Benutzer:Solon de Gordion/in Arbeit

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Kapitel IX.

Interpretation

Wesen aus Phantásien die vom Nichts verschlungen wurden, werden zu „Lügen“ in der Welt der Menschen. So, wie ein Blick ins Nichts auf den Phantásier wirkt, als sei er erblindet, raubt auch die Lüge den Menschen die Fähigkeit, die Wahrheit zu sehen. Im Umkehrschluss wird jedes Mal, wenn ein Mensch lügt, ein Phantásier vernichtet. Gmork steht als Werwolf quasi zwischen der Welt der Menschen und der Fantasie, gehört jedoch zu keiner von beiden. Er ist ein Symbol für den Neid und die Eifersucht vieler Menschen. Weil sie selbst das Glück nicht erlangen können, das ein anderer hat, missgönnen sie es ihm und zerstören es. In diesem Fall wirkt Gmork daran mit, Phantásien zu vernichten, weil er selber ohne Heimat ist.

Gmork steht im Dienste geheimnisvoller Auftraggeber, die ein Interesse daran haben, das Wissen um und den Glauben an Phantásien zu zerstören, um den Menschen die Fähigkeit zu rauben, selbstständig zu denken. Auf diese Weise können die Menschen ihre Phantasie nicht mehr nutzen, um zu erkennen, wenn sie belogen und manipuliert werden sollen; das Leugnen der Phantasie und ihrer Wirkungen dient also dazu, Macht über andere auszuüben. Diese geheimnisvollen Auftraggeber dürften die Habgier und die Eigensucht sein. Wenn die Menschen nicht mehr zu einem korrekten Urteil in der Lage sind, ist es einfacher, ihnen Dinge zu verkaufen, die sie nicht brauchen oder ihren Willen zu lenken. Auf diese Weise haben Gmork und seine Auftraggeber über lange Zeit verhindert, dass Menschenkinder nach Phantásien kommen. Die Menschen glauben nicht mehr an die Macht der Phantasie und ihre heilende Wirkung. Vielmehr ist Phántasien als Ursprungsort der Lügen in Misskredit geraten. Dabei besteht jedoch kein Zweifel daran, dass es ausschließlich die Motivation des menschlichen Handelns selber ist, die über die Qualität einer Idee entscheidet. Menschen können ihre geistigen Kräfte einsetzen, um die Welt zu heilen, zu verbessern, um sie erträglicher zu machen. Oder sie können sie aus egoistischen Motiven heraus missbrauchen, um andere ihres persönlichen Vorteils wegen zu manipulieren. Phantásien ist also stets das, was die Menschen aus ihm machen.


Kapitel XI.

Interpretation

Bastian kann sich nicht entschließen, den Schritt nach Phantásien zu gehen, weil ihm noch immer der Mut fehlt, vor allem aber, weil er befürchtet, dass er von Atréju und der Kindlichen Kaiserin die gleiche Ablehnung erfahren wird, die er von allen anderen Menschen gewohnt ist. Er fürchtet die Enttäuschung der beiden, wenn er ihnen entgegentritt anstelle des großen Helden, den sie in seinen Augen verdient hätten.

Kapitel XII.

Interpretation

Die Kindliche Kaiserin ist eine Allegorie der menschlichen Phantasie. Diese ist jung, wandelbar und dadurch lebendig. Sie stellt den Anfang jeder Geschichte dar, die aus der Phantasie entspringt. Der Alte vom Wandernden Berge hingegen ist der Chronist, der die Geschichte niederschreibt. Er stellt somit eine Personifikation des Buchautors dar, also von Michael Ende selbst. Indem er die Geschichte niederschriebt, die aus der Phantasie geboren wird/durch die Kindliche Kaiserin entsteht, wird sie starr und unveränderlich und gleichermaßen „tot“. Er ist somit das Ende (in diesem Fall Michael Ende) ihrer Entwicklung. Eine Aufgabe, die ihm auch hier obliegt. Indem an dieser Stelle die Geschichte immer und immer wieder von neuem beginnt, kann sie nicht fortgeführt werden, sie ist also an dieser Stelle gleichermaßen zu Ende, ohne aber abgeschlossen zu sein. Auch, wenn Bastians Ideal eine unendliche Geschichte ist, eine Geschichte also, bei der er sich niemals von lieb gewonnenen Figuren verabschieden muss, dürfte dies kaum seinen Vorstellungen entsprechen.

Indem die Kindliche Kaiserin den Alten vom Wandernden Berge auffordert, die Geschichte von vorn zu erzählen, entsteht ein Kreislauf, der stets durch die Aufforderung der Kindlichen Kaiserin von neuem beginnt. Für die Phantasier ist es die immer wiederkehrende (unendliche) Geschichte des drohenden Untergangs ihres Reiches im Nichts. Nur Bastian kann diesen Kreislauf durchbrechen, indem er der Kindlichen Kaiserin ihren Namen gibt. Bastian hingegen durchlebt den sich immer wieder wiederholenden Kreislauf seiner Flucht aus der Wirklichkeit und der Begegnung mit nicht gelösten Problemen, die eben wegen seiner Realitätsflucht ungelöst bleiben. Der Teufelskreis, den die Kindliche Kaiserin und der Alte vom Wandernden Berge erzeugen, ähnelt damit Bastians eigenem inneren Teufelskreis, bei dem sich Versagen und mangelndes Selbstvertrauen gegenseitig bedingen und der ebenfalls nur durch Bastian selbst durchbrochen werden kann. Er entspricht auch dem Kreislauf, den Auryn symbolisiert.

So, wie auch andere Schutzmechanismen des menschlichen Geistes, etwa Depressionen, den Menschen zwingen können, aus einer unerträglichen Situation auszubrechen, ist es in diesem Fall Bastians Phantasie, die ihn zwingt, endlich Verantwortung zu übernehmen und das zu tun, was zu tun er längst als richtig erkannt hat. Dies findet seine Entsprechung darin, dass Bastian gegen Ende des Buches zu Koreander geht, um ihm den Diebstahl des Buches zu beichten, anstatt diese unangenehme Aufgabe dem Vater zu überlassen, wie er es zuvor getan hätte.

Indem der neue Name der Kindlichen Kaiserin die Schale des Eis sprengt, wird alles neu geboren, sie selbst, Phantásien, aber auch Bastians Leben wird in völlig neue Bahnen gelenkt.

Überleitung in den zweiten Teil

Bastian erhält AURYN, das Zeichen der Kindlichen Kaiserin in Form eines Amuletts, von derselben. Es hat die Macht, jeden seiner Wünsche in Phantásien Wirklichkeit werden zu lassen. Seine Aufgabe lautet, unter dem Leitspruch Tu was du willst wünschend Phantásien schöner denn je neu zu erschaffen. Obwohl mit dieser Aufforderung scheinbar keine Einschränkungen verbunden sind, muss Bastian schließlich feststellen, dass es solche Beschränkungen durchaus gibt. Sie bestehen darin, die Bindung an seine eigene Welt nicht zu verlieren, und sie erwachsen aus der Verantwortung, die Bastian für seine Handlungen trägt, die in der Ausübung von Macht bestehen.

In Wahrheit geht es im zweiten Teil von Die unendliche Geschichte um Bastians Persönlichkeitsentwicklung, weshalb Wilfried Kuckartz von einem Bildungsmärchen spricht (Wilfried Kuckartz: Michael Ende, Die unendliche Geschichte. Ein Bildungsmärchen. Verlag Die Blaue Eule, Essen: 1984). Es geht um die Überwindung der Scham aufgrund der angenommenen körperlichen Unzulänglichkeiten, um das Erlangen eines starken Selbstwertgefühls. Darüber hinaus geht es um das Finden und Entwickeln der eigenen Liebesfähigkeit. Es ist die zentrale Botschaft des zweiten Romanteiles, nachdem es im ersten Teil um die Bedeutung der menschlichen Fantasiebegabung ging, in der das Potenzial für beide Welten angelegt ist, „sich gegenseitig gesund zu machen“. In dem Augenblick, wo Bastian aufhört, seine Phantasie zur Flucht aus der Realität zu benutzen, öffnet er sich selbst die Möglichkeit, Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, erwachsen zu werden und zu verändern, was ihn belastet.

Kapitel XIII. bis Kapitel XXIII.

Interpretation

Weder die Kindliche Kaiserin noch Auryn haben Bastian darauf vorbereitet, dass er rechtzeitig beginnen muss, den Weg nach Hause zu suchen. Und doch hätte er es wissen müssen, schließlich hatte er durch Atréjus Heldenreise erfahren, dass die Macht der Phantasie dazu eingesetzt werden soll, beide Welten zu heilen, das Reich der Phantasie ebenso wie die Menschenwelt.

Bastian tut aber etwas ganz anders: Berauscht von der Macht der Phantasie, ausgestattet mit der Möglichkeit, sich all jener Defizite zu entledigen, unter denen er in der materiellen Welt so sehr zu leiden hat, tritt er die Flucht in eine alternative Persönlichkeit an, die alles ist, was er schon immer sein wollte, und verstrickt sich mehr und mehr in diese Rolle, so dass er schließlich vergisst, was und wer er wirklich ist. Ende warnt davor, die Macht der Phantasie zur Realitätsflucht zu benutzen. Die Alte Kaiser Stadt ist voll von Menschen, die sich aus der Rolle, die sie in Phantásien gespielt haben, nicht mehr zu lösen vermochten. Sie alle haben die Bodenhaftung verloren, können nicht mehr zwischen Realität und Phantasie unterscheiden: Sie sind dem Wahnsinn anheim gefallen.

Spätestens in diesem Augenblick wird klar, dass der Elfenbeinturm, in dem die Kindliche Kaiserin residiert, auch in Endes Geschichte einen Ort der geistigen Abgeschiedenheit und der Unberührtheit von der Welt symbolisiert. Wäre es Bastian gelungen, die Herrschaft über den Turm anzutreten, hätte er von einem Moment auf den anderen jegliche Verbindung zu seiner eigenen Welt verloren und wäre als Verrückter in die Alte Kaiser Stadt gebracht worden. Als Mensch muss Bastian in seiner Welt verbleiben, der Menschenwelt. Realitätsflucht fügt seinem Geist auf Dauer schweren Schaden zu. Ganz und gar unmöglich ist es hingegen, dass Bastian selbst zum Inbegriff der menschlichen Phantasie wird, wie er es durch den Angriff auf den Elfenbeinturm anstrebt.

Wie schon im ersten Teil des Buches widmet sich Ende auch in diesen Kapiteln dem Thema Machtmißbrauch. Im ersten Teil hat Ende die Lügen der Menschen angesprochen, die die Phantasie zerstören und dazu dienen, anderen Menschen ihr Urteilsvermögen zu rauben, um Macht über sie ausüben zu können. Diese Thematik findet hier ihre Fortsetzung, nur dass Bastian in allererster Linie sich selbst belügt. Auch er verliert dabei Schritt für Schritt seine Erinnerungen und damit die Möglichkeit, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist. Paradoxerweise versucht er, Teil seiner eigenen Phantasie zu werden, indem er sie bekämpft, während seine Phantasien, allen voran Atréju, sich seine Heilung zum Ziel setzen. Das scheinbare Paradox entsteht daraus, dass Bastian darum ringt, nicht mehr in seine materielle, bedrückende Welt zurückkehren zu müssen – vor Atréju äußert er das deutlich. Am Ende hat er nicht nur Phantásien schweren Schaden zugefügt, sondern vor allem sich selbst.

Die Erzählung von Argax, dem Affen, und den Menschen, die ihre Identität wiederzufinden suchen, indem sie mit Buchstabenwürfeln zufällige Wörter erzeugen, die sie an ihr Selbst erinnern sollten, ist eine Anspielung auf das Unendlich-viele-Affen-Theorem. Dieses besagt, dass unendlich viele Affen, die auf unendlich vielen Schreibmaschinen unendlich lange tippen, irgendwann die gesammelten Werke von Shakespeare erzeugen.

XXV: Das Bergwerk der Bilder

Interpretation

„Vergessene Träume“ stehen hier für die Wünsche und Ziele, die man aufgegeben hat, weil sie unerreichbar schienen, doch oft genügt eine neue Sichtweise, um ein Problem zu lösen. Bastian hatte seinen Vater aufgegeben, da dieser nichts sagt und ihn gar nicht mehr richtig wahrzunehmen scheint, obwohl er sich den Kontakt zu seinem Vater wünscht und von ihm angenommen werden möchte.

Zum ersten Mal beschränkt sich Bastian nicht mehr darauf, etwas zu wünschen, vielmehr wird er selbst aktiv. Er fängt an zu graben und zu suchen, obwohl er nicht einmal weiß wonach. Schließlich wird er fündig, tief im inneren dieses Bergwerks, das sein eigenes Innenleben, seine eigene Traumwelt symbolisiert: er findet ein Bild, das ihn berührt. Solche emotionsgeladenen Bilder und Träume sind schon seit alters her in der Psychologie dem Therapeuten wichtige Stützen bei der Therapie. Auch der Psychologe kann seinen Patienten nur Hilfe zur Selbsthilfe geben. Graben und suchen müssen sie selbst. Einen solchen Prozess erlebt Bastian.

XXVI: Die Wasser des Lebens

Interpretation

Die Forderung, die an Bastian gestellt wird, scheint nicht lösbar zu sein. Es wäre Bastian niemals möglich, alle Geschichten zu Ende zu führen, die er begonnen hat. Schon seit den ersten Seiten des Buches ist Ende nicht müde geworden, zu betonen, dass aus jeder Geschichte eine Vielzahl weiterer Geschichten erwachsen kann (Doch das ist eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll). Auch der Titel des Buches selbst weist darauf hin: Die unendliche Geschichte. Eine Geschichte, die niemals endet, das ist auch Bastians Ideal, weil er es hasst, immer wieder Abschied nehmen zu müssen von Figuren, die er während der Lektüre eines Buches lieb gewonnen hat. Zwar hat Bastian den unendlichen Kreislauf durchbrochen, den die Kindliche Kaiserin durch ihre Begegnung mit dem Alten vom Berge erzeugt hat, doch nur zu dem Zweck, die Geschichte Phantásiens fortzuschreiben. Die Geschichten, die Bastian begonnen hat, werden niemals enden, und aus jeder von ihnen können neue Geschichten erwachsen.

Die Frage der Wächter zielt in eine andere Richtung. Sie wollen wissen, ob Bastian Verantwortung für seine Taten übernommen hat. Die Kindliche Kaiserin hat ihm unbegrenzte Macht in die Hände gegeben, und er hat sie eingesetzt. Doch er hat sie nicht eingesetzt, um die Welten zu heilen, Phantásien ebenso wie die Menschenwelt, sondern um seine eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Auf diese Weise hat er Taten begangen und Realitäten geschaffen, für deren Konsequenzen er nun einzutreten hat.

Ende betont in diesem Augenblick, wie wichtig zwischenmenschliche Beziehungen sind. Es war die Liebe zu seinem Vater, die ihn an diesen Ort geführt hat, und es ist die Freundschaft Atréjus, die ihm ermöglicht, ihn wieder zu verlassen. Atréjus Entscheidung zeigt aber auch, dass Bastian selbst sich verändert hat. Er hat nun begriffen, dass er Verantwortung für sein eigenes Leben und für andere trägt. Und er hat verstanden, dass er all das sein kann, was er immer sein wollte, auch ohne sich nach Phantásien zu flüchten und eine schier unbegrenzte Macht zu missbrauchen. Wie Bastian und Atréju schon bei den Toren des Südlichen Orakels erfahren hatten, ist der gut gebaute, starke, entschlossene, mutige Indianerjunge Bastians anderes Ich, ein Teil von ihm, der schon immer in ihm steckte und den er jetzt zum ersten Mal richtig kennengelernt hat. Und der er wieder werden kann, ohne die Macht der Kindlichen Kaiserin entgegen ihrer Bestimmung zu gebrauchen, wenn er sich nur entschließt, es zu tun, und die nötige Arbeit in seinen neuen Weg investiert. Da er die Fähigkeit gewonnen hat, zu lieben, kann er künftig den Verführungen der Macht widerstehen. Indem Atréju sich bereit erklärt, an Bastians Stelle die unlösbare Aufgabe zu übernehmen, die die Wächter von ihm verlangen, gibt er zugleich zu erkennen, dass auch Bastian selbst gelernt hat, für sein Handeln einzustehen, schließlich sind beide zwei Aspekte der gleichen Persönlichkeit.

Bastian stellt dies sogleich unter Beweis, indem er selbst zu Koreander geht, um sich für den Diebstahl des Buches zu entschuldigen, anstatt die Flucht vor sich selbst und der Welt anzutreten oder diese unangenehme Aufgabe seinem Vater zu überlassen, wie er es früher getan hätte. Überrascht muss er feststellen, dass dieses Vorgehen viel einfacher ist, als er dachte. Koreander kann sich nämlich nicht daran erinnern, ein solches Buch jemals besessen zu haben. Vielmehr stellen beide fest, dass sie noch viel mehr gemeinsam haben, als ihre erste Begegnung bereits erahnen ließ: sie beide sind Phantásienreisende. Dadurch, dass Bastian seine Angelegenheiten selbst in die Hand nimmt, erwirbt er Koreanders Respekt, möglicherweise sogar seine Freundschaft.

Durch die Lehren, die Bastian in Phantásien gezogen hat, ist er nun in der Lage, anderen Menschen zu helfen, für sich selbst die gleichen Erkenntnisse zu ziehen, und dadurch die Phantasie so einzusetzen, wie sie auch eingesetzt werden soll: um beide Welten zu heilen.

Koreander Anmerkung, Bastian werde weitere Menschen nach Phantásien führen, ist doppeldeutig und spielt auf die Struktur der unendlichen Geschichte als Buch im Buch an. Einerseits kann ein anderer Erzähler hergehen und Bastians Geschichte fortschreiben, andererseits führt Bastian aber auch schon dadurch Menschen nach Phantásien, dass ein Leser Michael Endes Buch in die Hände nehmen und seine Reise nachlesen kann.

Ein letztes Doch dies ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden weist darauf hin, dass auch Bastians Geschichte gerade erst begonnen hat und weitere Geschichten nach sich zieht, eine unendliche Geschichte eben.