Benutzer:R*elation/Mutationen

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Im Juli 2020 wurden die weltweit gesammelten und in der öffentlichen Datenbank GISAID verfügbaren, damals nahezu 50.000 kompletten viralen Genomsequenzen analysiert und mit dem Referenzgenom aus Wuhan (NC_045512.2) verglichen, das 29.903 Nukleotide (nt) lang ist. Dabei wurden insgesamt über 350.000 Mutationsereignisse festgestellt, also im Durchschnitt rund 7 pro untersuchter Probe; 256 der Sequenzen zeigen keinen Unterschied zum Ursprungsgenom, die übrigen 48.379 Proben weisen mindestens eine Mutation auf. Weitaus überwiegend sind dies Punktmutationen mit Veränderungen von einzelnen Nukleotiden, sogenannte Single Nucleotide Polymorphisms (SNPs), bei denen eine Nukleinbase durch eine andere ersetzt wird. Bei diesen Substitutionen handelt es sich vornehmlich um eine Transition – wobei der Austausch von Pyrimidinbasen (in 55 % CU) den von Purinbasen (in 15 % AG) überwiegt – und weniger häufig um eine Transversion (in 12 % G→U). Bei über 200.000 der Mutationsereignisse führt ein derartiger Tausch nur eines Nukleotids zum Austausch der Aminosäure im codierten Protein, knapp 100.000 SNPs sind stille Mutationen in codierenden Regionen, rund 44.000 liegen außerhalb dieser, hauptsächlich in den untranslatierten Regionen (UTR) zu beiden Enden der RNA-Sequenz. Daneben kommen auch Multi-Nukleotid-Ereignisse (wie die Substitution eines GGG-Tripletts durch AAC) vor, außerdem Deletionen (etwa von AUG als Codon) und sehr selten Insertionen. Diese Ergebnisse haben viele Ähnlichkeiten mit denen bei SARS-CoV[-1]. Die auf dieser Grundlage beobachtete Anzahl von Mutationen bei SARS-CoV-2 bestätigte die Annahme einer relativ niedrigen Mutationsrate.[1]

Ein weltweiter Überblick zeigt täglich den jeweiligen Stand der gemeldeten Mutationen und ihre Zuordnung. Hiernach wurden am 11. Januar 2021 elf Unterstämme unterschieden: 19A, 19B, 20A, 20B, 20C, 20D , 20E (= EU1, 20.05.2020), 20F, 20G, 20H (= 501Y.V2, 28.02.2020) und 20I (= 501Y.V1, 13.09.2020). Am 24. Januar 2021 sind 3926 Samples (Proben) von November 2020 bis Januar 2021 visualisiert, ein neuer Unterstamm ist als 20J hinzugekommen:[2]

  • 19A (179 Proben, 26 Länder, Asien, Europa, Afrika, Australien, 11.01.2020 Erstnachweis);
  • 19B (112 Proben, 35 Länder, davon nur Polen als europäischer Nachweis, 13.01.2020);
  • 20A (1077 Proben, 60 Länder, Amerika nicht vertreten, 14.01.2020);
  • 20B (1134 Proben, 60 Länder, vor allem Europa und Asien, 06.02.2020);
  • 20C (433 Proben, 49 Länder, Europa, Russland, Naher Osten, Afrika, 19.02.2020);
  • 20D (175 Proben, 26 Länder, Europa, Naher Osten, Nord- und Süd-Amerika, 07.03.2020);
  • 20E (EU1) (229 Proben, 33 Länder, Europa, Nordafrika, Neuseeland, Australien, Naher Osten, 20.05.2020);
  • 20F (63 Proben, nur Australien, 19.05.2020);
  • 20G (231 Proben, 11 Länder, Australien, Neuseeland, Asien, Nord- und Südamerika, aus Europa nur Dänemark und Polen, 26.06.2020);
  • 20H (130 Proben, fünf Länder: Australien, Botswana, Südafrika, Frankreich, Belgien, oft mehr als 20 Mutationen, 27.08.2020);
  • 20I (149 Proben, 36 Länder, Europa, Naher Osten, Indien, Australien, Neuseeland, Naher Osten, Nord- und Südamerika, oft mehr als 30 Mutationen, 01.09.2020);
  • 20J (= 501Y.V3, 33 Proben, drei Länder: Brasilien, Japan, Südkorea, oft mehr als 30 Mutationen, 16.12.2020).

Das Virus mutiert offenbar relativ langsam, im Vergleich mit Influenzaviren zwei- bis viermal soviel Zeit.[1][3] Das bedeutet zum einen, dass es per Genomanalyse keine sehr hohe Auflösung bezüglich der Ausbreitungswege des Virus gibt, zum anderen lässt es darauf hoffen, dass eine nach überstandener Krankheit erworbene Immunität lange (monatelang) anhält. Allerdings hatten isländische Virologen von deCODE Genetics (isländisch Íslensk erfðagreining) bis zum 24. März 2020 vierzig verschiedene Mutationen allein bei Infizierten aus diesem Land identifiziert.[4][5][6] Eine der Betroffenen war mit zwei verschiedenen Ausprägungen von SARS-CoV-2 coinfiziert.[7][8]

Bei der Überwachung der genetischen Vielfalt und der Entwicklung des Virus müssen unterschieden werden:

  • Stille Mutationen, die sich wegen der Degeneration des genetischen Codes nicht auf die kodierten Proteine auswirken und eine molekulargenetische Uhr definieren,
  • Mutationen mit Auswirkungen auf den Phänotyp (das Erscheinungsbild des Virus in all seinen Ausprägungen). Diese weisen offenbar bei SARS-CoV-2 auf fortlaufende Anpassung an seinen neuen menschlichen Wirt hin. Wichtig für die Entwicklung von Antikörpern und Impfstoffen ist es, herauszufinden, welche Teile der kodierten Proteine stabil bleiben und konserviert werden, damit die Mittel durch Anpassung der Viren nicht schnell wirkungslos werden.[9]

Eine genaue Analyse dieser Sachverhalte findet sich bei Lucy van Dorp et al. (2020),[9] die Infektiosität des Virus könnte sich mit der Zeit erhöhen,[10][11] eine Befürchtung, die grundsätzlich auch beim bisher nur schwer von Mensch zu Mensch übertragbaren MERS-CoV besteht. In einer italienischen Studie vom Juli 2020 wurden (zu diesem Zeitpunkt) sechs SARS-CoV-Varianten unterschieden. Stamm G ist in Europa am häufigsten, dieser ist seit Ende Februar 2020 weiter mutiert in die Stämme GR und GH. Der ursprüngliche Stamm L aus Wuhan wird immer weniger gefunden, wie auch der Stamm V. Ein Stamm S wurde in einigen Gebieten der USA und Spaniens gefunden.[1]

Die im Westen dominierende Form des Virus, die sich ab Februar 2020 in Europa stark ausbreitete und von dort auch in andere Länder, hat eine Mutation D614G im Spike-Protein[12][13][14][15] und weicht damit von der Wuhan-Variante ab. Insbesondere hat diese Mutation vier- bis fünfmal mehr Spikes auf der Oberfläche des Virus.[16]

  1. a b c Daniele Mercatelli, Federico M. Giorgi: Geographic and Genomic Distribution of SARS-CoV-2 Mutations. In: Frontiers in Microbiology. 22. Juli 2020, doi:10.3389/fmicb.2020.01800. Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag. Der Name „Mercatelli2020-07“ wurde mehrere Male mit einem unterschiedlichen Inhalt definiert.
  2. Genomic epidemiology of novel coronavirus - Global subsampling. In: Open-source project »Nextstrain«. Nexttrain, abgerufen am 30. Januar 2021 (englisch, Real-time tracking of pathogen evolution of SARS-CoV-2).
  3. Kai Kupferschmidt: Der Stammbaum der Pandemie, auf: Spektrum.de vom 18. März 2020 (mit Bezug auf Christian Drosten und Andrew Rambaut).
  4. Amanda Woods: Iceland scientists found 40 mutations of the coronavirus, report says, auf: New York Post vom 24. März 2020
  5. Bo Elkjær: Forskere har sporet 40 mutationer af coronavirus – alene på Island, auf: www.information.dk (Iceland outlet Information) vom 24. März 2020, dänisch
  6. Vanessa Chalmers: Scientists in Iceland claim they have found FORTY mutations of the coronavirus – and admit seven cases can be traced back to 'a football match in England', auf: www.dailymail.co.uk (MailOnline) vom 24. März 2020
  7. Alexander Elliott: Two types of COVID-19 in one individual, auf: www.ruv.is (RÚV news), Island, vom 24. März 2020
  8. Poppy Askham: Patient Infected With Two Strains of COVID-19 In Iceland, auf: The Reykjavík Grapevine vom 24. März 2020
  9. a b Referenzfehler: Ungültiges <ref>-Tag; kein Text angegeben für Einzelnachweis mit dem Namen Dorp2020.
  10. SARS-CoV-2: Mutationen könnten Ansteckungsfähigkeit weiter erhöhen. In: Ärzteblatt. 6. Mai 2020, abgerufen am 7. Mai 2020.
  11. Nadja Podbregar: Wie stark ist das Coronavirus mutiert? In: scinexx. 8. Mai 2020, abgerufen am 9. Mai 2020.
  12. Bette Korber, David D. Montefiori et. al.: Spike mutation pipeline reveals the emergence of a more transmissible form of SARS-CoV-2, bioRxiv 30. April 2020
  13. Bestätigt: Neue Variante „infektiöser“, auf: science.orf.at vom 3. Juli 2020
  14. Nadja Podbregar: Eine mutierte Form von SARS-CoV-2 hat die ursprüngliche Variante fast verdrängt, auf: scinexx.de vom 3. Juli 2020: D614 versus G614
  15. Bette Korber, W. M. Fischer, S. Gnanakaran, E. O. Saphire, D. C. Montefiori et al.: Tracking changes in SARS-CoV-2 Spike: evidence that D614G increases infectivity of the COVID-19 virus, in: Cell vom 2. Juli 2020, doi:10.1016/j.cell.2020.06.043
  16. Mehr "Stacheln" durch Mutation – Wird das Coronavirus ansteckender?, auf: n-tv.de vom 15. Juni 2020