Benutzer:Rita2008/Ernst Stender
Ernst Gustav Ludwig Stender, geb. 13. 4.1901 in Hamburg, ertrunken am 7.10.1943 bei Kriegseinsatz eines "Bewährungsbataillons"
Vom Tod des Kommunisten Ernst Stender bei der Versenkung des Minenlegers "Olympos" in der Ägäis erfuhr seine Familie durch eine knappe Mitteilung des Hamburger Oberlandesgerichts. Dieses schrieb, er habe "durch seinen Heldentod die volle Wehrwürdigkeit wiedererlangt". Wie ca. 34000 andere Männer, die wegen ihrer politischen Vorstrafen, aber auch als Kriminelle oder religiös Verfolgte als "bedingt wehrunwürdig" eingestuft worden waren, wurde er 1942/43 eingezogen und in die "Bewährungs-" bzw. "Strafdivision 999" gezwungen. Wie viele andere politisch Verfolgte fiel er in einem Krieg, den er politisch immer bekämpft hatte.
Ernst Stender wuchs mit seinen vier Geschwistern in einem sozialdemokratischen Elternhaus auf. Er kam als zweitältester Sohn von Karl Rudolf Stender und seiner Frau Auguste Louise, geb. Meyer, am 13.4.1901 zur Welt – kaum anderthalb Jahre nach seinem Bruder Rudolf (geb. 26.12.1899). Es folgten Hans 1903, Charlotte 1906 und der jüngste Bruder Werner am 21.12.1915. Die Familie wohnte in der Gertigstraße 56 im Hochparterre rechts. Direkt darunter, im Souterrain, befand sich die Schusterwerkstatt des Vaters. Im Ersten Weltkrieg musste die Mutter die Kinder alleine versorgen und war darauf angewiesen, auf dem Land Schuhe gegen Naturalien einzutauschen. Nach dem Weltkrieg wandelte der Vater den Laden in ein Zigarrengeschäft um.
Ernst Stender ging in der Barmbeker Straße zur Volksschule und erhielt Violinenunterricht. Bei der Firma Heidenreich & Harbeck am Wiesendamm erlernte er den Beruf des Drehers. 1918 schloss er sich wie Rudolf der Freien Proletarischen Jugend an; 1922 trat er in die KPD ein und wurde Betriebszellenleiter in seiner Firma. Wegen Teilnahme an einer Versammlung der damals verbotenen KPD wurde er im Juli 1924 zu einer Geldstrafe verurteilt. 1923 heiratete Ernst Stender seine Jugendgenossin Anna Ketelhohn. Vier Jahre später wurde ihre Tochter Gretel geboren.
In der Familie wurde viel musiziert, wie Ernsts jüngerer Bruder Werner erzählte: Ernst, Rudolf und Hans spielten Violine und Mandoline, Ernsts Frau Anna Gitarre und sang Volkslieder. Gemeinsam gehörten sie einem Chor an. Zur Silberhochzeit der Eltern 1925 wurde ein Teil der Gertigstraße gesperrt, weil Musikanten auf der Straße für sie aufspielten. Durch das geöffnete Wohnzimmerfenster konnten die Jubilare das Spektakel verfolgen. Hinterher "standen alle Schlange, um mit den Eltern anzustoßen." Ab 1933 wohnte Ernst Stender mit seiner Familie am Rübenkamp 24.
1932 übernahm er eine Funktion im "militärpolitischen Apparat" der KPD Hamburg, dem Roten Frontkämpferbund (RFB). Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten arbeitete er unter dem Decknamen "Gerd" in der Illegalen KPD weiter. Im Sommer 1933 beteiligte er sich an der "illegalen Einfuhr und Weitergabe im Ausland hergestellter Druckschriften", u. a. der "Baseler Rundschau" und der "Kommunistischen Internationale". Ende November geriet er der Gestapo in die Hände und wurde im KolaFu, später im Zuchthaus Fuhlsbüttel inhaftiert. Das Hamburger Oberlandesgericht verurteilte ihn am 24. Oktober 1934 wegen "Vorbereitung zum Hochverrat" zu drei Jahren Zuchthaus, die er in Fuhlsbüttel verbüßen musste.
Beinahe zur selben Zeit saß sein jugendlicher Bruder Werner in Hahnöfersand seine zweieinhalbjährige Gefängnisstrafe ab. Sein ältester Bruder Rudolf befand sich zu dieser Zeit bereits in Moskau im Exil. Dem Vater warf man indessen vor, die Söhne unterstützt zu haben. Da sie Staatsfeinde seien, würde das Geschäft genauso boykottiert wie jüdische Geschäfte. Die Gestapo terrorisierte die Familie durch nächtliche Haussuchungen und schüchterte die Kundschaft ein, so dass selbst Stammkunden aus Angst vor Repressalien nicht mehr dort einzukaufen wagten. 1935 war die Familie gezwungen, das Zigarrengeschäft weit unter Wert zu verkaufen, was Karl Rudolf Stender an den Rand des Selbstmordes trieb. Er musste sich an die Fürsorge wenden. Ein Freund verhalf ihm schließlich 1937 zu einer niedrig entlohnten Anstellung bei Heidenreich & Harbeck. Tochter Gretel erinnert sich, dass die Familie während der Haft ihres Vaters Ernst Stender gezwungen war, ein Zimmer zu vermieten: "Ich musste immer leise sprechen und wurde ermahnt, bei eventuellen Befragungen nichts zu wissen. So lernte ich früh, dass man alles denken, aber nicht alles sagen darf."
Nach seiner Haftentlassung im Mai 1937 wurde Ernst Stender in der Maschinenfabrik F. H. Schule am Hammerdeich Arbeit zugewiesen.
Nach Schilderungen seiner zweiten Frau war das Haar des 37-Jährigen inzwischen "völlig gebleicht". Wie sie 1945 dem Amt für Wiedergutmachung berichtete, hatte seine herzkranke Frau Anna gesundheitlich sehr unter den Schikanen der Verfolger gelitten. So war sie z. B. zum Verhör vorgeladen worden und hatte vor der Tür anhören müssen, wie die Männer geschlagen und misshandelt wurden. Dann habe sie nacheinander die Mitteilungen erhalten, ihr Mann sei erschossen, nach Berlin transportiert und schließlich, er sei zum Tode verurteilt worden. Anna Stender musste längere Zeit im Krankenhaus behandelt werden bzw. war zu Hause bettlägerig; Tochter Gretel wurde zeitweise bei Verwandten untergebracht.
Nach den ersten Bombenangriffen auf Hamburg zog die Familie 1941 in die Amselstraße 9 (Nähe Krankenhaus Eilbek) in eine Wohnung im Hochparterre, um der herzkranken Anna Stender zu ermöglichen, den Luftschutzkeller aufzusuchen. Sie starb Ende 1942.
Im Mai 1943 heiratete Ernst Stender Auguste Wandschneider. Sie wurde wegen der Haftstrafe ihres Mannes aus ihrem Angestelltenverhältnis bei der Sozialverwaltung entlassen.
Ernst Stender war nach dem Wehrgesetz von 1935 wie andere politisch Vorbestrafte für "wehrunwürdig" erklärt worden. Nach den Verlusten im Russlandfeldzug im Winter 1941/42 entschied das Oberkommando der Wehrmacht im Oktober 1942, die ausgeschlossenen Soldaten in sogenannte Bewährungsbataillone einzuziehen. Ernst Stender war zuvor mehrfach aufgefordert worden, einen Antrag auf Wiedererlangung der Wehrwürdigkeit zu stellen, was er verweigert hatte. Da er in einem Rüstungsbetrieb arbeitete, wurde seine Einberufung eine Zeit lang zurückgestellt. Ende Juni 1943 wurde er zum Bewährungsbataillon 999 eingezogen. Er kam nach Blumberg in Baden zur Ausbildung.
Bei den Großangriffen auf Hamburg im Juli 1943 verloren Stenders die Wohnung und zogen in ihre Gartenlaube in der Schrebergartenkolonie Steilshoop. Ernst Stender erhielt zwei Tage Sonderurlaub, um Frau und Tochter zu besuchen.
Das 3. Festungs-Infanterie Bataillon IX 999, dem er nun angehörte, wurde nach Griechenland verlegt. Ernst Stenders Einheit wurde am 6. Oktober 1943 in Piräus auf den Minenleger "Olympos" und sechs Marinefährprähmen (= Transportschiffe) eingeschifft. Ziel war die Insel Kos. "Unter den Soldaten der ‚Bewährungs’-Bataillone hatte es sich herumgesprochen, dass sie an die gefährlichsten Kriegsplätze zum Einsatz kamen, sie sollten ja nicht überleben", berichtete seine Tochter Gretel später.
Der Geleitzug wurde, mit Ausnahme einer einzigen Prähme, am 7. Oktober 1943 von britischen Kriegsschiffen versenkt. Der tote Ernst Stender wurde vor Kreta angeschwemmt. Als einziger trug er seine Jacke, in der sein Soldbuch steckte. So konnte er identifiziert werden. Der Soldat, der ihn gefunden hatte, schickte einen Beileidsbrief an die Witwe Auguste Stender. Er ist mit anderen Dokumenten in der Ehrenhain-Dokumentation "Niemand und nichts wird vergessen" abgedruckt.
Ernst Stenders Grab auf Kreta konnte nie gefunden werden. Auf Antrag seiner Tochter Gretel und seines Bruders Werner wurde am 10. April 2005 im Ehrenhain auf dem Ohlsdorfer Friedhof sein Name der Grabplatte von Rudolf Stender hinzugefügt.
Literatur
- Ruth Stender: Gertigstraße 56. Drei Brüder im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Galerie der abseitigen Künste Hamburg, 2020, aus dem Englischen von Jutta Nickel, ISBN 978-3-948478-05-6.
Weblinks
- Ernst Stender auf stolpersteine-hamburg.de