Benutzer:Yellowazure/Bestandsgefährdende Entwicklung

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Definition und begriffliche Abgrenzung

Von einer „bestandsgefährdenden Entwicklung“ kann im Kontext des Risikomanagements gesprochen werden, wenn eine Überschuldung vorliegt oder Illiquidität wegen Verletzung von Kreditvereinbarungen oder Unterschreitung der Mindestanforderungen an das Rating droht.[1][2]

Eine „bestandsgefährdende Entwicklung“ ist meist das Resultat der Kombinationseffekte mehrerer Einzelrisiken, die wiederum Auswirkungen auf zukünftige Ratings und Covenants haben können.[1][2] Kernaufgabe des Risikomanagementsystems ist die frühe Erkennung der Bestandsgefährdung.[2]

Bestandsgefährdende Risiken sind nicht zwangsläufig als gleichbedeutend mit „bestandsgefährdender Entwicklung“ zu betrachten. Einzelrisiken, die sich bestandsgefährdend auf ein Unternehmen auswirken sind eher selten.[1] Denn ein Gesamtrisikopotenzial kann letztlich nur durch die kombinierte Betrachtung der Einzelrisiken ermittelt werden und erst daraus Ableitungen über eine potenzielle Bestandsgefährdung getroffen werden.[3]

Früherkennung einer „bestandsgefährdenden Entwicklung“

→ Hauptseite: Risikofrüherkennungssystem

Nur durch Früherkennung ist es möglich rechtzeitig geeignete Maßnahmen zu ergreifen um eine Bestandsbedrohung abzuwenden. Die Krisenfrüherkennung setzt Risikofrüherkennung voraus, da Krisen sich als Resultat eingetretener Risiken ergeben.[2]

Rechtliche Grundlagen

Es gibt die gesetzliche Pflicht zur Implementierung von Krisen- und Risikofrüherkennungssystemen in Unternehmen.

  • Das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) fordert in § 91 Abs. 2 AktG: „Der Vorstand hat geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden.“
  • Im DIIR Revisionsstandard Nr. 2 wird die Risikoaggregation als Grundlage für die Beurteilung der Risikolage und damit der Bestandsgefährdung des Unternehmens verstanden.
  • Nach IDW PS 340 müssen bestandsgefährdende Entwicklungen rechtzeitig erkannt werden damit geeignete Maßnahmen zur Abwendung der Bestandsbedrohung ergriffen werden können.
  • Mit dem am 01.01.2021 in Kraft getretenen Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) gibt es ein neues wesentliches Gesetz für das Risikomanagement und Krisenfrüherkennung. Unternehmen werden mit §1 StaRUG verpflichtet ein Krisenfrüherkennungssystem zur Identifikation "bestandsgefährdender Entwicklungen" zu implementieren. Dies setzt unweigerlich die Durchführung von Risikoanalyse und Risikoaggregation voraus.

StaRUG erweitert die gesetzlichen Anforderungen des KonTraG, indem es Geschäftsleiter dazu verpflichtet geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen, wenn existenzgefährdende Entwicklungen erkennbar werden.

Methodik

Die Charakteristik des Früherkennungssystems ist nach DIIR RS Nr.2, IDW Prüfungsstandard 340 definiert. Das Vorgehen lautet wie folgt:

  1. systematische Risikoidentifikation: Die Früherkennung bestandsgefährdender Entwicklungen macht die Identifikation von Einzelrisiken erforderlich. Einzelrisiken, die potentiell alleine zu einer Bestandsgefährdung führen können bezeichnet man hierbei als „Extremrisiken“, die meist eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit von weniger als 1% aufweisen.[2]
  2. Risikoquantifizierung
  3. Risikoaggregation: Da eine „bestandsgefährdende Entwicklung“ meist das Resultat der Kombinationseffekte mehrerer Einzelrisiken ist, weil "Extremrisiken" nur sehr selten vorliegen, ist aufgrund der Nichtaddierbarkeit von Risiken eine Risikoaggregation durch eine Monte-Carlo-Simulation unabdingbar.[1]

Grad der Bestandsgefährdung

Die Insolvenzwahrscheinlichkeit, abbildbar über Ratingnoten, gilt als Spitzenkennzahl im Risikomanagement und spiegelt den Grad der Bestandsgefährdung, also die Bedrohungslage eines Unternehmens wider. [4] 

Übersteigt der Grad der Bestandsgefährdung einen akzeptierten Schwellenwert, sind Gegenmaßnahmen zu initiieren.[2]

Umsetzung in der Praxis

Eine Studie zur Umsetzung gesetzlicher Anforderungen an das Risikomanagement in DAX- und MDAX-Unternehmen kommt zu dem Ergebnis, dass nicht alle Unternehmen den Begriff „bestandsgefährdende Entwicklung“ klar definieren und damit unklar ist inwieweit diese betrachtet und untersucht werden. Außerdem kann eine „bestandsgefährdende Entwicklung“ - entgegen der Annahme einiger Unternehmen - niemals gänzlich ausgeschlossen werden. Die Eintrittswahrscheinlichkeit der Bestandsbedrohung kann lediglich als sehr niedrig eingeschätzt werden. [5]

Der Einsatz von stochastischen Methodiken für die Risikoaggregation zur Identifikation von „bestandsgefährdende Entwicklungen“ aus Kombinationseffekten von Einzelrisiken liegt bei befragten Unternehmen eigenen Angaben nach trotz gesetzlicher Verpflichtung (gem. § 91 Abs. 2 AktG) bei lediglich 30,2 %. [6]

Einzelnachweise

  1. a b c d Gleißner, W.: Was ist eine ‚bestandsgefährdende Entwicklung‘ i.S. des § 91 Abs. 2 AktG (KonTraG)? Hrsg.: Der Betrieb. Heft 47/2017. Handelsblatt Fachmedien GmbH, 2017, S. 2749 – 2754.
  2. a b c d e f Gleißner, W. / Lienhard, F. / Kühne, M.: Neue gesetzliche Anforderungen an das Krisen- und Risikofrüherkennungssystem: Implikationen des StaRUG. Hrsg.: Zeitschrift für Risikomanagement. Heft 2/2021. Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, 2021, S. 32 – 40.
  3. Stulz, R.: Risk Management Failures: What are They and When do They Happen? Hrsg.: Journal of Applied Corporate Finance. Vol. 20, No. 4. Rochester, NY 1. Oktober 2008, S. 39–49.
  4. Gleißner, W.: Risikomanagement 20 Jahre nach KonTraG: Auf dem Weg zum entscheidungsorientierten Risikomanagement. Hrsg.: Der Betrieb. Heft 46/2018. Handelsblatt Fachmedien GmbH, 2018, S. 2769 – 2774.
  5. Köhlbrandt, J. / Gleißner, W. / Günther, T.: Umsetzung gesetzlicher Anforderungen an das Risikomanagement in DAX- und MDAX-Unternehmen. Eine empirische Studie zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen nach den §§ 91 und 93 AktG. Hrsg.: Corporate Finance. Heft 7-8/2020. Handelsblatt Fachmedien GmbH, 2020, S. 248 – 258.
  6. Link, M. / Scheffler, R. / Oehlmann, D.: Quo vadis Risikomanagement? Hrsg.: Controller Magazin. Nr. 01/2018, 2018, S. 72–78.