Benutzer:Rumstehpilzchen/artikel

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Die Podo-Posturaltherapie (von altgriechisch Podos „Fuß“ und lateinisch postural „haltungs-“ oder „stellungs-“) und Podo-Orthesiologie (von lateinisch Orthesiologie „die Lehre, etwas ins Gleichgewicht zu bringen“) hat das Ziel, statische Beschwerden (Haltungsschäden) über die Füße zu korrigieren. Denn Defizite in der Muskulatur des Fußgewölbes (Senk-, Spreiz-, Knick- und Hohlfuß) üben Einfluss auf die Körperhaltung aus und können auf Dauer zu Wirbelsäulen-, Gelenkbeschwerden u.v.m. führen.

Podo-Orthesiologie bzw. Podo-Posturaltherapie ist eine ganzheitliche Behandlungsmethode, die das Nervensystem durch das Tragen von individuell angefertigten propriozeptiven Einlagen so umprogrammiert, dass sich Fehlhaltungen und Schmerzen auflösen können.[1]

Der Fuß als kybernetisches und sensorisches Organ

Der menschliche Fuß, bestehend aus 26 Knochen und 31 Gelenken, wird durch Muskeln, Ligamente und Gelenke zusammengehalten, der durch eine fettgepolsterte, stoßgedämpfte Sohlenplatte geschützt wird. Der Fuß weist als evolutionäre Anpassung an den aufrechten Gang eine hohe anatomische und funktionale Komplexität auf. Bei Bodenkontakt wird der Fuß durch die Stoß- und Druckplatte der Sehnenplatte des Fußgewölbes (Aponeurose) geschützt. Dabei sammelt ein neurologisch gesunder Fuß bei jedem Schritt Informationen, die sowohl von außen als auch aus dem Körperinneren kommen.[2][3]

Nach Bortolin[4] sind das:

  1. Taktile Informationen für die Erkennung der physischen Eigenschaften des Bodens unter der Fußsohle
  2. Propriozeptive Informationen aus dem zentralen Nervensystem über Position und Haltung des Körpers und seiner Extremitäten, um zur Regelung und Verteilung des Muskeltonus beizutragen.
  3. Kinästhetische Informationen über die Muskulatur, die bei der Regelung der motorischen Bewegung eingreifen.

Die Verarbeitung dieser Daten und die so genannte Propriozeption ermöglicht es, den Körper angemessen statisch und dynamisch auf die Bodengegebenheiten einzustellen. Mit anderen Worten wird die Körperhaltung und -position, aufrechtes Gehen und Stehen, das Balancegefühl und schließlich jegliche (Fort)Bewegung maßgeblich auch von den Füßen geprägt.[4][5]

Grundlagen der Podo-Posturaltherapie

Die Podo-Orthesiologie geht auf die grundlegenden Forschungen über die Neuropodologie von dem Neurologen René Jacques Bourdiol in Frankreich und dem Chirurgen Giuseppe Bortolin in Italien in den 1970er Jahren zurück.[1][2] Bortolin und Bourdiol konnten die kausalen Zusammenhänge der Fußstatik mit der gesamt Körperhaltung nachweisen.[3][4][6][7][8]

Mechanisch bewirkt ein normaler Fuß eine gleichmäßige Verteilung der Lasten auf die verschiedenen Wirbelsäulensegmente und Gelenke. Bei einer normalen, ungestörten aufrechten Körperhaltung ist das Verhältnis der beteiligten Körpersegmente und der sie haltenden und bewegenden Muskulatur ausgeglichen. Ein pathologischer Fuß verändert das Verhältnis und führt zu Fehlbelastungen sowie zu Überbeanspruchungen der Wirbelkörper, der Bandscheibe sowie der Gelenke.[1][2][3][4][5][6][7][8]

Der Fuß als Schnittstelle zwischen Körper und Boden ist maßgeblich an der Sammlung und Weiterleitung von Informationen über die Art und Struktur des Bodens beteiligt und nimmt augenblicklich Gleichgewichtsveränderungen des Körpers war. Körperhaltung und Fußstand haben einen unmittelbaren Einfluss auf An- und Entspannung der Muskulatur. Rezeptoren (z. B. Muskelspindel und Golgizellen) reagieren auf jede Druckveränderung der Fußsohle und geben jede Veränderung über die Propriozeption und Muskelketten an den gesamten Körper weiter.

Die Podo-Orthesiologie wurde hinsichtlich therapeutischer Aspekte in den Niederlanden durch Karel J. Breukhoven und in Deutschland durch Ina ter Harmsel und Wolfgang P. Schallmey erweitert und modifiziert.[9][10]

Auswirkungen von muskulären Dysbalancen

Defizite in der Muskulatur des Fußgewölbes (Senk-, Spreiz-, Knick- und Hohlfuß) können über die Propriozeption und aufsteigenden Muskelketten unphysiologische Körperhaltungen auslösen. Der menschliche Organismus versucht die veränderte Gewichtsverteilung bestmöglich zu kompensieren. Das führt zu einem erhöhten Muskeltonus. Insgesamt bedeuten diese Zusatzbelastungen für den Körper eine Mehrarbeit und erhöhten Energieverbrauch, der die körperliche Gleichgewichtsregulierung erschwert. Muskuläre Dysbalancen manifestieren sich, wenn eine unphysiologische Körperhaltung über einen längeren Zeitraum eingenommen wird.

Da jede biologische Struktur – Gelenk, Sehne oder Muskel – mechanisch und funktionell für ein Belastungsoptimum ausgelegt ist, führen lang anhaltende Störungen der optimalen Belastung zu einer Strukturüberlastung. Individuelle Defizite und Überlastungen des menschlichen Fußes, Fußfehlstellungen, falsches Schuhwerk können auf die Körperhaltung und den Bewegungsapparat direkt negativ einwirken. Überlastungsphänomene führen zu körperlichen Beschwerden sowie längerfristig zu degenerativen Prozessen im Bewegungsapparat (z. B. verstärkte einseitige Abnutzung eines Gelenkknorpels). So können beispielsweise als Folge schmerzhafte einseitige Beckenhochstände bzw. Beinlängenverkürzungen Erkrankungen wie Skoliosen, Muskelverspannungen, Knie- Hüftgelenksbeschwerden, Rücken- und Nackenschmerzen etc. auftreten. Auch das Sehvermögen und das Kausystem können negativ beeinflusst werden.[1][7][8]

Steuerung von Balance und Körperhaltung

Die Körperhaltung ist das Ergebnis eines sensomotorischen Regelungsvorgangs durch das Zentrale Nervensystem (ZNS). Das sensomotorische System verbindet das sensorische Wahrnehmungssystem mit dem motorischen System der Bewegungssteuerung.[1][7][8][9][11] Um den menschlichen Körper im Gleichgewicht zu halten, muss das externe Gleichgewicht, die Beziehung zur Umwelt und das interne Gleichgewicht sowie die Körpersegmente zueinander koordiniert gehalten werden. Die Positionierung der Körpersegmente soll dauerhafte Überlastungen verhindern.

Die sensorische Information der Propriozeptoren, Mechanorezeptoren – vor allem druckempfindliche Sinneszellen in der Fußsohle – und des Gleichgewichtsorgan im Innenohr sowie der Augen laufenüber afferente (zuführende) Nervenfasern zum Hirnstamm, der über (afferente und efferente) Nervenbahnen mit dem Kleinhirn verbunden ist. Die neuronale, zeitlich koordinierte Ansteuerung haltungsrelevanter Muskelgruppen in Form motorischer Programme werden weitgehend im Mittelhirn umgesetzt. Die Regulation der aufrechten Haltung ist abhängig von einer Vielzahl von Sinnesinformationen aus Haut, Muskeln, Sehnen, Gelenken, dem Nervensystem, dem Gleichgewichtsorgan und den Augen, Ohren und des Zahn-Mund-Kiefersystems (stomatognathes System).[12][13]

Verändern sich propriozeptive Signale, z. B. von der Fußsohle ausgehend, hat dies Auswirkungen auf das gesamte sensomotorische System. Da die Zahl der Sinnesrezeptoren und Nervenbahnen durch Training oder therapeutische Maßnahmen nicht zunehmen kann, kann ein Lern- und Optimierungsvorgang nur im ZNS stattfinden. Aus diesem Grund sind auch Gleichgewichtsfähigkeiten trainierbar. Deshalb ist es auch möglich, muskuläre Dysbalancen und unphysiologische Körperhaltungen durch eine individuell angepasste, sensomotorische, propriozeptive Einlagen (z. B. podosohle®) im Sinn der Podo-Orthesiologie wieder zu korrigieren und gezielt die Körperstatik (bis hin zu den obersten Halswirbeln und den Kiefergelenken) und die Körperdynamik zu verbessern und haltungsbedingte Beschwerden zu lindern.[5][11][14][15][16]

Neurophysiologische Fußversorgung – sensomotorische, propriozeptive Therapiesohlen

Die nach dem Konzept der Podo-Orthesiologie propriozeptiv und biomechanisch wirkenden sensomotorischen Einlagen fördern beim Stehen, Gehen oder Laufen die gesunde, aufrechte Körperhaltung und sollen regulativ Fehlhaltungen des Bewegungsapparates sowie die daraus resultierenden Beschwerden reduzieren oder möglicherweise aufheben. Zudem aktiviert und trainiert die Therapiesohle die Beweglichkeit des Trägers bzw. der Trägerin, unterstützt das ermüdungsfreie Laufen und beugt Haltungs- und Gelenkbeschwerden vor.[4][5]

In ihrem neurophysiologischem Wirkungsprinzip unterscheidet sich die podo-orthesiologische Therapiesohle grundlegend von der klassischen orthopädischen Einlagenversorgung und reicht in ihrer therapeutischen Effektivität auch weit darüber hinaus. Die sensomotorische Einlage täuscht eine gezielte Veränderung der Druckverhältnisse unter der Fußsohle mittels individuell angepasster, propriozeptiver Stimulationselemente veränderte Standbedingungen vor und löst damit über Rezeptoren (z. B. Muskelspindel und Golgizellen) und der Aktivierung von aufsteigenden Muskelketten Anpassungs- und Regulationsvorgänge der Haltemuskulatur am gesamten Körper aus. Dagegen stützt eine herkömmliche, orthopädische Einlage nur ab und schwächt eher die Muskulatur und die Ligamentstruktur des komplexen Systems Fuß und führt somit meist auch zu einer Schwächung der Haltemuskulatur des Körpers.

Die wichtigsten Unterschiede zu konventionellen Einlagen und Vorteile der podo-orthesiologischen Therapiesohle (z. B. podosohle®):[10]

  • dünn und flexibel (drückt nicht beim Gehen und passt in jeden Schuh)
  • stimuliert die Propriozeption (Tiefensensibilität) der Muskulatur und korrigiert neurophysiologisch Fehlentwicklungen in der Körperstatik
  • stützt nicht das knöcherne Fußgewölbe, sondern regt die kurze Fußmuskulatur an, selbst ihre Funktion wieder aufzunehmen
  • beugt einseitigen Degenerationen (Arthrosen) von Gelenken vor und verringert die Belastung durch schon bestehenden Deformationen.

Die Einsatzmöglichkeiten der sensomotorischen, propriozeptiven Einlagen nach dem Konzept der Podo-Orthesiologie sind vielfältig und dann gegeben, wenn Beschwerden aus einer Fehlstatik der Wirbelsäule und/oder einer muskulären Dysbalance der Haltemuskulatur entstehen. Die Liste der Beschwerdebilder ist dementsprechend lang und enthält einiges Unerwartetes: [10]

  • Defizite in der Muskulatur des Fußgewölbes (Senk-, Spreiz-, Knick- und Hohlfuß)
  • Wiederholter einseitiger tiefer Kreuzschmerz (Iliosakralgelenks/ISG-Syndrom)
  • Häufige Wirbelblockaden
  • Atlasblockade (Funktionsstörung des 1. Halswirbels) mit Nackenkopfschmerz, Schwindel, Tinnitus
  • Kniescheiben-bedingte Knieschmerzen – auch im Wachstumsalter
  • Die Häufung gleichartiger Muskelverletzungen beim Sportler
  • Schienbeinkantenschmerzen
  • Achillessehnen- oder Fersenschmerzen
  • Fersen- und Fußsohlenschmerz, der so genannte Fersensporn

Die Maßanfertigung der sensomotorischen, propriozeptiven Einlagen erfolgt auf der Basis von funktionellen, manuellen Untersuchungen, des Einbeziehens von Techniken der Osteopathie, dynamischer Fußabdrücke bzw. einer Ganganalyse sowie einer optischen und technischen Kontrolle der Becken- und Wirbelsäulenstatik.[4][10][17]

Durch das Tragen der Therapiesohlen vollzieht sich ein Trainingseffekt und ein nachhaltiger Anpassungsvorgang der Haltemuskulatur. Daher sollten die propriozeptiven Stimulationselemente der sensomotorischen Einlagen an die jeweils erreichten Veränderungen des muskulären Status und der Statik regelmäßig angepasst werden.[15][16][18]

  1. a b c d e Bourdiol R-J: Podo-réflexo-cinésiologie. Maisonneuve, 1986: ISBN-13: 978-2716001113
  2. a b c Bourdiol R-J: Die Fußgewölbe. OST 2001; 14–18
  3. a b c Bourdiol R-J: Der gehende Mensch. OST 2003; 12–17
  4. a b c d e f Bortolin G:Statik und proprioceptive Praxis.
  5. a b c d Pfaff G, Kaune M: Die Bedeutung des Rückfußes für die Stand, Gang und Körperhaltung. DO 2009; 7(04): 8–14. doi: 10.1055/s-0029-1202902
  6. a b Bourdiol R-J: Die Folgen der bevorzugten Lateralität. OST. 2001; 36–40
  7. a b c d Bourdiol R-J: Funktionelle Myologie. OST. 2001; 16–25
  8. a b c d Bourdiol R-J: Klinisch therapeutische Aspekte der Podoorthesiologie. OST. 2003; 23–26
  9. a b Jahn, M: Prüfung der Wirkung von Modulen nach dem Podo-Orthesiologie-Konzept von Breukhoven. OST. Sonderheft Sensomotorik. 2006; S 38–41
  10. a b c d Schallmey W, Harmsel I: Skript Basiskurs Podo-Orthesiologie. Lehrinstitut, Warendorf. 2006
  11. a b Müller-Gliemann C, Drerup B, Osada N, Wetz HH: Der Einfluss neurologischer Einlagen nach Bourdiol auf die Rumpfhaltung. Der Orthopäde November 2006; 35(11): 1131–36
  12. Ohlendorf D: Methoden und Mittel zur Verbesserung des statischen und dynamischen Muskelverhaltens: ein Trainings- und bewegungswissenschaftlicher Vergleich zwischen haltungsverbessernden, sensomotorischen Einlegesohlen und einem gesundheitsorientierten, rehabilitativen Muskelaufbautraining. Göttingen: Diss., 2008.
  13. Ohlendorf D: Haben sensomotorische Elemente Einfluss auf die Kiefermuskulatur? Orthopädieschuhtechnik 2010; 5: 52–57
  14. Natrup J, Ohlendorf D, Fischer F: Auswirkungen neurologischer Einlagen auf die Körperstatik. OST 2004; Sonderheft Einlagen: 56–63
  15. a b Ohlendorf D, Natrup J, Niklas A, Kopp S: Veränderung der Körperhaltung durch haltungsverbessernde, sensomotorische Einlegesohlen. Man Med. 2008; S. 93–98
  16. a b Ohlendorf D, Natrup J: Haltungskorrektur durch sensomotorische Einlegesohlen. OT 2007: 102–106
  17. Podosohle
  18. Lehrinstitut für Podo-Orthesiologie, Podo-Posturaltherapie, manuelle Therapien