Benutzer:Theo Fritz X/Tilgener
Götz Tilgener († 19. Juli 1975) war ein deutscher Anarchist.
Leben
Er wuchs als Sohn des Wirtschaftsberaters Joachim Tilgener und seiner Frau Ilse, geborene Steimann, in Stuttgart auf. Nachdem seine Versetzung in die Unterprima gefährdet war, kam auf ein Internat, das "Englische Institut" in Heidelberg, wo er den Sozialistischen Studentenbund kennenlernte und an Demonstrationen teilnahm. Es folgte ein Aufenthalt an einer Internatsschule in Wangerooge, die er ohne Abitur verließ, und Gelegenheitstätigkeiten als Hausbursche in einem Timmendorfer Hotel und bei der Bundespost.
1971 Nach seiner Einberufung 1971 nach Ulm erschien er mehrfach nicht zum Dienst, sondern desertierte schließlich nach Berlin. Gegenüber seiner Mutter Ilse, geborene Steimann, bekannte er, daß er nun Anarchist sei und Marx, Lenin und den inzwischen in Berlin einsitzenden Horst Mahler zu seinen Vorbildern erkoren habe. Er wurde jedoch aufgegriffen und in Ulm zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt. Im Mai 1972 wurde er aus der Haft entlassen.
Eine 15 Jahre ältere Künstlerin, Mutter von zwei Töchtern, die in Scheidung lebte und ihn heiraten wollte, zog ihn wieder nach Berlin. Im November 1972 verunglückte er schwer und kam unter falschem Namen in ein Berliner Krankenhaus. Als Deserteur wurde er aufgespürt, erneut verhaftet und in das Vollzugskrankenhaus Moabit verlegt. Danach heiratete er die Künstlerin, lebte in einer Berliner Wohngemeinschaft und lernte viele Gleichgesinnte aus der linken Szene und die Bewegung 2. Juni kennen. Dazu gehörten auch die Mitglieder der Kommune K3, die sich Ende 1972 um Ilse Schwipper in Wolfsburg gegründet hatte und Kontakt zur Berliner Bewegung suchte.
Ende 1973 machte Ilse Schwipper, die nach Heirat nunmehr Jandt hieß, die Bekanntschaft des Berliner Studenten Ulrich Schmücker, der dem Umfeld der terroristischen Gruppe Bewegung 2. Juni angehörte. Er besuchte sie in Wolfsburg. Zu dieser Zeit galt Schmücker bereits als V-Mann des Berliner Verfassungsschutzes. Jandt wurde von der Bewegung 2. Juni beauftragt, den Studenten Ulrich Schmücker, der als Verräter der Bewegung galt, zu erschießen.
Ihr Freund Tilgener, der Schmücker kannte und bei der Rückkehr in das linksradikale Milieu unterstützt hatte, überreichte Schmücker Ostern 1974 einen Fragebogen, in dem Schmücker Stellung zu seinem damaligen Geständnis und seinen Gesprächen mit dem Verfassungsschutz Stellung nehmen sollte. Ihm wurde eröffnet, dass er eine Chance erhalte und sich in der IRA bewähren müsse. Die Beteiligten Tilgener, Jandt und Schmücker trafen sich in der Schänke „Tarantel“, in der der V-Mann des Verfassungsschutzes Volker Weingraber kellnerte.
Nachdem Schmücker im Juni 1974 in Berlin ermordet worden war, wurde Ilse Schwipper noch im gleichen Monat als Zeugin vorgeladen und, da sie Aussagen verweigerte, drei Wochen lang in Beugehaft genommen. Im August 1974 wurde sie in Darmstadt erneut wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung inhaftiert. Die anderen fünf Mitglieder ihrer Kommune in Heßlingen kamen ebenfalls in Haft. Alle wurden der Beteiligung an dem Mord verdächtigt. Einer der Verhafteten, Jürgen Bodeux, wurde zum Kronzeugen der Anklage. Aufgrund seiner Aussagen, unter anderem dass Schwipper und er den späteren Tatort ausgekundschaftet hätten, wurde gegen beide Anklage erhoben.
Im Juni 1976 verurteilte das Gericht Schwipper und die Mitangeklagten im ersten Schmücker-Prozess wegen gemeinschaftlichen Mordes. Sie erhielt eine lebenslange Haftstrafe, die fünf anderen Angeklagten wurden zu Jugendstrafen verurteilt. Die Verurteilung wurde erst Jahre später nach drei Revisionsverfahren zurückgenommen.
Doch Ende 1972 tauchen neue Gesichter in der Bäckergasse auf – zunächst Ilse
Schwipper, die damals noch den Familiennamen Bongartz trägt. Sie ist deutlich
älter als die übrigen Kommunarden, Mitte dreißig. Und sie hat schon eine
Vergangenheit. Seit 1970 war sie als „rote Ilse“ durch die Schlagzeilen der
Braunschweiger Lokalpresse gegeistert und im April 1971 wegen mehrerer
Brandanschläge zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden.
Den Kommunarden ist die „rote Ilse“ hochwillkommen. Sie sind ständig knapp bei
Kasse – Ilse Schwippers Genossen, vor allem aber ihr Freund Götz Tilgener, haben
immer Knete. Das Geld kommt aus Berlin. Schwipper und Tilgener haben lockere
Verbindung zur dortigen Terroristenszene, die sie gern intensivieren möchten.
Am liebsten würden die beiden ein eigenes Terrorkommando aufbauen und
Anschluß an den „2. Juni“ finden. Sie gewinnen ein paar der Kommune-Kids für
ihre Ziele. Vor allem aber gesellen sich zwei Männer zu ihnen, die sich bald als
Experten im „bewaffneten Kampf “ profilieren: Einer von ihnen ist niemand
anders als der Berliner Verfassungsschutz-V-Mann Volker Weingraber. Er hat den
Jugendlichen einiges zu bieten: Das Geld, mit dem Tilgener die Wolfsburger
aushält, kommt von ihm. In Berlin, wo er zur ständigen Anlaufstelle wird, stellt er
den Jugendlichen seine Wohnung und sich selbst als Fahrer zur Verfügung, will
einen Revolver, sogar eine Maschinenpistole besorgen.
Auch der zweite Experte weiß Eindruck zu machen: Es ist Jürgen Bodeux, Aktivist
der „Schwarzen Hilfe Köln-Porz“, Brieffreund der „roten Ilse“ seit deren Haftzeit.
Er kommt nicht mit leeren Händen. Als Tausendsassa im Fälschen von Papieren,
Knacken von Autoschlossern und Auswechseln von Plaketten auf
Nummernschildern imponiert er den Junganarchisten. Daß er anderswo bereits
als Agent provocateur vor die Tür gesetzt wurde und die „Schwarze Hilfe Porz“
aus ihm allein bestand, wissen sie nicht. Tilgener, Weingraber und Bodeux, die
drei neuen Freunde der Wohngemeinschaft, wissen: Ilse Schwipper hatte Kontakt
zu Inge Viett, und alle haben nur einen Gedanken: Anschluß an den „2. Juni“
finden. Einen Tag nach seinem Auftauchen in Wolfsburg hat er Tilgener, der nach
Berlin gefahren ist, um Geld zu holen, schon von Ilse Schwippers Lager verdrängt.
Als Morgengabe beschafft er eine von der „roten Ilse“ bestellte Waffe: eine alte
Weltkriegs-Pistole, Parabellum 08.
Das Opfer. Schon einmal – im Februar 1974 – hatte Ilse Schwipper – damals noch gemeinsam mit Götz Tilgener – versucht, vor den Augen der fanatischen „2. Juni“- Chefin Inge Viett in Berlin Gnade zu finden. Sie und ihre Gruppe wurden als Kampfgefährten nicht akzeptiert, weil sie einen Freund Tilgeners in ihr Herz geschlossen hatte („Es gab zwischen uns nichts Trennendes“), der in den Reihen der Terroristen als Verräter galt – Ulrich Schmücker. Inge Viett und Schmücker hatten eine gemeinsame Vergangenheit, die in den frühen Morgenstunden des 7. Mai 1972 ein jähes Ende fand.
Kaum öffentlich wahrgenommen, wurde Schmücker am 7. Februar 1973 zu dreißig Monaten Haft verurteilt. Im Gerichtssaal in Berlin-Moabit saßen nur seine Mutter und ein Schulfreund. Neun Monate Untersuchungshaft waren nicht spurlos an dem sensiblen jungen Mann vorübergegangen. Aus gesundheitlichen Gründen wurde dem Anarchisten Haftverschonung gewährt. So hatte Grünhagen ihm das Urteil versprochen. Und so hatte es vorher auch der zuständige Staatsanwalt der Mutter zugesichert. „Nehmen Sie am besten Ihren Sohn anschließend gleich mit nach Hause“, erinnert sich Frau Schmücker noch genau an die Worte des Staatsanwalts. Das tat die Mutter dann auch. Sie waren gerade zwei Tage zu Hause in Bad Neuenahr, da klingelte das Telephon. Es meldete sich „ein Freund von Uli“. Frau Schmücker, die an den Apparat gegangen war, erinnert sich später, daß ihr Sohn über eine Stunde mit dem „Peter“, wie sich der Anrufer vorgestellt hatte, telephonierte. Grünhagen klagte das ihm gegebene Versprechen ein. Sechzehn Monate später hätte Ulrich Schmücker die Hilfe eines Freundes gebraucht. Rastlos irrte er durch die Stadt. „Ich bin wieder allein“, kritzelte er auf einen der vielen Zettel, die später von der Polizei in einem Schuhkarton zwischen Adressen, Korrespondenzen und falschen Papieren in seiner Neuköllner Einzimmerwohnung gefunden werden. Dokumente der Verzweiflung. „Schmücker ist Scheiße“, steht dort, aber auch: „Schmücker ist besser als Leben“. Denn das hat ihm gerade übel mitgespielt. Comeback-Versuche beim „2. Juni“ waren gescheitert. „Es ist wieder die alte Geschichte“, vertraute er seinem Freund Tilgener an, „alle halten mich für einen Verräter.“
Schmückers Angst und Verzweiflung waren nur zu berechtigt. Der Kreis um Ilse Schwipper hatten längst beschlossen, den „Verräter zu liquidieren“, um ihr eigenes Ansehen beim „2. Juni“ und der Terrorchefin Viett zu heben. In Berlin wurde ein perfider Mordplan ausgeheckt. Weingraber war mit von der Partie. Der V-Mann, so sagte Tilgener – der 1975 mit einer Überdosis Schlaftabletten Selbstmord beging –, gegenüber dem Journalisten Stefan Aust (Kennwort „Hundert Blumen“, Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1980), sollte eine Waffe beschaffen, nachdem Ilse Schwipper bei Freunden in Hamburg vergeblich um eine Pistole nachgesucht hatte und die „Bewegung 2. Juni“ es ablehnte, Schwippers „Kindergarten“ mit Schießgewehren zu versorgen. Schmücker sollte mit dem Angebot, in einem angeblichen Kommando der IRA aufgenommen zu werden, nach Köln gelockt werden. Dort wollte man ihn erschießen, eingipsen und – genau am 2. Juni – auf dem Parkplatz vor seinem Elternhaus, auf dem er zwei Jahre vorher festgenommen worden war, in einen gestohlenen Fiat 124 abstellen. Der Bekennerbrief, der nach der Ermordung Schmückers abgeschickt wurde, enthielt noch Ort und Datum dieses Femeplans.[1]
Literatur
Quellen
- Kuno Kruse: Mord am langen Draht, Die Zeit Ausgabe Nr. 48/1989 [online]
Einzelnachweise
- ↑ Kruse 1989