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Mit Anschauungen (Skt: dprti, Tib: lta-ba) sind nach buddhistischer Lehre, Annahmen über die Wirklichkeit gemeint. Dabei kann es sich um Sichtweisen, Theorien und Meinungen handeln, die als völlig selbstverständlich gelten und nie hinterfragt wurden oder aber um Ansichten, die durch bewusstes Nachdenken erworben und kultiviert wurden. Es gibt rechte, falsche und schädliche Anschauungen aus buddhistischer Sicht.
Rechte Anschauung ist die Basis und Voraussetzung für eine fruchtbare Dharmapraxis. Verkehrte Anschauungen gehen zudem oft mit einer Überschätzung der eigenen Sicht einher, was eine Korrektur sehr erschwert.
Wenn von (verkehrten) „Anschauungen“ als sechstem der grundlegenden Faktoren emotionaler Verblendung (Skt: mulakleśa) gesprochen wird, sind fünf Gruppen von Anschauungen (Skt: pañca dprti, Tib: lta-ba nga) gemeint, die von emotionaler Verblendung durchsetzt sind (Skt: mithyā-dprtih, Tib: lta-ba nyon-mongs-can) und die ein Verständnis des Dharma sehr erschweren:
(1) Die erste Anschauung ist die auf Ichanhaften beruhende „Sicht über die vergängliche Ansammlung“ (Tib: 'jig-tshogs la lta-ba) oder die „Annahme einer wahren Ansammlung”, wenn man das Sanskrit (satkayā-dprtih) wörtlich übersetzt. Damit ist die Annahme gemeint, diese vergänglichen, sich von Moment zu Moment ändernden Aggregate, die unsere Existenz ausmachen, würden wahrhaft existieren. Dies beinhaltet, dass wir uns mit den fünf Aggregaten als „Ich“ und „mein“ identifizieren, was zu zwanzig irrigen Anschauungen führt in Bezug auf diese vergängliche Ansammlung, d.h. in Bezug auf Form, Empfinden, unterscheidende Wahrnehmung, Gestaltungskräfte und Bewusstsein. Sie beruhen auf vier Kombinationsmöglichkeiten der Annahme eines dauerhaften Selbst mit den fünf Aggregaten. Für das erste Aggregat der Form wären das z.B. die vier Sichtweisen, dass Ich diese Form (dieser Körper) bin, dass die Form ein Ich hat, dass die Form zu mir gehört und dass ein Selbst in der Form verweilt.
(2) Die zweite Anschauung ist die „Sicht des Haftens an Extremen“ (Skt: antagrāhadprtah, Tib: mthar 'dzin-pa'i lta-ba). Hier wird das postulierte Selbst in dieser vergänglichen Ansammlung entweder für ewig dauerhaft oder für nicht existent gehalten.
(3) Die dritte Anschauung ist „verkehrte Sichtweisen“ (Skt: mithyādprtah, Tib: log-par lta-ba). Eine verkehrte Sicht der Wirklichkeit führt stets zu einem Verhalten, das einem der Wirklichkeit angemessenen Verhalten entgegengesetzt ist. Hierzu gehören die Sichtweisen, dass Handlungen keine karmischen Auswirkungen haben, dass es keine früheren oder späteren Leben gibt und dass die Dinge wirklich existieren.
(4) Die vierte Anschauung ist „die Sichtweisen für das Höchste zu halten“ (Skt: dprtiparāmarśa, Tib: lta-ba mchog-tu 'dzin-pa). Allgemein bezieht sich dies auf ein Haften an Meinungen, das zu Dogmatismus und Verschlossenheit führt, was ein erneutes Untersuchen der Wirklichkeit verhindert. Genauer ist damit gemeint, die bisherigen drei verkehrten Anschauungen sowie auch ihr Objekt (die Aggregate, das vermeintliche Selbst) für „erhaben und besonders“ zu halten.
(5) Die fünfte Anschauung ist die „Sicht, Disziplin und Askese für das Höchste zu halten“ (Skt: śilavrataparāmarśa-dprtih, Tib: tshul-khrims dang brtul-zhugs mchog-tu 'dzin-pa'i lta-ba). Dies könnte kurz als „Haften an Regeln und Riten“ übersetzt werden. Gemeint ist der Glaube, durch äußere Dinge und Verhaltensänderungen (Körperhaltungen, Waschungen, Tieropfer, Verehren von weltlichen Gottheiten usw.) zur Befreiung gelangen zu können. Das Einzige, was zur Befreiung führt, ist Auflösen von mangelndem Gewahrsein und Ichanhaften.