Benutzer:Yotwen/Klassifikation von Wikipedia-Autoren

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dieser Text ist nicht Teil der Wikipedia. Er drückt allein die Meinung und Bewertung des Autoren aus.

Wikipedia-Autoren kommen in allen Arten. Trotzdem kann man einige Elemente der Mitarbeiterführung auf die Autorenschaft anwenden. Hier trage ich einige Überlegungen zusammen und analysiere einmal die Autoren. Mein einziges Ziel ist das Verständnis von Verhaltensweisen und vielleicht finde ich die ein oder andere Erkenntnis, wie ich mit mehr oder weniger konstruktiven Verhaltensweisen umgehe.

Grundannahmen oder Fakten

Betrachten wir einmal das Oktoberfest. Dorthin gehen alljährlich tausende von Menschen. Die meisten haben die Absicht, sich dort zu amüsieren, wobei das Amüsement für jeden so unterschiedlich sein kann, dass es das Amüsement anderer beinträchtigt. Man könnte von einer Community der Feiernden sprechen, aber das wäre sehr unüblich. Meist spricht man von Besuchern, weil sich daraus nicht mehr ergibt, als die Anwesenheit.

So ähnlich verstehe ich auch die Wikipedia. Auch hier versammeln sich Menschen um eine Idee. Anders als beim Oktoberfest ist das nicht die Idee des gemeinschaftlichen Feierns, sondern die Idee "Das Wissen der Menschheit verfügbar zu machen" oder, wie es in den Grundprinzipien zu lesen ist:

Wikipedia ist ein gemeinschaftliches Projekt mit dem Ziel, eine Enzyklopädie von bestmöglicher Qualität zu schaffen.

Das Ziel der Wikipedia

Und wie auf dem Volksfest wird es sehr unterschiedliche Auffassungen geben, wie diese Ziele erreicht werden können, denn die Schlüsselwörter weisen einen erheblichen Interpretationsbedarf auf:

  • gemeinschaftliches
  • Projekt
  • Enzyklopädie
  • bestmöglicher Qualität
Gemeinschaftlich

Gemeinschaftlich bedeutet formal so etwas wie zusammen, miteinander. Auch hier einmal ein Bild: Ich gehe in eine Kneipe und setze mich auf den letzen noch freien Hocker an der Theke, bestelle ein Bier und sitze, wie noch acht andere, schweigend vor dem Glas, von dem ich hin und wieder nippe. Bilden wir Biertrinker in der Kneipe nun eine Gemeinschaft? Und obwohl alle acht die gleichen Methoden verwenden, diese Arbeit gleichzeitig verrichten und es sogar am gleichen Ort tun, sind sie eben keine Gemeinschaft, denn sie interagieren nicht. Ebenso interagieren die wenigsten Autoren mit allen anderen. Tatsächlich ist mir außer Aka niemand bekannt. Und bei ihm liegt es allein an der enormen Anzahl an Edits, die allerdings weitgehend auf Korrekturen beschränkt sind. Für eine Gemeinschaft sind wir zum größten Teil sehr anonym.

Projekt

Das Project Management Institute definiert Projekt als ...a temporary endeavor, undertaken to create a unique product or service (... ein zeitlich begrenztes Unternehmen, durchgeführt um ein einzigartiges Produkt oder einzigartige Dienstleistung zu erzeugen.) Diese Definition deckt sich mit den meisten Definitionen von Projekten. Es lässt sich zwar leicht feststellen, wann Wikipedia angefangen hat. Aber wann soll es fertig sein? Wenn wir keine Vorstellung von "Fertig" haben, dann haben wir es nicht mit einem Projekt zu tun. Das nennt sich Unternehmen. Und Unternehmen, die auf Ewigkeit ausgerichtet sind, nennt man Religion. Und tatsächlich ähnelt Wikipedia mehr einer Religionsgemeinschaft als einem Projekt.

Enzyklopädie

ist ein ...besonders umfangreiches Nachschlagewerk. Wie umfassend, darüber streiten sich Anwender seit Anbeginn der Löschdiskussion.

bestmögliche Qualität

"Bestmöglich" enthält mindestens zwei Begrenzungen, nämlich erstens denjenigen, der das Urteil vornimmt und zweitens, denjenigen, der den Artikel verfasst. Wenn aber nun "Jeder" mitmachen darf, dann wundert es nicht, wenn zwischen den Fähigkeiten der Autoren eine bevölkerungsüblich große Spannweite von Fähigkeiten und Kenntnissen liegt.

Wenn wir es also einmal mit einer Umformulierung versuchen, dann heisst unsere Mission wohl eher…

Wikipedia ist eine von vielen Gläubigen simultan und im gleichen Editierraum ausgeübte Religion zur Zusammenstellung von Ungewissheiten.

Methoden

Dieses Ziel sollen Autoren mithilfe der Grundprinzipien erreichen. Diese Grundprinzipien beglücken uns mit Prinzipien

  • Enzyklopädie
  • Neutralität
  • freie Inhalte
  • keine persönlichen Angriffe

Und wie schon die Ziele, sind diese interpretationsbedürftig.

Wie funktioniert Wikipedia?

Darüber, wie Wikipedia funktioniert, haben schon viele Leute geschrieben, philosophiert und gerätselt. Einen organisationstheoretischen Ansatz habe ich dabei noch nicht gesehen. Beginnen wir also mit dem Lieblingsschlagwort der modernen Managementlehre: Strategie.

Strategie der Wikipedia

Unter Strategie, so belehrt uns Wikipedia, werden in der Wirtschaft klassisch die (meist langfristig) geplanten Verhaltensweisen der Unternehmen zur Erreichung ihrer Ziele verstanden.[1] Natürlich bleibt uns Wikipedia schuldig, wer das versteht. Aber nehmen wir uns diese Definition einmal vor. Da steht, dass

  • die Verhaltensweise geplant sein müssen
  • meist langfristig angelegt sind
  • Ziele des Unternehmens erreicht werden.

So unlogisch das auch ist, ich beginne mit den Zielen. Das Ziel der Wikipedia scheint es zu sein, dass Wissen der Menschheit für jeden im Internet verfübar zu machen. Und, alswieder Wikipedia, Wissen wird in der Erkenntnistheorie traditionell als wahre und gerechtfertigte Meinung (englisch justified true belief) bestimmt. Da dieser Leitsatz ohne Termin aufgeschrieben wurde, ist Wikipedia wohl kein Projekt, Kein zeitlich begrenztes Unternehmen zur Erzeugung eines einzigartigen Produktes oder einer einzigartigen Dienstleistung., denn dieses Ziel ist alles andere als SMART, denn der letzte Terminus steht für "Timed" (zeitlich begrenzt). Nach den trockenen Definitionen ist Wikipedia ein Unternehmen, so wie eine Expedition zum Südpol oder die Besteigung des Mount Everest. Andere Ziele benennt Wikipedia nicht. Sie müssen vereinbart werden.

Von Planung kann hier auch keine Rede sein: Es kommt, wie es kommt. Welches Wissen, von wem, wann aufgeschrieben wird, das wird durch keine leitende Instanz festgelegt. Es gibt kein "Management der Wikipedia". Wenn es zu Konflikten kommt, dann werden diese ausgefochten, manchmal sogar zivilisiert. Und weil es nicht immer zivilisiert ablief, hat sich Wikipedia ein paar Benutzer gewählt, die mehr Rechte haben, als die "Fußgänger". Das setzte aber voraus, dass die Software bestimmte Vorgänge mit bestimmten Rechten verbindet, dass die Rechte für bestimmte Benutzer reduziert werden können.

Aber nicht einmal das ist in den Zielen fixiert. Und wenn es schon keine geplanten Verhaltensweisen gibt, dann sind sie umso weniger langfristig.

Diese Definition scheint also entweder falsch zu sein, oder untauglich für diesen Zweck. Hat Wikipedia also eine Strategie? Glücklicherweise hat uns ein Autor mit einem tauglicheren Ansatz einen Ausweg geliefert. Das ist der Ansatz von Henry Mintzberg, der Strategie als

ein Muster in einem Strom von Entscheidungen
engl.: a pattern in a stream of decisions

Henry Mintzberg[2]

Statt also nach irgendwelchen vorformulierten Zielen zu suchen, sagt uns dieser Strategie-Guru, sollen wir die Vergangenheit betrachten und prüfen, ob wir Muster im Verhalten des Unternehmens erkennen können. Auch hier bewegen wir uns auf dünnem Eis. "Verhalten von Wikipedia" ist eine Verdinglichung eines idellen Konstrukts. Zudem soll dieses idelle Konstrukt auch noch rationales Verhalten zeigen, also Handlungen planen und umsetzen. Wir wissen aber, dass nicht "Wikipedia sich verhält". Im Zusammenspiel von verschiedenen Autoren entstehen die Dinge, die wir als Verhalten wahrnehmen. Aber auf dieses Thema wäre noch einmal zurückzukommen sein.

Muster im Strom der Entscheidungen

Diese Frageliste gehört noch nicht zur Analyse. Sie stellt einen Überblick über die Dinge dar, die betrachtet werden müssen, um die "Muster" zu finden.

  • Welche Strukturen gibt es?
    • Softwarebasierte Strukturen.
    • Macht-Hierarchien
    • Politische Hierarchien
      • Nationalismus in der Wikipedia
      • Feminismus in der Wikipedia
      • Inklusionismus / Exklusionismus
  • Warum schreibt ein Autor einen Artikel?
  • Welche Artikel werden zur Löschung vorgeschlagen?
  • Welche Artikel werden gelöscht?
  • Wie werden Entscheidungen getroffen?
  • Welche Konflikte gibt es?
  • Wie werden Konflikte gelöst?

Interessanterweise wird die Herkunft der Muster kaum etwas zur Analyse beitragen. Einmal etabliert sind solche Muster nur noch schwer zu verändern, meist unter dem Druck äußerer Umstände.

Emotion vs. Verstand

Als erstes unterscheiden wir einmal das intellektuelle Verständnis und das emotionale Commitment nach einem Schema, dass de Chernantony et al 1999 zur Beurteilung des Einflusses von Personal auf die Performance und Leistung eines Unternehmens vorschlagen.[3] Nicht jeder versteht, worum es bei einer Enzyklopädie geht. Das betrifft zum einen differenzierendes Verständnis von Daten vs. Wissen, zum anderen betrifft es das Verständnis der Themen, die in eine Enzyklopädie gehören, im Wikipedia-Jargon auch als die Relevanzfrage bekannt. Damit verbunden kommt das Verständnis über die notwendigen formalen Kriterien, die erfüllt sein müssen, bevor ein Artikel die möglicherweise vorhandene Relevanz auch darstellt.

Die zweite betrachtete Dimension betrifft das emotionale Commitment, also die emotional empfundene Selbstverpflichtung zu den Zielen der Wikipedia (Das Wissen der Menschheit darstellen). Hier findet sich der Grund, warum ein Artikel einen neutralen Standpunkt darstellen muss, Gerechtigkeit und Fairness.

Emotionalität und Verstand Emotionales Commitment:
Niedrig Hoch
Intellektuelles Verständnis Hoch Bystanders
Langweilige Autoren
Gute Administratoren
Champions
Gute Autoren
überlastete Administratoren
Niedrig Weak Links
Keine Autoren oder SPA's
keine Administratoren
Loose Cannons
Trollartige Autoren
Trollartige Administratoren

Das nebenstehende zweidimensionale Modell analysiert Anwenderverhalten in vier einfachen Kategorien, die aus der Differenzierung niedriges/hohes intellektuelles Verständnis und hohes/niedriges emotionales Commitment entsteht.

Diese Analyse wird zur Beurteilung des strategischen Verständnisses von Mitarbeitern oder Kunden durchgeführt. Insbesondere in der Mitarbeiterbewertung führt eine Bewertung als "Weak Link" schnell zu einer Kündigung. In der Wikipedia verbleiben solche Personen selten länger. Trotzdem tauchen regelmäßig Personen aus dieser Gruppe auf, im Normalfall, weil sie abweichende Ziele verfolgen und Wikipedia als Mittel zum Zweck betrachten.

Problematischer sind „Loose Cannons“. Das sind Personen, die ihr Verständnis von Wissen abgebildet sehen wollen und keinerlei Kompromiss zulassen. Häufig sind sie daran zu erkennen, dass ihnen die Regeln dann egal sind, wenn sie auf das eigene Verhalten angewandt werden soll, aber extrem wichtig, wenn es um das Regulieren des Verhaltens anderer geht. Sie verfolgen extrem kleinteilige Darstellungen von Rand- und Nischenthemen und berufen sich auf höhere Gerechtigkeiten: Gott, den internationalen Radverband, die Unfairness der Geschichte , die Herrschaft des Kapitals und die Größe Deutschlands, Österreichs oder der Schweiz. Sie sind die häufigsten Edit-Warriors, Themen-Fanatiker und andere Trollartige.

Bystanders sind Menschen, die emotional weitgehend unbeteiligt bleiben, aber den intellektuellen Teil hervorragend verstehen. Sofern sie sich überhaupt an Wikipedia beteiligen, sind sie zwar langweilig, aber gewissenhaft und genau. Sie sind hervorragend als Administratoren geeignet, da sie aufgrund mangelnder innerer Beteiligung an den Diskussionen nicht klebenbleiben und auch dann noch eine rationale Entscheidung treffen können, wenn alle anderen nur noch panisch um sich blicken.

Champions sind die Flaggschiff-Autoren: Sie brennen für ihr Thema und sind gleichzeitig intellektuell in der Lage, die Transferleistung vom Fachgebiet zum Leser zu leisten. Ihre innere Beteiligung macht sie zu mäßigen Administratoren, denn sie sind in dieser Rolle überlastet und leicht versucht, gerade in ihren Fachgebieten in Dispute einzugreifen, was nicht selten zu einer Verstärkung der Konflikte führt.

Einzelnachweise

  1. Strategie (Wirtschaft) am 19. August 2016.
  2. Henry Mintzberg: Patterns of Strategy Formulation, Management Science 24, 1978, S. 934-948
    Henry Mintzberg: Of Strategies: Deliberate and Emergent Strategic Management Journal 6, 1985, S. 257-272
    Henry Mintzberg: Mintzberg on Management: Inside Our Strange World of Organizations, New York, Free Press, 1988
    Henry Mintzberg: Crafting Strategy, Harvard Business Review 65, Juli-August 1987, S. 70
    Henry Mintzberg, Richard T. Pascale, M. Goold, Richard P. Rumelt; The Honda Effect Revisited, California Management Review 38, Summer 1996, S. 78-117
  3. Thomson K, de Chernatony L, Arganbright L, Khan S: The Buy-in Benchmark: How Staff Understanding and Commitment Impact Brand and Business Performance. Journal of Marketing Managemen 15 (1999) Issue 8, pp 819-35, doi:10.1362/026725799784772684.