Benutzer:Werner, Deutschland/stattz

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Die Nürtinger STATTzeitung ist eine aktive Online-Stattzeitung für Nürtingen. Von 1980 bis 1993 wurde sie als Printausgabe monatlich herausgegeben und verkauft. Seit 2004 besteht sie online. Im Gründungsstatut steht: "Die Nürtinger STATTzeitung versteht sich als oppositionelles Blatt gegenüber der herrschenden Politik und Meinung". Schon im Namenszug Nürtinger STATTzeitung ist diese oppositionelle Haltung von Gegenöffentlichkeit angedeutet, wie auch der Bezug auf Nürtingen. Die Nürtinger STATTzeitung präsentiert als Mitmachzeitung lokale Politik, Kultur und soziale Erscheinungsformen. Sie ist eine Plattform für andere Vereine und Gruppierungen in Nürtingen. Wie ähnliche Stadtmagazine legt sie großen Wert auf eine Veranstaltungsübersicht für Nürtingen. 2006 ist der Nürtinger STATTzeitung der "alternative Medienpreis" verliehen worden.

Geschichte

Anfänge

Die Nürtinger STATTzeitung ist ein Verein, der seit 1980 besteht. Bis 1993 wurde die STATTzeitung gedruckt und auf dem Wochenmarkt und in Kneipen verkauft. Die Nürtinger STATTzeitung ging aus dem vom Jugendhaus Nürtingen herausgegebenen "Nürtinger Blättle", hervor. Das "Nürtinger Blättle" existierte seit September 1979 und verstand sich als "Sprachrohr der Nürtinger Alternativ-Kulturscene" (NAKS). In der letzten Ausgabe des "Nürtinger Blättle" stand ein Aufruf zu einem neuen alternativen Publikationsprojekt. "Es gibt zahlreiche Gruppen und Personen, die an Problemen und Lösungsmöglichkeiten arbeiten. Die einen blicken hoffnungsvoll auf Nicaragua, und stellen fest, daß sich dort einiges zum Guten tut (tat?). Nur bei uns bleibt alles beim Alten, vieles beim Schlechten. Frauen werden unterdrückt, Kinder mißhandelt, Atomkraftwerke gebaut, alte Menschen durch Umsiedlung entwurzelt, der Staat vor dem Bürger beschützt, Unangepaßte psychiatrisiert, Bücher verboten, Arbeiter an Fließbändern geschändet, usw. Wir meinen wir sollten gemeinsam nach Neuem Ausschau halten und uns bemühen, mehr zu werden. Um wirksam zu werden, müssen wir Formen der Zusammenarbeit finden. Deshalb schlagen wir vor, ein Zeitungsprojekt in Angriff zu nehmen, das folgendem Zweck dient: - Forum der Diskussion in verschiedene Richtung arbeitender Gruppen, - Organ zur Klärung linker Positionen, mit dem Ziel eine gemeinsame Perspektive zu entwickeln schließlich - Sammlung und Organisieren der verschiedenen kritischen Kräfte zur weiteren Verbreitung kritischer Positionen und zum Aufbau von Aktionseinheiten auf kommunaler Ebene, um den Erkenntnissen und Fähigkeiten einzelner zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen." Daraufhinkamen am 16. April 1980 fünfzehn Interessierte zusammen, überwiegend im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. In dem entworfenene Statut fasste diese Startgruppe ihre Absicht zusammen: "Die ‚Nürtinger Stattzeitung' versteht sich als oppositionelles Blatt gegenüber der herrschenden Politik und Meinung".[1]

Anfangs war die Nürtinger STATTzeitung nur Zaungast im Gemeinderat. Schließlich wurde der Sitz an den Pressetischen erwirkt. Auch forderte die Redaktion ein, Presseeinladungen und -unterlagen für die Gemeinderatssitzungen zugeschickt zu bekommen.

Redaktionsarbeit in der Printära

Jeden Monat erstellten die Ehrenamtlichen eine Zeitung mit durchschnittlich 32 Seiten. Für manche der bis zu 20 Redaktionsmitglieder war diese zeitraubende Arbeit in bestimmten Lebenssituationen (Arbeitslosigkeit, lockere Studienphase) die Hauptbeschäftigung! Die Zeitung wurde im DIN A 3-Format gestaltet und von der Druckerei dann auf DIN A 4 verkleinert. Der erste Layouttisch war eine Obstkiste mit einer Glasplatte und einem darunter angebrachten Licht. Später arbeitete die Redaktion an zwei selbst gebauten Lichttischen, an denen jeweils zwei Seiten layoutet werden konnten, sowie in einer Dunkelkammer. Die gedruckten Seiten mussten zusammengelegt, gefaltet und geheftet werden. Die Auflage der ersten Ausgabe betrug 801 Exemplare. Ab Juli/August 1982 senkte die Redaktion die Auflage auf 550 Exemplare. An Schulen, bei Veranstaltungen und auf dem Wochenmarkt in der Fußgängerzone wurde die Nürtinger STATTzeitung für anfangs 1 DM verkauft.[2]

Die Redaktion berichtete nicht nur, sondern verstand sich als "Teil der Bewegung". So warem "einige STATTzeitungsmacher waren auch an Aktionen wie der Hausbesetzung in der Plochinger Straße 5 b beteiligt. Die STATTzeitung hat auch die Anti-NPD-Demo 1981, die große Friedensdemo 1981 mit der Rednerin Karola Bloch und die Demo gegen Apartheid in Südafrika in Nürtingen mitorganisiert. In den Unterkünften für "finanziell Schwache" in der Grötzinger Straße hat die STATTzeitung skandalöse Verhältnisse aufgedeckt und nicht nur darüber geschrieben, sondern das Thema auch in Gemeinderats-Sitzungen vorgebracht. Die STATTzeitung war auch „ein Stück weit Spaßguerilla“".[3] Durch Aktionen hatte sie erheblichen Anteil an der Meinungsbildung in Nürtingten, die schließlich zur Ablehnung des Atom-Bunkerbaus per Bürgerentscheid vom 16. März 1986 führte.[4]

Basisdemokratische Redaktionssitzungen

In der STATTzeitungsredaktion ging es bereits in der Printära basisdemokratisch zu. Die presserechtliche Verantwortlichkeit rollierte. In der Onlineäre werden die Entscheidungen ebenfalls basisdemokraisch herbeigeführt. Es besteht jedoch ein Verantwortlicher im Sinne des Presserechts.

Bewusst alternative Berichterstattung

Im Dezember 1988 resümiert die Nürtinger STATTzeitung, sie habe berichtet: „über den Kampf britischer Bergarbeiter gegen drohende Arbeitslosigkeit in Nürtingens Partnerstadt Pontyprid“ statt „über Händeschüttelorgien auf Bürgermeisterämtern, über Möglichkeiten alternativer Friedenspolitik“ statt „über Bunkerbaueuphorie, über Nürtingens Stadtrat Dr. Staffa als einen der führenden Köpfe der Szene der neuen Rechten“ statt „über das scheinbar ehrenwerte Gemeinderatsmitglied als verdienstvollen Demokrat und Träger des Bundesverdienstkreuzes, über die Bemühungen, ausgetrampelte Pfade Nürtinger Kulturpolitik zu verlassen“ statt „über den etablierten Stadthallenbetrieb, über Ansätze alternativer Verkehrspolitik“ statt „dem Individualverkehr das Wort zu reden, über die Probleme von Asylbewerbern im Land und über unsinnige gesetzliche Bestimmungen“ statt „über Wirtschaftsflüchtlinge, über Thaddäus Kunzmanns haarsträubende Ansichten zur nationalsozialistischen Vergangenheit Deutschlands und zum Völkermord an Millionen jüdischer Menschen“ statt „über die müden Initiativen zu ‚Kinderspielplätzen oder Müllkontainern‘ des Kreisvorsitzenden der Jungen Union.[5] Die Nürtinger STATTzeitung deckte die Funktion des Gemeinderatsmitglieds Walter Staffa als rechtsextremer Netzwerker bereits in der Printära auf. Auch in der Onlineära nahm die Nürtinger STATTzeitung hierzu Stellung[6], [7] wie auch Peter Härtling[8] Weitere Themen der STATTzeitung waren 1981 der NPD-Landesparteitag in der Nürtinger Stadthalle und die Nürtinger "Friedensdemo". Weitere große Themen in der 1980er-Jahren waren der Rathaus-Neubau ("Palazzo Prozzo"), die geplante Deponie von Neckarschlamm am Hörnle, die Forderung eines Beratungsangebotes von ProFamilia in Nürtingen, die Volkszählung 1987 sowie rechtsradikale Vorgänge.[9]

Von der lokalen Tageszeitung "Nürtinger Zeitung" fühlte sich die STATTzeitung in den 80er-Jahren als "unbotmäßige Konkurrenz" betrachtet. Selbst verstand sie sich "als Korrektiv zur (Hof-)Berichterstattung und oft tendenziösen Leserbriefredaktion der Nürtinger Zeitung. Der damalige Chefredakteur Günter Schmitt (itt) war bekannt dafür Leserbriefe zu kürzen, die Überschriften zu verändern oder sie gar nicht zu veröffentlichen, wenn sie ihm nicht passten. Solche Leserbriefe wurden dann gerne von der STATTzeitung abgedruckt. Ab und zu erschienen in der STATTzeitung so genannte „Schmitt’ser“ aus der Nürtinger Zeitung. Als Dr. Rolf Kosiek 1980 wegen rechtsradikaler Aktivitäten aus dem Staatsdienst entlassen worden war, kritisierte ein Beitrag in der STATTzeitung, dass der Chefredakteur der Nürtinger Zeitung in seinem Artikel "keinen Zweifel aufkommen" ließ, "wem sein Mitgefühl und seine Sympathie gehören" und ein anderer Redakteur gefordert hatte: "Der Radikalenerlaß muss weg!". Die STATTzeitung warf die Frage auf, ob bei dem Berufsverbot eines kommunistischen Lehrers durch den Radikalenerlass mit ebensolchem "human touch" und "ebenso vehementen Worten gegen die Berufsverbotpraxis" berichtet würde. Später folgte auch die STATTzeitung eher dem journalistischen Grundsatz: Schimpf nie über andere Zeitungen, sondern mach es besser!"[10] Wie Dr. Walter Staffa früher ist Dr. Rolf Kosiek ein rechtsextremer Netzwerker in Nürtingen. 2005 resümierte die Nürtinger STATTzeitung zu ihrem veränderten Verhältnis zu Stadtvertretern und Nürtinger Zeitung: "Einige Feindbilder von früher haben sich aber entschärft. Die Stadtvertreter sind bürgernäher geworden und haben an Arroganz eingebüßt, und auch die Nürtinger Zeitung hat sich von der Hofberichtserstattung etwas fortbewegt."[11] 2016 stellte die Nürtinger STATTzeitung in der Fotoausstellung STATTbilder Fotos aus zehn Jahren Online-Fotogalerie im Nürtinger Rathaus aus, zur Vernissage begrüßte Bürgermeisterin Claudia Grau.

Onlineära ab 2004

2004 beschlossen einige wenige Redakteurinnen und Redakteure, die Nürtinger STATTzeitung online wiederzubeleben. Dies geschah am 15. Kuli 2004, als die Nürtinger STATTzeitung online ging.

Überregionale Bedeutung

Die Printausgabe der Nürtinger STATTzeitung ist in der Zeitschriftendatenbank (ZDB) der Staatsbibliothek Berlin und der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet. Ein Satz ihrer Ausgaben findet sich in der Friedrich-Ebert-Stiftung und ein Teil des Bestandes in der Württembergischen Landesbibliothek sowie im Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit, Berlin. 2006 wurde der Nürtinger STATTzeitung von der Nürnberger Medienakademie (Stiftung Journalistenakademie) der "Alternative Medienpreis" in der Sparte Internet verliehen. In einem Seydlitz-Geographie-Buch des Schroedel-Verlags wird die Auseinandersetzung um die Ansiedlung der Firma Hugo Boss in Nürtingen und Metzingen unter anderem anhand eines Textes nach einem Beitrag in der Nürtinger STATTzeitung über die Gemeinderatssitzung am 6. Mai 2008 als Beispiel für Flächennutzungskonflikte in der Region Stuttgart dargestellt.

Literatur

  • Marion Tichy, Manuel Werner: Die Nürtinger STATTzeitung, in: Gabriele Hoofacker: Bürgermedien, Neue Medien, Medienalternativen, 10 Jahre Alternativer Medienpreis, München 2009

Weblinks

Einzelnachweise

Kategorie:Stadtmagazin Kategorie:Politische Zeitschrift (Deutschland) Kategorie:Anarchistische Zeitschrift Kategorie:Antiquarische Zeitschrift (Berlin) Kategorie:Ersterscheinung 1980