Benutzer:Wilhans/Lahmann

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In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs in Deutschland bei den Stadtbewohnern durch die wachsende Industrialisierung und bauliche Verdichtung der Innenstädte das Interesse an den mit Naturschönheiten reich gesegneten Randgebieten. Für die Dresdner war dies der nahe der Dresdner Heide gelegene Ort „Weißer Hirsch”, aus bescheidenen Siedlerhäuschen und einem Gutshof bestehend. Ab 1865 entstanden hier etwa zwanzig Sommerfrischen mit sonnigen Loggien und Balkonen.

Im Jahre 1867 errichtete der Loschwitzer Bauunternehmer C. A. Theodor Lehnert an der Dresdner Heide zwischen Bautzner Chaussee und Stechgrund das Fridabad, benannt nach seiner Tochter. Von dieser Stelle aus eröffnete sich damals ein wunderbarer Panoramablick auf die Stadt und umkränzende Höhenzüge. Das Bad bestand aus zwei zweigeschossigen Gästevillen mit kleinem Restaurant und einer sie verbindenden Wandelhalle mit dahinter liegendem Lichthof. Zusätzlich zu diesen Investitionen ließ er noch eine eigene Wasserleitung aus Heidequellen errichten. Für die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens war das jedoch zu viel - das Bad ging 1883 Konkurs.

1887 verbrachte der junge Arzt Heinrich Lahmann seinen Urlaub in Dresden. Seine Wanderungen ins Dresdner Umland führten ihn auch auf den Weißen Hirsch. Lahman hatte als leitender Chefarzt in einer Heilanstalt in Chemnitz gearbeitet, der Inhaber und Gründer ein Anhänger und Verfechter der Naturheilkunde war. Der ehren- und verantwortungsvolle Posten eines Chefarzt hatte sein Selbstvertrauen gestärkt und in ihm den Wunsch geweckt, selbst gründer und Bestzer eines Gesundheitsinstituts zu werden. Der weiße Hirsch und das "Fridabad" hatten alle Vorrausstzungen seine Idee in die Tat umzusetzen.

Folgende kleine Anekdote erzählt, wie es weiterging: Der Verwalter des in Konkurs geratenen Fridabades Sanitätsrat Seifert erzählte eines Mittags zu Hause, es sei ein junger Mann zu ihm gekommen mit dem Anliegen, das Bad käuflich zu erwerben. Er hätte ihm aber klar gemacht, dass es nicht zum Verkaufe angeboten sei. Der Fremde ließ jedoch nicht ab und kam noch zweimal wieder, immer mit demselben Anliegen. „Der verrückte Doktor ist heute Vormittag schon wieder bei mir gewesen”, brummte der alte Herr danach beim Mittagessen, „das wird mir aber jetzt doch zu dumm.” Seine Frau aber meinte: „Weißt du was, gib es ihm, du kommst ja doch auf keinen grünen Zweig damit. Kann der junge Arzt was draus machen - na gut -, wenn nicht, dann gibt er es dir wieder zurück. Verkaufe es aber nicht, verpachte es nur.”

Auf diese Weise erhielt Heinrich Lahmann im Jahre 1887 das Gelände des Fridabades zur Pacht. Im selben Jahr zog er nach dresden und eröffnete am 01.01.1888 "Dr. Lahmanns physiatrisches Sanatorium". Aus dem Jahr 1891 ist ein Jahresbericht überliefert, der die medizinische Konzeption Lahmanns erkennen lässt: Naturheilverfahren, Diätkost und Konstitutionsforschung werden auf jeden Patienten individuell angewendet. Sein Grundsatz war : „Treu der Natur widerfährt dem Menschen nichts Übles!” Es gab im Sanatorium eine „Doktorlaube”, in der sich in gemütlicher Runde dienstfreie Ärzte und Patienten begegneten und miteinander plauderten – laut Hausordnung jedoch nicht über Krankheiten.

Lahmann erkannte als einer der ersten europäischen Kurärzte die Bedeutung des gesellschaftlichen Lebens auf den Genesungsverlauf. Viele seiner Patienten wohnten nicht in einer „Kuranstalt”, sondern in einer nahegelegenen Villa. Frühmorgens ging man zu dieser oder jener Kurbehandlung, bekam mittags von adretten Mädchen nach individueller Diät angerichtetes Essen ins anheimelnde Appartement oder dinierte in den großen Speisesälen. So fanden im Sommer die beliebten Konzerte im Waldpark statt, dienstags wurden musikalische Abende mit fröhlichem Tanz veranstaltet. Man dinierte und flanierte, spielte Billard, kegelte und besuchte abends die Dresdner Hofoper.

Die vielen Annehmlichkeiten zog in den 53 Jahren des Sanatoriums auch sehr viele Prominente in das Sanatorium. Zu ihnen gehörten Angehörige des Hochadels, Prominenz aus Politik und Wirtschaft und viele Künstler der damaligen Zeit.

Besonders aufschlussreich sind die Kurgastzahlen in ausgewählten Zeiträumen:

Jahr 1887/88 1888 1889 1890 1905 1906 1908 1910 1913 Gäste 20 385 505 605 3976 4294 5326 6756 7416

So wie die Anzahl der Kurgäste und damit die Einnahmen wuchsen, wurden auch die baulichen Anlagen sukzessive erweitert. In gesunder Mischung aus Kauf, Erweiterung, Anmietung und Neubau von Immobilien wurde Stück für Stück investiert bzw. verkauft, als die Kurgastzahlen in Kriegszeiten und Inflation fielen. Diese Flexibilität erwies sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten als besonders günstig.

Interessant zu erwähnen ist die Vermarktungsstrategie des Sanatoriums. Heinrich Lahmann hatte bereits während seiner Studienzeit begonnen, einige Gebrauchsgegenstände zu entwickeln, die speziell für Privathaushalte zugeschnitten waren. Viele Kurgäste nahmen sich diese mit nach Hause oder liessen sie sich mit der Post schicken. Alle diese Artikel hatten natürlich die Kaufleute des Weißen Hirsch anzubieten. Es gab spezielle Lahmann-Kleidung , bequem und luftig geschnitten, ebenso Lahmanns Gesundheitsstiefel, Lahmannliegestühle und Lebensmittel mit Lahmanns Nährsalzpräparaten.Berühmt war auch die Lahmannsche vegetabilische Milch. Die Werbestrategie für diese Artikel und das Sanatorium war gut durchdacht und auch notwendig, da Lahmann`s medizinische Konzeption - besonders die Luftkuren und Untersuchungen des Blutes - unter Ärztekollegen sehr umstritten war.

Um den grösstmöglichen Handlungsspielraum zu haben und gleichzeitig den hohen Standard des Sanatoriums zu wahren, legte Heinrich Lahmann seit Gründung des Sanatoriums grossen Wert darauf, sein Unternehmen fachlich und wirtschaftlich unabhängig zu führen. Für die medizinische Diagnose und Behandlung standen eigene, gut ausgestattete Räumlichkeiten zur Verfügung, z.B. die hydrotherapeutische Abteilung (Herren- und Damenbad) Behandlungsräume für die Elektrotherapie, Herren- und Damenturnhalle zur körperlichen Ertüchtigung, Gebäude für Herren- und Damenmassage ein eigenes Labor und Röntgenstation. Für die medizinischen Behandlungen stand ausgezeichnet qualifiziertes medizinisches Personal zur Verfügung. Der technische Betrieb des Sanatoriums wurde durch eigenes Personal und Abteilungen bewältigt. Es gab eine eigene Wasserleitung, ein Kesselhaus (später Fernheizwerk), eine Telefonzentrale, eine Druckerei, eine Wäscherei, eine Küche, eine hauseigne Feuerwehr, einen Fuhrpark, Garagen. Für die Unterbringung des Personals wurde das Landhaus an der Plattleite gekauft. Vor allem Gut Friedrichsthal, aber auch Grosshändler aus Dresden belieferten das Sanatorium mit Lebensmitteln. 1910 waren 325 Angestellte im Sanatorium und auf Gut Friedrichsthal beschäftigt. Lahmann wusste, dass mit der Führung seines Personals die Qualität seines Kurbetriebes stand und fiel. Ehemalige Mitarbeiter des Sanatoriums schwärmten von den damaligen Arbeitsbedingungen. Viele hatten freie Wohnung und Verpflegung. Besonders beliebt waren die hauseigenen Weihnachtsfeiern des Sanatoriums gemeinsam mit dem Personal und Kurgästen. die erben Heinrich Lahmanns regten später die einrichtung einer Pensionskasse für die angestellten und ihre Angehörigen an.


Die Gedankenwelt des Gründers und seine Person hatten sich in seinem Unternehmen untrennbar miteinander verbunden. Der Name Lahmanns war zum Qualitätssiegel geworden. Andere Sanatoriumsbetriebe arbeiteten ähnlich erfolgreich, boten den Gästen mehr Annehmlichkeiten boten, konnten aber an seinen wirtschaftlichen und medizinischen Erfolg nicht anknüpfen. Lahmann selbst konnte die größten Erfolge eines Unternehmens nicht mehr erleben. Er verstarb schon in seinem 45. Lebensjahr am 1. Juni 1905 an Influenza durch Überanstrengung des Organismus in seinem Gut Friedrichsthal bei Radeberg.

Nach der Eingemeindung des Weißen Hirsches nach Dresden im Jahr 1921 wurde das Lahmann-Sanatorium gemeinsam mit den benachbarten Sanatorien Dr. Möller, Dr. Weidner, Dr. Teuscher und Dr. Steinkühler zu einem städtisch verwalteten Kurbezirk zusammengefasst. In den beiden Weltkriegen schließlich wurde es Kriegslazarett und 1946 erfolgte die Auflösung des Kurbetriebs und die Besetzung durch die sowjetische Armee.