Bjarmaland
Bjarmaland (auch Bjarmland oder Bjarmia; im Sinne von Land der Bjarmen) war ein Gebiet, welches in nordischen Sagas bis in die Wikingerzeit und darüber hinaus in den geographischen Werken, die im 16. Jahrhundert publiziert wurden, genannt wird.
Vermutete Lage des Gebietes
Der Begriff könnte den südlichen Ufern des Weißen Meeres und dem Becken der Nördlichen Dwina zuzuordnen sein. Diese Gebiete sind heute Teil der Oblast Archangelsk Russlands. Jedenfalls reichte der Handel der Bjarmen süd-östlich bis zu den Wolgabulgaren, wo sie ebenfalls auf Skandinavier trafen, welche jedoch von der Ostsee kamen.[1]
Wahrscheinlich lag Bjarmaland in dem Gebiet des heutigen Archangelsk das einer vorhergehenden bjarmischen Siedlung nachfolgte. Erstmals taucht der Name Bjarmaland in der Reise des Otthar auf, welche womöglich im Jahre 890 unternommen ist. Nach der Erzählung Otthars handelte es sich um die erste Reise von Norwegern dorthin, wenngleich diese Angabe nicht sicher erscheint.[2] Es ist eher anzunehmen, dass Otthar diese Geschichte im Hinblick auf sein angelsächsisches Publikum erdachte und sich hierbei hinsichtlich der Details der bjarmisch-norwegischen Handelsbeziehungen zurückhielt.[3]
Der Name der Bjarmen findet sich auch in der ältesten Chronik der Rus, der Nestor-Chronik. Ferner werden in diesen auch die Namen anderer finno-ugrischer Stämme aufgeführt, wie die der Wepsen, Mari, Mordwinen und dem der Tschuden (Proto-Esten).[4]
Die Gebietsbezeichnung wurde später von Adam von Bremen, und auch dem Isländer Snorri Sturluson, in dessen Bósa saga ok Herrauðs, verwandt; sie berichteten über die Flüsse, welche von Bjarmaland nach Gandvik flössen. Es ist unklar, ob sie das gleiche Bjarmaland meinten, welches auch in der Reise Otthars erwähnt wird. Der Name der bjarmischen Gottheit Jomali ähnelt dem finnischen Jumala, was „Gott“ bedeutet oder in anderen finnischen Dialekten bzw. Sprachen eine dem entsprechende Bedeutung hat. Hieraus wurde auch geschlossen, dass die Bjarmen finnischen Ursprungs gewesen seien. Allerdings deutet die Beschreibung der Gottheit eher auf eine sibirische Gottheit hin; besonders deren Krone, die als mit 12 goldenen Sternen verziert beschrieben wird, wäre charakteristisch für die Kopfbedeckungen sibirischer Schamanen.
Olaus Magnus verortete Bjarmaland in der Gegend der Kola-Halbinsel, während Johannes Scheffer behauptete, es wäre mit der Lappmark (Finnmark) gleichzusetzen. Auf den Reproduktionen der Skálholt-Karte aus dem späten 16. Jahrhundert des Sigurd Stefánsson wird Biarmaland oberhalb von Norwegen verortet.
Schilderungen in den Sagas
Nach der Niederschrift des Berichtes, den der Norweger Otthar aus Halogaland dem König Alfred dem Großen lieferte, segelte er mehrere Tage der nördlichen Küste Norwegens entlang, und dann südwärts, woraufhin er dann einen großen Fluss erreichte, bei dem es sich wahrscheinlich um die Nördliche Dwina handelte. An deren Mündung die Beormas siedelten, die ungleich den nomadischen Samen sesshaft waren; und ihr Land war reich und wohlbevölkert. Ihre Sprache war dem Otthar unbekannt, aber er sagte, dass sie der der Samen ähnelte. Die Bjarmen erzählten ihm von ihrem Land und von anderen Ländern, die an ersteres grenzten.
Später wird von weiteren Expeditionen oder Reisen ins Bjarmaland berichtet, welche von Norwegen aus unternommen wurden. Im Jahre 920 unternahm Erik Blutaxt eine Fahrt, wie später auch Harald II. sowie Haakon Magnusson im Jahre 1090.
Die am besten bekannte Expedition war die des Tore Hund, welcher zusammen mit einigen Freunden (oder auch Raubgesellen), im Jahre 1026 ins Bjarmaland gelangte. Sie begannen mit den Einwohnern zu handeln und kauften eine große Menge Pelze; woraufhin sie vorgaben abzureisen. Später landeten sie heimlich an der Küste, und plünderten die Begräbnisstätte der Bjarmen. Dort hatten diese ein Idol ihres Gottes Jomali errichtet. Auf den Knien dieser Götterstatue befand sich eine Schüssel, in der sich Silber befand. Ferner hatte die Statue eine wertvolle Kette um den Hals hängen. Tore und seine Männer griffen zu und schafften es, den – sie verfolgenden – Bjarmen mitsamt ihrer Beute zu entkommen.
Historische Einordnung
Historiker nehmen an, dass der Reichtum der Bjarmen auf ihrem profitablen Handel entlang der Dwina dem Kama und der Wolga zu den Bulgaren und anderen Siedlungen im Süden beruhte. Entlang dieser Route wurden von den Bjarmen Silbermünzen und andere Handelsgüter gegen Pelze und Walross-Bein eingetauscht. Weiter im Norden handelten die Bjarmen mit den Samen, welche ihnen womöglich tributpflichtig waren.
Es scheint, dass die Skandinavier Nutzen aus dem Dwina-Handel zogen – zusätzlich zu den Handelswegen über die Wolga und den Dnjepr. Im Jahre 1217 kamen zwei norwegische Händler nach Bjarmaland, um dort Pelze zu kaufen; einer von ihnen fuhr weiter Richtung Süden, um nach Russland und von dort ins Heilige Land zu gelangen, wo er gedachte, an einem Kreuzzug teilzunehmen. Der zweite Händler, welcher zurückblieb, wurde von den Bjarmen getötet. Dies bewegte norwegische Hauptleute dazu, zur Vergeltung einen Kriegszug ins Bjarmaland zu unternehmen, welches sie 1222 plünderten.
Das 13. Jahrhundert scheint den Niedergang des Bjarmalandes eingeleitet zu haben, denn es wurde Nowgorod tributpflichtig. Während viele Slawen vor der Mongolischen Invasion nordwärts, Richtung Belosersk und Bjarmaland, flohen, suchten die aus ihrem Land vertriebenen Bjarmen in Norwegen Zuflucht. Dort wurde ihnen im Jahre 1240 von Håkon IV. Land in Malangen zugewiesen. Bedeutsamer für deren Niedergang war wahrscheinlich, dass sich die Handelsrouten mit dem Einsetzen der Kreuzzüge mehr nach Westen verlagerten oder sich beträchtlich nach Süden verschoben. Als die Nowgoroder im beginnenden 13. Jahrhundert Weliki Ustjug gründeten, erwuchs den Bjarmen ein gewichtiger Handelskonkurrent. Mehr und mehr Pomoren gelangten im 14. und 15. Jahrhundert in die Region, was zur abschließenden Unterwerfung und Assimilation der Bjarmen durch die Slawen führte.
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Steinsland & Meulengracht 1998, S. 162.
- ↑ Ohthere's voyage to Bjarmaland. Originaltext in engl. Übersetzung
- ↑ Richard Hennig: Terrae incognitae. Eine Zusammenstellung und kritische Bewertung der wichtigsten vorcolumbianischen Entdeckungsreisen anhand der darüber vorliegenden Originalberichte. 4 Bde., 2. Aufl., Brill, Leiden 1944–1956
- ↑ Angela Marcantonio: The Uralic Language Family: Facts, Myths and Statistics (= Publications of the Philological Society. Band 35). Wiley, 2002, ISBN 0-631-23170-6, S. 21–23 (englisch, 360 S., eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
Literatur
- Steinsland, G. & Meulengracht Sørensen, P. (1998): Människor och makter i vikingarnas värld. ISBN 91-7324-591-7
- Тиандер К.Ф. Поездки скандинавов в Белое море. [Voyages of the Norsemen to the White Sea]. Saint Petersburg, 1906.