Benutzer:Sandstein/Öffentliches Beschaffungsrecht (Schweiz)

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Das öffentliche Beschaffungsrecht der Schweiz sind die gesetzlichen Vorschriften, die regeln, wie der Bund, die Kantone, die Gemeinden und andere Träger öffentlicher Aufgaben öffentliche Aufträge vergeben. Damit beschaffen sie die Güter, Dienstleistungen und Bauten, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen.

Das öffentliche Beschaffungsrecht der Schweiz orientiert sich stark an den Vorschriften der Europäischen Union (EU). Sein Ziel ist es, dass der Staat bei grösseren Aufträgen das vorteilhafteste Angebot – also das mit dem besten Preis-/Leistungsverhältnis – auswählt. Er soll dabei die Gleichbehandlung der Anbieter, die Transparenz, den wirksamen Wettbewerb sowie die wirtschaftliche, soziale, ökologische und volkswirtschaftliche Nachhaltigkeit beachten. Dazu muss er Aufträge, deren Wert einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, öffentlich ausschreiben. Den Zuschlag muss er dem Anbieter erteilen, der alle in der Ausschreibung vorgesehenen technischen Spezifikationen und Eignungskriterien erfüllt, und der in der Bewertung des Preises und der Zuschlagskriterien, die die Qualität des Angebotes messen, am meisten Punkte erzielt. Wird der Zuschlag nach allfälligen Beschwerden unterlegener Anbieter rechtskräftig, darf der Staat den entsprechenden Vertrag abschliessen.

Das öffentliche Beschaffungsrecht ist für Aufträge des Bundes im Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) geregelt, für die Aufträge der Kantone in der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) sowie in kantonalen und kommunalen Ausführungserlassen. Dieser Artikel stellt die Rechtslage dar, die sich aus der 2019 erfolgten Totalrevision von BöB und IVöB ergibt. Diese Erlasse treten voraussichtlich ab 2020 in Kraft, für die Kantone zu unterschiedlichen Zeitpunkten je nach Massgabe ihres Beitritts zur revidierten IVöB. Beschaffungsrechtliche Vorschriften finden sich auch im Government Procurement Agreement (GPA) der WTO, in den bilateralen Abkommen der Schweiz mit der EU, sowie für die Kantone im Binnenmarktgesetz (BGBM).

Geschichte

Grundzüge des öffentlichen Beschaffungsrechts

Dieser Abschnitt fasst die wichtigsten Inhalte des BöB 2019 und der IVöB 2019 zusammen, unter Bezugnahme auf die grundsätzlich gleich lautenden Artikel beider Erlasse. Auf die Unterschiede zwischen BöB und IVöB wird nur bei wichtigen Differenzen hingewiesen.

Gegenstand, Zweck und Begriffe

Die Ziele von BöB/IVöB sind der wirtschaftlich und volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltige Einsatz der öffentlichen Mittel; die Transparenz des Vergabeverfahrens; die Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung der Anbieter; und die Förderung des wirksamen, fairen Wettbewerbs unter den Anbietern (Art. 2).

Geltungsbereich

Subjektiver Geltungsbereich: BöB/IVöB gelten grundsätzlich für alle staatlichen Behörden. Sie gelten auch für Private, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, z.B. die Strom- oder Wasserversorgung, oder (in der IVöB) die zu über 50% staatlich subventioniert werden (Art. 4).

Objektiver Geltungsbereich: BöB/IVöB gelten für alle öffentlichen Aufträge. Ein solcher ist "ein Vertrag, der zwischen Auftraggeber und Anbieter abgeschlossen wird und der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe dient. Er ist gekennzeichnet durch seine Entgeltlichkeit sowie den Austausch von Leistung und Gegenleistung, wobei die charakteristische Leistung durch den Anbieter erbracht wird" (Art. 8). BöB/IVöB gelten grundsätzlich auch für die Vergabe von Konzessionen (Art. 9).

Keine Anwendung finden BöB/IVöB auf eine Reihe von Leistungen, die aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen von der Ausschreibungspflicht ausgenommen werden (Art. 10). Dazu gehören Aufträge an Wohltätigkeitseinrichtungen, oder an Behörden bzw. staatseigene Unternehmen ("In-State"-/"In-House"-Vergaben). Der Verzicht auf eine Ausschreibung ist auch möglich, wenn dies für die äussere oder innere Sicherheit oder die öffentliche Ordnung, zum Schutz der Gesundheit oder des Lebens von Menschen oder zum Schutz der Tier‐ und Pflanzenwelt erforderlich ist.

Allgemeine Grundsätze

Vergabeverfahren müssen transparent, objektiv und unparteiisch abgewickelt werden, mit Massnahmen gegen Interessenkonflikte, unzulässige Wettbewerbsabreden und Korruption. Die Anbieter müssen gleich behandelt werden, und ihre Angebote vertraulich. Abgebotsrunden (d.h., Verhandlungen über den Preis) sind verboten (Art. 11). Verhandlungen mit den Anbietern sind nur beschränkt und mit sachlichen Gründen zulässig, nämlich im Rahmen eines Dialogs (Art. 24) oder einer Angebotsbereinigung (Art. 39).

Um Aufträge zu erhalten, müssen Anbieter die Schweizer Umweltschutzbestimmungen, Arbeitsschutzbestimmungen und Arbeitsbedingungen einhalten, sowie die Lohngleichheit von Frauen und Männern. Im Ausland müssen Mindeststandards gemäss internationalen Abkommen eingehalten werden. Dies gilt auch für Subunternehmer (Art. 12).

Personen seitens des Auftraggebers, die befangen sind (z.B. durch Beziehungen zu potenziellen Anbietern) müssen in den Ausstand treten (Art. 13). Umgekehrt dürfen Anbieter, die an der Vorbereitung eines Vergabeverfahrens beteiligt waren, an diesem wegen ihrer Vorbefassung nicht teilnehmen, wenn ihr Wettbewerbsvorteil nicht ausgeglichen werden kann (Art. 14).

Vergabeverfahren

Um das Vergabeverfahren zu wählen, muss der Auftraggeber den voraussichtlichen Gesamtwert des Auftrags schätzen. Er darf Aufträge nicht aufteilen, um eine Ausschreibung zu umgehen (Art. 15). Übersteigt der geschätzte Wert einen Schwellenwert gemäss den Anhängen zu BöB/IVöB, muss er eines der dort angegebenen Verfahren wählen (Art. 16, s. Tabelle). Die IVöB unterscheidet bei Bauten zwischen Bauhauptgewerbe (Arbeiten an den statischen Elementen des Gebäudes) und Baunebengewerbe (alle anderen Bauleistungen).

Schwellenwerte ausserhalb des Staatsvertragsbereichs (CHF exkl. MwST)
Verfahren Lieferungen oder

Dienstleistungen

Bauhauptgewerbe Baunebengewerbe
Freihändige Vergabe (freie Wahl des Vertragspartners) unter 150'000 unter 300'000 BöB: unter 300'000

IVöB: unter 150'000

Einladungsverfahren (mindestens drei Angebote einholen) ab 150'000 ab 300'000 BöB: ab 300'000

IVöB: ab 150'000

Offenes oder selektives Verfahren (öffentliche Ausschreibung) BöB: ab 230'000

IVöB: ab 250'000

BöB: ab 2'000'000

IVöB: ab 500'000

BöB: ab 2'000'000

IVöB: ab 250'000

Im freihändigen Verfahren (Art. 21) kann die Vergabestelle den Vertragspartner ohne Wettbewerb bestimmen. Die freihändige Vergabe ist möglich, wenn der massgebliche Schwellenwert unterschritten ist, oder wenn ein Wettbewerb gemäss bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen (Art. 21 Abs. 2) nicht sinnvoll möglich ist. Solche überschwelligen freihändigen Vergaben müssen aber vor Vertragsschluss auf der Webseite simap.ch publiziert werden und sind von Konkurrenten anfechtbar (Art. 42).

In allen anderen Verfahren erstellt der Auftraggeber Ausschreibungsunterlagen, die die Grundlage für das Angebot bilden und namentlich die Anforderungen und Kriterien beschreiben (Art. 35 f.). Im Einladungsverfahren (Art. 20) muss der Auftraggeber die Ausschreibungsunterlagen nicht veröffentlichen, sondern sie geeigneten Unternehmen zustellen und von diesen wenn möglich drei Angebote einholen. Im offenen oder selektiven Verfahren erfolgt eine öffentliche Ausschreibung des Auftrags auf der Webseite simap.ch. Im offenen Verfahren (Art. 18) kann jeder Anbieter gestützt auf die auf simap.ch elektronisch und kostenlos (Art. 48 Abs. 2) verfügbaren Ausschreibungsunterlagen ein Angebot einreichen. Im relativ selten gewählten selektiven Verfahren (Art. 19) reichen die Interessierten zunächst Anträge auf Teilnahme ein, die der Auftraggeber anhand der Eignungskriterien prüft. Nur die bestgeeigneten Anbieter dürfen sodann ein Angebot abgeben.

Im Rahmen dieser Vergabeverfahren können die Auftraggeber verschiedene besondere Beschaffungsmethoden einsetzen und diese in der Ausschreibung oder ihren Unterlagen näher regeln. Sie dürfen besondere Regeln für Planungs‐ oder Gesamtleistungswettbewerbe oder Studienaufträge aufstellen (Art. 22), dafür werden im Bauwesen oft SIA-Normen herangezogen. Sie können elektronische Auktionen durchführen (Art. 23). Sie können einen Dialog mit potenziellen Anbietern durchführen und so den Leistungsgegenstand oder Vorgehensweisen konkretisieren (Art. 24). Sie können einen Rahmenvertrag, auch mit mehreren Lieferanten, zum Gegenstand des Auftrags machen (Art. 25).

Vergabeanforderungen

Der Auftraggeber muss (ausser im freihändigen Verfahren) in den Ausschreibungsunterlagen folgende Kriterien und ggf. ihre Gewichtung festlegen, und die Angebote gestützt auf sie bewerten:

  • Eignungskriterien (Art. 27) messen die Eignung des Anbieters für den Auftrag, namentlich die fachliche, finanzielle, wirtschaftliche, technische und organisatorische Leistungsfähigkeit sowie die Erfahrung (z.B. durch Referenzen). Die Nichterfüllung von Eignungskriterien führt grundsätzlich zum Ausschluss vom Verfahren.
  • Zuschlagskriterien (Art. 28) messen die Qualität und den Preis der zu beschaffenden Leistung. Dazu gehören Kriterien wie Zweckmässigkeit, Termine, Lebenszykluskosten, Ästhetik, Nachhaltigkeit, Kreativität, Kundendienst, Lieferbedingungen, Funktionalität oder Fachkompetenz. Der angebotene Preis (oft als Lebenszykluskosten) wird üblicherweise als Zuschlagskriterium bewertet und den qualitativen Zuschlagskriterien gegenübergestellt. Der Preis hat in der Regel bei standardisierten Leistungen ein hohes, bei individuellen oder komplexen Leistungen ein tiefes Gewicht.
  • Technische Spezifikationen (Art. 30) legen die Merkmale des Beschaffungsgegenstands wie Funktion, Leistung, Qualität, Sicherheit und Abmessungen oder Produktionsverfahren fest, in der Regel produkteneutral und unter Bezug auf Standards. Ihre Nichterfüllung führt zum Ausschluss.

Der Auftraggeber kann zudem weitere Aspekte des Angebots regeln. Er kann den Beschaffungsgegenstand in Lose aufteilen (Art. 32). Bietergemeinschaften und Subunternehmer kann er ausschliessen (Art. 31), ebenso wie das Angebot von Varianten (Art. 33). Angebote müssen schriftlich (von Hand unterschrieben) eingereicht werden, ausser der Auftraggeber lässt die elektronische Einreichung zu (Art. 34).

Ablauf des Vergabeverfahrens

Beschaffungsrechtliche Erlasse

Die Rechtsquellen des öffentlichen Beschaffungsrechts der Schweiz sind nachfolgend dargestellt, und zwar sowohl für die Rechtslage vor der Totalrevision von GPA, BöB und IVöB ("altes Recht") wie auch nach dieser Totalrevision ("neues Recht").

Altes Recht

Staatsvertragsrecht

Die Staatsverträge sind für Bund und Kantone verbindlich. Grundsätzlich gehen sie dem Landesrecht vor und sind sie direkt anwendbar ("self-executing").

Beschaffungsrechtliche Rechtsquellen des Staatsvertragsrechts
SR Nr. Titel In Kraft Geltungsbereich Bemerkungen
0.632.231.422 Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen vom 15.04.1994 (Government Procurement Agreement, GPA) seit 01.01.1996 Bund und Kantone

Bundesrecht

Interkantonales und kantonales Recht

Nr. Geltungsbereich Titel In Kraft Bemerkungen
- Alle Kantone Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) vom 15. März 2001 seit 2001 Zuerst erlassen 1994, geändert 2001

Neues Recht

Staatsvertragsrecht

Beschaffungsrechtliche Rechtsquellen des Staatsvertragsrechts
SR Nr. Titel In Kraft Geltungsbereich Bemerkungen
- Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen von 2012 (Government Procurement Agreement, GPA) noch nicht in Kraft Bund und Kantone Ersetzt das GPA 1994

Bundesrecht

Interkantonales und kantonales Recht

Literatur

Primärquellen

  • BöB 2019

Sekundärquellen

Einzelnachweise