Bernard-Henri Lévy

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Bernard-Henri Lévy (2011)

Bernard-Henri Lévy (bisweilen BHL abgekürzt;[1] * 5. November 1948 in Béni Saf, Französisch-Algerien) ist ein französischer Journalist, Publizist und Mitbegründer der Nouvelle Philosophie. Er schreibt regelmäßig für das Wochenmagazin Le Point, ist einer der Direktoren des Verlagshauses Éditions Grasset und gibt die alle vier Monate erscheinende Zeitschrift La Règle du Jeu heraus; zudem ist er Anteilseigner der Tageszeitung Libération.

Leben

Ausbildung und Berufseinstieg

Lévy entstammt einer wohlhabenden Familie, sein Vater André Lévy war Besitzer des Holzverarbeitungskonzerns Becob. Die Familie zog kurz nach seiner Geburt von Beni-Saf in Algerien nach Paris. Er wurde auf das traditionsreiche Pariser Gymnasium Lycée Louis-le-Grand geschickt und bestand dort die Aufnahmeprüfung für die École normale supérieure (ENS), an der er Philosophie studierte. Er begann daraufhin als Journalist bei der Zeitung Combat, für die er 1971 als Kriegsberichterstatter nach Bangladesch reiste. Er begründete in den 1970er Jahren die Gruppe Nouvelle Philosophie mit, eine Gruppe von Autoren, die sich aus anti-totalitärer Perspektive gegen pro-marxistische Philosophen wie Jean-Paul Sartre wandte. Hierdurch erhielt Lévy auch erstmals Medienaufmerksamkeit aus dem Ausland. 1973 wurde er beim Verlagshaus Grasset eingestellt.

Standpunkte und Rezeption

Lévy wird von Anhängern als Erbe des Philosophen Jean-Paul Sartre betrachtet (von der Bedeutung, nicht von seinen Positionen her). Lévy bezeichnet sich selbst nach seinen Initialen „BHL“, diese Abkürzung wird teilweise auch in den Medien verwendet. Die Zeitung Die Welt schrieb über Lévy, er sehe „Öffentlichkeit als ein Schlachtfeld, auf dem nicht die Wahrheit oder auch nur das bessere Argument zählen, sondern gelungene Kampagnen und Manöver“.[2] 2002 beehrte ihn der Sänger Renaud mit dem satirischen Lied L'Entarté,[3] in dem der siebenmalige Tortenwurf auf Lévy seitens des belgischen Filmemachers Noël Godin thematisiert wird. Godin wirft Lévy Humorlosigkeit vor. Vom Magazin Der Spiegel wurde er 2010 als der bekannteste, wohl auch umstrittenste politische Intellektuelle Frankreichs bezeichnet.[4]

Kritik an Lévys philosophischen Schriften, etwa der Vorwurf der Ungenauigkeit und faktischer Fehler, stammen unter anderem von dem Philosophen Cornelius Castoriadis, dem Historiker Pierre Vidal-Naquet und dem Politologen Raymond Aron. Lévy wies die Kritik an seiner Arbeit als „Gedankenpolizei“ zurück. Die Kontroverse erreichte 1979 ihren Höhepunkt.[5]

Lévy unterstützte die Präsidentschaft von François Mitterrand (1981–1995) und wurde von ihm zum Vorsitzenden der staatlichen Filmkommission ernannt. In dieser Position förderte Lévy finanziell auch eigene Filme sowie Filme mit seiner Ehefrau, der Schauspielerin Arielle Dombasle.[6] 1993 sprach er sich öffentlich für die Wahl von Édouard Balladur aus und wurde zum Aufsichtsratsvorsitzenden des Fernsehsenders ARTE ernannt.[7]

In den späten 1990er Jahren sprach er sich (laut russischer Medien) für eine Anerkennung von Aslan Maschadow als Präsident und von Schamil Bassajew als Ministerpräsident Tschetscheniens aus.[8]

1995 erbte Lévy von seinem Vater das Unternehmen Becob und wurde dessen Manager. In einem Bericht der kanadischen Regierung wurde Lévy unter anderem vorgeworfen, dass man unter seiner Führung afrikanische Arbeiter im Unternehmen sklavenähnlich behandele. In Bedrängnis geriet er wegen Vorwürfen des Insiderhandels und einer drohenden Anklage wegen Steuerhinterziehung, die jedoch der damalige Finanzminister Nicolas Sarkozy abbrach.[6] Später verkaufte Lévy Becob an den Multimilliardär François Pinault.

Bekannt wurde er in Europa unter anderem dadurch, dass er, unterstützt von einem Chauffeur und Korrespondenten des Atlantic Monthly,[9] ein Jahr lang (auf den Spuren Alexis de Tocquevilles, wie er selbst behauptet,[10]) durch die USA reiste und ein Buch darüber schrieb. Ziel war eine Beschreibung der Kultur in den USA. Getroffen hat sich Lévy dafür unter anderem zu Interviews mit Prominenten wie Sharon Stone und zahlreichen Neokonservativen wie Paul Wolfowitz, Samuel P. Huntington und William Kristol.

Lévy erwartet von den Europäern mehr Patriotismus, wie er in den USA weit verbreitet sei, und kritisiert Multinationalität und Multikulturalismus. Er gehört zu den Unterzeichnern des so genannten Manifests der 12 gegen den Islamismus, der eine neue totalitäre Bedrohung darstelle. Im Unterschied zu einigen Mitunterzeichnern ergänzte er später in Interviews, dass der Koran und der Islam kein Übel seien und er sich mit seiner Kritik allein auf den islamischen Fundamentalismus beziehe. Während er die Neokonservativen in den USA wie z. B. Wolfowitz lobt, sah er George W. Bush als einen für sie ungenügenden Präsidenten an, er habe einen „Mangel an Statur“ und sei für den Job ungeeignet gewesen.[11] Er kritisierte des Weiteren häufig die politische Linke, die er mit ihrem Widerspruch zum Irakkrieg und den Vorwürfen, dass auch Bush eine terroristische Politik betreibe, als antiamerikanisch bezeichnet.[12] In Ländern wie den USA, wo sich weniger Widerspruch gegen den Irakkrieg regte, kritisierte Lévy die Linke als passiv-uninteressiert.[13]

2007 lehnte Lévy es ab, zur Wahl von Nicolas Sarkozy aufzurufen, unter anderem (so Lévy) wegen Sarkozys Kritik an der Generation der 68er-Bewegung, zu der sich Lévy selbst zählt.[14] 2008 unterstützte er publizistisch die georgische Seite im Kaukasuskrieg und bezeichnete den georgischen Präsidenten Micheil Saakaschwili als Demokraten und Widerstandskämpfer. Dies stieß teils auch in westlichen Medien auf Kritik; in der FAZ warf Lorenz Jäger ihm „Russophobie“ vor.[15] 2009 veröffentlichte er mit Michel Houellebecq das Buch Volksfeinde, in dem Dialoge der beiden Autoren festgehalten sind. Der damalige Spiegel-Autor Matthias Matussek lobte es als Debatten-Glanzstück.[16] Die Zeit-Autorin Martina Meister hingegen befand es nicht als philosophisch herausragend, sondern als unterhaltsame Erfindung des „Philotainment“.[17] Deutschlandradio-Autor Walter van Rossum sah das Buch als uninteressante Selbstinszenierung beider Autoren; von einem wirklichen Schlagabtausch (wie vom Verlag angekündigt) gebe es keine Spur.[18]

2010 veröffentlichte Lévy das Buch Vom Krieg in der Philosophie, in dem er sich, auch unter Bezugnahme auf Jean-Baptiste Botul, sehr kritisch mit Immanuel Kant auseinandersetzt und ihn unter anderem als „wütenden Irren des Denkens“ einordnet. Dies verursachte größeren Spott in Rezensionen und zurückhaltende Äußerungen von Unterstützern zu dem Buch, da (von Lévy unbemerkt) Botul und seine angeblichen Werke lediglich die Erfindung eines französischen Satiremagazins sind.[19]

2012 plädierte er für eine Intervention des Westens in Syrien – trotz eines russischen und chinesischen Vetos im UN-Sicherheitsrat.[20] Bei der Bildung einer Koalition gegen Baschar al-Assad müsse Frankreich die Rolle „des Initiators, des Schrittmachers, des Architekten“ übernehmen.[21]

2014 unterstützte er den Umsturz in der Ukraine (Euromaidan) und trat auf dem Majdan Nesaleschnosti als Redner auf.[22][23]

Lévy gehört zu den 89 Personen aus der Europäischen Union, gegen die Russland im Mai 2015 ein Einreiseverbot verhängt hat.[24][25]

Afrikanische Konflikte

Anfang März 2011 reiste er nach Bengasi, um Kontakt zum libyschen Nationalen Übergangsrat aufzunehmen und (wie er selbst äußerte) „einen Krieg mit dem Kriegsziel, Gaddafi zu stürzen“, zu fördern.[26] Er begrüßte die Beteiligung Frankreichs am Internationalen Militäreinsatz in Libyen im Jahr 2011 und kritisierte die deutsche Zurückhaltung als schädlich für das deutsch-französische Verhältnis.[27] Sarkozy schlug er vor, den Nationalen Übergangsrat als einzige Vertretung Libyens anzuerkennen. Diana Johnstone bezeichnete Lévys Rat in einem Artikel der US-Zeitschrift Counterpunch als einflussreich für die französische Politik, kritisierte allerdings, dass Lévy entgegen seinem Einflussanspruch genauso wenig wie Gaddafi gewählt worden sei.[28] Kay Sokolowsky sieht in ihm einen „Philosophendarsteller“ und „Wichtigtuer“. Er kenne nur eine Meinung, die zählt – die eigene. Dass er grundsätzlich eine Ansicht vertritt, die von den meisten geteilt wird, irritiere ihn nicht, gehe er doch davon aus, die Masse tanze „nach seiner Pfeife, statt er, der Pfeifenheini, nach ihr“.[29]

Im Januar 2013 veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine Zeitung seine Stellungnahme zum Konflikt in Mali.[30]

Bei einem Kurzbesuch in Tunesien am 31. Oktober 2014 wurde er von Demonstranten, die den Hauptausgang des Flughafens blockierten, ausgebuht.[31] Er soll ein Treffen mit dem tunesischen Islamistenführer Rached Ghannouchi und dem libyschen Dschihadisten Belhaj geplant haben.[32]

Werke

Filme

Im Bosnienkrieg (1992 bis 1995) sprach er sich für die Unabhängigkeit von Bosnien und Herzegowina aus. Er arbeitete in dem Zusammenhang als einer der Regisseure des 1994 veröffentlichten Films Bosna! Der Film erhielt polarisierte Kritiken, war jedoch kommerziell erfolgreich und wurde für den Filmpreis César 1995 nominiert.

1997 führte Lévy Regie bei dem romantischen Film Le Jour et la Nuit. Dieser wurde von der französischen Filmkritik verrissen und als „schlechtester Film seit Jahrzehnten“ (Cahiers du cinéma) bzw. „schlechtester Film der Geschichte“ (Slate Magazin) bezeichnet.[33]

Am 28. Juni 2022 wurde auf Arte Lévys, zusammen mit Marc Roussel gedrehter Film Warum Ukraine[34] ausgestrahlt.[35][36] Zuvor hatte er über das Projekt schon am 24. März 2022 in einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung berichtet.[37]

Bücher (Auswahl)

  • Die Barbarei mit menschlichem Gesicht. (La barbarie à visage humain.) Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1978. ISBN 3-499-14276-7
  • Sartre. Der Philosoph des 20. Jahrhunderts. Hanser, München/Wien 2002, ISBN 3-446-20148-3.
  • Das Testament Gottes. Der Mensch im Kampf gegen Gewalt und Ideologie. (Le testament de Dieu.) Molden, Wien [u. a.] 1980. ISBN 3-217-01060-4
  • Der Teufel im Kopf. München, 1986.
  • Die abenteuerlichen Wege der Freiheit, 1992.
  • Wer hat Daniel Pearl ermordet? Econ, München 2003, ISBN 3-430-11206-0
  • American Vertigo: Auf der Suche nach der Seele Amerikas, 2007.
  • Volksfeinde: Ein Schlagabtausch, Briefwechsel mit Michel Houellebecq, Dumont Verlag, Köln 2009, ISBN 978-3-8321-9518-2
  • Ce grand cadavre à la renverse. Paris 2007 (Grasset), ISBN 978-2-246-68821-1
  • L'Esprit du Judaïsme. Paris 2016 (Grasset), ISBN 978-2-253-18633-5.

Ehrungen

Privates

Seit 1993 ist er in dritter Ehe verheiratet mit der Schauspielerin und Sängerin Arielle Dombasle. Seine Tochter aus der ersten Ehe, Justine Lévy, ist ebenfalls Autorin.

Literatur

  • Arno Frank: Minister für Eitelkeit. Bernard-Henri Lévy auf Europatour für eine gute Sache – und das eigene Ego. In: Der Spiegel. Nr. 15, 6. April 2019, S. 102.
  • Dominique Lecourt: The mediocracy. French philosophy since the mid-1970s. Verso, London 2002, ISBN 978-1-85984-430-4.

Weblinks

Commons: Bernard-Henri Lévy – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Gero von Randow: Kuscheln mit den Mächtigen. In: ZEIT ONLINE. 28. Februar 2017 (zeit.de [abgerufen am 27. September 2018]).
  2. Die Welt: Houellebecq verteidigt Egoismus und Feigheit, welt.de, Dezember 2009
  3. Renaud Séchan, Jean-Pierre Bucolo: Boucan d'enfer. CD-Nummer 7243-8-12572-2-7. Ceci-Cela (Virgin Records), 28. Mai 2002.
  4. Spiegel-Gespräch „Ich führe Krieg“. In: Der Spiegel Nr. 14/2010, S. 126.
  5. La critique du Testament de Dieu de Bernard-Henri Lévy par Pierre Vidal-Naquet dans Le Nouvel Observateur en juin 1979, la réponse de BHL et le commentaire de Cornelius Castoriadis
  6. a b The Lies of Bernard-Henri Lévy, von Doug Ireland, 3. März 2006
  7. Oliver Hahn: ARTE – der Europäische Kulturkanal. Verlag Reinhard Fischer, 1997, S. 219
  8. Sarkozy und Libyen: Anruf vom Kriegsphilosophen, RIA Novosti, 1. April 2011 (Memento vom 7. April 2011 im Internet Archive)
  9. Zeit-Online: Ein Pariser in Amerika, März 2006
  10. New York Mag: American Psychoanalyst, 2006
  11. „Wer ‚Stoppt den US-Imperialismus‘ wiehert, hat nichts begriffen“ In: FAZ vom 24. Januar 2006
  12. „Demokratie ist nicht heilig“ In taz vom 13. April 2007
  13. Gastbeitrag in The Nation: A Letter to the American Left, Februar 2006
  14. Wiederbelebungsversuche an einem Kadaver NZZ vom 5. November 2007
  15. Georgien und Russland: Interessen? Wir?
  16. „Verachtenswerte Individuen“
  17. Die Zeit: Ein schöner Fall von Philotainment, 30. Oktober 2009
  18. Deutschlandfunk: Seichter Schlagabtausch?, 13. Mai 2010
  19. Zeit-Online: Tage der Häme, 1. März 2010 (Original in der NYT vom Feb.)
  20. „Die Sache ist gerecht“. Muss der Westen in Syrien intervenieren?, in: Die Zeit Nr. 34, 16. August 2012, S. 4.
  21. „Die Sache ist gerecht“. Muss der Westen in Syrien intervenieren?, in: Die Zeit Nr. 34, 16. August 2012, S. 4.
  22. Danièle Renon: Ukraine. L'agence créée par BHL et financée par des oligarques n'a pas bonne réputation. In: Courrier international. 3. März 2015, abgerufen am 13. September 2020 (französisch).
  23. Bernard-Henri Lévy: Bernard-Henri Lévy : « Nous sommes tous des Ukrainiens ». In: Le Monde. 10. Februar 2014, abgerufen am 13. September 2020 (französisch).
  24. Andreas Borcholte: Einreise-Verbote: Russland wirft EU-Politikern Show-Gehabe vor. In: Spiegel Online. 31. Mai 2015, abgerufen am 1. Juni 2015.
  25. RUS: Russische Visasperrliste. (PDF 23 KB) In: yle.fi. 26. Mai 2015, abgerufen am 1. Juni 2015.
  26. Süddeutsche Zeitung Nr. 66, 21. März 2011, Seite 3.
  27. Michael Strempel: Interview mit dem französischen Intellektuellen Lévy: Bestürzt über die deutsche Haltung zu Libyen. tagesschau.de, 27. März 2011, archiviert vom Original am 23. August 2011; abgerufen am 27. März 2011.
  28. Why are They Making War on Libya?, Counterpunch, 24. März 2011 deutsche Übersetzung
  29. Ein Bombentyp: Der Philosophendarsteller Bernard-Henri Lévy zieht in den Krieg
  30. Warum wir die Pflicht haben, Mali zu schützen in FAZ vom 16. Januar 2013, Seite 25
  31. Bernard-Henri Lévy accueilli en Tunisie par une manifestation hostile, RTL.fr, 1. November 2014
  32. "BHL dégage" : Bernard-Henri Lévy malmené à son arrivée en Tunisie, metronews.fr, 2. November 2014
  33. «Le Jour et la Nuit», pire film de l'histoire … Vraiment?
  34. Warum Ukraine
  35. "Warum Ukraine" Immer da, wo's brennt, eine Rezension von Nils Markwardt, Die Zeit 29. Juni 2022
  36. Dokumentation zur Ukraine Seht, welche Schande, von Nils Minkmar, Süddeutsche Zeitung 28. Juni 2022
  37. Bernard-Henri Lévy berichtet aus der Ukraine Ein Gebet für Odessa, Gastbeitrag von Bernard-Henri Lévy, Süddeutsche Zeitung 24. März 2022