Benutzer:Tangram/Leihstimmen

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Zur leidigen Leihstimmen-Diskussion

Nach der Landtagswahl in Niedersachsen ist in den konventionellen Medien, aber auch auf Twitter, eine Diskussion entbrannt, in welchem Maße die FDP "Leihstimmen" von der CDU erhalten habe. Sigmar Gabriel beispielsweise spitzte die Frage bis auf die Formulierung zu, dass die FDP nur noch "mit Fremdblutzufuhr" existiere. FDP-Parteisoldaten halten dagegen, dass die FDP auch ohne Hilfe der CDU in den Landtag gekommen wäre und beziffern den "Leihstimmen"-Anteil auf wenige Prozentpunkte.

Leider sind bei vielen Diskutanten anscheinend die Begriffe durcheinander geraten.

Versuchen wir also erst einmal zu klären, was Leihstimmen sind. Der Wikipedia-Artikel gibt Aufschluss über die in dieser Diskussion verwendete Bedeutung: "Der taktisch gewählten Partei soll damit ermöglicht werden, eine in einer Sperrklausel vorgeschriebene Mindestanzahl an Stimmen (im Bundestag und einigen Länderparlamenten: Fünf-Prozent-Klausel) bzw. Mandaten (Grundmandatsklausel) und damit den Einzug in das Parlament zu erreichen." Im konkreten Fall sollte also der FDP, die laut Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern drohte, der Verbleib im Landtag gesichert werden, damit die schwarz-gelbe Koalition fortgesetzt werden könnte. Bei einem Scheitern an der Hürde wäre eine Stimme für die FDP schließlich, um es mit den Worten des ehemaligen Vorsitzenden Guido Westerwelle zu sagen, eine "Stimme für den Gulli".

Naturgemäß ist der Anteil an solchen taktisch vergebenen Stimmen schwierig zu messen. Es wird aber einfacher, wenn man ihn von zwei anderen Phänomenen abgrenzt, die leider auch von den Medien nicht verstanden wurden:

1.) Es sagt nichts über Leihstimmen aus, die Erststimmen in Verhältnis zu den Zweitstimmen zu setzen. Dass viele Wähler, die mit ihrer Zweitstimme eine kleinere Partei wählen, einen aussichtsreicheren Direktkandidaten mit ihrer Erststimme wählen, ist unstrittig und kommt immer wieder vor. Bei Leihstimmen geht es allein um die Zweitstimme.

2.) Wählerwanderung ist nicht mit Leihstimmen zu verwechseln. Immer wieder ist zu lesen, die FDP habe nach den Zahlen der Wahlforscher 101.000 "Leihstimmen" von der CDU erhalten. Das ist falsch. Bei dieser Zahl handelt es sich um die objektiv beobachtbare Verschiebung zur letzten Landtagswahl (2008). Wenn man die Rechnung zu Ende führt, kann man zu keinem anderen Ergebnis kommen, als dass die FDP 2008 bereits den Einzug in den Landtag geschafft hat; das ist aber wahrhaftig keine Neuigkeit.

Bei Leihstimmen geht es aber weder um Stimmensplitting noch um den Unterschied zur vorherigen Wahl. Es geht darum, welche Partei ein Wähler oder eine Wählerin ohne taktische Überlegungen gewählt hätte. Die Forschungsgruppe Wahlen gibt an, dass 80 % der FDP-Wähler eigentlich CDU wählen wollten. Hätten sie dies getan, wäre die FDP deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert.

Dass die FDP vor den Wahlen in den Umfragen jedoch nicht bei X %, sondern bei 5 % oder knapp darunter gesehen wurde, kann mehrere Gründe haben. Erstens können hier bereits zum Teil Leihstimmen erfasst worden sein; die restliche Abweichung wird von der Forschungsgruppe Wahlen auf die späte Entscheidung von 43 % der FDP-Wähler zurückgeführt.