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Entstehungsgeschichte II

Gesetzentwurf der SPD-Fraktion

Die SPD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft hatte am 27. Oktober 2004 den Gesetzentwurf „Sicher im Rechtsstaat – Novellierung des Hamburgischen SOG und PolDVG“ eingebracht, mit dem eine ganze Reihe gefahrenabwehrrechtlicher Vorschriften geändert oder ergänzt werden sollten. Die Kernpunkte der Novellierung waren die „Präzisierung des Wegweisungsrechts, die gesetzliche Verankerung von Aufenthaltverboten und des finalen Rettungsschusses, die maßvolle Erleichterung von Videoüberwachung im öffentlichen Raum an Kriminalitätsbrennpunkten, die Präzisierung der Voraussetzungen der Rasterfahndung mit Einfügung eines Richtervorbehalts und Stärkung der parlamentarischen und datenschutzrechtlichen Kontrolle, die Klarstellung der Möglichkeiten für verdachtsunabhängige Kontrollen an bestimmten Orten, die maßvolle Verlängerung des Unterbindungsgewahrsams von zwei auf vier Tage sowie der datenschutzrechtlich saubere Einsatz automatisierter Autokennzeichenerfassungssysteme.“ Die verdachtsunabhängigen Kontrollen an bestimmten Orten waren hierbei bereits deutlich genannt. So sah der Entwurf die Einfügung einer Regelung vor, die der Polizei eine Identitätsfeststellung einer Person erlauben sollte, „wenn sie sich an einem Ort befindet, bei dem es sich nach ortsbezogenen Lagebeurteilungen der Polizei um einen Kriminalitätsbrennpunkt handelt.“
Die Gründe für die Novellierung lagen aus Sicht der SPD-Fraktion im Wesentlichen darin, die Gesetzeslage an den Stellen zu aktualisieren und zu präzisieren, die sich aus der mehrjährigen Anwendungspraxis, aus der Rechtsprechung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichte, aus der technischen Fortentwicklung, aus der veränderten Sicherheits- sowie aus der konkreten polizeilichen Bedarfslage herleiten ließen. Die verdachtsunabhängigen Kontrollen sollten sich ausschließlich auf Identitätsfeststellungen der Personen beschränken und sollten die bestehenden Rechtsgrundlagen ergänzen, weil sich diese als „nicht hinreichend praktikabel“ erwiesen hätten. Den „Kriminalitätsbrennpunkt“ definierte der Gesetzentwurf als einen Ort, bei dem sich die Kriminalitätsbelastung deutlich von der anderer Orte abheben sollte. Der Ort sollte eine erheblich über dem Durchschnitt liegende Kriminalität aufweisen, wobei gerade nicht Straftaten von erheblicher Bedeutung, sondern bereits niedrigschwellige Delikte Voraussetzung wären. Insgesamt sei dieses Instrument „richtig, notwendig und ausreichend.“[1]

Später konkretisierte und präzisierte die SPD-Fraktion den entscheidenden Passus um die lageabhängigen Kontrollen und präsentierte eine überarbeitete Fassung, die die Identitätsfeststellung einer Person erlauben sollte, „wenn diese sich an einem Ort befindet, dessen Kriminalitätsbelastung sich nach ortsbezogenen Lagebeurteilungen der Polizei deutlich von der an anderen Orten abhebt (Kriminalitätsbrennpunkt).“[2]

Gesetzentwurf des CDU-Senates

Der CDU-Senat unter Ole von Beust legte erst zwei Monate später, am 14. Dezember 2004, einen eigenen „Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit in Hamburg“ vor, der ebenfalls eine Reihe von Änderungen der bestehenden Gefahrenabwehrgesetze enthielt. Die Schwerpunkte sah der Senat darin, die Eingriffsgrundlagen für die Polizei zu verbessern, mehr Rechtssicherheit für die Polizei und die Betroffenen zu schaffen, den damals aktuellen technischen Entwicklungen insbesondere im Bereich der Telekommunikation gerecht zu werden durch die präventive Telekommunikationsüberwachung und –unterbrechung sowie Verkehrsdatenanfragen, die Regelung des so genannten finalen Rettungsschusses, die Schaffung des Aufenthaltsverbotes, die Videoüberwachung an öffentlich zugänglichen Kriminalitätsbrennpunkten, die Senkung der Eingriffsschwelle für die Rasterfahndung und die Erhöhung der durch das Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Eingriffsvoraussetzungen zur Wohnraumüberwachung. Die lageabhängigen Kontrollen fanden sich zwar im Text des Gesetzentwurfs. Sie waren weiter gefasst als der Entwurf der SPD-Fraktion, so sollten aufgrund konkreter Lageerkenntnisse kurzfristiges Anhalten, Befragen, Identitätsfeststellungen und Inaugenscheinnahme der mitgeführten Gegenstände möglich sein. Als Schwerpunkt führte der Senat dieses Instrumentarium angesichts der umfassenden Änderungen und Ergänzungen des Regelwerks jedoch nicht an.
Als Gründe für die Einführung der lageabhängigen Kontrolle nannte der Senat im Wesentlichen zum Einen die Kontrolle von Verkehrswegen und öffentlichen Räumen, um Gefahren durch überregional agierende Tätergruppen und die organisierte Kriminalität zu unterbinden, die Hamburg als Verkehrsknotenpunkt zwischen Nord-, Ost- und Mitteleuropa nutzten. Der zweite wesentliche Grund sollten besondere Entwicklungen in einzelnen Stadtgebieten sein, beispielsweise Einbruchsserien oder besondere Ausprägungen der Gewaltkriminalität. Die Identitätsfeststellung diene in erster Linie dazu, eine von der kontrollierten Person möglicherweise ausgehende Gefahr zu beseitigen und durch Aufhebung der Anonymität Personen zum Verzicht bestimmter Aktivitäten zu veranlassen.[3]

Innenausschussberatungen

Die Bürgerschaft überwies die beiden Gesetzentwürfe in den federführenden Innenausschuss, der in gemeinsamen Sitzungen mit dem mitberatenden Rechtsausschuss am 18. Februar, 24. Februar, 30. März, 5. April, 19. April und 17. Mai 2005 über die Gesetzentwürfe diskutierte.
Im Rahmen dieser Sitzungen sind der Hamburgische Datenschutzbeauftragte und der Hamburger Generalstaatsanwaltschaft um eine Stellungnahme gebeten worden. Beide Institutionen äußerten keine Bedenken hinsichtlich der lageabhängigen Kontrolle. Ein durch die SPD-Fraktion angefordertes Rechtsgutachten vom Münchener Polizeipräsidenten zum Gesetzentwurf des Senates ergab weder rechtliche noch verfassungsrechtliche Bedenken.

Während der Ausschussitzungen kritisierte der Hamburgische Datenschutzbeauftragte den Begriff „Lageerkenntnisse“ als zu schwammig. Zur Beschränkung verdachtsunabhängiger Kontrollen auf das erforderliche Maß müssten die Anforderungen an die Lageerkenntnisse und das hierfür maßgebliche Verfahren gesetzlich präzisiert werden. Nach seinem Verständnis müssten sich Bürger darauf verlassen können, dass keine polizeilichen Maßnahmen gegen sie ergriffen werden würden, wenn sie keinen Anlass dazu gäben. Die Lageerkenntnisse müssten dokumentiert und die Erforderlichkeit der lageabhängigen Kontrollen überprüfbar gemacht werden.

Die SPD-Abgeordneten schlossen sich dieser Auffassung an und kritisierten ebenfalls den Begriff der „Lageerkenntnisse“. Der Begriff müsse konkretisiert werden, um das Verfahren sicherer und für die Bürger transparenter zu machen. Für die SPD-Abgeordneten war der Entwurf des Senates zu weit gefasst. Denn über die bloße Befragung zur Identität hinaus sollte nach dem Senatsentwurf auch die Mitnahme zur Polizeidienststelle möglich sein, falls die betroffene Person keine Ausweispapiere bei sich führe oder die Angaben zur Person verweigere.

Die GAL-Abgeordneten schlossen sich ebenfalls den Ausführungen des Hamburgischen Datenschutzbeauftragten an. Sie kritisierten, dass es für den Einzelnen unabsehbar sei, wie und wann er in solche verdachtsunabhängigen Kontrollen mit nicht unerheblichen Folgen gerate. Außerdem kritisierten sie, dass die Nachschau bei Berufsgeheimnisträgern den Schutz zwischen Anwalt und Mandat gefährde.

Der Innenausschuss empfahl der Bürgerschaft unter Präzisierung und Ergänzung diverser Vorschriften schließlich, das Gesamtpaket der Gesetzesänderungen zu beschließen. Eine Einschränkung oder Ergänzung der lageabhängigen Kontrollen empfahl der Innenausschuss nicht.[4]

Plenarsitzung

Die Bürgerschaft beriet am 8. Juni 2005 über das Gesetz und beschloss es mit der Mehrheit der CDU-Abgeordneten in erster und zweiter Lesung bei 60:52 Stimmen.

Der damalige CDU-Abgeordnete Christoph Ahlhaus ließe verlautbaren, die CDU sei die Partei der Inneren Sicherheit, die die Lücken schließe, die 40 Jahre Vernachlässigung des Themas Innere Sicherheit aufgestaut hätten.
Der SPD-Abgeordnete Andreas Dressel befand, dass die SPD-Entwürfe einen Kurswechsel der SPD bei der Inneren Sicherheit markierten.
Antje Möller von der GAL ging dezidiert auf die lageabhängigen Kontrollen ein: Man könne sich nicht auf die Exekutive, also auf die Polizei, verlassen, dass diese im Rahmen weit gefasster Gesetze eine Rechtsgüterabwägung vornehme, dies sei Aufgabe des Gesetzgebers, also des Parlamentes. Dieses Gesetz eröffne politischer Willkür Tür und Tor. Nach dieser Regelung sei zunächst einmal grundsätzlich jeder verdächtig. Der größte Teil der Daten, die die Polizei erhebe, betreffe völlig unbeteiligte Personen. Der Senat wolle entgegen fachlich-sachlichen Aspekten das schärfste Gesetz der Republik.
Der Senat, vertreten durch den damaligen Innensenator Udo Nagel, ging ebenfalls dezidiert auf die lageabhängigen Kontrollen ein. Er verwies zunächst darauf, dass die Sachverständigenanhörungen in den Sitzungen des Innenausschusses bestätigt hätten, dass das Gesetz allen Anforderungen gerecht würde. Es gehe eben nicht darum, dass die Polizei künftig jeden Bürger an jedem Ort anhalten könne, sondern dies sei nur in bestimmten polizeilichen Lagen möglich wie beispielsweise bei Einbruchsserien, bei Häufungen von Gewaltdelikten oder bei Streitigkeiten unter Jugendgruppen.

Im gesamten Gesetzgebungsverfahren ist nur von „verdachtsunabhängigen“ oder „lageabhängigen Kontrollen“ die Rede. Der Begriff „Gefahrengebiet“ findet sich nicht.[5]

EN

  1. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Drucksache 18/1110, Antrag betr. Sicher im Rechtsstaat – Novellierung des Hamburgischen SOG und PolDVG vom 27. Oktober 2004
  2. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Drucksache 18/2379, Antrag Gesetzentwurf vom 7. Juni 2005
  3. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Drucksache 18/1487, Entwurf eines Gesetzes zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit vom 14. Dezember 2004
  4. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Drucksache 18/2288, Bericht des Innenausschusses gemeinsam mit dem mitberatenden Rechtsausschuss über die Drucksachen 18/1110 und 18/1487 vom 2. Juni 2005
  5. Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Plenarprotokoll 18/33 vom 8. Juni 2005