Betriebsbesetzung

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Unter Betriebsbesetzung (auch: Fabrikbesetzung) versteht man eine Kampfform der Arbeitnehmer beziehungsweise eine Steigerungsform des Streiks, bei der die Produktionsmittel symbolisch oder faktisch von den Arbeitnehmern in Besitz genommen werden.

Zu unterscheiden sind zwei Formen:

  • Sitzstreik (Sit-in): Die Arbeitnehmer verweigern nicht nur kollektiv die Arbeit, sondern verbleiben auch dauerhaft am Arbeitsplatz oder im bestreikten Betrieb, um eine anderweitige Nutzung der Produktionsmittel oder den Zugang zu ihnen zu blockieren. Dadurch wird die Möglichkeit des Streikbruchs oder der Produktionsverlagerung ausgeschlossen. Üblich sind tägliche Versammlungen, die der gegenseitigen Information und Bestärkung des Kampfeswillen der Belegschaft dienen. In den 1930er Jahren wurde der Sitzstreik zu einem bevorzugten Kampfmittel der amerikanischen Gummi- und Automobilarbeiter; besonders General Motors erlebte damals eine Serie von Sitzstreiks.[1] Bekanntestes jüngstes historisches Beispiel ist die Besetzung der Danziger Lenin-Werft im Herbst 1980, bei der 16.000 Arbeiter monatelang für wirtschaftliche und politische Reformen streikten. Zwei Beispiele aus Deutschland: Beim sogenannten „Türkenstreik“ 1973 bei Ford in Köln, einer spontanen Protestaktion gegen Entlassungen und Arbeitshetze, blieben die Streikenden im Werk und hielten dort ihre Streikversammlungen ab.[2] Zu einer wochenlangen Betriebsbesetzung, die auch die Gerichte beschäftigte, weitete sich die gegen Entlassungen gerichtete Protestaktion von 150 Arbeitern des Zementwerkes Seibel und Söhne 1975 in Erwitte aus.[3]
  • Weiterführung der Produktion (Work-in): Die Arbeitnehmer besetzen den Betrieb und führen die Produktion in eigener Regie fort. Beispiel dafür ist die Besetzung der britischen Werft Upper Clyde Shipbuilders, als diese 1971 Liquidation angemeldet hatte und die Arbeiter aus Protest eigenständig ihre Arbeit an den Schiffen fortsetzen, um staatliche oder anderweitige Finanzierung zur Weiterführung der Werft zu mobilisieren.[4] Große Resonanz in Frankreich und den Nachbarländern fand die Besetzung der Uhrenfabrik LIP in Besançon 1974, bei der die Belegschaft im Widerstand gegen drohende Entlassungen und die Umstellung von Markenuhren auf Massenware die Produktion allein weiter führte und ein eigenes Vertriebsnetz aufbaute.

Beispiele

  • 1920 kam es in Italien zu Fabrikbesetzungen, an denen eine Million Arbeiter teilnahmen.[5]
  • 9 Tage Betriebsbesetzung bei Werft HDW 1983 in Hamburg (mpz-hamburg.de)

Siehe auch

Literatur

  • Jeremy Brecher: Streiks und Arbeiterrevolten. Amerikanische Arbeiterbewegung 1877 bis 1970. Fischer, Frankfurt am Main 1975.
  • Michael Brockhaus / Wolfgang Schäfer: Betriebsbesetzung. Der kurze Traum von der Solidarität. Sovec, Göttingen 1990. ISBN 3-923147-27-9.
  • Ken Coates: Work-ins, Sit-ins and Industrial Democracy. Spokesman, Nottingham 1981.
  • Rainer Duhm: Fabrikbesetzung in Erwitte. In: Frankfurter Hefte 2/1976.
  • Bodo Morawe: Aktiver Streik in Frankreich oder Klassenkampf bei LIP. Rowohlt, Reinbek 1974.
  • Rainer Thomann: Betriebsbesetzungen als wirksame Waffe im gewerkschaftlichen Kampf. Eine Studie aktueller Beispiele. Zürich 2009. (Besprechung)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jeremy Brecher: Streiks und Arbeiterrevolten. Amerikanische Arbeiterbewegung 1877 bis 1970, Fischer, Frankfurt am Main 1975, Unterkapitel „Sitzstreik“, S. 159–192.
  2. (o. V.)Streik bei Ford Köln, Rosa Luxemburg Verlag, Köln 1973.
  3. Rainer Duhm / Erhard Maus: „Wir halten den Betrieb besetzt“, in: Rainer Duhm / Harald Wieser (Hrsg.): Krise und Gegenwehr, Rotbuch, Berlin 1975, S. 64–79.
  4. Ken Coates: Work-ins, Sit-ins and Industrial Democracy, Spokesman, Nottingham 1981, S. 21–48.
  5. Vito Avantario: Die Agnellis. Die heimlichen Herrscher Italiens.