Bielefelder Schreiblabor

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Das Bielefelder Schreiblabor ist eine fachübergreifend angesiedelte Beratungsstelle zum wissenschaftlichen Schreiben (genannt "Schreibzentrum") an der Universität Bielefeld. Im Jahr 1993 wurde es als erste Einrichtung dieser Art in Deutschland gegründet.[1][2][3]

Gründung

Nach einer Reise durch die USA, bei der sie feststellte, dass dort an den meisten Hochschulen Schreibberatung für Studierende und Graduierte angeboten wurde, hatte die Bielefelder Erziehungswissenschaftlerin Andrea Frank die Idee, an der Universität Bielefeld ein Schreibzentrum nach US-amerikanischen Modell einzurichten. Ausgehend von der Tradition der US-amerikanischen Writing Centers entwickelte sie zusammen mit Gabriela Ruhmann ein erstes Konzept, das auf Tradition und Bedarf einer deutschen Universität zugeschnitten war. Zunächst als Modellprojekt vom Land Nordrhein Westfalen gefördert, begann das Bielefelder Schreiblabor seine Arbeit mit einem offenen Schreib-Beratungsangebot für Studierende und Doktoranden. Auf Basis der Beratungserfahrungen und unter Zuhilfenahme einschlägiger Literatur aus dem US-amerikanischen Kontext wurden in den ersten Jahren des Bielefelder Schreiblabors Workshop-Konzepte entwickelt und in der Folge immer weiter an die Bedürfnisse von Menschen angepasst, die wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten schreiben.

Schreiben in den Fächern

Mit der Einführung von Bachelor und Master im Jahr 2002 erhielt das Schreiblabor die Aufgabe, zur Weiterentwicklung der Lehre in den Studiengängen der Universität Bielefeld beizutragen. Seitdem gibt es im Schreiblabor den Schwerpunkt "Schreiben in den Fächern", den Stefanie Haacke und Swantje Lahm in Kooperation mit Lehrenden unterschiedlicher Fachdisziplinen entwickelten. Neue Fort- und Weiterbildungskonzepte für Hochschullehre wurden entwickelt, die die Entwicklung disziplinspezifischer Schreibaktivitäten ins Zentrum stellen. Seit dem Jahr 2013 unterstützt das Schreiblabor die Studiengänge der Universität Bielefeld bei der Weiterentwicklung zentraler Einführungsveranstaltungen für Bachelor-Studierende. Diese Arbeit, die darauf zielt, Studierenden mit Hilfe von Schreibaktivitäten die Aneignung der spezifischen Denk- und Arbeitsweisen der von ihnen gewählten Disziplin zu erleichtern, setzt neue Akzente in der deutschen Hochschuldidaktik. Zentral für die Kooperation des Schreiblabors mit den Fächern ist ein Ansatz, der dabei unterstützt, das Implizite des fachwissenschaftlichen Arbeitens explizit zu machen. Diesem Grundgedanken ist auch die von Swantje Lahm bei utb herausgegebene Reihe „Schreiben im Studium“ verpflichtet, in der gut verständliche Einführung in die Denk- und Kommunikationsweisen in einzelnen Studienfächern gegeben werden.

Ansätze zur Weiterentwicklung von Fachcurricula

Seit dem Jahr 2016 unterstützt das Schreiblabor Studiengänge der Universität Bielefeld dabei, Anteil und Qualität von Schreibaufgaben und schriftlichen Prüfungen im Fachstudium zu überprüfen und zu überarbeiten. Das von der University of Minnesota adaptierte Verfahren („WEC“ – Writing Enriched Curriculum) erhebt zunächst, an welchen Stellen im Curriculum welche Art von Texten geschrieben werden, und welche Grundannahmen, Ziele und Erwartungen Lehrende und Studierende mit Schreibaktivitäten und schriftlichen Prüfungen verbinden, die im jeweiligen Fachstudiengang üblich sind. Das Verfahren stellt sicher, dass möglichst sämtliche am Studiengang beteiligte Lehrende und sämtliche Studierenden einer Kohorte des Studiengangs an der Erhebung teilnehmen. Die gesammelten Daten werden aufbereitet und den Lehrenden des Studiengangs vorgestellt. Auf Basis der Befunde entwickeln die Lehrenden den Studiengang weiter und implementieren, verschieben und adjustieren Schreibaktivitäten im Verlauf der zu absolvierenden Pflichtveranstaltungen mit dem Ziel, das Fachstudium zu intensivieren und zu verbessern.

Collaborative Writing

Im Jahr 2002 veranstaltete das Schreiblabor die erste Konferenz in Deutschland zum Thema Collaborative Writing und zur Ausbildung und zum Einsatz Studierender als Peer Tutor*innen. Diese bis dahin an deutschen Hochschulen gänzlich unbekannte Form studentischer Schreibberatung durch qualifizierte Kommilitonen wurde dann zuerst am Schreibzentrum der Europa-Universität Viadrina eingeführt und im Jahr 2008 auch an der Universität Bielefeld. Seitdem qualifiziert und begleitet das Schreiblabor ein Team studentischer Schreibberater, die sich in einem unter dem Begriff „Peer Learning“ etablierten Team studentischer Berater und Tutoren organisieren und Kommilitonen in unterschiedlichen Settings Gelegenheit zum Austausch über das Schreiben im Studium geben. Der Einsatz studentischer Peer Tutor*innen in der Schreibberatung basiert auf der theoretischen Vorarbeit von Kenneth Bruffee, Harvey Kail und Paula Gillespie, die die Arbeit von studentischen Schreibtutor*innen vor allem als Beitrag zur Entwicklung denkerischer und lernerischer Autonomie von Studierenden anlegen und entsprechende Ausbildungskonzepte für Peer Tutor*innen entwickelt haben, in denen Formen der Zusammenarbeit und der gegenseitigen Unterstützung beim Schreiben durch Feedback und Beratung vermittelt werden.

Konzeptioneller Hintergrund

Zentral für die Workshops und Seminare des Bielefelder Schreiblabors sind der prozessorientierte Ansatz, d. h. der Blick auf die zahlreichen kognitiven und handwerklichen Schritte, die beim Verfassen einer wissenschaftlichen Arbeit anfallen, und das Wissen darum, dass die Strategien, diese Schritte zu bewältigen, individuell und je nach Kontext variieren. Wichtige Anregungen für Konzept und Ansatz stammen von Otto Kruse, der mit seinem Buch "Keine Angst vor dem leeren Blatt" (1993) die Basis für eine prozessorientierte Schreibdidaktik im deutschsprachigen Raum gelegt hat, und von Gabriela Ruhmann, die das Schreiblabor gemeinsam mit Andrea Frank in der Aufbauphase von 1993 bis 1997 geprägt hat. Wichtige Bausteine im Konzept des Schreiblabors stammen von den dänischen Schreibdidaktikern Lotte Rienecker und Peter Stray Jorgensen, die das Schreibzentrum an der Universität Kopenhagen aufgebaut haben. Der konzeptionelle Ansatz des Schreiblabors zur Entwicklung schreibintensiver Lehre in den Fächern ist angelehnt an das US-amerikanische Writing in the Disciplines, das im Feld des Writing across the Curriculum insofern eine Sonderrolle einnimmt, als es den engen Zusammenhang zwischen fachlichen Schreib-, Denk- und Produktionspraktiken und somit das große Potential betont, das die Klärung von Lern- und Studienzielen bei der Konzeption von Schreibaufgaben für Studierende birgt. Theoretische Vordenker und praktische Pioniere dieser Richtung sind Michael Carter, Katherine Gottschalk und Keith Hjortshoj. Das Schreiblabor kooperiert z. B. in der European Association for the Teaching of Academic Writing (EATAW) mit anderen Initiativen, Projekten und Hochschuleinrichtungen, die das Schreiben in der Hochschullehre zum Gegenstand von Forschung und Entwicklung machen.

Literatur

  • Heike Brandl, Anna Vollmer: Schreiblabor und PunktUm. Die Schreibzentren der Universität Bielefeld. In: Dagmar Knorr, Ursula Neumann (Hrsg.): Mehrsprachige Lehramtsstudierende schreiben. Schreibzentren an deutschen Hochschulen. Waxmann, Münster / New York 2014, S. 141–153.
  • Kenneth Bruffee: A Short Course in Writing. Composition, Collaborative Learning, and Constructive Reading. HarperCollinsCollegePublishers, New York 1993.
  • Matthias Buschmeier, Svenja Kaduk: Germanistik denken – schreiben – verstehen. Von der schreiborientierten Einführung zum Curriculum. In: Zeitschrift für Hochschulentwicklung 11 (2). 11. Oktober 2016, S. 195–207.
  • Michael Carter: Ways of Knowing, Doing, and Writing in the Disciplines. In: CCC 58:3 / Februar 2007.
  • Ingrid Furchner, Ruth Großmaß, Gabriela Ruhmann: Schreibberatung oder Studienberatung? Zwei Einrichtungen, zwei Zugangsweisen. In: Otto Kruse, Eva-Maria Jakobs, Gabriela Ruhmann (Hrsg.): Schlüsselkompetenz Schreiben. Konzepte, Methoden, Projekte für Schreibberatung und Schreibdidaktik an der Hochschule. UniversitätsVerlagWebler, Bielefeld 1999, S. 37–59.
  • Ingrid Furchner, Gabriela Ruhmann, Christina Tente: Von der Schreibberatung für Studierende zur Lehrberatung für Dozenten. In: Otto Kruse, Eva-Maria Jakobs, Gabriela Ruhmann (Hrsg.): Schlüsselkompetenz Schreiben. Konzepte, Methoden, Projekte für Schreibberatung und Schreibdidaktik an der Hochschule. Universitätsverlag Webler, Bielefeld 1999, S. 61–71.
  • Paula Gillespie, Neal Learner: The Longman Guide to Peer Tutoring. Longman, Harlowe 2007.
  • Andrea Frank, Stefanie Haacke, Christina Tente: Contacts – Conflicts – Cooperation. A Report from the Writing Lab of Bielefeld University. In: Lennart Björk, Gerd Bräuer, Lotte Rienecker, Peter Stray Jörgensen (Hrsg.): Teaching Academic Writing in European Higher Education. Kluwer Academic Publishers, Doordrecht 2003, S. 165–174.
  • Stefanie Haacke, Andrea Frank, Andrea: Typisch deutsch? Vom Schweigen über das Schreiben. In: Walter Kissling, Gudrun Perko (Hrsg.): Wissenschaftliches Schreiben in der Hochschullehre. Reflexionen, Desiderate, Konzepte. StudienVerlag, Innsbruck 2006, S. 35–44.
  • Stefanie Haacke, Andrea Frank: Den ‚Shift from Teaching to Learning‘ selbst vollziehen! – Gedanken zur Selbstverortung einer neuen Kaste an den Hochschulen. In: Tobina Brinker, Peter Tremp, Johannes Wildt (Hrsg.): Studiengangentwicklung, fachbezogene und fachübergreifende Hochschuldidaktik. Blickpunkt Hochschuldidaktik, Bd. 121, Bielefeld 2010.
  • Stefanie Haacke: Grenzen der Schreibberatung. In: Schreibzentrum der Ruhr-Universität Bochum (Hrsg.): ‚Aus alt mach neu‘ – schreibdidaktische Konzepte, Methoden und Übungen. Festschrift für Gabriela Ruhmann. UVW, Bielefeld 2017, S. 9–20.
  • Andrea Frank, Stefanie Haacke, Swantje Lahm: Schreiben in Studium und Beruf. Metzler, Stuttgart 2013.
  • Andrea Frank, Swantje Lahm: Das Schreiblabor als lernende Organisation. In: A. Hirsch-Weber, S. Scherer: Wissenschaftliches Schreiben in Natur- und Technikwissenschaften. Springer Spektrum, Wiesbaden 2016. S. 9–28.
  • Catherine Gottschalk, Keith Hjortshoj: The Elements of Teaching Writing. A Resource for Instructors in All Disciplines. Bedford / St. Martin’s, Boston / New York 2004.
  • Swantje Lahm: Lehrend in die Wissenschaft. Die Qualifizierung von Doktorand/innen für schreibintensive Lehre am John S. Knight Institute for Writing in the Disciplines, Cornell University, USA. In: Das Hochschulwesen 1/2010, S. 21–27.
  • Swantje Lahm: Schreiben in der Lehre. Verlag Barbara Budrich, Opladen / Toronto 2016.
  • Gabriela Ruhmann: Wissenschaftlich Schreiben lernen an deutschen Hochschulen – Eine kleine Zwischenbilanz nach 20 Jahren. In: Dagmar Knorr, Ursula Neumann (Hrsg.): Mehrsprachige Lehramtsstudierende schreiben. Schreibzentren an deutschen Hochschulen. Waxmann, Münster / New York 2014, S. 34–53.
  • Andrea Scott: ‘We would be well advised to agree on our own basic principles’: Schreiben as an Agent of Discipline-Building in Writing Studies in Germany, Switzerland, Austria, and Liechtenstein. In: Journal of Academic Writing, 7(1), 2017, S. 43–58.

Weblinks

Einzelnachweise

Koordinaten: 52° 2′ 20,6″ N, 8° 29′ 33,7″ O