Benutzer:VerenaRumm/Vormittag eines Schriftstellers

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Vormittag eines Schriftstellers

Vormittag eines Schriftstellers ist eine Essay-Sammlung des deutschen Schriftstellers Martin Walser, erschienen 1996 im Suhrkamp Verlag. Die Sammlung beinhaltet elf gesammelte Essays aus den Jahren 1987 bis 1993. Die ausgewählten Texte regen die Erfahrung des Lesers an, ihre Kritikfähigkeit von öffentlichen Meinungen und ihr Bewusstsein für Medien.

Der Titel "Vormittag eines Schriftstellers" ist eine Anlehnung an Peter Handkes Erzählung: "Nachmittag eines Schriftstellers"[1]. In dieser geht es um den Nachmittag eines Schriftstellers, der seinen Stift niederlegt und die Arbeit erst am nächsten Tag fortsetzt. Von dieser 'Zwischenzeit' wird erzählt. Bei seinem Gang durch die Stadt liegen seine Gedanken auf dem Versagen seiner sprachlichen Kraft. In Handke sieht er einen Verbündeten[2]. "Da spürte er eine tiefe Verwandschaft"[3].

Martin Walsers Vormittagsbeschäftigungen und Gedanken liegen hingegen auf den Zuständen in Deutschland. Wenn er über die deutschen Sorgen, über Goethe, das Schöne, über Boris Becker, Goyas Maja oder über Lopez spricht, so spricht er auch von sich, von seinen Erfahrungen, von seinem Leben und Erlebtem.

Inhalt und Bezüge zum Zeitgeschehen

Vormittag eines Schriftstellers: fordert ein Geschichtsgefühl, denn die Grundlage der Nation ist die gemeinsame Vergangenheit. Er fordert die 'Wendung ins Innere'. "Jetzt räumte er mit dem 'Meinungspack' auf, das in allen Ecken herumlungerte, um endlich Herr im eigenen Haus zu werden. Mein Bewusstsein gehört mir! - gilt jetzt als Maxime. Dieses rechthabenmüssende Erwiderungsgespräch abbrechen. Meinungen meiden. Keine Beweisführung, keine Theorie, bloß kein Diskurs, nur eine persönliche Notwendigkeit, in der die Frage mitflüstern darf, ob es anderen auch so gehe. Entkommen, das wär's"[4].

Warum brauchen Romanhelden Berufe?: erläutert die Relevanz des Berufes für das bürgerliche Selbstbewusstsein. Seine Figuren üben Berufe aus, die sie nicht erlernt haben, die aber ihren Lebensunterhalt sichern. Meistens Aussenseiter, welche sich mit einer unannehmbaren Wirklichkeit auseinandersetzen müssen und versuchen ihre Ideale an ihren Lebenslauf anzupassen. "Solche Selbstrechtfertigungsprozesse sind es, die der Autor mit seinen Helden gemein hat und auf die er seine Schreibmotivation gründet. Daher ist für ihn der Beruf 'der fundamentale Ausdruck dessen, was den Roman veranlaßt hat, worauf der Roman reagiert"[5].

Aus dem Lebenslauf eines Lesers: handelt von dem Selbstverständnis eines Lesers."Wichtiger als das, was man liest, ist ja das, was mit einem, wenn man liest, passiert. Die Folgen. Die Wirkung. Man sollte überhaupt nicht über Bücher, sondern über ihre Wirkung sprechen. Das geht aber nicht. Wirkungen brauchen Zeit. [...] Manchmal vergehen Jahre, bis man erfährt, was beim Lesen eines Buches mit einem selbst passiert ist"[6].

Einer für Alle: richtet sich an Boris Becker als sein Vorbild und über die Empfindsamkeiten des Tennisspielers. "Dramen ohne Worte. Boris Becker ist die Ausnahme. Er monologisiert beim Spielen. Es sind ja nicht nur Ausrufe der Wut, des Ärgers, der Verzweiflung über sich selbst. [...] Und wenn er verliert: dieses Sich-selber-Gleichsehen. Dieses Auf-sich-selber-Zurückgeworfensein."[7]. Boris Becker verliert 1990 das Wimbledon-Finale gegen Stefan Edberg. Dennoch wird er zum vierten Mal zum deutschen Sportler des Jahres gewählt. Ein Jahr später verliert er erneut das Finale, diesmal gegen Michael Stich. Becker gewinnt aber dafür im gleichen Jahr noch die Australian Open in Melbourne. Die Folge: die Führung in der Tennis-Weltrangliste.

Preis des Schönen: ist eine Rezension über: "Eros, Tod und Maske" als eine Leib- und Seelengeschichte. Horst Janssen veröffentlicht 1992 sein Werk "Eros, Tod und Maske. 1949- 1992. Holzschnitte, Monotypien, Radierungen, Lithographien, Zeichnungen, Aquarelle[8]". "Nur die Kunst veröffentlicht den wirklichen Zustand unseres Bewußtseins. In allen anderen Veröffentlichungen unseres Inneren - im Recht, in der Politik, in der Religion - geht das Eigentliche in Ersatzsprachen verloren: der wirkliche Zustand unserer Innenwelten"[9].

Maja-Gespräch: Selbst-Gespräch über die nackte und bekleidete Maja von Francisco José de Goya y Lucientes, über die Liebe und das Schöne. "Man kann die Maja nicht kennen. Man kann sie nur anschauen. Nur von außen"[10].

Malen Sie das Jahr 2000!: ist ein Traumtext, indem Salvador Dalí Walser dazu aufruft, das Jahr 2000 zu malen, denn es ist vielleicht gerade mal genug Zeit, um eine weitere Geschichte zu erzählen, bevor die Geschichte erzählt wird. Denn es geht bei diesem Ultimatum nicht um die Zukunft, sondern um die Vergangenheit. Male, oder du wirst gemalt werden. "Du wirst sterben, bevor du nicht angefangen hast"[11].

López gehört ins Feuilleton: die Geschichte um den Auto-Manager José Ignacio López de Arriortúa als Theaterstoff. Wegen des Verrats von Betriebsgeheimnissen an die Volkswagen AG, der Unterschlagung von Unterlagen und wegen Untreue stellt Opel 1993 Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft in Darmstadt. José Ignacio López de Arriortúa hat damals schon Opel in Rüsselsheim zur gewinnträchtigsten General Motors-Tochter gemacht und ebenfalls die Verluste in Detroit reduziert. Aufgrundessen, dass VW damals für ein Auto dreimal so lange braucht wie die Japaner, will man ihn haben. Weil er aber von Opel zu VW wechselt und die Gesellschaft dieses nicht unterstützt, wird der "Fall López" ein gefundenes Fressen für die Medien. Der Schriftsteller Walser wendet sich gegen die „Verdachtsberichterstattung“ ("Wir sind abonniert auf den großen Knall")[12] und den „Beschuldigungseifer“ im Fall des VW-Managers und erläutert seine Unschuldsvermutung.

Deutsche Sorgen: eine Versöhnung mit den politischen Verhhältnissen in der Theorie und Praxis ist laut Walser möglich. "Geschichte hört nicht dadurch auf zu wirken, daß wir sie negieren"[13]. In dem Essay spart er nicht an Kritik und Ironie an sich selber und seiner interlektuellen Klasse. Im Grunde vertritt er hier ein essayistisches Lebenskonzept, d.h. ein Problem in all seinen Facetten und Schattierungen nachzugehen. Die Folge ist Toleranz und Kommunikationsbereitschaft[14].

Erfahrung mit ersten Sätzen: ist eine "Anleitung" zur Verfassung gelingener Romananfänge bezogen auf: "Die Verteidigung der Kindheit[15]". Walser veröffentlicht 1993 seinen Roman: "Die Verteidigung der Kindheit" im Suhrkamp Verlag[16]. Walser setzt auf die Anfangsstimmung. "Ich möchte nie begründen müssen, warum ein Satz als erster satz taugt. Ich finde es schon einmal günstig, wenn der erste Satz nicht nur ein Satz ist, der an und für sich bestehen kann, sondern wenn er auch noch vom Anfang handelt. ich möchte keinen solchen Satz suchen oder basteln müssen. Er muss sich als Ausdruck der Anfangsstimmung einstellen"[17].

Des Lesers Selbstverständnis: beschreibt die skurrile Unterrichtssituation in Deutschland, da Schüler und Schülerinnen keine eigenen Leseerfahrungen mehr brauchen. Martin Walser verdeutlicht in seinem Essay eine groteske Situation: Schüler, die scheinbar auf der Suche nach einem Textverständnis sind, welches der Lehrer hütet, jedoch nicht verraten darf. Ausserdem kann das Lesen zu einem Sich-selbst-Verstehen werden, genau wie das Schreiben auch, wenn man es zulässt. "Lesen ist nicht etwas wie Musikhören, sondern wie Musizieren"[18].

Erstveröffentlichungen

[19]

  • Vormittag eines Schriftstellers in: Die Zeit vom 14.12.1990
  • Warum brauchen Romanhelden Berufe? in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11.1.1992
  • Aus dem Lebenslauf eines Lesers in: Wer kennt sich schon. Lektüre zwischen den Jahren. 1992
  • Einer für Alle in: Süddeutsche Zeitung vom 21./22.3.1992
  • Preis des Schönen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8.12.1992
  • Maja-Gespräch in: Neue Züricher Zeitung vom 14./15.3.1987
  • Malen Sie das Jahr 2000! in: El Païs, 20.4.1992
  • López gehört ins Feuilleton in: Die Zeit vom 24.9.1993
  • Deutsche Sorgen in: Der Spiegel Nr. 26, vom 28.6.1993, S. 40-47
  • Erfahrung mit ersten Sätzen in: Zeit-Magazin Nr. 41, vom 8.10.1993
  • Des Lesers Selbstverständnis in: Martin Walser. Des Lesers Selbstverständnis. Ein Bericht und eine Behauptung. Edition Klaus Isele, Eggingen 1993

Textgrundlage

Martin Walser: Vormittag eines Schriftstellers. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994.

Sekundärliteratur

Wilhelm Gössmann und Christoph Hollender: Schreiben und Übersetzen: Theorie allenfalls als Versuch einer Rechenschaft. Gunter Narr Verlag, Tübingen 1994.

Jörg Magenau: Martin Walser. Eine Biographie. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2008.

Stuart Parkes und Fritz Wefelmeyer: Seelenarbeit in Deutschland: Martin Walser in Perspektive (German Monitor), Editions Rodopi B.V. 2004.

Einzelnachweise

  1. http://www.suhrkamp.de/buecher/nachmittag_eines_schriftstellers-peter_handke_38168.html
  2. Jörg Magenau: Martin Walser. Eine Biographie. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2008, S. 436.
  3. Jörg Magenau: Martin Walser. Eine Biographie. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2008, S. 310.
  4. Jörg Magenau: Martin Walser. Eine Biographie. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2008, S.435f.
  5. Stuart Parkes und Fritz Wefelmeyer: Seelenarbeit in Deutschland: Martin Walser in Perspektive (German Monitor), Editions Rodopi B.V. 2004, S. 17.
  6. Martin Walser: Vormittag eines Schriftstellers. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994, S. 51.
  7. Martin Walser: Vormittag eines Schriftstellers. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994, S. 63ff.
  8. http://www.amazon.de/Eros-Tod-Maske-Dierk-Lemcke/dp/3923848463
  9. Martin Walser: Vormittag eines Schriftstellers. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994, S. 82.
  10. Martin Walser: Vormittag eines Schriftstellers. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994, S. 94.
  11. Martin Walser: Vormittag eines Schriftstellers. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994, S. 106.
  12. Martin Walser: Vormittag eines Schriftstellers. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994, S. 129.
  13. Martin Walser: Vormittag eines Schriftstellers. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994, S. 138.
  14. Wilhelm Gössmann und Christoph Hollender: Schreiben und Übersetzen: Theorie allenfalls als Versuch einer Rechenschaft. Gunter Narr Verlag, Tübingen 1994, S. 63.
  15. http://www.suhrkamp.de/buecher/die_verteidigung_der_kindheit-martin_walser_38752.html
  16. http://www.suhrkamp.de/buecher/die_verteidigung_der_kindheit-martin_walser_38752.html
  17. Martin Walser: Vormittag eines Schriftstellers. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994, S. 153f.
  18. Martin Walser: Vormittag eines Schriftstellers. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994, S. 199.
  19. Martin Walser: Vormittag eines Schriftstellers. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994, S. 203f.