig, Verkehre nach ihren Geschwindigkeiten zu gruppieren und jeweils eigenen Mischverkehrsflächen zuzuweisen. Ein Beispiel dafür sind gemeinsame Geh- und Radwege, aber auch Fahrradstraßen. In Deutschland können dort zumindest Anlieger mit Kfz per Zusatzzeichen zugelassen werden,[20] in den Niederlanden sind Kraftfahrzeuge sogar generell erlaubt. Ein anderer Kritikpunkt sieht weniger den Kfz-Verkehr im Nachteil, sondern die schwachen Verkehrsteilnehmer, die dem MIV in einer freien Fläche schutzlos ausgeliefert seien. Folglich entstanden Konzepte, bei denen mit Straßenmöbeln, Pollern und besonderen Gestaltungen – nicht aber mit Borden oder klaren Abgrenzungen – Schutzbereiche geschaffen wurden, die für den Kfz-Verkehr nicht zugänglich sind. Auf diese Weise sind Mischverkehrsflächen auch dort denkbar, wo weiterhin der Verkehrsfluss von hoher Bedeutung ist. In der Schweiz wird dieser Ansatz in Form von Begegnungszonen mit Erfolg umgesetzt. Das Anwendungsspektrum umfasst sowohl sensible Wohn- und Schulbereiche als auch stark frequentierte Bahnhofsvorplätze, Einkaufsstraßen, zentrale Plätze und Kreuzungen mit starkem Fußgänger- und Fahrradverkehr.[21] In anderen Ländern haben Mischverkehrsflächen noch immer den Charakter von Spielstraßen. Vielerorts sind die verkehrsrechtlichen Voraussetzungen noch nicht ausgereift oder es fehlt die Akzeptanz für derartige Bereiche und Ansätze.

Anpassung des Kfz-Verkehrs

Bei der Lösung von Nutzungskonflikten im öffentlichen Straßenraum scheint eine Anpassung des dominanten motorisierten Verkehrs der naheliegendste Lösungsansatz zu sein. Dabei sind räumliche (Verlagerung) und fahrdynamische (Verlangsamung) Ansätze denkbar, aber auch eine Vermeidung des Kfz-Verkehrs.

Vermeidung

Verkehr lässt sich nicht vermeiden, sofern eine funktionale Beziehung zwischen zwei Orten besteht, es sei denn diese beiden Orte trennt keine räumliche Distanz. Ein Beispiel dafür ist eine Wohnung, die gleichzeitig als Arbeitsplatz fungiert. Da dies jedoch die Ausnahme ist, besteht der Fokus der Verkehrsvermeidung vor allem darin, die räumlichen Distanzen zwischen Wohnen, Arbeiten, Versorgen und Orten der Dienstleistung, der Freizeit und der Bildung durch geschickte Standortwahl zu verringern. Mit dem Verkürzen der Wege ergibt sich für bestimmte Orte ein verringertes Verkehrsaufkommen, weil vor allem der Durchgangsverkehr an Gewicht verliert. Die geringeren Distanzen lassen wiederum nichtmotorisierten Verkehr bei der Verkehrsmittelwahl an Bedeutung gewinnen. Je mehr Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden, desto weniger Platz wird verbraucht, wird die Umwelt beansprucht und sind Kfz unterwegs. Ein anderer Ansatz ist der, die Benutzung von Straßen kostenpflichtig zu machen. Mit Straßengebühren (City-Maut, vgl. Abschnitt 6.1.1) sollen Fahrten im Innenstadtbereich unattraktiv gemacht werden. Während sich einige Aktivitäten verlagern, werden andere gebündelt oder gar nicht durchgeführt, sodass in Summe weniger Fahrten entstehen.

Ein neuerer Ansatz ist das Prinzip der Evaporation (fachsprachlich für „Verdunstung“): Wenn durch neue Verkehrsflächen neuer Verkehr induziert wird,[22] müsste durch eine Reduzierung von Flächen eine Abnahme des Verkehrs zu erwarten sein.[23] Das gegenteilige Gedankenpaar, wonach neue Verkehrsflächen die Verkehrsqualität verbessern können und eine Dezimierung von Flächen neue Verkehrsprobleme hervorruft, hatte sich als Trugschluss herausgestellt. Tatsächlich passen sich Verkehrsteilnehmer der jeweiligen Situation an und suchen sich neue Wege und Verkehrsmodi.

Maßnahmen zur Priorisierung des Bus- und Straßenbahnverkehrs, zur Etablierung von Fahrradspuren und zur Vergrößerung der Seitenbereiche können, wenn sie sinnvoll gestaltet und dem jeweiligen Kontext angemessen sind, zum Erreichen einer Reihe nachhaltiger Ziele beitragen. Dazu gehört die effizientere Nutzung des Straßenraums, eine Erhöhung der Attraktivität des nichtmotorisierten Verkehrs und eine allgemeine Qualitätsverbesserung der Straßenlandschaft.

Bei der Auswertung der Maßnahmen ist es schwierig, zu eindeutigen Ergebnissen zu kommen, insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf das Verkehrsaufkommen. Verkehrszahlen unterliegen zahlreichen, zum Teil langfristigen Einflüssen (allgemein steigendes Verkehrsaufkommen, höhere Einkommen und Pkw-Besitzrate) und können nur kleinere Bereiche erfassen, obwohl die Effekte oftmals weiter entfernt auftreten. Befragungen decken meist keinen genügend großen Zeitraum ab und individuelles Verhalten lässt sich aus den Untersuchungen nur schwer ableiten.[23] Dennoch zeugen zahlreiche Projekte davon, dass es bei derartigen Maßnahmen zu einer merklichen Verringerung oder zumindest keiner Erhöhung des Verkehrsaufkommens kommt und die Verlagerungseffekte in die umliegenden Straßen unkritisch sind. Das umgebende Straßennetz darf allerdings keine Alternativrouten bieten, sonst wird das Verkehrsaufkommen nur verlagert. Neben den räumlichen dürfen auch keine zeitlichen Alternativen existieren.[24]

Verlagerung

Statt Kraftfahrzeuge aus dem Nutzungsgefüge durch Verkehrsvermeidung möglichst herauszuhalten, zielt die Verkehrsverlagerung darauf ab, sie so umzuleiten, dass weniger oder weniger kritische Nutzungskonflikte entstehen. Dabei ist der Anteil des Durchgangsverkehrs von Bedeutung. Ist der Anteil gering, lässt dies darauf schließen, dass die Betroffenen den Verkehr größtenteils selbst induzieren. Somit ist der zu schützende Bereich selbst Quell- oder Zielort und eine Umfahrung wenig zielführend. Überwiegt jedoch der Anteil des Durchgangsverkehrs, kann eine Verkehrsverlagerung sinnvoll sein. Das umliegende Straßennetz muss dabei zum einen die zusätzlichen Kapazitäten aufnehmen können und darf zum anderen keine hervorgehobene Stellung in Bezug auf Aufenthaltsqualität und die Bedeutung von Fußgänger- und Fahrradverkehr besitzen. In verdichteten Innenstadtbereichen ist diese Voraussetzung in der Regel nicht gegeben, sodass die Sperrung oder Nutzungseinschränkung ganzer Innenstädte folgerichtig erscheint.

Für punktuelle Maßnahmen gestaltet sich jedoch der Lösungsansatz in der Regel schwieriger. Der Ansatz der Evaporation verringert in besonderen Bereichen die Attraktivität des Straßenraums für den Kfz-Verkehr und zwingt ihn auf alternative Routen, die ihm allerdings nicht in ausreichender Kapazität und Anzahl zur Verfügung gestellt werden. Somit sehen sich die motorisierten Verkehrsteilnehmer gezwungen, auf andere Verkehrsmittel umzusteigen. Umgekehrt kann diese Verkehrsverlagerung im Sinne eines modal shifts auch durch eine Aufwertung oder Alleinstellung von umweltverträglichen Verkehrsmitteln wie dem ÖPNV, dem Fahrrad oder dem Zufußgehen gezielt gefördert werden.

Verlangsamung

Verlangsamung durch Gestaltung

Die Gestaltung des Straßenraums beeinflusst unmittelbar den Verkehr. Ein Maß für diese Beeinflussung ist der Durchgangswiderstand.[25] Er beschreibt die Durchlässigkeit der Straße in Bezug auf den motorisierten Verkehr. Während die Fahrbahn früher schlicht mit Hindernissen verstellt wurde, um die Fahrlinie zu verschwenken und damit die Geschwindigkeit zu senken, steht heute ein gesamtheitlicher, die Randnutzungen einbeziehender Ansatz im Vordergrund. Die starre Aufteilung des Straßenraums nach dem Trennungsprinzip wird dabei aufgeweicht, jedoch nicht in dem Sinne, dass eine Mischverkehrsfläche entsteht. Vielmehr wird die Interaktion zwischen Straße und Randnutzungen erhöht, indem diese gestalterisch besser aufeinander abgestimmt werden. Denkbar ist eine Nivellierung des Straßenraums oder Absenken der Borde auf drei Zentimeter mit unterschiedlichen Materialien für Seitenbereich und Straße.

BILD

Je auffälliger die Materialien sind, etwa durch eine charakteristische Pflasterung, desto mehr Identität erhält der Ort und umso angepasster sind die Geschwindigkeiten. Dieser Effekt kann durch Nutzungen verstärkt werden, die in den Straßenraum „hineinragen“, zum Beispiel zur Straße offene Verkaufsauslagen oder Café-Aufstellflächen. Durch den direkten Kontakt mit den Randnutzungen sieht sich der Kfz-Fahrer einem höheren Durchgangswiderstand ausgesetzt. Er muss die vielfältigen Reize verarbeiten und darauf entsprechend reagieren – und fährt entsprechend langsamer. Obwohl der Kfz-Verkehr weiterhin bevorrechtigt ist, kann seine Stellung darüber hinaus durch optische Übergangsbereiche geschwächt werden. Derartige Bereiche könnten mit gepflasterten Teilabschnitten oder besonderen Markierungen wie quer liegenden Zebrastreifen umgesetzt werden.[26] Des Weiteren kann eine optische Verengung der Fahrbahn, etwa durch Markierung oder abgesetzte Pflasterung, den Kfz-Verkehr verlangsamen.

Verlangsamung durch Tempobeschränkungen

Der induzierten Geschwindigkeitsreduzierung durch angepasste Gestaltung steht die angeordnete Tempolimitierung gegenüber. Zwar sollten in der Regel auch hier begleitende Umgestaltungsmaßnahmen stattfinden, vor allem bis zu einer Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h, die Praxis sieht jedoch meist anders aus. Dabei steht die Akzeptanz solcher Tempobeschränkungen in direktem Zusammenhang zur Straßenraumgestaltung. Ohne begleitende Gestaltung wird nur die Wirkung statt der Ursache bekämpft. Geschwindigkeitsbeschränkungen von 30 km/h sind eine Abstufung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Ortschaften (meist 50 km/h). Sie werden vor allem zur Minderung der Lärmbelastungen eingerichtet, aber auch zur Verbesserung der Querbarkeit und Verkehrssicherheit.[27] Immer häufiger sind sie innerhalb von Zonierungen (Tempo-30-Zone) Teil einer Netzhierarchie. Auf diese Weise entstehen Rückzugsgebiete, vor allem für das Wohnen. Hier weicht der Durchgangsverkehr zum Teil auf das „schnelle“ Netz aus, der Schwerverkehr wird ebenfalls reduziert. Geringere Höchstgeschwindigkeiten als 30 km/h, etwa 20 oder 10 km/h (Tempo-10- bzw. Tempo-20-Zone), werden vor allem in sensiblen Innenstadtbereichen mit einer hohen Dichte schützenswerter Gebäude eingerichtet. Diese besonderen Bereiche zeichnen sich durch eine hohe Frequentierung von Fußgängern aus, wodurch sich der Anspruch einer hohen Aufenthaltsqualität und Verkehrssicherheit ergibt. Die historischen Straßen sind oft eng und gepflastert. Auf diese Weise kommt der Lärmentlastung eine hohe Bedeutung zu. Auch die Erschütterungen durch den Schwerlastverkehr sind in Anbetracht historischer Baumasse zu minimieren.

Allgemeine bauliche Maßnahmen

Vielleicht noch untergliedern, so wie hier?ðuerýzo ?! Filmtheorie 11:11, 8. Nov. 2013 (CET)

Mal schaun, wies besser passt. Ih feile noch dran.--Mailtosap (Diskussion) 22:08, 12. Nov. 2013 (CET)

Grundsätzliches: Umsetzung: Vollausbau oder provisorisch (zu Testzwecken) mit Beteiligung der Öffentlichkeit Grundsatz: Befahrbarkeit (Bemessungsfahrzeug) muss gewährleistet sein Maßnahmen lassen sich kombinieren Wirksame Geschwindigkeitsdämpfung

Skizze
Reduzierung der Fahrbahnbreite
Innerortsstraßen, die eine über das notwendige Maß hinausreichende Fahrbahnbreite besitzen, führen zu überhöhter Geschwindigkeit. Durch die Reduzierung der Fahrbahnbreite wird eine wirksame Geschwindigkeitsdämpfung herbeigeführt. In jedem Fall müssen die Nutzungsanforderungen an die Straße genau bestimmt werden, um die erforderliche Fahrbahnbreite festlegen zu können (Bemessungsfahrzeug). Je nach Begegnungsfall sollte die Fahrbahnbreite nicht unter 5,50 Meter liegen. Die Reduzierung der Fahrbahnbreite kann auch nur mit optischen Hilfsmitteln (Pflastereinfassung, Fahrbahnmarkierung) ausgeführt werden. Der Fahrbahnrand ist somit im Begegnungsfall überfahrbar.
Skizze
Fahrbahnteiler
Fahrbahnteiler schaffen eine klare Gliederung des Straßenraumes und können zudem als Querungshilfe für Fußgänger genutzt werden. Die Wirkung der Insel kann durch eine entsprechende Bepflanzung noch verstärkt werden. Sie tragen nachweislich zur Geschwindigkeitsdämpfung bei und verhindern Überholvorgänge. Fahrbahnteiler können endgültig und provisorisch eingerichtet werden.
Aufpflasterung im Einmündungsbereich
Aufpflasterung
Worum handelt es sich? Detailierte Beschreibung des Aussehens. Welche Wirkung wird erzielt? Was sind die Nachteile?
Kurze Fahrbahneinengung
Bei dieser baulichen Maßnahme wird die Fahrbahn in einem kurzen Bereich deutlich verengt (max. 20 Meter). Die Fahrbahn wird auf etwa 4 bis 4,5 Meter verengt (Begegnungsfall Pkw/Pkw). Wird diese Breite unterschritten, treten Beschleunigungsvorgänge auf, um ein Anhalten und Warten im Begegnungsfall zu vermeiden. Die Fahrbahnverengung kann durch eine entsprechende Bepflanzung oder durch eine Kombination mit einer Aufpflasterung bzw. einem Belagswechsel noch verdeutlicht bzw. verstärkt werden. Eine Beleuchtung bzw. Kenntlichmachung mit Verkehrszeichen kann erforderlich sein. Neben einer Verringerung der Fahrgeschwindigkeit des fließenden Verkehrs wird den Fußgängern auch die Überquerung der Fahrbahn erleichtert.
Bremsschwelle
Erklärung
Fahrgassenversatz
Erklärung
Quer- und Diagonalsperren (auch Busschleuse)
Erklärung
Niveaugleicher Straßenraum
Erklärung
Kreisverkehr
Erklärung
Fahrbahnbelagswechsel
Erklärung
Neuordnung ruhender Verkehr
Erklärung
Begrünung und Bepflanzung
Erklärung

Lösungskonzepte

Die vorab vorgestellten Lösungsansätze lassen sich nicht kategorisch in konventionelle und modernere Ansätze einteilen. Gleichwohl sind sie Bausteine, mit denen es die angewandte Verkehrsplanung versteht, städtische Nutzungskonflikte im Rahmen umfassender Lösungskonzepte zu lösen. Dafür kann zum einen der MIV geschwächt, zum anderen der NMIV gestärkt werden. Einige der folgenden Lösungskonzepte werden inzwischen in vielen europäischen Städten erprobt und angewendet, etwa die „„klassische““ Fußgängerzone. Andere Prinzipien müssen sich in neuen, alternativen Lösungskonzepten erst bewähren.

Schwächung des MIV

Indirekte Verkehrsführung

Ein Ansatz für die Schwächung des MIV ist, den Durchgangsverkehr zu unterdrücken, indem Verkehrsregelungen die Verkehrsführung so organisieren, dass innerstädtische Bereiche nicht mehr adäquat durchquert werden können. Dies hat eine erhebliche Reduzierung des Verkehrsaufkommens zur Folge –– der Verkehr verpufft (Evaporation). Durch ein System aus eingeschränkt befahrbaren Zufahrten und Straßen (die nur für ÖPNV, Taxis und Fahrräder freigegeben sind), Durchfahrtssperren, Abbiegeverboten und Einbahnstraßen kann gewährleistet werden, dass es nur für den Zielverkehr des MIV sinnvoll ist, die Innenstadt zu befahren.[28] Einige Straßen können generell nur für den ÖPNV freigegeben werden. Andere können wiederum dem Fußgängerverkehr vorbehalten sein, entweder unter Zulassung des ÖPNV oder als reine Fußgängerbereiche. Denkbar sind auch Fußgängerbereiche, die das Befahren von Kfz generell zulassen, aber zeitlich einschränken, etwa werktags von 10 bis 16 Uhr. Umfahrungsmöglichkeiten führen den Durchgangsverkehr um die Innenstadt herum (Verkehrsverlagerung). Das Konzept hat den Vorteil, dass die Erschließung mit dem Kfz gewährleistet wird, gleichzeitig aber eine erhebliche Steigerung der Aufenthaltsqualität zu erwarten ist.

BILD

Effekte anhand von Cambridge und Oxford ...

Reduzierung von Kfz-Flächen

Die Eigenschaft des Kfz-Verkehrs, große Flächen zu beanspruchen und enorme Umweltwirkungen zu erzeugen legt den Schluss nahe, dass seine Flächen vorrangig in Bereiche für den öffentlichen Verkehr umgewandelt werden sollten. Tatsächlich wird ein Rückbau von Flächen des Kfz-Verkehrs zugunsten des ÖPNV vielerorts mit Konsequenz durchgeführt, meist auf Grundlage von Nahverkehrsplänen, die eine Anreizsteigerung des Nahverkehrs fokussieren. Damit wird eine Verkehrsverlagerung (modal shift) vom MIV auf den ÖPNV regelrecht erzwungen. Auch hier wird das Prinzip der Evaporation angewendet und die Erfahrungen zeigen, dass kein Verkehrschaos eintritt.[23] In Straßburg wurden Flächen des Kfz-Verkehrs für den Bau einer Straßenbahnlinie reduziert, die nun die Fußgängerbereiche erschließt.

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Beispiel London

Beispiel Freiburg

Stärkung des NMIV

Fußgängerzonen und autofreie Stadtplätze

Verkehrsberuhigte Zonen

Sonstiges

  • Lkw-Fahrverbote und Anlieger-frei-Regelungen

Wirksamkeit und Akzeptanz

Die Effizienz der Maßnahmen und die Erreichbarkeit der Ziele wurde im Großversuch „Verkehrsberuhigung in Wohngebieten“ 1976 in Nordrhein-Westfalen, im Modellvorhaben „Flächenhafte Verkehrsberuhigung“ ab 1983 bundesweit in Deutschland und in zahlreichen Einzelbeispielen in Deutschland und Österreich nachgewiesen. In günstigen Fällen konnten als Erfolge erzielt werden:[29][30]

  • Rückgang der mittleren Geschwindigkeiten um 5-15 km/h, der V85 um bis zu 20 km/h auf den angestrebten Zielwert von ca. 30 km/h
  • Rückgang der Unfälle, besonders Rückgang der schweren Unfälle mit Personenschaden um bis zu 50 %
  • Steigerung des Anteils der Wege, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt wurden um einige Prozentpunkte
  • Abnahme des Dauerschallpegel um 2-3 dB(A), im Einzelfall bis zu 4 dB(A)
  • insgesamt hohe Akzeptanz der Verkehrsberuhigung (1988: 64 % der Pkw-Fahrer stimmen der Tempo-30 Regelung zu)[31]

Allerdings waren die Erfolge sehr unterschiedlich und in ungünstigsten Fällen traten auch Verschlechterungen einzelner Aspekte ein. Trotzdem ist heute Sinn und Notwendigkeit von Verkehrsberuhigung in Wohngebieten allgemein akzeptiert – auch unter Autofahrern. So heißt es in einer aktuellen ADAC-Veröffentlichung:

„Verkehrsberuhigung ist – ohne Frage – ein bewährtes Instrumentarium, die Auswirkungen des Straßenverkehrs umweltverträglicher und auch insgesamt den Verkehr wieder menschengerechter zu gestalten, auch wenn immer wieder über den Sinn und Unsinn von Verkehrsberuhigungsmaßnahmen diskutiert wird.“[32]

Einzelnachweise

  1. a b Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen: Großversuch „Verkehrsberuhigung in Wohngebieten“. Schlußbericht der Beratergruppe. Kirschbaum Verlag 1979.
  2. http://elib.uni-stuttgart.de/opus/volltexte/2001/911/pdf/Diplomarbeit_Peter_Schick.pdf S. 2.
  3. Donella H. Meadows, Dennis L. Meadows, Jørgen Randers, William W. Behrens III: The Limits to Growth. Universe Books, 1972, ISBN 0-87663-165-0.
  4. Colin Buchanan et al.: Traffic in Towns. London: HMSO (1963).
  5. a b Ben Hamilton-Baillie: Shared Space: Reconciling People, Places and Traffic. Built Environment, Band 34, Nr. 2. Alexandrine Press.
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  7. a b c Colin Hand: Woonerf: A Dutch Residential Streetscape. University of Massachusetts, Amherst Department of Landscape Architecture and Regional Planning.
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  9. a b Dörte Schubert: Schonzeit für Fußgänger. DIE ZEIT, 9. März 1984, Nr. 11.
  10. Peter Pez: Verkehrsberuhigung in Stadtzentren. Ihre Auswirkungen auf Politik, Ökonomie, Mobilität, Ökologie und Verkehrssicherheit – unter besonderer Berücksichtigung des Fallbeispiels Lüneburg. Archiv für Kommunalwissenschaften, Jg. 39, Nr. 1, 2000. S. 117–145.
  11. Thomas Schweizer: Begegnungszonen in der Schweiz – Ein Erfolgsmodell. In: Cornelius Bechtler, Anja Hänel et al. (Hrsg.): Shared Space – Beispiele und Argumente für lebendige öffentliche Räume. S. 87.
  12. a b Silvia Mann: Untersuchungen über die Möglichkeiten und Konsequenzen der Einrichtung von Begegnungszonen in der Stadt Zürich. Diplomarbeit. Technische Universität Dresden.
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  14. Tiefbauamt des Kantons Bern, Oberingenieurkreis II: Koexistenz statt Dominanz im Straßenverkehr – Das Berner Modell in Planung und Praxis.
  15. Ute Eberle: Gefahr ist gut. ZeitWissen 05/2005.
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  17. Abschlussbericht ARTISTS-Projekt. Appendix A: A procedure for street classification.
  18. Lohse, D., Schnabel, W.: Grundlagen der Straßenverkehrstechnik und der Verkehrsplanung. Band 2 – Verkehrsplanung. Dritte, vollständig überarbeitete Auflage. Beuth. 2011. S. 159.
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  21. Schweizer, T.: Begegnungszonen in der Schweiz – ein Erfolgsmodell. In: Heinrich-Böll-Stiftung (Hrsg.): Shared Space – Beispiel und Argumente für lebendige öffentliche Räume. Bielefeld, 2010.
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  28. Europäische Kommission, 2004. Case study 7, Cambridge, England; Case study 8, Oxford, England. S. 42ff.
  29. Bundesminister für Verkehr: Forschung Stadtverkehr, Heft 45, Forschungsvorhaben Flächenhafte Verkehrsberuhigung - Auswirkungen auf den Verkehr- , Hoermann Verlag Hof/Saale 1992
  30. Holzmann, E und W. Richter: Flächenhafte Verkehrberuhigung - Auswirkungen auf die Umwelt, Forschungsbericht 105 04 705/709, UBA-FB 92-009/010, Dorsch Consult, im Auftrag des Umweltbundesamtes, Berlin März 1992
  31. ADAC: „Zonen-Geschwindigkeitsbeschränkung“ , Erfahrungen aus der Praxis, Empfehlungen und Hinweise aus der Sicht des ADAC, Art.-Nr. 283146, ADAC Feb. 1990
  32. ADAC: Tempo 30 – Low-Cost-Maßnahmen für die Praxis, Kommunale Erfahrungen und Empfehlungen des ADAC, Bestell-Nr. 283 146, ADAC München 1995