Benutzer:Zartesbitter/Ika Hügel-Marshall

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Ika Hügel-Marshall (geboren am 13. März 1947 in Bayern; gestorben am 21. April 2022 in Berlin) war eine afrodeutsche Autorin, Aktivistin, Diplompädagogin und Künstlerin. Sie prägte die afro-deutschen Bewegung und 1998 erschien ihr autobiographisches Werk Daheim Unterwegs. Ein deutsches Leben das mit dem Audre Lorde Literary Award ausgezeichnet wurde.

Leben und Wirken

Kindheit

Ika Hügel-Marshall wurde 1947 als Tochter einer weißen deut­schen Mutter und eines afroamerikanischen US-Soldaten geboren. Ihre Eltern lernten sich im Sommer 1946 kennen und noch im selben Jahr, im November, wurde ihr Vater aufgrund einer Krankheit in die USA zurückgeschickt. Beide wußten um die Schwangerschaft, jedoch erfuhr Marshalls Mutter erst später von der plötzlichen Rückführung durch die Armee. Sie wuchs bis zu ihrem fünften Lebensjahr in einer bayerischen Kleinstadt auf. Ihre Mutter heiratete einen weißen deutschen Mann als Hügel-Marshall ein Jahr alt war und im darauffolgenden Jahr wurde ihre Schwester geboren. Kurz nachdem Hügel-Marshall eingeschult wurde, legte das Jugendamt fest, dass sie in ein Heim untergebracht werden sollte. Als Begründung der Heimunterbringung gab das Jugendamt an, dass die persönliche und berufliche Entwicklung gefährdet sei, wenn sie weiterhin in einer Kleinstadt bei ihrer Familie aufwüchse.[1] Die damalige Gesetzgebung sah vor, dass uneheliche Kinder automatisch in die Vormundschaft des Jugendamtes fielen. Das Jugendamt schickte sie im Alter von sieben Jahren in das Kinderheim Kinderheimat Gotteshütte in Hückeswagen bei Köln. Im Heim war sie das einzige Schwarze Kind und somit andauernden Schickanen der anderen Kinder und Erziehenden die Nonnen waren ausgesetzt.[2] Sie wurde von den Nonnen oft geschlagen, gedemütigt und war exorzistischen Ritualen des von einer evangelischen Freikirche geführten Heimes ausgesetzt.[3] Ihr wurde durch das Heim der Besuch eines Gymnasiums verwehrt und ihr früher Wunsch Lehrerin zu werden bleibt ihr verwehrt. Statdessen wurde sie gezwungen eine Ausbildung zur Kinderpflegerin zu machen und arbeitete später 12 Jahre in einem Kinderheim.[4]

Frühe Jahre

Ika Hügel-Marshall begann mit dem Taekwondo Training bei Sunny Graff, mit der sie später eine innige Freundschaft verband und später die Kampfsportgruppe Frauen in Bewegung aufbaute. Bestärkt durch das Training beschrieb Hügel-Marshall die Trainingsstunden als einen Ort, an dem sie obwohl sie die einzige Schwarze war, nicht fortlaufend mit der eigenen Unterdrückung durch die rassistischen und sexistischen Strukturen jeglicher Art konfrontiert war. Durch Graff erfuhr sie von einem bundesweiten Treffen Afrodeutscher Menschen in der Nähe von Frankfurt und beschloss nach größeren Zweifeln, andere afrodeutsche Menschen kennenzulernen und wurde frühes Mitglied der Initiative Schwarzer Deutsche (ISD).[5] Später erlangte sie den schwarzen Gürtel in Taekwondo und unterrichtete in Berlin Selbstverteidigungskurse für Schwarze Frauen, Frauen mit Migrationsbiografie und jüdische Frauen.[6]

Berliner Jahre

Hügel-Marshall studierte in Frankfurt am Main Sozialpädagogik und unterrichtete an der Freien Universität Berlin, der Technischen Universität und der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin. In den 90er-Jahren war sie als Anti-Rassismus-Trainerin aktiv.

Ika Hügel-Marshall war Mitbegründerin von ADEFRA. Zusammen mit May Ayim und anderen, war sie Mitherausgeberin des Buches Entfernte Verbindungen. Audre Lorde, mit der Hügel-Marshall eine tiefe Freundschaft verband, ermutigte sie ihr autobiografisches Werk Daheim Unterwegs. Ein deutsches Leben herauszugeben. Im Sommer 2021 brachte Ika-Hügel-Marshall gemeinsam mit Nivedita Prassad und Dagmar Schultz den Sammelband May Ayim. Radikale Dichterin, sanfte Rebellin heraus.[6] Hügel-Marshall war langjährige Mitarbeiterin des Frauenbuchverlags Orlanda und den Verein Gleich und Gleich der sich für trans Jugendliche einsetzt unterstützte sie in ihrer Rolle als Vorstandsfrau.

Ihrer langjährigen Lebensgefährtin Dagmar Schultz begegnete sie das erste Mal bei einer Veranstaltung mit Audre Lorde in Frankfurt am Main. Mit ihr produzierte sie eine Dokumentation zu Audre Lordes Schaffenszeit in Berlin der frühen 1990er-Jahre. Der Film trägt den Titel Audre Lorde. The Berlin Years 1984 to 1992 und hatte Premiere auf der 62. Berlinale im Jahr 2012.[7]

Daheim unterwegs. Ein deutsches Leben

Ika Hügel-Marshall veröffentlichte ihre Autobiografie 1998 unter dem Titel Daheim unterwegs. Ein deutsches Leben. Darin beschrieb sie ihre Lebenserfahrungen als Schwarzes Mädchen, das in einem vom Rassimus geprägtem Deutschland aufwächst. Die verschiedene Etappen ihres Lebens, wie die Suche nach dem Vater, der in Amerika lebte, das Wiedersehen mit ihm und geht auf die Entwicklung der Frauenbewegung mit dem Thema Rassismus, sind Themen ihrer Autobiografie.

„Es gibt heute sehr viele weiße Deutsche, die sich auch gegen Rassismus einsetzen, und dafür auch kämpfen, das hat es zu meiner Zeit eben nicht gegeben, auch nicht damals in der Frauenbewegung. Da war ihnen Rassismus völlig egal. Das hat sich natürlich schon verändert, aber für mich war es einfach so, wie ich aufgewachsen bin, dass ich einfach im Rückblick damals auch erkennen musste, dass für mich Weiße eben Rassisten sind, solange sie sich nicht wirklich auseinandersetzen. Und das tun halt nicht alle.“

Ika Hügel-Marshall[8]
Erinnerungstafel am Grab von Ika Hügel-Marshall auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof

Ihre Grafiken, die sie als Künstlerin entwarf erschienen auf verschiedenen Buchcovers und wurden ausgestellt. Am 17. Juni fand zu ihrem Gedenken in der Begine in Berlin-Schöneberg eine Vernissage, wo zahlreiche ihrer Kunstwerke ausgestellt wurden, statt. Ihr Grab befindet sich in einer Gemeinschaftsgrabstätte auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin.

Ausstellungen

  • 2019: Many Colors Between Black And White The Word Berlin

Auszeichnungen

  • 1996: Audre Lorde Literary Award für Daheim Unterwegs. Ein deutsches Leben

Veröffentlichungen (Auswahl)

Herausgeberschaften

  • Entfernte Verbindungen: Rassismus, Antisemitismus, Klassenunterdrückung. Orlanda-Frauenverlag Berlin 1993, ISBN 978-3-922166-91-7.
  • Daheim unterwegs: ein deutsches Leben. Orlanda-Frauenverlag Berlin 1998, ISBN 978-3-929823-52-3.
  • Invisible woman: growing up black in Germany. New ed. New York 2008, ISBN 978-1-433-10278-3.
  • mit Nivedita Prasad und Dagmar Schultz (Hrg.): „May Ayim. Radikale Dichterin, sanfte Rebellin“. Anthologie mit Texten verschiedener Autorinnen und mit unveröffentlichten Gedichten und Texten von May Ayim. Unrast Verlag, Münster 2021, ISBN 978-3-89771-094-8.

Beiträge/Aufsätze

  • Lesbischsein lässt sich verleugnen, Schwarzsein nicht. in: Loulan/Nichols/Streit u.a. (Hg.): Lesben Liebe Leidenschaft. Texte zur feministischen Psychologie. Berlin: Orlanda Frauenverlag, 1992, S. 298-307.
  • Wir brauchen uns – und unsere Unterschiede. in: Lange, Chris/Ayim. May et.al. (Hg.): Entfernte Verbindungen. Rassismus, Antisemitismus, Klassenunterdrückung. Berlin: Orlanda Frauenverlag, 1993, S. 18-32.
  • Wir kämpfen seit es uns gibt. in: Clausen, Jeanette & Friedrichsmeyer, Sara (Hg.) Women in German Yearbook 9.

Lincoln and London: University of Nebraska Press, 1994, S. 231-240.

  • Schwarze KlientInnen in Therapie und Beratung bei weißen TherapeutInnen. in: del Mar Castro Varela/Schulze/Vogelmann/Weiß (Hg.): Suchbewegungen. Interkulturelle Beratung und Therapie. Tübingen: dgvt Verlag, 1998, S. 109 -116.
  • Formen und Auswirkungen von Gewalt gegen Migrantinnen und Schwarze Frauen und Mädchen. in: Aranat e.V.: Qualitätsmerkmale von Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskursen für Mädchen und Frauen. Lübeck: Aranat e.V., 1999, S. 11-15.
  • Die Situation von Afrodeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg (am Beispiel meiner Autobiographie Daheim unterwegs. Ein deutsches Leben. In: Kumpfmüller, Karl A. (Hg.): Europas langer Schatten – Afrikanische Identitäten zwischen Selbst- und Fremdbestimmung. Frankfurt/M.: Brandes & Apsel/Südwind, 2000, S. 143 -152.
  • Beratung von Eltern mit Kindern aus afrodeutschen Verbindungen. in: Verband internationaler Familien und Partnerschaften. Iaf e.V. (Hg.): Sichtbar Anders – Aus dem Leben afrodeutscher Kinder und Jugendlicher. Brandes & Apsel, Frankfurt/M. 2005, S. 112-114.

Filme

  • mit Dagmar Schultz, Aletta von Vietinghoff: Audre Lorde - Die Berliner Jahre 1984-1992 2012

Einzelnachweise

  1. Ika Hügel-Marshall: Daheim unterwegs: ein deutsches Leben. Orlanda-Frauenverlag Berlin 1998, ISBN 978-3-929823-52-3. S.16–20
  2. Ika Hügel-Marshall: Daheim unterwegs: ein deutsches Leben. Orlanda-Frauenverlag Berlin 1998, ISBN 978-3-929823-52-3. S.45
  3. Susanne Führer: Afrodeutsche Aktivistin Ika Hügel-Marshall - Im Kinderheim misshandelt. In: deutschlandfunkkultur.de. 20. April 2020, abgerufen am 30. Juli 2022.
  4. Ika Hügel-Marshall: Daheim unterwegs: ein deutsches Leben. Orlanda-Frauenverlag Berlin 1998, ISBN 978-3-929823-52-3. S.52–54
  5. Ika Hügel-Marshall: Daheim unterwegs: ein deutsches Leben. Orlanda-Frauenverlag Berlin 1998, ISBN 978-3-929823-52-3. S.87–93
  6. a b Miss Sam: Zum Tod der afrodeutschen Aktivistin, Autorin und Filmemacherin Ika Hügel-Marshall. In: www.siegessaeule.de. 28. April 2022, abgerufen am 31. Juli 2022.
  7. Audre Lorde - The Berlin Years. Abgerufen am 9. Februar 2021.
  8. Im Kinderheim misshandelt. In: http://www.deutschlandfunkkultur.de/. Abgerufen am 31. Juli 2022.

Weblinks