Blauer Eisenhut in der Medizingeschichte

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Links: Wolfswurz (Aconitum lycoctonum). Rechts: Eisenhütlein (Aconitum napellus). Hieronymus Bock 1546. Weitere historische Abbildungen: [1][2]

Blauer Eisenhut (Aconitum napellus). Nach Theophrast soll der Name aconitum von einem „Dorf Akona im Gebiet der Mariandynen“ herrühren. Nach der griechischen Mythologie entstand die Pflanze aus dem Geifer des Hundes Kerberos, als Herakles diesen aus der Unterwelt hervorschleifte. (Ausführliche Informationen über die Namensgebung bei Sprengel sowie in Köhler’s Medizinal-Pflanzen.)[3][4][5]

Die in den Kräuterbüchern der Antike, der Spätantike und des Mittelalters aufgeführten Pflanzennamen lassen sich nur sehr unsicher den uns bekannten Pflanzenarten zuordnen.[6]

Im 1. Jh. schrieben Dioskurides und Plinius über Pflanzen, die sie akoniton oder anderes akoniton nannten. Gleichlautend empfahlen sie, diese Pflanzen als Giftköder, als Gegengift nach Skorpionstichen oder als Beimischung zu schmerzstillenden Augenmitteln zu verwenden. Im 2. Jh. nannte auch Galen zwei Arten von akoniton. Eine davon sollte zur Wundreinigung dienen.[7][8] Römische Ärzte hatten den Eisenhut auch bei Ohrenschmerzen eingesetzt.[9]

Von den mittelalterlichen Autoren haben lediglich Avicenna und (Avicenna zitierend) Konrad von Megenberg über eine Pflanze berichtet, die von späteren Autoren als Eisenhut gedeutet wurde. Avicenna berichtete im Kanon der Medizin über die Wirkungen einer Pflanze, die in den lateinischen Übersetzungen des Kanon napellus genannt wurde. Nach der antiken Qualitätenlehre stufte er sie als „heiß und trocken im höchsten Grad“ ein. Äußerlich aufgestrichen oder als Zubereitung im Trank eingenommen sollte sie gegen Hauterkrankungen nützlich sein, die als albaras und lepra bezeichnet wurden. Mehr als eine halbe Drachme[10] nach Avicennas persönlicher Einschätzung auch weniger, wurde als tödliche Dosis eingeschätzt. Als Gegengift gab er die Maus an, die sich von der Wurzel des napellus ernährt.[11][12]

In der frühen Neuzeit wurden Eisenhut-Arten eher beiläufig erwähnt. Die Väter der Botanik versuchten das akoniton und den napellus in der heimischen Flora nachzuweisen. Sie einigten sich auf den gelben Eisenhut und den blauen Eisenhut, bezogen aber auch die Einbeere in die Wahl mit ein. Sie befürworteten die Verwendung des blauen Eisenhuts als Giftköder und (als Salbe zubereitet) zum Vertreiben von Läusen und Nissen.[13][14][15]

Der italienische Arzt-Botaniker Pietro Andrea Mattioli verabreichte zum Tode Verurteilten zunächst das Gift des Blauen Eisenhuts und anschließend ein Gegengift (Bezoar). Überlebten die Verurteilten, so wurde ihnen die Freiheit geschenkt.[16][17]

In der Mitte des 18. Jahrhunderts behandelte der Wiener Arzt Anton von Störck Nervenschmerzen und schlecht heilende Wunden durch innere Gabe von Presssaftextrakten aus den Blättern und Stängeln des Blauen Eisenhuts. 1790 berichtete Samuel Hahnemann, dass auch er Nervenschmerzen und Gicht erfolgreich nach Störcks Methode behandelt habe. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden in Deutschland Zubereitungen aus den Wurzeln des Blauen Eisenhuts als Mittel gegen Nervenschmerzen verordnet. Im Jahr 1833 stellten Philipp Lorenz Geiger und Ludwig Hesse das Alkaloid Aconitin dar.[18][19][20][21][22][23][24][25][26][27][28][29]

Alle Pflanzenteile des Blauen Eisenhuts sind stark giftig. Bereits zwei Gramm der (frischen) Wurzel können für Menschen tödlich sein. Die Pflanze steht in Deutschland unter Naturschutz. In Bayern steht sie auf der Vorwarnstufe der Roten Liste.

Einzelnachweise

  1. Vitus Auslasser 1479 (Bildlink)
  2. Leonhart Fuchs. Wolfswurz. 1543, Kapitel 30 (Bildlink)
  3. Kurt Sprengel (Hrsg.): Theophrast’s Naturgeschichte der Gewächse. Altona 1822, Band 2, S. 384–386 (9. Buch, 16. Kap., 4. Abschn.) (Digitalisat)
  4. "Köhlers Medizinalpflanzen1887">Köhler’s Medizinal-Pflanzen. Band I, No 72. Gera 1887. (Digitalisat)
  5. Plinius: Naturalis historia. Buch XXVII, § 4–5 (Kapitel II) (Digitalisat Latein); (Digitalisat Ausgabe Külb 1840-1864 Deutsch)
  6. Otto Brunfels: Contrafayt Kreüterbůch. Straßburg 1532, Vorwort, Kapitel 19 (Digitalisat)Henry E. Sigerist: Studien und Texte zur frühmittelalterlichen Rezeptliteratur. Barth, Leipzig 1923, Vorwort, S. V. – Charles Singer: The herbal in antiquity. In: The journal of hellenistic studies. Band 47 (1927), S. 1–52. - Brigitte Hoppe: Das Kräuterbuch des Hieronymus Bock. Wissenschaftshistorische Untersuchung. Mit einem Verzeichnis sämtlicher Pflanzen des Werkes, der literarischen Quellen der Heilanzeigen und der Anwendungen der Pflanzen. Hiersemann, Stuttgart 1969 – Gundolf Keil: Phytotherapie und Medizingeschichte. In: Zeitschrift für Phytotherapie, Band 6 (1985), S. 172–178 u. a.
  7. Julius Berendes: Des Pedanius Dioskurides Arzneimittellehre in 5 Büchern. Enke, Stuttgart 1902. Buch IV, Kapitel 77: akoniton; Kapitel 78: anderes akoniton. (S. 411–413). (Digitalisat)
  8. Galen: De simplicium medicamentorum temperamentis ac facultatibus, lib VI, Cap. I/19-20 (nach Kühn 1826, Bd. XI, S. 820). (Digitalisat)
  9. D. Chabard (Hrsg.): Medizin im gallisch-römischen Altertum. La médecine dans l’antiquité romaine et gauloise. Exposition par le Museum d’histoire naturelle et le Musée Rolin dans le cadre du Bimillénaire de la Ville d’Autun. Musée d’Histoire Nauturelle, Ville d’Autun 1985 / Stadt Ingelheim/Rhein 1986, S. 25.
  10. Julius Berendes: Des Pedanios Dioskurides aus Anazarbos Arzneimittellehre. Stuttgart 1902, S. 16: „1 Drachme = ca. 3–4 g.“
  11. Avicenna: Canon. Buch II, (Ausgabe Andrea Alpago, Basel 1556, Buch II, Cap. 499, S. 274) (Digitalisat)
  12. Franz Pfeiffer (Hrsg.): Konrad von Megenberg. Das Buch der Natur. Stuttgart 1861, S. 411. (Digitalisat)
  13. Otto Brunfels: Kräuterbuch, deutsch, 1532, S. 329. (Digitalisat)
  14. Hieronymus Bock: Kräuterbuch 1539, Teil I, Kapitel 82 (Digitalisat)
  15. Leonhart Fuchs: De historia stirpium. Basel 1542 (Ausgabe Lyon 1549), Kapitel 30 (Digitalisat) - Kräuterbuch 1543. Kapitel 30. (Digitalisat)
  16. Georg Handsch (Übers.): Pietro Andrea Mattioli: New Kreütterbuch … Prag 1563, Blatt 472v–473r (Digitalisat)
  17. Michael Stolberg: Tödliche Menschenversuche im 16. Jahrhundert. In: Deutsches Ärzteblatt. Jg. 111, Heft 47, 21. November 2014. (Digitalisat)
  18. Anton von Störck: Abhandlung worinnen erwiesen wird, dass der Stechapfel, das Tollkraut und das Eisenhütlein, nicht nur innerlich ganz sicher den Menschen gegeben werden können, sondern auch in vielen Krankheiten sehr heilsame und ersprießliche Mittel seyen. Deutsche Ausgabe, Augsburg 1763, S. 49–82. (Digitalisat)
  19. Samuel Hahnemann (Übersetzer): William Cullen’s Abhandlung über die Materia medica. Schwickert, Leipzig 1790, Band II, S. 320. (Digitalisat)
  20. B. Zumstein: Stoerck und seine therapeutischen Versuche. Zürcher Medizingeschichtliche Abhandlungen, N.R. 54 (1968)
  21. Erwin H. Ackerknecht: Die therapeutische Erfahrung und ihre allmähliche Objektivierung. In: Gesnerus, 2. Jg. (1969), S. 26–35, hier: S. 31–32 (Digitalisat)
  22. Philipp Lorenz Geiger: Über die Pflanze, welche als ächter blauer Eisenhut in die Apotheken zu sammeln ist. In: Magazin für Pharmacie und die dahin einschlagenden Wissenschaften. Von Ph. L. Geiger. Band 23, 1828, S. 73–79 (Digitalisat)
  23. Über Aconitum vulgare Dec. und Aconitum Stoerckeanum Reichb. Von Moritz de Berghes, Candidat der Pharmacie in Bonn. In: Rudolph Brandes und Philipp Lorenz Geiger (Hg.). Annalen der Pharmacie. Band I. (1832), S. 120–125 (Digitalisat)
  24. Fortgesetzte Versuche über die verschiedenen blaublühenden Aconiten. Von Geiger und Ludwig Hesse. In: Rudolph Brandes und Ph. Lorenz Geiger (Hg.). Annalen der Pharmacie. Band IV. (1832), S. 66–74 (Digitalisat)
  25. Über einige neue giftige organische Alkalien. Von Ph. L. Geiger. In: Rudolph Brandes und Ph. Lorenz Geiger (Hg.). Annalen der Pharmacie. Band VII. (1833), S. 276–280 (Digitalisat)
  26. August Husemann und Theodor Husemann: Die Pflanzenstoffe in chemischer, physiologischer, pharmakologischer und toxikologischer Hinsicht. Für Aerzte, Apotheker, Chemiker und Pharmakologen. Springer, Berlin 1871, S. 210–232: Aconitin (Digitalisat); S. 232–233: Acolyctin und Lycoctonin (Digitalisat); S. 792–794: Aconitsäure (Digitalisat)
  27. Robert Bentley und Henry Trimen: Medicinal plants. J. & A. Churchill, London 1880, Band 1 (No 006) (Digitalisat)
  28. Theodor Husemann (1833–1901): Handbuch der gesammten Arzneimittellehre. 2. Auflage, Band II, Springer, Berlin 1883. S. 1135–1142. (Digitalisat)
  29. Arnold Leonhard Cloetta: A. Cloetta’s Lehrbuch der Arzneimittellehre und Arzneiverordnungslehre. 10. Auflage, Tübingen 1901, S. 79. (Digitalisat)