Nuda
Nuda | ||||||||||||
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Eine Art der Beroe | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Nuda | ||||||||||||
Chun, 1879 | ||||||||||||
Gattungen | ||||||||||||
Nuda (auch Atentaculata) ist der wissenschaftliche Name einer Klasse von Rippenquallen (Ctenophora) und weist auf das charakteristische Merkmal von Vertretern dieses Taxons hin, das Fehlen von Tentakeln. Sie werden klassisch den tentakelbewehrten Tentaculata gegenübergestellt. Die Gruppe, welche die beiden Gattungen Beroe und Neis umfasst, besitzt bis heute keinen deutschen Namen.
Aufbau
Die in der Mesogloea – also der geleeartigen Zwischenschicht zwischen Außen- und Innenhaut (Epidermis und Gastrodermis) – gelegenen Pigmente verleihen vielen Nuda-Arten eine leicht rosa Färbung, bei Neis cordigera ist zusätzlich eine kräftige orangerote Musterung ausgebildet. Nuda-Vertreter erreichen eine Länge von bis zu etwa dreißig Zentimetern, wobei Neis cordigera häufig als größte Art genannt wird. Der sackartige Körper ist bei den Beroe-Arten senkrecht zur Schlundebene leicht komprimiert, bei Neis ist diese Abflachung durch Ausbildung zweier „Seitenflügel“ noch stärker ausgeprägt (mehr hierzu im Abschnitt Systematik).
Das namensgebende und definierende Merkmal der Nuda ist die vollkommene Abwesenheit von Tentakeln. Anders als bei einzelnen Tentaculata-Arten, bei denen die Tentakel stark verkümmert sein können, sind auch in keinem Lebensstadium Tentakelscheiden vorhanden.
Mundöffnung und -muskulatur
Da Beute als Ganzes mit dem Mund verschlungen wird, hat dieser und der direkt darunter anschließende Schlund einen im Vergleich zu anderen Rippenquallen großen Durchmesser. Um beim Schwimmen und insbesondere bei der Verfolgung von Beute den Wasserwiderstand herabzusetzen, kann er durch einen reißverschlussähnlichen Mechanismus fest versiegelt werden, so dass das Vorderende der Rippenqualle Stromlinienform annimmt. Bei dieser Versiegelung werden gegenüberliegende Schlundseiten, die „Lippen“, nicht nur in engen Kontakt gebracht, sondern durch vorübergehend ausgebildete Zell-Zell-Verbindungen eng miteinander verzahnt. Das allen Rippenquallen eigene Nervennetz ist innerhalb der „Lippen“ der Nuda zu einem aus etwa 40 Nervenzellfortsätzen (Neuriten) bestehenden Bündel verdichtet.
Der Mund wird durch das Zusammenspiel dreier verschiedener Muskeltypen geöffnet und verschlossen: In der Mesogloea verlaufen sowohl ringförmig um die Längsachse des Tieres angeordnete als auch radiale, strahlenförmig von innen nach außen laufende Muskelfasern; sie wirken zusammen mit longitudinalen, also längsseitig ausgerichteten Fasern, die in der Epidermis liegen. Bei Nuda-Arten kommt ausschließlich glatte Muskulatur vor.
Macrocilien
Direkt innerhalb der Mundöffnung befinden sich in der Auskleidung des Schlundes charakteristische fingerförmige Auswüchse, die Macrocilien. Bei diesen erstmals 1844 von J. G. F. Will beschriebenen und 1965 von George Adrian Horridge mit ihrem heutigen Namen versehenen Strukturen handelt es sich um kegelförmig geformte, von einer gemeinsamen Plasmamembran umgebene Bündel von zwei- bis dreitausend Geißeln (Cilien), die wie in den Kammplättchen der Rippen zu einer funktionellen Einheit verbunden sind. Die einzelnen, zwischen 35 und 60 Mikrometer langen und im Durchmesser fünf bis zehn Mikrometer dicken Cilien bilden zusammen im Querschnitt eine sechseckige Struktur und sind senkrecht zur gemeinsamen Schlagrichtung durch Querverstrebungen miteinander verbunden; eine separate Membran, die sie von ihren Nachbargeißeln trennen würde, besitzen sie hingegen nicht. Jedes Cilium zeigt den für Organismen mit echtem Zellkern typischen Aufbau aus neun äußeren und zwei inneren Mikrotubuli.
Die Geißelzellen, an denen die Cilien aus einzelnen Basalkörperchen entspringen, sind gegenüber der Schlundauskleidung um durchschnittlich dreißig Grad zur mundabgewandten Seite hin geneigt und dabei wie Dachziegel übereinander gestapelt. Dadurch weisen die Makrocilien immer in Richtung des Schlundinneren. Dorthin ist auch der effektive Schlag gerichtet, der Beuteteile in synchronisierten Wellen wie ein Fließband in den Magen befördert; die Schlundmuskulatur befördert diesen Vorgang.
Macrocilien laufen in einer dreizähnigen Spitze aus; diese ist steif genug, um die weiche Außenwand selbst größerer Beutetiere wie anderer Rippenquallen zu zerreißen; proteolytische (proteinzersetzende) Enzyme, die in die entstandenen Wunden eindringen, machen das Opfer dann schnell fluchtunfähig. Macrocilien übernehmen also auch die Funktion von Zähnen und lassen sich als die den Tentakeln der Tentaculata entsprechenden Fangstrukturen der Nuda ansehen.
Inneres Kanalsystem
Vom zentralen Magen aus ziehen wie bei allen Rippenquallen Kanäle in alle Körperregionen. Jede Kammrippe wird durch einen eigenen Meridionalkanal versorgt, der direkt unterhalb dieser gelegen ist. Er besitzt bei den Nuda-Arten zahlreiche fein verästelte Auswüchse, von denen manche sich mit dem Schlund vereinigen, andere dagegen blind enden. Zum Mundende hin laufen die Meridionalkanäle in einem kreisförmig um den Mund gelegenen zirkumoralen Ringkanal zusammen.
Statocyste und Polplatten
Wie bei allen Rippenquallen befindet sich an der mundabgewandten Seite das Gleichwichtsorgan, die Statocyste, die auch den Takt für die auf den Rippen angeordneten Kammplättchen festlegt. Der Schlagimpuls wird anders als etwa bei den Lobata nicht durch zwischen den Kammplättchen verlaufende Geißelbänder weitergeleitet, sondern dadurch, dass die einzelnen Kammplättchen der Reihe nach umkippen und dabei wie Dominosteine das nachfolgende Plättchen beeinflussen.
Unmittelbar unterhalb der Statocyste befindet sich eine mit Sinneszellen ausgekleidete Einbuchtung; das in ihr enthaltene Epithelgewebe setzt sich zum Mund hin in zwei gegenüberliegenden schmalen Geißelbändern fort, die in der Schlundebene der Rippenqualle verlaufen und als Polplatten bezeichnet werden. Sie rufen durch ihren Schlag eine Wasserströmung über die Statocyste hervor und sind bei den Nuda-Arten an ihrem Rand mit fingerartigen Auswüchsen, den Papillen besetzt, deren Funktion noch ungeklärt ist, vermutlich aber auch der Sinneswahrnehmung dient.
Verbreitung und Lebensraum
Die Gruppe kommt weltweit in allen Ozeanen und Meeren vor, wo die Tiere freischwimmend (pelagisch) im Plankton leben. Anders als andere Gruppen von Rippenquallen setzen sie zur Fortbewegung fast ausschließlich ihre Kammrippen ein.
Ernährung
Nuda-Arten ernähren sich von freischwimmenden Tieren mit weichem Körper, in erster Linie von anderen Rippenquallen, die durchaus größer als sie selbst sein können. Die Beute wird aktiv gesucht und meist als Ganzes verschlungen; bei Übergröße können die Tiere ihre Macrocilien als Zähne einsetzen, um damit Gewebestücke aus dem Opfer herauszureißen.
Bedeutung als Neozoon
Nachdem in den späten 1980er Jahren die Rippenquallen-Art Mnemiopsis leidyi wahrscheinlich durch Ballastwasser ins Schwarze Meer eingeführt wurde und dort eine Populationsexplosion durchlief, in deren Verlauf der Sardellen-Fischfang komplett zusammenbrach, stabilisierte sich das Ökosystem wieder, als 1997 eine weitere Rippenquallen-Art auftauchte, die zu den Nuda gezählte Beroe ovata, die sich fast ausschließlich von Mnemiopsis leidyi ernährt. Auch die Beroe-Population durchlebte zunächst eine Explosion der Individuenzahl bis schließlich beide Bestände rapide zusammenbrachen. Dennoch sind sowohl Mnemiopsis leidyi als auch Beroe ovata heute als Neozoen im Schwarzen Meer etabliert. Dasselbe Phänomen spielt sich zu Anfang des 21. Jahrhunderts im Kaspischen Meer ab.
Fortpflanzung
Alle Arten pflanzen sich auf sexuelle Weise fort und verfügen sowohl über weibliche als auch über männliche Keimdrüsen, sind also Zwitter. Obwohl keine detaillierten Angaben vorliegen, wird davon ausgegangen, dass Selbstbefruchtung bei Nuda-Arten eher die Ausnahme ist. Aus den befruchteten Eiern gehen Jungtiere hervor, die schon wie eine Miniaturversion des erwachsenen Tieres aussehen und daher nicht als Larve bezeichnet werden sollten. Ihnen fehlen bereits Tentakel und Tentakelscheiden, ansonsten ähneln sie dem Cydippea-Stadium der tentakelbesetzten Rippenquallen.
Stammesgeschichte
Fossile Nuda-Arten sind nicht bekannt, so dass die stammesgeschichtliche Entwicklung der Gruppe aus dem Vergleich mit anderen modernen Vertretern der Rippenquallen erschlossen werden muss. Im traditionellen System werden die Nuda der Klasse der Tentaculata gegenübergestellt, die alle Arten zusammenfasst, die im Gegensatz zu den Nuda-Arten zumindest über rudimentäre Tentakel verfügen. Diese Einteilung gibt nach vorläufigen Ergebnissen molekulargenetischer und morphologischer Studien allerdings wahrscheinlich nicht die tatsächlichen Verwandtschaftsverhältnisse innerhalb der Rippenquallen wieder. Obwohl sich die Systematik noch im Fluss befindet und noch keine unabhängige Bewertung der Befunde vorliegt, scheint eine Familie aus der Ordnung Cydippida, Haeckelidae, in die engere Verwandtschaft der Nuda-Arten zu gehören; weder Cydippida noch Tentaculata wären somit monophyletische Taxa, umfassten also nicht alle Nachkommen ihres letzten gemeinsamen Vorfahren und würden daher von der modernen Systematik nicht als gültiges Taxon anerkannt.
Die Monophylie der Nuda selbst dagegen ist weitgehend unbestritten, da der vollständige Tentakelverlust sowie das Vorhandensein von Macrocilien als gemeinsame abgeleitete Merkmale (Synapomorphien) angesehen werden können.
Systematik
Man unterscheidet etwa 25 Arten, die sich auf zwei Gattungen, Beroe und Neis aufteilen, welche in dieselbe Familie Beroidae und Ordnung Beroida gestellt werden. Familie und Ordnung wurden 1825 beziehungsweise 1829 durch den deutschen Naturalisten Johann Friedrich Eschscholtz eingeführt.
- Die Gattung Beroe umfasst fast alle Arten der Klasse und ist weltweit verbreitet. Eine der bekanntesten ist die auch in der Nordsee verbreitete Melonenqualle Beroe gracilis. Bei Beroe-Arten ist die mundabgewandte (aborale) Seite abgerundet. Die räuberische Seemelone Beroe ovata, ist in der Lage den Bestand der kleineren Meerwalnus Mnemiopsis leidyi (aus der Familie der Bolinopsidae) zu kontrollieren, die als invasive Art eine Gefahr für marine Ökosysteme darstellt.[1]
- Die Gattung Neis ist monotypisch, enthält also nur eine Art, Neis cordigera (Lesson 1824), und kommt ausschließlich in den Gewässern um Australien vor. Bei dieser Art befinden sich auf der aboralen Seite zwei bogenartige Fortsätze, so dass sich der mittig dazwischenliegende aborale Sinnespol im Gegensatz zu den Beroiden nicht am äußersten Körperende befindet (beachte Artname cordigera: Herzform). Die bogenartigen Fortsätze verlängern sich entlang der Flanken des Tieres und sind im Längsverlauf zweigeteilt, so dass der Eindruck von zwei seitlichen „Doppelflügeln“ entsteht. An den Kanten dieser vier „Flügel“ verläuft jeweils ein Rippenband. Die verbleibenden vier Rippenbänder verlaufen über die (relativ zu den „Seitenflügeln“) „obere“ und „untere“ Körperhälfte. Die Rippenquallen-typische Achtzahl der Rippenbänder ist also erhalten, auch wenn die Bänder aufgrund der besonderen Körperform in zwei unterschiedlich langen Gruppen ausgebildet sind.
Literatur
- G. I. Matsumoto, G. R. Harbison: In situ observations of foraging, feeding, and escape behaviour in three orders of oceanic ctenophores: Lobata, Cestida, and Beroida. Marine Biology. 117, 1993, S. 279.
- S. Tamm, S. L. Tamm: A giant nerve net with multieffector synapses underlying epithelial adhesive strips in the mouth of Beroe. in: Journal of Neurocytology. 24, 1995, S. 711.
- S. Tamm, S. L. Tamm: Dynamic control of cell-cell-adhesion and membrane-associated actin during food-induced mouth opening in Beroe. in: Journal of Cellscience. 106, 1993, S. 355
Weblinks
- Bilder von Beroe cucumis
- Video: Beroë cucumis (Ctenophora) - Embryonalentwicklung. Institut für den Wissenschaftlichen Film (IWF) 1973, zur Verfügung gestellt von der Technischen Informationsbibliothek (TIB), doi:10.3203/IWF/E-1919.
Einzelnachweise
- ↑ T. Shiganova, L. Legendre, A. Kazmin & P. Nival (2014): Interactions between invasive ctenophores in the Black Sea: assessment of control mechanisms based on long-term observations. Marine Ecology Progress Series, Vol. 507, S. 111–123 doi:10.3354/meps10806