Bettina Pousttchi
Bettina Pousttchi (* 1971 in Mainz) ist eine deutsch-iranische Künstlerin. Sie lebt und arbeitet in Berlin. Ihre künstlerische Arbeit umfasst Skulptur, Fotografie und Video sowie temporäre ortsspezifische Interventionen auf Architektur im öffentlichen Raum.
Leben
Bettina Pousttchi studierte von 1995 bis 1999 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Rosemarie Trockel und Gerhard Merz. Im Anschluss absolvierte sie das Whitney Independent Studio Program des Whitney Museums of American Art in New York. Sie stellt seit 2001 in internationalen Kunstinstitutionen aus und war zwei Mal auf der Biennale in Venedig vertreten (2003, 2009). Im Jahr 2014 erhielt sie den Wolfsburger Kunstpreis.
Werk
Fassaden im öffentlichen Raum
Seit 2009 realisiert Pousttchi fotografische Interventionen auf öffentlichen Gebäuden, die in Bezug stehen zu dem urbanen und historischen Kontext des jeweiligen Ortes. Die monumentale Fotoinstallation Echo auf dem Berliner Schlossplatz, bedeckte sechs Monate lang die gesamte Außenfassade der Temporären Kunsthalle. Die annähernd 2000 m² große Fotoinstallation bestand aus 970 Einzelplakaten aus Papier und bildete ein umlaufendes Motiv, das an den dort gerade abgerissenen Palast der Republik erinnerte und ihn quasi wieder auferstehen ließ. Auf der Fassade der Art Basel war 2010 die Fotoinstallation Basel Time zu sehen, bezugnehmend auf den bevorstehenden Abriss der Halle im Zuge einer Neugestaltung des Messeplatzes. Die Schirn Kunsthalle Frankfurt zeigte in der Rotunde und auf der Ostfassade ihres Gebäudes die ortsspezifische Fotoinstallation Framework, die zum Ausgangspunkt den historischen urbanen Kontext der Schirn Kunsthalle hatte.[1] In London realisierte sie die Fotoinstallation Piccadilly Windows (2013) auf dem Gebäude der Galerie Hauser & Wirth. 2014 verwandelte Pousttchi das Nasher Sculpture Center in Dallas in ein Drive-Thru-Museum, bezugnehmend auf die Geschichte des Ortes und die Architektur des Renzo-Piano-Gebäudes. Ihre bisherige größte Fotoinstallation ist The City (2014), bei der sie das Wolfsburger Schloss auf drei Gebäudeseiten mit einer 2150 m² großen Fotoplane ummantelte. Die Fotomontage zeigt alle zehn Hochhäuser, die zu ihrer Zeit die höchsten Häuser der Welt waren als imaginäre, transnationale Skyline.
Für den Arts Club of Chicago realisierte sie im Jahr 2017 die Fotoinstallation Suspended Mies bezugnehmend auf das Treppenhaus von Mies van der Rohe, welches sich im Arts Club of Chicago befindet – eine Auftragsarbeit an den nach Chicago emigrierten Architekten für ein früheres Gebäude der Institution.
Im Sommer 2018 realisierte sie im Auftrag des Neuen Museums in Nürnberg einen freistehenden Foto-Pavillon, der an die Geschichte Nürnbergs und seine Bedeutung als Ort der Menschenrechte erinnerte. Das Werk mit dem Titel UNN (United Nations Nuremberg) war von Juli bis Oktober 2018 vor dem Neuen Museum auf dem Klarissenplatz zu sehen.
World Time Clock
Das Projekt der World Time Clock ist die bisher umfangreichste Fotoserie der Künstlerin, für die sie acht Jahre lang in mehreren Etappen in die unterschiedlichsten Zeitzonen der Welt reiste. An jedem dieser Orte fotografierte sie eine öffentliche Uhr zur immer gleichen Zeit: 13:55 Uhr. So entstand diese weltumspannende Arbeit zur politischen und sozialen Organisation von Zeit und Raum in Städten wie New York, London, Hongkong, Sydney, Taschkent, Kapstadt, Dubai, Moskau, Mexiko-Stadt, Rangun, Rio de Janeiro u. a. Die 24-teilige Fotoserie wurde 2016 erstmals im Hirshhorn Museum and Sculpture Garden des Smithsonian Institutes in Washington D.C. in einer 360 Grad Präsentation für elf Monate ausgestellt. Die Kuratorin dieser Präsentation, Melissa Ho, sagt dazu: „World Time Clock visualisiert eine neue Weltordnung, in der es keinen Mittelpunkt gibt, sondern vielmehr 24 gleichberechtigte Zentren.“ Die Direktorin des Hirshhorn-Museums, Melissa Chiu, nannte die Serie eine „poetische Reflektion über globale Gleichzeitigkeit und das Strukturieren von Zeit“.[2] Diese Erfahrung einer nicht-linearen Zeitstruktur setzt sich in vielen Arbeiten der Künstlerin fort.
Double Monuments und weitere Skulpturengruppen
In den Skulpturen der Künstlerin kommen oft Alltagsobjekte des Stadtraums, wie Absperrgitter, Straßenpfosten und Fahrradbügel zum Einsatz, die sie in der Tradition der Objektkunst transformiert. Die Skulpturengruppe Double Monuments for Flavin and Tatlin besteht aus verformten Absperrgitter und Neonröhren, die als Doppelhommage an Wladimir Tatlins Monument für die Dritte Internationale, sowie Dan Flavins "monuments" for V.Tatlin fungiert. Dieser Skulpturengruppe war der erste von fünf Räumen in Pousttchis Einzelausstellung in der Kunsthalle Basel 2011 gewidmet. Die Phillips Collection in Washington DC zeigte 2016 fünf dieser Skulpturen im Dialog mit ihrer Sammlung. Auf der Biennale in Venedig war 2009 in der Ausstellung Glasstress eine Skulptur aus zwei Absperrgittern aus transparentem Sicherheitsglas zu sehen.
Diese Objekte basieren auf der Frage nach Grenzen, den dort wirkenden Gewalten und der transformativen Energie, die in ihrer Auflösung liegt. Auch hier setzt sich der Anspruch der Künstlerin auf eine interdisziplinäre künstlerische Praxis in transnationaler Perspektive fort.
Videoinstallationen
Die Videoarbeiten der Künstlerin bestanden zunächst aus „Single-Channel-Arbeiten“, die sich später zu raumgreifenden Videoinstallationen entwickelten. In diesen Installationen setzt sich oft der projizierte Raum in den Ausstellungsraum fort und verschiedene Realitätsebenen vermischen sich.
Werke in öffentlichen Sammlungen
Die Arbeiten von Bettina Pousttchi sind in den Sammlungen zahlreicher internationaler Museen vertreten, wie dem Hirshhorn Museum and Sculpture Garden in Washington D.C., der Phillips Collection in Washington DC, dem Arts Club of Chicago, dem Nasher Sculpture Center in Dallas, der Berlinischen Galerie – Museum für Moderne Kunst Berlin, der Albertina in Wien, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal, der Kunsthalle Bielefeld, sowie in der Sammlung der Bundesrepublik Deutschland.[3]
Kollaborationen
Bettina Pousttchi ist Mitglied im Brutally Early Club, der von Hans-Ulrich Obrist und Markus Miessen 2006 in London gegründet wurde. Sie realisierte Installationen mit dem Architekten Markus Miessen und der Künstlerin Rosemarie Trockel[4] und wirkte mit in einem Film von Lawrence Weiner (How Far is There, 1999). Mit Daniel Buren filmte sie im Jahr 2010 ein Interviewvideo zur künstlerischen Praxis im öffentlichen Raum Conversations in the Studio #3. Diese Videoarbeit wurde der Ausgangspunkt einer gemeinsamen Ausstellung der beiden Künstler 2017 in der Kunsthalle Mainz.
Einzelausstellungen (Auswahl)
- Arp-Museum, Remagen; Dezember 2021 – Juni 2022
- Berlinische Galerie, September 2019 – August 2020
- KINDL – Centre of Contemporary Art Berlin (2019/2020)
- Kunsthalle Tübingen (2019/2020)
- Neues Museum Nürnberg (2018)
- Kunstmuseum St. Gallen (2018)
- Kunsthalle Mainz (mit Daniel Buren) (2017)
- The Arts Club of Chicago (2017)
- Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Washington D.C (2016/2017)[5]
- Phillips Collection Washington D.C. (2016)[6]
- Nasher Sculpture Center, Dallas (2014)[7]
- Städtische Galerie Wolfsburg (2014)
- Schirn Kunsthalle Frankfurt (2012)
- Kunsthalle Basel (2011)
- Temporäre Kunsthalle Berlin (2009/2010)
- Von-der-Heydt-Kunsthalle, Wuppertal (2007)
- Württembergischer Kunstverein Stuttgart (2003)
- Museum Morsbroich, Leverkusen (2001)
Preise und Stipendien
- Villa Aurora Fellow, Los Angeles (2016)
- Wolfsburger Kunstpreis "Junge Stadt sieht Junge Kunst" (2014)
- TrAIN Research Center for Transnational Art, Identity and Nation, Balmoral Residency, University of the Arts, London (2008)
- BBAX – Berlin Buenos Aires Art Exchange, Buenos Aires (2007)
- Provinzial Förderprojekt (2005)
- Kunststiftung NRW (2000)
Literatur/Monografien
- Bettina Pousttchi: In Recent Years, Berlinische Galerie, Museum of Modern Art, Berlin, Koenig Books, London, 2020, with texts by Thomas Köhler, Jörg Heiser, Jeremy Strick, Melissa Ho, ISBN 978-3-96098-819-9
- Bettina Pousttchi: Metropolitan Life, Museo Nivola, Scheidegger & Spiess, 2018, mit einem Essay von Greg Foster-Rice und einem Gespräch mit der Künstlerin von Hans Ulrich Obrist und Markus Miessen, ISBN 978-3-85881-826-3
- Bettina Pousttchi: World Time Clock, Hirshhorn Museum and Sculpture Garden Washington D.C.,/ Hatje Cantz, 2017, mit Texten von Melissa Chiu und Melissa Ho, ISBN 978-3-7757-4359-4
- Bettina Pousttchi: Suspended Mies, The Arts Club of Chicago 2017, mit Texten von Janine Mileaf und Greg Foster-Rice, ISBN 978-1-891925-48-1
- Bettina Pousttchi: The City, Nasher Sculpture Center Dallas / Städtische Galerie Wolfsburg, Hatje Cantz Verlag 2015, mit Texten von Susanne Pfleger, Thomas Köhler, Jeremy Strick, Adam Szymczyk, sowie einem Gespräch der Künstlerin mit Chris Dercon, ISBN 978-3-7757-3908-5
- Bettina Pousttchi: Framework, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Verlag der Buchhandlung Walther König Köln, 2012, mit Texten von Katharina Dohm, Adam Szymczyk und einem Gespräch zwischen Bettina Pousttchi und Nikolaus Hirsch, Vorwort von Max Hollein, ISBN 978-3863351649
- Bettina Pousttchi: Echo Berlin, Temporäre Kunsthalle Berlin, Verlag der Buchhandlung Walther König Köln, 2010, mit Texten von Tom McCarthy, Diedrich Diederichsen, Markus Miessen, Hans Ulrich Obrist, Bettina Pousttchi, Angela Rosenberg, Esther Ruelfs, ISBN 978-3-86560-833-8
- Bettina Pousttchi: Reality Reset, Von der Heydt Museum Wuppertal, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2008, mit Texten von Barry Schwabsky, Jörg Heiser, Matthias Mühling, Petra Löffler, Niels Werber, Uta Grosenick, Jon Wood, Christian Rattemeyer, Mark Gisbourne, Vanessa Joan Müller, ISBN 978-3-86560-374-6
- Bettina Pousttchi: Departure, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2007, ISBN 3-86560-285-1
- Bettina Pousttchi: Screen Settings, Württembergischer Kunstverein, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern-Ruit, 2003, ISBN 3-7757-9178-7
Weblinks
- Literatur von und über Bettina Pousttchi im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Bettina Pousttchi in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Suche nach Bettina Pousttchi im Online-Katalog der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (Achtung: Die Datenbasis hat sich geändert; bitte Ergebnis überprüfen und
SBB=1
setzen) - Bettina Pousttchi bei artfacts.net
- Homepage der Künstlerin
- Bettina Pousttchi bei Buchmann Galerie Berlin
Quellen
- ↑ Die Frankfurter Schirn trägt ein Fachwerk-Kleid in: FAZ vom 12. April 2012, Seite 35
- ↑ Bettina Pousttchi, World Time Clock, Hirshhorn Museum and Sculpture Garden, Hatje Cantz Verlag, Berlin, 2017, ISBN 978-3-7757-4359-4
- ↑ Zeitblick: Ankäufe der Sammlung Zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland 1998–2008, Dumont 2008
- ↑ Susanne Kaufmann: When Pousttchi met Trockel, in: TIME Magazine, 7. April 2003, 68/69
- ↑ Mitteilung zur Ausstellung, abgerufen am 15. März 2016.
- ↑ Mitteilung zur Ausstellung, abgerufen am 15. März 2016.
- ↑ Mitteilung zur Ausstellung, abgerufen am 1. August 2014.
Personendaten | |
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NAME | Pousttchi, Bettina |
KURZBESCHREIBUNG | deutsch-iranische Künstlerin |
GEBURTSDATUM | 1971 |
GEBURTSORT | Mainz |