Benutzer:Vogone/Wikimania 2018

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Kurz nach meiner Heimreise möchte nun auch ich über meine Begegnungen während der Wikimania 2018 in Kapstadt, Südafrika berichten. Da eine vollständige Berichterstattung über alle meine Erlebnisse das Format sprengen würde, beschränke ich mich hierbei auf die meiner Meinung nach wichtigsten.

Vorkonferenz

Bei der Vorkonferenz besuchte ich das „Hackathon“-Programm, also den Teil der Konferenz der sich mit der technischen Infrastruktur der Wikimedia-Projekte befasst. Hierbei schloss ich mich dem ukrainischen Benutzer Base an, welcher sich zum Ziel setzte nun neben seiner Tätigkeit als Vorlagen-, Skript- und Botautor auch einmal mit der MediaWiki-Software an sich zu befassen. Für mich war letzteres nicht neu, allerdings war eine Auffrischung meiner Kenntnisse durchaus hilfreich, da ich schon länger nicht mehr an MediaWiki arbeitete und sich in der Zeit doch einiges änderte. Sehr gelegen kam Base und mir dann, dass der ghanaische Wikipedianer Masssly für seine Universität ein MediaWiki einrichten wollte und hierbei unsere Hilfe suchte. Während wir mit Masssly an seinem Projekt arbeiteten kamen dann auch ein paar interessante Gespräche über unsere Heimaten und wie wir zu den Wikipedias fanden zustande. Er berichtete uns auch von der leider relativ kleinen ghanaischen Gemeinschaft und stellte uns beim Mittagessen ein paar seiner Mitreisenden zur Wikimania-Konferenz vor. Außerdem berichtete er uns von seinem Ziel, auch die letzte fehlende Wikipedia-Sprachversion der vielen lokalen ghanaischen Sprachen die er beherrscht ins Leben zu rufen. Gegen Abend unterhielt ich mich dann mit Benutzer Zenith4237 über sein Projekt Benutzern auf internationalen Wikimedia-Projekten die Festlegung auf eine Inhaltssprache über die Einstellungen zu erlauben. Bisher wird automatisch die Sprache der Benutzeroberfläche als Inhaltssprache zugewiesen, was stören kann, wenn man es vorzieht, auf internationalen Projekten Projektseiten in einer anderen Sprache zu lesen als der für die Benutzeroberfläche eingestellten. Wir nahmen in Angriff uns mit diesem Projekt während der Hauptkonferenz gemeinsam zu befassen. Ein weiteres interessantes Gespräch ergab sich mit Benutzer Legoktm, ein ehemals Freiwilliger der derzeit als Entwickler für die Wikimedia-Stiftung arbeitet. Er berichtete von seiner derzeitigen Tätigkeit, welche im Moment hauptsächlich darin besteht, anderen Entwicklern bessere und einfachere Entwicklungssoftware zur Verfügung zu stellen. Zudem wies er darauf hin, dass ein erheblicher Mangel an freiwilligen MediaWiki-Entwicklern besteht, den es zu beheben gilt.

Hauptkonferenz

Präsentationen

Kleine Gemeinschaften (Schwerpunkt: Afrika)

Die Hauptkonferenz begann für mich mit den beiden eng verknüpften Vorträgen „Babel's Tower: South Africa's Wikipedias” sowie „Africa's Wikipedias“. Im ersten Teil wurden ein paar Fakten (Größe, Aktivität, Entwicklung, etc.) zu den Wikipedias in den lokalen südafrikanischen Sprachen präsentiert. Im zweiten für mich etwas interessanteren Teil stellten sich dann einige Wikipedianer aus den verschiedenen Regionen des afrikanischen Kontinents vor und erzählten von ihrem Engagement. In der anschließenden Diskussion mit den anwesenden Zuhörern wurden dann einige wichtige Punkte angesprochen. Zum Beispiel ist ein häufiges Problem (insb. mit Übersetzungen), dass viele Artikel in den Wikipedias der afrikanischen Sprache im Wesentlichen Inhalte aus den Wikipedias der Sprachen der ehem. Kolonialisten (bspw. englisch, französisch, …) übernommen werden. Dies stellt insofern ein Problem dar, als dass hiermit zwangsläufig auch die „weiße“ Wahrnehmung der Geschichte mit importiert wird. Aus Sicht einiger Teilnehmer wäre allerdings die Wiedergabe der indigenen Geschichtsschreibung in diesen Wikipedias viel wertvoller. Aus meiner Sicht ist dies allerdings kein bloßes Problem entlang von Sprachgrenzen, denn auch Enzyklopädien „weißer“ Sprachen haben den Auftrag, einen neutralen Standpunkt einzunehmen. Dies bedarf jedoch auch in diesen Projekten einer diverseren Autorenschaft als der, wie sie derzeit vorgefunden werden kann. Ein weiteres Problem mit der starken Orientierung der Wikipedias kleiner Sprachen an den größeren besteht auch darin, dass die über die Jahre dort entwickelten Praktiken teilweise unhinterfragt übernommen werden. Einige Teilnehmer wünschten sich hier mehr Eigenständigkeit der lokalen Sprachgemeinschaften. Das Ziel solle sein als große und entwickelte Wikipedia-Gemeinschaft den kleineren Wikipedia-Gemeinschaften zwar eine helfende Hand zur Verfügung zu stellen, allerdings nicht die Inhalte vorzugeben. Ein weiterer Punkt mit dem eine Teilnehmerin versuchte zu erklären, warum es so schwer ist, Mitarbeiter aus Afrika für die Wikipedia zu gewinnen, ist die Tatsache, dass die Wikipedia-Mitarbeit keine finanziellen Anreize setzt. Für Personen, die über sehr wenig Geld verfügen, sei es nahezu unmöglich, unentgeldlich ihre Zeit den Wikimedia-Projekten zu widmen. Zudem würden limitierte Internet-Abbos eher dazu verwendet, um mit Freunden und Familie in Kontakt zu bleiben. Thematisch ähnlich zu diesen Vorträgen waren die ebenfalls von mir besuchten Präsentationen „How majorities can support minority languages“ (Amquis Teil) und „How to kick-start communities or How to boldly go where no editor has gone before“ von Gereon K.. Beide nahmen hierbei die Position von Außenstehenden ein, die ihre Erfahrungen mit der Unterstützung kleinerer Gemeinschaften teilten, Amqui mit Fokus auf indigene Völker Kanadas und Gereon K. mit Fokus auf Afrika, insb. Ruanda. Hierbei kamen auch beide zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Amqui bspw. berichtete, individuelles Training anzubieten und dabei zu helfen Kontakte zu lokalen Autoritäten zu knüpfen sei sehr hilfreich, dennoch solle man die Eigenständigkeit kleiner Sprachgemeinschaften nicht antasten und diese eigene Lösungen für sich entwickeln lassen. Respektvoller Umgang sei wichtig. Gereon K. betonte den hohen Aufwand eines lokalen „Edit-a-thons“ im Vergleich zum Ertrag (nur 3-4 von hunderten Teilnehmern können langfristig an das Projekt gebunden werden). Dies liege vor allem an lokalen Umständen. Bezüglich des Umgangs mit den Gemeinschaften kam er zum Schluss, eine „helfende Hand“ in Form von Lösungsvorschlägen und sonstigen Hilfsangeboten anzubieten sei richtig, diese „helfende Hand“ dürfe aber nicht nach bspw. einem „Edit-a-thon“ wieder zurückgezogen werden, sonst verlöre man die gerade erst gewonnenen Interessenten wieder an ihr Alltagsleben fernab der Wikiwelt.

EU-Kopierrecht

Eine weitere Präsentation die ich besuchte war dann Dimi zs und Anna Mazgals Vortrag „EU Copyright Reform: Google vs. the content industry. Is Wikimedia stuck in the middle?“. Hierbei wurden die kürzlichen Ereignisse rund um die vorgeschlagene EU-Urheberrechtslinie zusammengefasst. Zudem wurde auf die Problematik eingangen, dass sog. „Big-Tech“-Unternehmen wie Google Wikimedia unterstützen und somit bei einigen EU-Verantwortlichen der fälschliche Eindruck entsteht, Wikimedias Einspruch in der Debatte sei von ebendiesen Unternehmen zu verantworten. Daher sei es in besonderem Maße wichtig als Wikimedia-Gemeinschaft darauf hinzuweisen und sichtbar zu machen, dass hinter „Wikimedia“ echte Menschen stehen, die sich in ihrer Freizeit für freies Wissen einsetzen und eben nicht bloß Großunternehmen.

Unsichtbarkeiten

Zu den von mir besuchten Vorträgen gehörte auch IjonsWhat can we learn from the Feminist movement for knowledge equity?“. Nach einer kurzen Einführung in den Feminismus sowie der Problemschilderung (einschließlich des Nichterkennens eines Problems) zog Ijon Parallelen von der Unsichtbarkeit von Frauen (aufgezeigt anhand der Nachfrage nach bekannten weibllichen klassischen Komponisten) zu Unsichtbarkeiten in anderen Themengebieten. Beispielsweise verdecke die europäische Sicht auf Columbus' „Entdeckung Amerikas“ die Perspektive der indigenen Völker. Ähnliche Probleme träten bei der Verwendung des Begriffes „Amerika“ stellvertretend für die Vereinigten Staaten von Amerika auf. Schwerwiegend werde dies insbesondere, wenn die „unsichtbaren“ Gruppen auch in den zeitgenössischen Quellen unsichtbar blieben: Keine Dokumente – keine Geschichte. Unterstützung für Minderheiten sei daher sehr wichtig, denn oft entstünde die Neigung der Darstellung zugunsten der zahlenmäßig Überlegenen durch schweigende Mehrheiten.

Wikimedia-Forschung

Auch zu den Wikimedia-Projekten wird geforscht. Den monatlichen Versuch hierüber einen Überblick zu verschaffen unternimmt das Team vom Forschungsnewsletter. Traditionell wird bei jeder Wikimania seit 2009 ein kleiner Überblick über die Forschungsergebnisse des letzten Jahres gegeben, so geschehen im Vortrag „State of Wikimedia Research 2017-2018“. In Erinnerung geblieben ist mir besonders die Studie über den erfolgsversprechendsten Diskussionsstil bei Diskussionen in der Wikipedia. Herausgekommen ist, dass ein Mitarbeiter, der detailliert über Inhalte spricht, Beispiele anführt, Quellen zitiert und Formulierungsvorschläge einbringt, tendenziell eher auf der Gewinnerseite einer Diskussion steht. Ein Mitarbeiter, der eher über Regeln spricht, versucht eine Diskussion zu moderieren oder sich mit Formatierungsangelegenheiten beschäftigt, erhöht seine Chancen, einen gegenteiligen Effekt zu erzielen. Der Vortrag wurde durch eine recht ineressante Zusammenstellung auf Folien begleitet, welche Online zur Verfügung gestellt wurden. Bei Interesse lohnt sich ein Blick in diese.

Sonstige Begegnungen

Auch während der Hauptkonferenz machte ich ein paar neue Bekanntschaften. Darunter Kiwix-Mitarbeiter Stephane, der persischsprachige Wikipedia-Administrator Arash.pt oder auch Safi-iren, welche sich für die Wikipedia im politisch umstrittenen Bergkarabach einsetzt. Zudem kam es zu Gesprächen mit lokalen Konferenzteilnehmern, welche mir über den positiven Einfluss der diesjährigen Wikimania auf ihren Willen etwas zur Wikipedia beizutragen berichteten. Insbesondere das Konferenzmotto „Ubuntu“ und der Einschluss afrikanischer Sprachen während der Eröffnungs- und Abschlusszeremonien wurden hierbei sehr positiv aufgenommen. Während der sehr gesprächsanregenden abendlichen Strategiepartys kam ich auch mit den baltischen Benutzern Papuass und Misosoof ins Gespräch, welche sich beide darüber beklagten, dass die litauischsprachige Wikipediagemeinschaft bisher an Offline-Aktivitäten nicht partizipiert. Papuass regte hierbei die Gründung einer Wikimedia-Benutzergruppe für Litauen an. Zu guter Letzt bleibt mir noch meine Begegnung mit OrbiliusMagister in Erinnerung, ein klassischer Philologe aus Italien, welcher Schülern Wikisource näher bringt. Wie er mir berichtete, stellte er bei seinen Schülern ein großes Interesse fest, insbesondere an der Transformation der Wissenskonservation, von Erinnerungen über Bücher bis hin zum Internet.