Benutzer:Schönwetter/Homöopathie2

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Menschenbefinden, Lebenskraft, Selbstregulation

Hahnemann unterscheidet im Organon der Heilkunst zwischen einem Bild der Krankheit, dem "Inbegriff der von außen wahrnehmbaren [...] Symptome" (4. Aufl. § 11), und ihrem inneren Wesen, einer "unsichtbaren krankhaften Veränderung im Innern" (ebd.). Die Gesundheit sei wiederherzustellen, indem der Inbegriff der äußeren Symptome aufzuheben sei, weil dann nichts anderes als Gesundheit verbleiben könne. Die unsichtbare Veränderung des Inneren wird in § 14 der vierten Auflage als eine Änderung des "Menschenbefindens" gedeutet:

§. 14. Indem nun die Krankheiten nichts als Befindensänderungen des Gesunden sind, die sich durch Krankheitszeichen ausdrücken, und die Heilung ebenfalls nur durch Befindensveränderung des Kranken zum gesunden Zustande möglich ist, so sieht man leicht, daß die Arzneien auf keine Weise Krankheiten würden heilen können, wenn sie nicht die Kraft besäßen, das auf Gefühlen und Thätigkeiten beruhende Menschenbefinden umzustimmen [...] [1]

Im Wesen der Arzneien liege eine "fast geistige Kraft, Menschenbefinden umzuändern (und daher Krankheiten zu heilen)" (4. Aufl. § 15) Ab der fünften Auflage des Organon (1833) wird nicht mehr vom Menschenbefinden, sondern von der Lebenskraft gesprochen (§ 9):

Im gesunden Zustande des Menschen waltet die geistartige, als Dynamis den materiellen Körper (Organism) belebende Lebenskraft (Autokratie) unumschränkt und hält alle seine Theile in bewundernswürdig harmonischem Lebensgange in Gefühlen und Thätigkeiten [...][2]

Anschließend wird in § 11 die Krankheit als Verstimmung der Lebenskraft gedeutet. In der sechsten Auflage des Organon wird der Begriff 'Lebenskraft' stellenweise durch 'Lebensprincip' ergänzt.

bisher

Seit dem Altertum wurde im von Aristoteles begründeten Vitalismus davon ausgegangen, dass lebenden Wesen eine so genannte Lebenskraft innewohne. Diese Lebenskraft, aufgeteilt in Entelechie und Dynamis, belebt nach Aristoteles den materiellen Körper (Organismus) und lässt ihn empfinden und tätig sein. Samuel Hahnemann übernahm die Vorstellung einer nicht-materiellen Lebenskraft und machte sie zu einem Grundbegriff seiner homöopathischen Krankheitslehre. -

-

„Der materielle Organism, ohne Lebenskraft gedacht, ist keiner Empfindung, keiner Thätigkeit, keiner Selbsterhaltung fähig; nur das immaterielle, den materiellen Organism im gesunden und kranken Zustande belebende Wesen (das Lebensprincip, die Lebenskraft) verleiht ihm alle Empfindung und bewirkt seine Lebensverrichtungen.“

Samuel Hahnemann: Organon § 10

- - Krankheit, die nicht der Chirurgie anheimfalle, sei die Verstimmung dieser „geistartigen Kraft“ (Hahnemann) und damit eine Befindensänderung des Gesunden. -

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„Das Leiden der krankhaft verstimmten, geistartigen, unsern Körper belebenden Dynamis (Lebenskraft) im unsichtbaren Innern und der Inbegriff der von ihr im Organism veranstalteten, äußerlich wahrnehmbaren, das vorhandene Uebel darstellenden Symptome, bilden nämlich ein Ganzes, sind Eins und Dasselbe.“

Samuel Hahnemann: Organon § 15

- - Krankheit äußere sich somit in einer Gesamtheit von Krankheitszeichen und Symptomen und sei mit einer Verstimmung der Lebenskraft gleichzusetzen. Die Heilung, so Hahnemann, geschehe einzig durch die Umstimmung der Lebenskraft und „Befindensveränderung des Kranken in den gesunden Zustand“ (Organon, § 19). Deren Wirkung sei die Aufhebung der Gesamtheit der Symptome. Diese Umstimmung der Lebenskraft sei durch kleine, geschüttelte oder verriebene („dynamisierte“) Gaben von Substanzen zu erreichen. - - Der Begriff der Lebenskraft macht einen wesentlichen Unterschied der Homöopathie zur wissenschaftlichen Medizin aus, indem die Grundlage für Krankheit und Heilung nicht in den Körperfunktionen des Organismus, sondern in einer den individuellen Menschen belebenden „nicht-materiellen“ Kraft gesehen wird. Dass Krankheiten materieller Natur seien, stritt Hahnemann stets vehement ab. Allerdings vermutete er „feinste Thiere niederer Ordnung“ als Ursache der Cholera. - - Die seinerzeit weit verbreitete Vorstellung einer Lebenskraft, die u. a. auch Christoph Wilhelm Hufeland (Leibarzt des preußischen Königs) vertrat, stellte sich gegen eine medizingeschichtliche Entwicklung, in der zunehmend reale, beobachtbare Phänomene ausschlaggebend für die Beschreibung des Lebens wurden. So begannen weite Teile der Medizin schon vor Hahnemanns Zeiten seit der Entdeckung des Blutkreislaufs sich allmählich von der Idee einer von der materiellen Welt getrennten Lebenskraft zu verabschieden. Ein weiterer, wichtiger Grund für diesen Paradigmenwechsel war die Verfügbarkeit des Mikroskops, mit dem viele grundlegende Entdeckungen der Medizin gemacht werden konnten. Es entwickelten sich u. a. die mikroskopische Anatomie und Zellbiologie, sodass für viele Vorgänge im menschlichen Körper Erklärungen gefunden wurden, welche die Annahme einer separaten Lebenskraft überflüssig machten; die Naturwissenschaften im allgemeinen und die Medizin im besonderen kamen ohne sie aus. Bakterien waren trotzdem als Krankheitserreger noch lange Zeit weitgehend unbekannt (siehe Henle-Koch-Postulate). - - Einige Homöopathen arbeiten aber auch heute noch mit dem auf der Lebenskraft basierenden Krankheitskonzept. Aus ihrer Sicht ist dieser Begriff dazu geeignet, das individuelle Krankheitsbild ohne Berücksichtigung der materiellen Krankheitsursachen zu erkennen und zu heilen. Der Begriff dient hier dazu, die Gesamtheit der beobachteten Symptome zugleich als eine Veränderung der den Menschen belebenden Kraft wahrzunehmen und das Ziel der Heilung als die Wiederherstellung dieser Kraft festzulegen. - - Andere Homöopathen des zwanzigsten Jahrhunderts, im deutschen Sprachraum etwa Otto Leeser, Julius Mezger und Mathias Dorcsi, reformulierten die Homöopathie als eine Regulationstherapie und das „Lebensprincip“ (durch diesen Ausdruck ersetzte Hahnemann in späteren Auflagen des Organon den Begriff der „Lebenskraft“) als die Fähigkeit des Organismus zur Selbstregulation bzw. Homöostase (Immunabwehr, Temperaturregulation, Schmerzempfindung u. dgl.). Durchaus an Hahnemanns Überlegungen anschließend geht etwa Dorcsi davon aus, dass Krankheit wesentlich eine gestörte Fähigkeit des Organismus zur Selbstregulation darstelle, die unter Umständen durch einen minimalen Reiz, eben das homöopathische Heilmittel, korrigiert werden könne. Daraus folgt, dass nicht alle Krankheitserscheinungen mit Aussicht auf Erfolg homöopathisch behandelt werden können, sondern nur diejenigen, bei denen eine solche Regulationsstörung zentral ist.

Der Streit um die Homöopathie

[1] [2]

Hufeland

Quellen