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Overencoding-Theorie
Die Overencoding-Theorie ist eine umfassende Theorie zu den Ursachen, Symptomen und der Therapie schizophrener Störungen. Sie sieht die Schizophrenie als Endstadium einer neurotisch-psychotischen Entwicklung [1] und geht dehalb zunächst von einem gedächtnispsychologischen Neurosemodell aus. Demzufolge gehen Neurosen auf lebensgeschichtlich erlernte Einstellungen zurück, die im Gedächtnis des Neurotikers in unterschiedlicher Speicherstärke und Komplexität als Einstellungsstrukturen gespeichert (enkodiert) wurden und fortan sein Denken, Fühlen und Handeln in selbst- und/oder fremdschädigender Weise irrational verändern. Dies umso mehr, je stärker und je komplexer irrationale Einstellungsstrukturen im Gedächtnis verankert wurden und sich über den bedingenden Zusammenhang von Denken und Fühlen auch emotional (ängstlich, depressiv, wütend, euphorisch) und motivational (lähmend, demotivierend, aggressiv, übermotivierend) auswirken. Eine neurotisch-psychotische Entwicklung kann nach der Overencoding-Theorie in Gang kommen, wenn überneurotisch häufige lebensgeschichtliche Traumata, chronische Konfliktsituationen, Dauerbelastungen, irrationale Indoktrinationen durch soziale Vorbilder von Kindheit an usw. und grüblerisch-autistisches Memorieren von irrationalen Einstellungsinhalten (meist in sozialer Zurückgezogenheit) neurotische Einstellungsstrukturen auf eine komplexhafte Ausweitung und Überspeicherung zutreiben (Overencoding). In der Folge verarbeiten diese überspeicherten neurotischen Einstellungsstrukturen extrem übergeneralisierend, wahnhaft Wahrnehmungen und Gedanken - z.B. können überenkodierte sozial ängstlich-misstrauische neurotische Einstellungen zu einer extrem abwegigen (wahnhaften) Informationsverarbeitung sozialer Erlebnisse (paranoide Wahnwahrnehmungen) oder Gedanken (paranoide Wahneinfälle) führen.[1] Die Overencoding-Theorie versteht schizophrene Störungen somit als Folge extremer neurotischer Persönlichkeitsentwicklungen, die durch eine mnestische Überspeicherung neurotisch irrationaler Einstellungsstrukturen die gesamte kognitive, kognitiv-emotionale und -motivationale Symptomatik bei schizophrenen Störungen hervorbringen.[1][2][3]
Symptomatologie
Die Overencoding-Theorie sieht die gesamte schizophrene Symptomatik nur als eine Extremausprägung neurotischen Denkens, Fühlens und Handelns an:
- Wahneinstellungen gelten als extreme Fortsetzung prodromaler irrationaler neurotischer Einstellungen (z.B. neurotische Hypochondrie - hypochondrischer Wahn, neurotische Religiosität - religiöser Wahn).
- Halluzinationen sind nach der Overencoding-Theorie im Sinne eines Gedankenlautwerdens der spontane, extrem bewusste Abruf überspeicherter meist verbaler Einstellungsstrukturen insbesondere in autistischen Phasen gesteigerter Innenwahrnehmung bei sozialem Rückzug;
- Im sekundären Wahn deutet der Schizophrene das Erleben seiner eigenen Symptomatik nochmals wahnhaft (z.B. “wahnhafte Unterbrechung des Gedankenganges = “Gedankenentzug“, Wahngedanken/-handlungen = “Fremdbeeinflussung/“gemachte Gedanken“);
- Emotionale und Verhaltensauffälligkeiten gelten, wie beim Neurotiker, als Ausdruck des Zusammenhangs von Denken und Fühlen und von Emotion und Motivation: Angsteinstellungen (Zukunfts-, Krankheits-, religiöse Befürchtungen) können den Schizophrenen ängstlich lähmen, Hoffnungslosigkeit depressiv demotivieren und größenwahnhafte Wunschphantasien, die der wahnhaften Bewältigung unlösbarer neurotischer Gefühle dienen, euphorisch (manisch) übermotivieren usw.
Therapie
Nach der Overencoding-Theorie sind wahnhafte Einstellungsstrukturen aufgrund ihrer Überspeicherung zugleich extrem überzeugt, psychotherapeutisch deshalb nicht veränderbar und bergen überdies aufgrund ihrer extremen wahnhaften Verarbeitungsbereitschaft für eine reguläre neurosetherapeutische Behandlung die Gefahr der wahnhaften Fehlverarbeitung therapeutischer Gespräche und Interventionen. Vor einer psychotherapeutischen Behandlung der neurotischen Ausgangsproblematik einer neurotisch-psychotischen Entwicklung sieht die Overencoding-Theorie deshalb die Notwendigkeit einer medikamentösen Wahnunterbrechung als Eingangsphase einer “gestuften Kombinationstherapie schizophrener Störungen“. Ihre therapeutische Wirkung, wie auch die zeitlich meist begrenzte Wirkung aller bisher angewandten medizinischen Behandlungsmethoden bei schizophrenen Erkrankungen (u.a. Schlaftherapie, Insulin- und Elektroschockbehandlung jeweils mit Terminalschlaf) sieht die Overencoding-Theorie allein in einer Deaktivierung kognitiver, insbesondere wahnhafter Hirnaktivitäten. Sie bewirkt eine kognitiv-emotionale Beruhigung und reduziert infolge Inaktivität wahnhafter Einstellungsstrukturen deren Speicherstärke im Gedächtnis durch ein Vergessen über die Zeit auf ein neurotisches Ausmaß der Überzeugtheit (Wahndistanzierung) und macht sie für den Betroffenen selbstkritisch hinterfragbar und psychotherapeutisch veränderbar.
Im Wesentlichen ergeben sich für die Overencoding-Theorie 3 Phasen einer gestuften Kombinationstherapie schizophrener Störungen:
- Wahnsuppressive Eingangsphase: mehrwöchige neuroleptische Dämmerkur, die Wahnaktivitäten abstellt, lebensgefährliche kognitiv-emotionale Akutzustände verhindert und wahnhafte Überspeicherungen durch Vergessensprozesse reduziert und damit die Voraussetzungen für eine Psychotherapie der Ausgangsneurose einer neurotisch-psychotischen Entwicklung schafft;
- Reizkontrollierte Therapiephase: Fortgesetzte Deaktivierung problematischer neurotischer Einstellungsbereiche durch Schutz vor weiteren seelischen Belastungen und vor Erinnerungen an vormals psychoseauslösende Personen und Situationen (meist in stationärer wahnneutraler, musisch-kreativer, ergotherapeutisch ablenkender, körperlich aktivierender usw. und persönlichkeitsstärkender Umgebung);
- Psycho- und sozialtherapeutische Phase: Irrationale Einstellungen können hinterfragt, neue Einstellungen neurosetherapeutisch vermittelt werden; Die sozialen und materiellen Lebensbedingungen des Betroffenen werden soweit verändert, dass durch erneute seelische Belastungen nicht nochmals eine neurotisch-psychotische Entwicklung in Gang gesetzt werden kann (vs. “Drehtürpsychiatrie“).
In einem Beitrag von Prof. Dr. med. Manfred Bleuler von 1986, sieht dieser die Overencoding-Theorie in keinem Widerspruch zu seiner eigenen Dysharmonie-Theorie, die insbesondere Einstellungskonflikte als Auslöser schizophrener Krisen sieht, und betont die Bedeutung der besonderen Systematisierung einer Schizophrenie-Therapie nach der Overencoding-Therapie neurotisch-psychotischer Entwicklungen.[4]
Erklärvideo zur Overencoding-Theorie
- ↑ a b Tom Gebhardt: Schizo 2.0. BOD, Norderstedt 2016, ISBN 978-3-7386-4560-6, S. 536.
- ↑ Tom Gebhardt: Flagellanten. epubli, Berlin 2016, ISBN 978-3-7418-0079-5, S. 636.
- ↑ Tom Gebhardt: John Nash - Kopf oder Zahl. epubli, Berlin 2016, ISBN 978-3-7375-9996-2, S. 172.
- ↑ Manfred Bleuler: Vergleich zwischen zwei Auffassungen über die Entstehung schizophrener Störungen: Overencoding-Theorie von Gebhardt und Dysharmonie-Theorie von M. Bleuler. In: Tom Gebhardt (Hrsg.): Flucht ins Unglück. epubli, Berlin 2018, ISBN 978-3-7467-0105-9, S. 164.